Tagebuch Montag, 25. Januar 2021 – Täterbiografien

Autobahnkapitel. Mittags eventuell den Franzbrötchen in zu hohem Maße zugesprochen. Autobahnkapitel. Festgestellt, wie entsetzlich wenig Literatur ich zur Kunst der 1920er-Jahre besitze, denn: Es steht ja alles in den Bibliotheken, das brauche ich nicht selbst im Regal, haha. Ein bisschen Geld über Booklooker losgeworden, da gehen im Moment eure PayPal-Spenden hin, ich hoffe, das ist in eurem Sinne. Was in meinem Sinne wäre, wäre #ZeroCovid oder auch #NoCovid, ich sehe keinen Unterschied in den beiden Ideen, aber ich hätte gerne wieder geöffnete Bibliotheken.

Neue Folge The Rookie geguckt (ich mag’s), eine alte Folge The Resident (danke an die Kaltmamsell für den Hinweis), ein neues Buch angefangen. Keine Lust auf Sport gehabt. Stattdessen aus diesem Rezept der NYT eine Art Sesamsauce gezaubert, Mie-Nudeln mit Gemüse zubereitet, schmeckte wie erhofft wie vom Bringdienst. Ich hatte nicht alle Zutaten für die Sauce im Haus, aber wir merken uns mal: Sojasauce, Reisessig, dunkles Sesamöl, Erdnussbutter, Zucker, Ingwer, Knoblauch und Siracha reichen eigentlich.

Ich hatte recht lange mit der Überarbeitung der Diss gehadert, weil es doch noch deutlich mehr Arbeit bedeutet als ich bei der Abgabe dachte. Wie bereits erwähnt: Ich könnte das Ding jetzt unkorrigiert als PDF auf den Uniserver laden und mir die Promotionsurkunde abholen. Ich könnte den Text aber auch nochmal so umarbeiten, dass andere Menschen außer mir und der Prüfungskommission was davon haben. Dafür hatte ich mich entschieden, aber das zog sich trotzdem alles, vielleicht auch, weil ich nicht ins ZI konnte, um dort in den Regalen zu wühlen. Gestern war zum ersten Mal der Moment da, in dem sich das nicht mehr wie eine dusselig selbstgewählte Pflichtaufgabe anfühlte, sondern wo endlich erkennbar wurde, wie gut die neue Struktur funktioniert und vor allem, wieviel besser und erkenntnisreicher es sich lesen lassen wird. Das tat sehr gut.

Ich war trotzdem latent abgelenkt, weil es gestern zum ersten Mal in diesem Winter richtig schneite. Die Stadt ist dann immer leiser und das Licht heller. In 30-Minuten-Abständen ging ich mit der Teetasse in der Hand vom Arbeitszimmer in die Küche, lehnte mich ans Fenster und guckte minutenlang dem Schneefall zu. Das war schön.

Weniger schön ist derzeit meine Lektüre. Neben den ganzen Aufsätzen, die ich mir derzeit nur aus Datenbanken als PDF holen kann, liegt gerade ein kleiner Sammelband zur Holocaust-Forschung neben mir, in dem sich zwei Aufsätze mit der Täterforschung befassen. Mir ist sehr klar, dass es einen Unterschied macht, sich mit einem KZ-Aufseher oder einem Maler biografisch zu befassen, aber im Hinterkopf bohrt trotzdem eine Ahnung herum, die in einem der Aufsätze angerissen wird: „Täter handelten durchweg nicht isoliert, sondern waren in arbeitsteilig ausgerichtete Netzwerke von Täterkollektiven eingebunden.“ (Bajohr 2015, S. 170) Oder auch die generelle Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Individualbiografie: „Im Gegensatz zu dem für die Forschung bis in die 1980er Jahre so typischen Begriff des ‚Funktionärs‘ impliziert die heute allgemein verbreitete Bezeichung ‚Täter‘, dass – anders als früher angenommen – eine viel größere Gruppe von Einzelpersonen von ihrem Tun auch innerlich überzeugt gewesen ist. Nachdem Täterforschung sich tatsächlich […] zu einer selbständigen Subdisziplin entwickelt hatte, rückten Eigeninitiative, persönliche Energie und vor allem individuelle Handlungsspielräume der Täter in den Mittelpunkt, die bis zur alleruntersten Hierarchieebene reichten.“ (Roseman 2015, S. 188) Der letzte Satz erläutert auch die Abkehr von der Idee der bis dahin postulierten Menge an schlichten Befehlsempfängern; damit versuchte sich zum Beispiel Eichmann zu verteidigen.

Rosemann schreibt weiter:

„Was biographische Annäherungen tatsächlich erhellen können, sind einige der Mechanismen innerhalb von Partei und Regime, die gemeinsames Handeln anregten und ermöglichten. Das betrifft nicht zuletzt den Konkurrenzdruck, der eine so wichtige Rolle in den älteren strukturalistischen Analysen spielte. […] In dieser Hinsicht bilden Biographien ein wertvolles Korrektiv gegen den derzeitigen Trend, die Mitwirkung der gesamten Gesellschaft in den Vordergrund zu rücken. Sie erinnern uns an die zentrale Bedeutung von Partei- und Herrschaftsstrukturen, aber auch an die Mischung aus Loyalität und Eigenständigkeit, die das Regime von seinen Dienern verlangte.“

(Rosemann 2015, S. 202/203)

Noch einmal: Ich weiß, dass ich hier über einen Landschaftsmaler schreibe und nicht über jemanden, der Gaskammern bediente. Aber unser Fach hat sich so ewig darum gedrückt, sich überhaupt mit der Frage der Verantwortung von Kunst und den Menschen, die sie schufen, zu befassen, dass es schlicht noch kein grundlegendes Werk gibt, das diesen Komplex aufschlüsselt. Bisher pendelt die Forschungsliteratur zwischen der Meinung, dass Kunst überhaupt keine Wirkung hatte und der meist vertretenen, dass Kunst in hohem Maße dazu beitrug, nationalsozialistisches Gedankengut unter die Ausstellungsbesucher zu bringen. Ich weise zum hundertsten Mal auf Aufsätze hin, die zum Beispiel die GDK untersuchten und dabei feststellten, dass selbst auf der größten GDK 1941 nur gut drei Prozent aller Kunstwerke einen klar ideologischen Charakter hatten. Und damit sind wir in der wachsweichen Zone, in der ich seit drei Jahren herumwabere: Inwiefern sind Gemälde von Autobahnen, deren Bau von Anfang an propagandistisch für das Regime ausgewertet wurden, ideologische Kunst? Sind sie eine Art Dokumentation? Sind sie eine Spielart des Landschaftsbildes? Ich habe die Diss schon abgegeben, herrgott, und bin immer noch nicht mit dem Durchdenken fertig. Meine Schlussfolgerung in Kürze: Es kommt darauf an.

Ich habe in der Überarbeitung die biografischen Details sehr gekürzt, auch um nicht zu positivistisch zu werden. Das war auch eine Frage, die Roseman in seinem Aufsatz stellt: Darf man mit Tätern empathisch sein? Ich meine, man muss zumindest ein gewisses Interesse an einer Person und ihren Intentionen haben, um überhaupt biografisch arbeiten zu können. Aber auch das war ein Problem, das mich drei Jahre lang beschäftigt hat: Wie sympathisch darf mir der Mann werden? Da der Nachlass in dieser Hinsicht recht wenig bietet, lief ich nicht in Gefahr, mich zu sehr mit ihm gemein zu machen, aber ab und zu ist mir da doch ein Halbsatz durchgerutscht. Auch deswegen ist das fast alles rausgeflogen, aber einige Ereignisse sind eben noch drin. Und genau bei denen denke ich über Handlungsspielräume nach. Ich kann inzwischen belegbar behaupten, dass Protzens Malweise sich zwar nicht groß veränderte, aber sich doch inhaltlich den nie eindeutigen Vorgaben des Regimes an die neue deutsche Kunst anpasste. Was mich zur Täterfrage bringt: Inwiefern sind Gemälde von Autobahnen bzw. die Menschen, die sie malten (nicht nur Männer), regimestabilisierend gewesen? Das ist jetzt bewusst hoch aufgehängt, aber das ist schon eine zentrale Frage, sonst müsste ich mich mit dem Kram ja gar nicht befassen. Auch deswegen wollte ich etwas mehr zur Täterforschung wissen, um die üblichen Fallen zu vermeiden, in die ich bei der Erstfassung der Diss anscheinend gestolpert bin.

(Zitierte Literatur: Bajohr, Frank: „Täterforschung, Probleme und Perspektiven eines Forschungsansatzes“, in: Ders./Löw, Andrea (Hrsg.): Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung, Frankfurt am Main 2015, S. 167–185 bzw. Roseman, Mark: „Lebensfälle: Biographische Annäherungen an NS-Täter“, im selben Band, S. 186–209.)

„Einmal, als die Kinder in der Pause besonders laut tobten, beschimpfte uns der Lehrer, natürlich selbst Jude, daß es hier wie in einer Judenschule zugehe. Aber wir waren ja eine Judenschule. Warum uns im engen jüdischen Kreis noch weiter erniedrigen, wenn die arische Umwelt es tagtäglich mit Erfolg tat? (Übrigens schreibe ich dieses Wort ‚arisch‘ absichtlich nicht in Anführungszeichen. Es wurde damals nur selten ironisch ausgesprochen.)“

Ruth Klüger: weiter leben, München 2019 (Erstauflage 1994), S. 16.

Tagebuch Donnerstag bis Sonntag, 21. bis 24. Januar 2021 – Autobahn, Franzbrötchen, „Junge Frau“

Seit Donnerstag ringe ich mein langes, langes Autobahnkapitel nieder. Bei dem dachte ich, ich müsste am wenigstens korrigieren, weil ich diesen vielen Einzelteilen ja eh die größte Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Aber aus den vielen Einzelteilen wird jetzt ein einziger Teil, und daher feile ich gerade an der Grundstruktur des Kapitels, damit man nicht einschläft bei 100 Seiten Autobahn, den Übergängen von einem Jahr mit acht Werken zur RAB von Protzen bis zur nächsten Ausstellung mit derartigen Gemälden bis zum nächsten Jahr mit fünf Werken zur RAB usw. Oder ich werfe die Struktur dieses Kapitels nochmal über den Haufen, ich bin gerade so schön im Flow. Nebenbei wühle ich weiterhin in Datenbanken nach neuer Literatur, um die Fragen und Anmerkungen, die mein Doktorvater im Dokument hinterlassen hat, einzuarbeiten (oder auch nicht, um sie in sehr wenigen Fällen zu ignorieren).

Am Freitagvormittag traute ich mich bei gerade eis- und schneefreien Radwegen mal wieder aufs Fahrrad, um die U-Bahn zu vermeiden. Ich brauchte ein neues Rezept von meiner Hausärztin, und Freitags ist dort immer am wenigsten los. Wenn ich schon mal da war, fragte ich nach einer Grippeimpfung, die im Herbst wegen des fehlenden Impfstoffs nicht möglich gewesen war; jetzt war welcher da, ich wurde geimpft und kriegte einen schönen Stempel in den Impfpass. Ich hoffe, ich muss nicht mehr allzu lange auf den nächsten Stempel warten. Ich bin in Gruppe 3 für die Covid-Impfung und richte mich seelisch auf Mai oder so ein.

In diesem Zusammenhang dachte ich über die mögliche Bevorzugung Geimpfter nach: Sie dürften von mir aus gerne wieder in Restaurants, Museen und Fitnessstudios, Schulen und Bibliotheken. Macht alles auf, kontrolliert die Impfpässe, fertig. Ich meine, im Deutschlandfunk wurde argumentiert, dass das keine Privilegien wären, sondern im Gegenteil, die Wiederherstellung von Grundrechten. Menschen, die (hoffentlich, das ist ja noch nicht klar) keine Gefahr mehr für andere darstellen, dürfen schlicht nicht an der Bewegungsfreiheit und ähnlichen Rechten gehindert werden. Fand ich einleuchtend. Von mir aus dürfen die geimpften 80-Jährigen auch gerne jetzt schon Partys feiern, so lange die Enkelkinder noch draußen bleiben.

Auf dem Rückweg von der Ärztin holte ich mir Semmeln vom Lieblingsbäcker, um den Hunger bis abends zu überbrücken. F. trug uns wieder Köstlichkeiten aus dem Broeding an den Tisch. Ich buk das kleine Karottenbrot noch mal auf, obwohl das nicht in der Bedienungsanleitung stand, aber bisher mussten wir jedes Brot noch einmal aufbacken, also tat ich das einfach. Dazu gab es Schmalz.

Danach freuten wir uns über eine Kartoffelterrine mit Beten und schwarzer Walnuss, zum Hauptgang gab es geschmorte Ochsenschulter mit Wurzelgemüse und als Nachtisch Marzipan-Stollen-Mousse mit irgendwas, ich habe nach Marzipan-Stollen-Mousse nicht mehr weitergelesen. Das klang in der Vorschau nach einem richtig klassischen Broeding-Menü und das war es dann auch.

F. brachte außerdem einen PetNat mit sowie einen Zweigelt, bei denen ich nie verstehe, warum meine Nase sie hasst (bzw. sie meine Nase, die stinken immer!), mein Gaumen sie aber mag.



Samstag war wieder Schreibtischtag, die Autobahn. Zwischendurch gewann aber immerhin Augsburg gegen Union und ich durfte mir ein Geschenk aus der Packstation holen. Das begann ich, wie ich vorgestern beim Dankeschön-Eintrag schrieb, gleich abends im Bett. Und gestern tagsüber las ich es dann zuende. Hiermit eine große Empfehlung für Alena Schröders Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid. Mit Lesebändchen!

Das Buch wechselt in jedem Kapitel die Perspektive: Mal folgen wir der unmotiviert promovierenden Germanisten Hannah, wie sie unmotiviert ihre Oma im Altersheim besucht oder sich unmotiviert in eine Affäre stürzt, dann sind wir plötzlich in den 1920er-Jahren, wo wir Hannahs Urgroßmutter kennenlernen – und dementsprechend auch erneut ihre Oma, dieses Mal als Kind. Der rote Faden ist nicht nur die Familiengeschichte, sondern auch ein vermeintliches Vermeer-Gemälde, nach dem Hannah auf der Suche ist. Oder auch nicht, sie ist da etwas unmotiviert. Es gehörte den Eltern des Ehemanns ihrer Urgroßmutter, die 1942 nach Treblinka deportiert wurden, und damit sind wir beim unangenehmen Teil des Buchs.

Ich mochte den ständigen Perspektivwechsel gerne, kam aber zunächst nicht mit der ebenfalls veränderten Ausdrucksweise zurecht. Schröder versucht netterweise nicht, Dialoge zu sehr historisch klingen zu lassen bzw. die heutige Sprache zu lässig zu verwenden, aber manchmal stolperte ich schon darüber, eben noch von einem Volksempfänger gelesen zu haben und zwei Seiten später von WhatsApp. Daran gewöhnte ich mich aber schnell, und ich ahne inzwischen, dass auch das ein großer Reiz dieses Buchs ist. Es gibt genügend Kapitel, die wirklich keine gute Laune machen, wie das halt so ist mit Kapiteln, die in der NS-Zeit spielen, aber man hat kaum Zeit, das Buch deswegen weglegen zu wollen, weil man sich ein Kapitel später wieder mit Hannah zusammen über irgendwas aufregen kann. Der arme Historiker, der ihr bei der Recherche hilft, kommt mir persönlich natürlich viel zu schlecht weg, Achtung, totale Übertreibung: ARCHIVE SIND SUPER! MENSCHEN, DIE GERNE IN ARCHIVE GEHEN, AUCH. Aber das war wirklich das einzige, was ich am Buch äußerst subjektiv zu bequengeln habe. Die 350 Seiten lasen sich extrem gut weg, und obwohl ich behaupte, von dem Thema wirklich Ahnung zu haben, habe ich mich nicht gelangweilt, ganz im Gegenteil. Auch das liegt sehr wahrscheinlich an der cleveren Stuktur.

(Überlege gerade, wie ich die für die Diss klauen kann, aber naja.)

Mir gefiel außerdem, dass Schröder fast nebenbei verschiedene Lebensentwürfe von Frauen unter die Lupe nimmt, ohne sie zu werten. Sehr amüsant fand ich das kurze Kapitel, in dem die kleine philosemitische und sehr bemühte Gruppe um den Historiker ihr Fett weg bekommt, wobei ich mir da selber auch ein winziges bisschen an die Nase gefasst habe mit dem vielleicht zu eifrigen Gedenken und ja alles richtig machen zu wollen.

Und ein Absatz kriegte mich dann richtig. Ich will nicht spoilern, daher mache ich einen Namen mal unkenntlich im Zitat: „Nein, Hannah wollte keine Torte mehr. Sie war aufgeregt, und es kam ihr vor, als würde [Person X] den Goldmanns und auch ihrer Urgroßmutter, dieser ganzen vergangenen Zeit, eine neue und vielleicht die bislang fehlende Dimension verleihen. So als könnte sie erst jetzt glauben, dass sie wirklich gelebt hatten und nicht nur als Archivmaterial existieren.“
(S. 313)

Das ist ein bisschen mein Problem mit Protzen und seinem Werk. In unkonzentrierten Momenten halte ich ihn für ein Subjekt, das unter meinem Mikroskop liegt und vergesse, dass sein Werk ohne ihn als Person nicht existieren würde. Ich vergesse manchmal, dass er eine Familie hatte und Menschen, die ihn kannten und schätzten und liebten, während ich mir hier nur anhand seines Nachlasses ein manchmal hartes Urteil über ihn erlaube. Das liegt natürlich auch daran, dass niemand von den Menschen, die ihn oder seine Frau noch hätten kennen können, mit mir kommunizieren wollte, was aber ein schönes anderes Fass aufmacht, auf das ich vielleicht in der Überarbeitung der Diss noch eingehen werde: wie schwierig es ist, Dinge zu rekonstruieren, die die allermeisten Beteiligten sehr gerne vergessen möchten. Auch das klingt im Buch des Öfteren an. Große Leseempfehlung.

Sonntag ist bekanntlich Hefeteigtag, es gab mal wieder Franzbrötchen. Die sahen leider fürchterlich aus, viel zu trocken, so dachte ich, aber sie schmeckten ganz hervorragend. Endlich mal die richtige Klietschigkeit hingekriegt, die ich so an diesem Backwerk mag.

Zwei davon verpackte ich mehrfach und hängte sie F. an die Wohnungstür, immer schön Kontakte vermeiden, aber trotzdem gut essen.

Ja, fürchterlicher Gesamteindruck, ich weiß, aber schauen Sie sich die vielen schönen Knusperschichten an! Herrlich! Immer zweimal mehr tourieren als im Rezept angegeben, totaler Geheimtipp.

Während die Franzbrötchen vor sich hingingen, stundenlang, freute ich mich über meinen ebenso lustig aufgehenden, weil frisch gefütterten Sauerteig, links Wehner, rechts Rosinante. Rosinante riecht allerdings arg nach Nagellackentferner, da muss ich wohl mal gegensteuern.

Und weil gestern die Sonne schien, traute sich sogar Sadness kurz aus ihrer Höhle, jedenfalls sah es so aus. Ich fotografierte das gestern spontan für Insta und überlegte, ob ich vorher noch staubwischen sollte, aber bis ich das Staubtuch geholt und alles wieder hübsch arrangiert hätte, wäre der Sonnenstrahl weitergewandert. Jetzt wisst ihr alle, was ich seit gut zwei Jahren weiß: Diese Wohnung ist ein einziger Staubmagnet. Ich habe noch in keiner Wohnung – theoretisch – so oft abstauben gemusst wie hier, wo ich es irgendwann aufgegeben habe. Es gibt Wichtigeres.

Ein schön gestaltetes Dankeschön …

… an Frîa, eine alte Freundin, die mich mit Alena Schröders Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid überraschte. In der Widmung meinte die Schenkerin: „[N]ur weil das Cover so schön gestaltet ist.“ Mit derartigen Geschenkgründen kann ich hervorragend leben! Ich persönlich finde ja, dass Effingers auch sehr hübsch aussieht! Oder Grünbeins Oxford Lectures (das ist eine Autobahn, Sie ahnten es vermutlich). Oder Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen (ein KdF-Wagen, ähem). Gucken Sie mal!

Die Handlung von Junge Frau klang für mich natürlich sehr interessant: „Die Geschichte um die Kulturwissenschaftlerin Hannah, die ein Bild sucht, das ihrer mit einem Juden verheirateten Großmutter von den Nazis geraubt wurde“, ich zitiere den Perlentaucher. Die Leseprobe gefiel mir auch, und jetzt freue ich mich darüber, es ganz lesen zu können.

Ich habe in diesem Jahr wieder angefangen, meine Bücher zu notieren, die ich durchlese. Dabei stellte ich erstaunt fest, dass ich bereits vier Romane und ein Sachbuch durchgelesen hatte. Im fünften Roman stecke ich fest und überlegte gestern, ob ich den wieder ins Regal stellen sollte, als das Geschenk kam. Perfektes Timing! Nebenbei: Einer von den vier bisher gelesenen Romanen war Gegenspiel von Stephan Thome. Hey, Dominic, der du mir dieses Buch im Mai 2016 geschenkt hattest: Es hat mir gut sehr gefallen. Eure Bücher werden alle irgendwann gelesen! Manchmal dauert es halt ein bisschen.

Bis hier hin hatte ich den Blogeintrag gestern geschrieben, dann ging ich ins Bett und wollte nur mal kurz ins Buch gucken. Das ist jetzt 118 Seiten her, es war irgendwann halb eins, und manche Bücher werden anscheinend schneller gelesen. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Mamas Marmorkuchen

Mit diesem Kuchen bin ich groß geworden, und seit ich wieder öfter im Norden bin, esse ich ihn auch wieder öfter. Bei meinen Eltern gibt es um halb vier Uhr jeden Tag Kaffee und Kuchen, komme was wolle, und wenn man da ist, isst man mit. (Maske ab, ein Stück abbeißen, Maske auf, kauen, repeat.) Der Kuchen schmeckt saftig-schwer und altmodisch, er ist nicht leicht und flauschig, aber genau so mag ich ihn. Ich habe neuerdings immer ein bis drei Viertel davon eingefroren im Tiefkühlfach und mache gerne Kaffeepause. Oder Teepause. Das ist sehr schön.

Für eine Kastenform mit 30 cm Länge.

250 g zimmerwarme Butter mit
200 g Kristallzucker schaumig schlagen, wie es so schön heißt. Ich habe eine Butter-Zucker-Masse noch nie schaumig bekommen, ich mixe so lange, bis die Butter weißlich geworden ist und sich alles richtig schön verbunden anfühlt bzw. so aussieht.

4 Eier einzeln untermixen.

350 g Mehl, Type 405,
ca. 5 g Backpulver (1/3 Tütchen) sowie
1 gute Prise Salz untermischen.

Die Hälfte des Teiges in die gefettete Kastenform geben. In den restlichen Teig
2 EL entöltes Kakaopulver,
1 EL Vanillezucker und
1–2 EL Milch geben, alles gut vermischen und auf den hellen Teig in die Kastenform geben. Mit einer Gabel die Teige miteinander verwirbeln – ich mache das eher halbherzig –, die Oberfläche glattstreichen und im auf 175° Ober- und Unterhitze vorgeheizten Ofen für 50 bis 60 Minuten backen. Stäbchenprobe machen. In der Form abkühlen lassen, dann stürzen und endgültig auskühlen lassen. Kaffee oder Ostfriesentee dazu, ist klar.

Ein forschendes Dankeschön …

… an Sascha, der mich mit Der Holocaust: Ergebnisse und neue Fragen der Forschung von Frank Bajohr und Andrea Löw (Hrsg.) überraschte.

Ich lese auch privat Sachbücher immer mit einem Finger hinten im Anhang, wo die Endnoten und Literaturangaben stehen. Dieses Buch fand ich in Hedwig Richters Demokratie-Buch und das Inhaltsverzeichnis überzeugte mich davon, dass ich da mal reingucken sollte. In einem der Diss-Gutachten wurde zufrieden festgestellt, dass ich die Verdienste Protzens, auch im Vergleich zu anderen Künstlern, aufgearbeitet hatte. Ich zitiere: „Es ist sehr wichtig, dass Verf. dem Salär des Künstlers Aufmerksamkeit schenkt, wird doch im Kontext des NS die ökonomische Dimension des Politischen bisweilen nachrangig beurteilt. Denn die NS-Ideologie, die Verfolgung und Entrechtung der Juden war politisch und ökonomisch motiviert (siehe Toozes Studie „Ökonomie der Zerstörung“). Dies lässt sich ohne Weiteres auf den Sektor Kunst übertragen, und damit sind nicht nur die Beschlagnahmen jüdischer Sammlungen gemeint, sondern eben auch der wirtschaftliche Aufschwung erfolgreicher NS-Künstler.“

Im Buch von Bajohr und Löw gibt es genau dazu einen Aufsatz, „Materielle Aspekte des Holocaust“, sowie zwei, die sich mit der biografischen Aufarbeitung der NS-Täter befassen, was für mich gerade mit ein Punkt ist, auf den ich sehr achte. Da sind mir, laut Gutachten und Gespräch mit dem Doktorvater, doch ab und zu etwas zu positivistische Beschreibungen durchgerutscht bzw. ich habe mir ab und zu Urteile erlaubt, die möglicherweise ungerechtfertigt waren. Und da im Moment alle Bibliotheken geschlossen sind, freue ich mich über jedes Buch, das ich nun zuhause lesen kann. Den Tooze hatte ich mir netterweise vor dem Lockdown schon geliehen, der steht gerade hinter mir.

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Tagebuch Dienstag/Mittwoch, 19./20. Januar 2021 – Madame Vice President

Der Dienstag begann hervorragend: Mein inzwischen dritter Versuch mit Roggensauerteig klappte so, wie ich es haben wollte und nicht nur so halb oder geht so oder „kann man essen, wenn’s sein muss“. Das Brot ging in seiner Kastenform zwar im Ofen nur an einer Seite wirklich auf – das ist die etwas aufgerissene, krustige –, aber es schmeckte durch und durch. Fieser Nebeneffekt, der mir schon überrascht bei den ersten Versuchen mit Roggensauerteig aufgefallen ist: Es schmeckt wie das Lieblingsbrot von Papa. Das Gersterbrot esse ich auch immer in der alten Heimat im Norden und wusste nie, dass es aus Roggenmehl zubereitet wird.


(Foto aus der Hüfte für F., muss ich fürs Rezeptverbloggen noch mal anständig machen. Und ohne Bissspuren.)

Ab kurz vor zehn Uhr hatte sich der jährlich vorbeischauende Heizungsableser angekündigt. In den letzten Jahren brachte er oft seinen Kollegen mit, der die Rauchmelder prüft, dieses Jahr kam er wieder alleine und übernahm beide Jobs. In meiner Wohnung standen alle Fenster auf Kipp, ich trug FFP2, er eine OP-Maske, wir hielten Abstand und es war keine Unterschrift auf dem Ableseprotokoll nötig. Danach lüftete ich zehn, fünfzehn Minuten lang durch, bis es wirklich kalt war. So fühlen sich also Schüler:innen gerade.

Bis gestern um 14 Uhr saß ich an beiden Tagen an der Diss, überarbeitete erneut den biografischen Teil sowie den Überblick über das Gesamtwerk. Gestern beendete ich vorerst (also bis zu den üblichen 17 Korrekturgängen) den Teil mit Protzens ganzen Vereinsmitgliedschaften. Dazu begründete ich auch, warum dieser Teil wichtig ist: weil Künstlervereinigungen im Kleinen abbildeten, was reichsweit ab 1933 passierte. Es wurde durchaus über die angeblich neue deutsche Kunst diskutiert; ich hatte in Archiven einige Sitzungsprotokolle gefunden, an denen sich Kontroversen gut nachvollziehen ließen. Außerdem lässt sich dort auch die neue Personalpolitik nachzeichnen, also das Ersetzen von bisherigen Amtsinhabern durch Parteigenossen. So verlor auch Protzen, der kein Mitglied der NSDAP war, im April 1933 einen Vorstandsposten beim (ehemals Feldgrauen) Künstlerbund München, was ihm aber auf lange Sicht nicht wirklich geschadet hat. Aber er konnte das hübsch im Spruchkammerbogen ausschlachten. („ICH BIN EIN NAZIOPFER EINS11! … Autobahnen? Was für Autobahnen?“)

Ab 14 Uhr war meine Konzentration aber weg. Ich musste mir anschauen, wie Trump am Weißen Haus das letzte Mal den Hubschrauber Marine One bestieg, der ihn zur Air Force One brachte, die ihn nach Florida und damit hoffentlich in die Bedeutungslosigkeit flog, die für ihn vermutlich die Höchststrafe sein wird. Geh weg, komm nie wieder.

Danach genoss ich die Amtseinführung Bidens und Harris’ und konnte befriedigt feststellen, dass nicht mal Trump meine irrationale Zuneigung zu amerikanischem Pathos ruinieren konnte. Beim Amtseid von Harris, der ersten Schwarzen, der ersten asiatischen und der ersten Frau auf dem Posten des Vizepräsidenten, verdrückte ich dann doch überrascht ein kleines Tränchen. Der Eid wurde von Sonia Sotomayor abgenommen, der ersten Latina und, wenn ich das richtig sehe, dritten Frau am Obersten Gerichtshof der USA.

Das Gedicht von Amanda Gorman mochte ich ebenfalls sehr.

Twitter war gestern wieder in alter, netter Form.

Dass Augsburg gegen Bayern verlor, war dann auch total egal. Tief und fest geschlafen.

Ein abstraktes Dankeschön …

… an Herrn oder Frau Unbekannt, es lag leider kein Absendezettel dabei, der oder die mir ein dickes Paket zukommen ließ, in dem sich Pepe Karmels Abstract Art: A Global History befand. Das Buch landete nach einem Artikel in der NY Times auf meinem Wunschzettel, eine Liste der besten Kunstbücher des Jahres 2020. Hat das Jahr doch was Gutes hervorgebracht.

Ich zitiere die kurze Besprechung vollständig:

„This large coffee table/art history book announces its singularity with its cover, a painting by Hilma af Klint, whose recently rediscovered achievement upended the history of modernist abstraction. A herculean effort, it reproduces the efforts of over 200 artists from all seven continents, usually with sharp capsule discussions. It provocatively divides abstraction according to subject matter (the body, the cosmos, landscape, architecture), increasing its accessibility. The book’s inclusions and theories can be debated, but it sets a standard for future efforts.“

Eine globale Geschichte, die das Werk einer Frau auf den Titel packt, hat bei mir von vornherein viele Sympathiepunkte. Und dass sie global ist, ebenso, denn das ist leider immer noch die Crux unseres Faches und vermutlich vieler anderer Richtungen der Geisteswissenschaften: Unser Verständnis fängt beim Kanon westlicher, weißer, meist männlicher Kunst an, an die sich alles andere andockt. Das ändert sich netterweise seit einigen Jahren, aber der Weg ist noch sehr weit. Ich erinnere mich an mein Staunen in der grundlegenden Ausstellung im Haus der Kunst, Postwar, die mein eigenes Bild von Kunst über jeden Haufen geworfen hat, den ich im Kopf hatte. Daher klang dieses Buch genau wie das richtige, um mich mal eingehender der Abstraktion zu widmen.

Mein Interesse an der Kunst des NS führt dazu, dass ich mich eher im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert auskenne als danach, und zudem liegt mir dementsprechend die naturalistische Kunst mehr. Ich schaue mir aber sehr gerne abstrakte Kunst an, gerade weil sie mir Dinge zeigt, die sonst in meinem Leben – oder auf diesem Planeten – ohne sie nicht vorkommen.

Die Idee, Werke, die nichts Nachvollziehbares abbilden, in Kategorien zu ordnen, die genau das tun – Körper, geöffnete Fenster, Sonnen und Planeten –, klingt erstmal sehr abwegig. Ganz durchhalten kann Karmel das auch nicht, einige Angaben im Inhaltsverzeichnis lauten „Embryos and Blobs“, „Vibrations“ oder auch schlicht „Calligraphy“. Wie die Times anklingen lässt, kann man darüber streiten wie über alles, aber beim ersten Durchblättern fand ich es ganz schlau gemacht. Karmel ordnet nicht, wie es die bisherigen Narrative der Kunst es tun, nach Jahreszahlen, Schulen oder Kontinenten, sondern wirft alles wild durcheinander – um es in eine neue Ordnung zu bringen. Oder er versucht es zumindest.

David Carrier schreibt auf Hyperallergic in seiner guten Rezension die entscheidenden Sätze:

„Karmel’s originality and literary skill are praiseworthy. But his account is not a history. There is no reason given to suggest that the later artists further developed the forms of abstraction explored by their predecessors. […] I imagine that Thames & Hudson would have vetoed calling Karmel’s book A Global Charting of the Varieties of Abstraction, with Reference to Its Figurative Roots, though that title would give a clearer view of his achievement. Karmel has, in fact, proven that a global history of abstraction is impossible. This is an important achievement, for it opens the way to constructive analysis. Today’s art world has an essentially different structure from Gombrich’s Eurocentric tradition or Clement Greenberg’s New York-centric era; we must now recognize that writing a global art history demands that we give up historical thinking.“

Das trifft, soweit ich das überblicken kann, auch durchaus in Teilen auf die naturalistische Kunst zu. Ich twitterte im Dezember diesen Link zum Deutschlandfunk über afrikanische Kunst. Die letzte Abbildung hat mich völlig umgehauen: Sie zeigt eine menschliche Figur mit deutlich abstrahierten Zügen, aber in einer fluiden Bewegung erstarrt und stammt aus dem 13. Jahrhundert. Diese Art der Darstellung bekam Europa erst Anfang des 20. Jahrhunderts hin und fand sich irre innovativ (siehe z. B. die Demoiselles d’Avignon, die Skulpturen kamen noch einige Jahre später). Dass man nun komplett darauf verzichtet, historisch zu denken, halte ich allerdings für einen Fehlschluss, ich hänge schon noch an der Theorie, dass wir bei sehr vielen Leistungen auf den Schultern unserer Vorgängerinnen stehen. Wir vergessen sie nur gerne wieder.

Wie gesagt, ich habe das Buch erst einmal durchgeblättert und mich über Eva Hesse und Gego gefreut, aber bis jetzt gefällt mir der Brocken, auch in seiner Inklusion von vielen Künstlerinnen und Menschen außerhalb von Europa und den USA, ausgesprochen gut, auch in seiner wirklich üppigen Aufmachung. Es war beim Blättern ein bisschen, wie durch eine Ausstellung zu bummeln, was mir doch mehr fehlt als ich dachte. Das tat sehr gut.

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Tagebuch Montag, 18. Januar 2021 – Anhang 2

Ich wachte um 4.40 Uhr auf, ging auf die Toilette, hoffte bis 6 Uhr noch darauf, wieder einschlafen zu können, gab es dann aber auf und begann latent nölig und übermüdet meinen Tag.

Der bestand hauptsächlich darin, meinen Anhang 2 in der Diss zu überarbeiten. Bisher ist die Dissertation – sehr vereinfacht ausgedrückt – eine chronologische Abfolge von Ausstellungen und Verkäufen. An diese dockte ich immer noch Metaebene dran, aber das ist es im Prinzip. Das wurde in den Gutachten als „bürokratisch“ und „pedantisch“ umschrieben, immer liebevoll abgeschwächt – „ist trotzdem super“ –, aber, wie ich mir nun mit einem halben Jahr Abstand zum Werk eingestehen muss, leider korrekt. Daher war das mein Hauptanliegen: diese pedantische Ordnung aufzubrechen.

Der Anhang 2 ist mir erst kurz vor der Abgabe eingefallen. In ihm sind alle Ausstellungen mit den gezeigten Werken aufgeführt, die mehrfach gezeigten sind gefettet, so dass man sofort sehen kann, welche Werke Protzen selbst am wichtigsten waren. Eine dieser Erkenntnisse, auf der ich auch im Text rumreite: Das von ihm heute auf jeder NS-Wanderausstellung gezeigte „Straßen des Führers“ wurde gerade ein einziges Mal in der Zeit des „Dritten Reichs“ gezeigt, nämlich auf der GDK 1940 und dort auch erst als Nachhängung, also nicht gleich von Beginn der Ausstellung an. Die GDK dauerten anfangs von Juli bis Oktober des jeweiligen Jahres, von 1941 bis 1944 hieß es im Katalog „bis auf weiteres“, aber schon seit 1939 liefen die Schauen bis ins nächste Jahr; die GDK 1939 dauerte bis Februar 1940. Die letzte Verkaufsbescheinigung der GDK 1944, die ich in den Akten fand, wurde am 24. April 1945 ausgestellt.

„Straßen des Führers“ wurde vermutlich im Oktober 1940 gehängt und laut Werkverzeichnis im Dezember an die Reichskanzlei verkauft. Es gelangte aber nie nach Berlin, sondern wurde in den Depots des Hauses der Deutschen Kunst aufbewahrt, laut der Archivalien bis zum 28. Oktober 1943, als es in Altaussee in Österreich eingelagert wurde, um vor den Bombenangriffen der Alliierten geschützt zu sein. (Das ist für meinen Kopf immer seltsam nachzuvollziehen, dass die Ankäufe der NS-Machthaber in ähnlichen Stollen rumlagen wie die aus ganz Europa zusammengestohlenen Kunstschätze, die einen deutlich höheren kunsthistorischen Wert hatten und haben.) Der Mittelteil von „Straßen des Führers“ (es ist ein Triptychon und nur der Mittelteil wurde ausgestellt) wurde zunächst in Salzburg registriert; am 8. November 1946 findet sich das Werk auf einer Bestandsliste der United States Forces Austria. Es wurde am 20. November 1946 unter der Mü-Nr. 40499 Salzburg 112 registriert. Am 1. April 1949 wurde das Werk an den bayerischen Staat übergeben und gehört heute dem Deutschen Historischen Museum in Berlin. Die „Mü-Nr.“ ist die Münchner Nummerierung der im Central Collecting Point eingelieferten Werke, hier steht auf S. 4 dazu etwas mehr.

Oh, ich bin etwas abgeschweift. Ich finde das immer noch alles sehr spannend, da müsst ihr jetzt durch.

So, Anhang 2. In dem waren wie gesagt bisher nur die Ausstellungen und die Werke verzeichnet. Um vorne im Textteil haufenweise Absätze zu sparen, legte ich eine neue Spalte an und und verzeichnete dort gestern meine Quellen. Denn das war eine meiner selbstgestellten Hauptaufgaben gewesen: erstmal rauszufinden, wann und wo der Herr überhaupt was gezeigt hatte. Dafür las ich hunderte von alten Lokalnachrichten durch, um anhand der Rezensionen Rückschlüsse auf die Werke ziehen zu können, wo es keinen arbeitsarmen Katalog gab, in dem ich einfach die Titel nachschauen konnte – wenn ich denn wusste, wo Protzen überhaupt was gezeigt hatte. Dafür las ich sein Werkverzeichnis sehr aufmerksam durch.

Manchmal waren die Werke aus den Rezensionen nicht eindeutig zu bestimmen – bei Angaben wie „dunkeltonige Landschaften“ konnte ich nur raten. Diese Denkprozesse verkürzte ich und trug sie ebenfalls in die Tabelle ein. Das dauerte, wie ich selbst überrascht feststellen musste, den ganzen Tag. F. riet mir ab Mittags zu einem Schläfchen, aber ich wollte das fertigkriegen, was ich auch tat.

Zum Mittag gab’s eine Restekartoffel von der Date Night, dazu warf ich eine Mohrrübe, eine Zwiebel, eine Paprika und den Rest Speck, der noch im Kühlschrank war, in die Pfanne. Sport waren gestern die Bauchmuskelübungen, die ich inzwischen nicht mehr ganz so mache, wie das Programm es möchte. Das Schöne an diesem Anfängerinnending ist, dass die Übungen aufeinander aufbauen: Wir machen also nicht gleich die knallharte Plank am Boden, wo man sich bis eben vielleicht überhaupt nicht bewegt hatte, sondern in den ersten Einheiten nahmen wir dazu einen Stuhl zu Hilfe. Genau wie bei Liegestützen oder ähnlichem. Das habe ich beim ersten Durchgang auch brav gemacht, anders hätte ich das auch gar nicht hingekriegt, ich Couchkartoffel, aber jetzt, wo ich das Programm schon einmal ganz durchgeturnt hatte, ließ ich die Zwischenschritte weg und erledigte alles in der Version der Übungen, die eigentlich erst am Schluss kamen. Das strengte dann auch deutlich mehr an, aber ich konnte alles mitturnen, was mich sehr freute.

Danach war ich total aufgewärmt zum Putzen, denn heute werden die Heizungen und die Rauchmelder abgelesen – meine FFP2-Maske liegt bereit –, und deswegen war gestern das traditionelle Entstauben der Heizkörperrippen dran, das ich genau einmal im Jahr erledige.

Gestern in den Storys von DefunctFashion gesehen und gleich ergoogelt, hier die Bildquelle.

I Recommend Eating Chips

Ein wunderbarer Artikel zum Thema … weiß ich gar nicht. Pandemie, Soul Food, Selbstbeobachtung. Das hat mir sehr gefallen, den gestern zu lesen.

„Oh, hello, nice to see you, have a seat — let’s stress-eat some chips together. Let’s turn ourselves, briefly, into dusty-​fingered junk-food receptacles. This will force us to stop looking, for a few minutes, at the bramble of tabs we’ve had open on our internet browsers for all these awful months: the articles we’ve been too frazzled to read about the TV shows we’ve been meaning to watch; the useless products we keep almost impulse-​buying; the sports highlights and classic films that we digest in 12-second bursts every four days; that little cartoon diagram of how to best lay out your fruit orchards in Animal Crossing. Eating these chips will rescue us, above all, from the very worst things on our screens, the cursed news of the outside world — escalating numbers, civic decay, gangs of elderly men behaving like children.

Please, sit down. I’ve got a whole bag of Cool Ranch Doritos here: electric blue, plump as a winter seed, bursting with imminent joy. I found it up in the cupboard over the fridge, where by some miracle my family had yet to discover it — it had slipped sideways behind the protein powder, back near the leftover Halloween candy — so now I’m sitting here all alone at the kitchen counter, about to sail off into the salty seas of decadent gluttony. The next few minutes of my life, at least, are going to be great.“

Ich mochte die subtile Anspielung auf die plums in the icebox sehr.

„Join me. Grab whatever you’ve got. Open the bag. Pinch it on its crinkly edges and pull apart the seams. Now we’re in business: We have broken the seal. The inside of the bag is silver and shining, a marvel of engineering — strong and flexible and reflective, like an astronaut suit. Lean in, inhale that unmistakable bouquet: toasted corn, dopamine, America, grief! […] These chemicals are transcendent, Proustian, as powerful as any drug: They trigger nodes of memory that stretch back years, decades, back to old Super Bowls and family reunions, back to the outside world that I am trying to forget. Another chip. Another chip. […]

For nearly a year now, many of us have been locked in a controlled environment, a closed lab of selfhood: the Quarantine Institute of Applied Subjectivity. Our homes have become biodomes designed to study the fragile ecosystems of Us. All our neuroses and addictions and habits are under the microscope. Willpower, productivity, resilience, despair. We have turned into scientists of ourselves. And so I watch myself eating chips.“

Ich würde den gerne komplett zitieren, er ist so toll.

Tagebuch Sonntag, 17. Januar 2021 – Lesetag

Endlich Hedwig Richters Demokratie: Eine deutsche Affäre ausgelesen. Das begann ich kurz vor dem Jahreswechsel, dann kam wieder Kram dazwischen, aber immer wenn ich mich für längere Zeit an das Buch setzte, las ich gleich zwei Stunden lang. So wie auch Samstag Abend, als ich nur noch so drei, vier Seiten zum Einschlafen überfliegen wollte und dann war es plötzlich zwei Uhr morgens.

Ich erspare mir eine lange Rezension, das haben andere schon erledigt; beim Perlentaucher sieht man ganz gut die Spanne an Besprechungen, die von „Finger weg“ zu „Find ich gut“ reichen. (Hier ausführlich.) Ich mochte den gut lesbaren Schreibstil und dass oft genug darauf hingewiesen wird, dass vieles erst einmal für weiße Männer gilt und dann lange nichts kam, bis sich Dinge eben ändern. Dass genau das in einigen Kritiken bemängelt wird, kann ich nachvollziehen, aber nachdem ich hundert Bücher gelesen habe, in denen mit „Menschen“ immer „Männer“ gemeint sind, fand ich die Abwechslung sehr angenehm.

Mit dem Kapitel zum „Dritten Reich“ hadere ich etwas, weil es – natürlich – in einem Buch, das die Demokratie als eine in Deutschland längst etablierte Regierungsform feiert, ein fieser Stopper ist und sich auch eher auf Nebenschauplätzen verliert. Ein roter Faden durch das Buch ist der Fokus auf den menschlichen Körper – auch hier gerne wieder auf den weiblichen, der jahrhundertelang eher mies wegkam. Dementsprechend geht es in diesem Kapitel eher um Tod und Vernichtung, was sich ein bisschen wie eine, ganz vorsichtig formuliert, Verlegenheitslösung anfühlt, weil die nicht vorhandene Demokratiegeschichte zur NS-Zeit nur eine halbe Seite brauchen würde.

Ich wurde immerhin daran erinnert, dass auch die NS-Machthaber weiter Wahlen abhielten, auch wenn diese ihren Namen nicht verdienten, und dass auch der Reichstag vorerst weiter bestand und als Legitimation diente, obwohl er längst eine Attrappe war. Das hatte ich schon wieder vergessen. Die DDR-Volkskammerwahlen wurden mir dann etwas zu sehr in diese Nähe gerückt, und generell war mir der immer durchscheinende Antikommunismus ab und zu ein bisschen zu viel, während der Erfolg der Demokratie sehr oft mit dem Erfolg des Kapitalismus gleichgesetzt wird. So liest man zu den 1960er-, 1970er-Jahren etwas flapsig formuliert: „Glück bedeutete für viele Menschen ein Leben mit Zentralheizung, Wurst und Italienurlaub.“ (S. 288)

An generell dem Schreibstil arbeitet sich Franziska Augstein in der SZ ab. Hier ein Zitat aus ihrer Rezension, auch unter obigem Link zu finden, das mit einem Zitat aus dem Buch beginnt: „‚Demokratiegeschichte – das ist die dritte These dieses Buches – ist wesentlich eine Geschichte des Körpers, seiner Misshandlung, seiner Pflege, seines Darbens – und seiner Würde.‘ Historiker sind nicht genötigt, gut zu schreiben. Freilich, diese Wörter sind so miserabel zusammengesucht, dass sie wehtun. Knochentrockene Sätze, wofür deutsche Historiker früher bekannt waren, sind eiernder Expressivität bei Weitem vorzuziehen.“ Das sehe ich sehr anders. Erstens lese ich hier kein Rumeiern, sondern den Versuch, eben nicht knochentrocken zu schreiben – oder so, wie es englischsprachigen Historiker:innen zugestanden wird. Zweitens, denn das kam auch in der Rezension nicht gut weg, mochte ich die Idee, eine historische Entwicklung auch als Körpergeschichte zu formulieren. Mit dieser theoretischen Richtung hatte ich mich gerade erst für einen Abstract für einen Vortrag erstmals ausführlicher beschäftigt und finde es daher noch sehr spannend, aus einer amorphen Masse Mensch, der historisch irgendwas zustößt, einzelne Menschen, einzelne Körper zu machen, über die sie immer mehr selbst verfügen können. Klar, wenn man davon schon 20 Bücher gelesen hat, mag es nichts Neues mehr sein. Ich ahne aber, dass die Masse an Leser:innen – denn für die Masse ist es geschrieben – vermutlich eher zu diesem Buch greifen wird, um einen sehr knappen Überblick über 200 Jahre Demokratie in Deutschland zu erhalten, anstatt sich in fachspezifischen Diskussionen zu ergehen.

Das einzige, was ich wirklich zu bemängeln habe, ist der Titel: „Eine deutsche Affäre“? Das hat sich mir bis zum Ausblick im Buch nicht erschlossen. Auch „Angelegenheit“ als Ersatz für dieses doch eher sexualisierte Wort passt nicht so recht, weil „Deutschland zumeist ein recht gewöhnlicher Fall der Demokratiegeschichte war“ (S. 325). Also ist Demokratie eher eine Welt-Affäre? Was noch seltsamer klingt.

Fazit: Ich mochte es, habe es gern gelesen und doch einiges gelernt bzw. wurde an einige Details wieder erinnert. Daher von mir eine Empfehlung.

Danach begann ich ein Buch, das vermutlich weitaus weniger gute Laune machen wird: Jörg Osterlohs »Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes«: Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920–1945. Gestern schaffte ich nur die Einleitung, aber die reichte schon für fünf angekreuzte Bücher im Literaturverzeichnis, die ich für die Diss-Überarbeitung konsultieren möchte. Oder generell aus Interesse. Ich merkte allerdings schon da, dass der Forschungsschwerpunkt natürlich ein sehr anderer als mein eigener ist, was sich auch in ein paar Allgemeinplätzen zeigte, die bildende Kunst betreffend, die hier nur eine kulturelle Richtung unter vielen ist (Radio, Presse, Theater, Musik). Ich dachte wieder über Forschung über Täter und Opfer nach und fragte mich, wie so oft in den letzten Jahren, ob ich mir die falsche Seite ausgesucht hatte, über die ich mehr wissen will.

F. und ich zogen am Freitag zur Date Night wieder Gesprächskarten, das macht Spaß, sich Themen zuzuwerfen. Dieses Mal wollte die Karte „3 gute Romane“ von uns wissen. F. fing an und nannte Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit und Joyces Ulysses, was mich beides null überraschte. Die beiden hätte ich auch genannt, einfach weil sie für mich beide einmalige Leseerlebnisse waren (Proust, Joyce). Seine dritte Wahl war Hermann Brochs Tod des Vergil, an den ich mich noch nicht herangetraut habe.

Gegen diese drei Werke konnten meine nur abstinken, aber ich entschied mich als erstes für Jeffrey Eugenides’ Middlesex, denn mit Familiengeschichten kriegt man mich immer. Danach nannte ich Alex Garlands The Beach, ja, schon gut, aber das ist das einzige Buch, das ich durchlas – und sofort noch einmal von vorne begann, weil ich es nicht aus der Hand legen wollte. Mein drittes Werk war ein Feuchtwanger, der musste in die Liste; ich entschied mich für Exil, weil ich das von den drei Werken der Wartesaal-Trilogie am besten fand. Am anstrengendsten und schmerzhaftesten, aber eben auch am besten.

Erst als ich wieder vor dem Bücherregal stand, fiel mir noch Donna Tartt ein, deren Secret History ich seit 20 Jahren nochmal lesen will, aber dann doch nicht. Oder Douglas Coupland, von dem ich bis auf einen alle Romane besitze, aber ich ahne, dass seine Werke eher Zeitkapseln sind, die sind vermutlich nicht wirklich gut gealtert.

Tagebuch Samstag, 16. Januar 2021 – Ausgeschlafen

Vielleicht ist es doch ganz gut, dass wir nicht zusammenwohnen und öfter gemeinsam einschlafen. Ich wache dann nämlich sehr selten bis nie zu meinen gewohnten Zeiten auf, sondern erst gegen 9 oder noch später und dann ist der halbe Tag schon rum schockschwerenot protestantische arbeitsethik etc.

Zum Karma-Ausgleich erstmal den Backofen geputzt. Und danach gleich den restlichen Pâte-Sablée-Teig von vorgestern aufgebraucht, mit dem ich weitere Tarteletteförmchen auskleidete. Das war sehr meditativ. Als das Backwerk fertig war, übte ich dramatische Belichtungen mit der Kamera, war aber leider recht schnell gelangweilt. Ich gucke mir Fotos weiterhin lieber an als sie selbst zu machen. Oder esse, was in ihnen abgebildet ist.


Hier spiele ich an der Blendenöffnung rum und habe auf irgendwas scharfgestellt. Normalerweise würde ich natürlich fürs Blog den Bildausschnitt verkleinern, aber ich lasse das mal so. Dass das Tartelette zu weit oben auf dem Teller liegt, macht mich weiterhin wahnsinnig. Es ist faszinierend, was ich alles nicht mehr sehe, wenn ich durch ein Objektiv gucke bzw. bei meiner Kamera auf ein Display.

Die Hamburger Kunsthalle hat das Werkverzeichnis – oder wie wir cool kids sagen, den Catalogue raisonneé – der Gemälde von Max Beckmann online gestellt. Darin habe ich mich gestern erstmal etwas länger verloren und bin ziemlich begeistert. Das einzige, was einen Hauch nervt, ist das Wasserzeichen auf den Abbildungen. Beckmanns Werke sind seit diesem Jahr gemeinfrei, weswegen sie überhaupt im Internet gezeigt werden dürfen, aber ich ahne, dass es trotzdem schwierig wäre, alle Bilder in downloadfähiger Größe und Qualität anzubieten. Einzelne Institutionen kriegen das hin, siehe das Rijksmuseum oder der Prado, aber das alles zusammenzusammeln, wäre vielleicht doch zuviel Extraarbeit gewesen.

Man kann nach verschiedenen Kriterien suchen bzw. einfach blättern; ich habe mich nochmal durch die Stillleben geklickt, von denen ich einige 2014 in der Kunsthalle sehen konnte. (Hatte ich nicht gesondert verbloggt, stelle ich gerade missmutig fest.) Wenn man wissen will, welche Bilder im Exil in Amsterdam entstanden ist, geht das auch, man kann sich eine bestimmte Zeitspanne auswählen oder auch nach Bildinhalten suchen. Unter jedem Bild sind die wissenschaftlichen Angaben zu finden: Was haben wir denn da überhaupt vor der Nase, wo war das Werk ausgestellt (auch die Preisentwicklung fand ich spannend), wie ist die Provenienz, und, danke für diese Arbeit: in welchen Briefen, Katalogen, Archivalien wird das Werk erwähnt. Dabei habe ich gelernt, was mir ein bisschen peinlich ist, dass sich das Beckmann-Archiv hier vor meiner Nase befindet. Ich habe mich mit Beckmann im Studium nie befasst, bis auf eine Stunde in einer Vorlesung des Doktorvaters, daher musste ich noch nie nach etwas suchen. Ich mag Beckmanns Arbeiten aber sehr gerne und freue mich immer, sie zu sehen.

Wie ich vor wenigen Tagen in einem Thread wieder merkte, ist es manchmal ganz nett, nichts Genaueres über die Person hinter den Werken zu wissen, damit einem die Werke nicht madig gemacht werden können. Die Tragödie um Ana Mendieta kannte ich schon, aber ich mag Carl Andres Kunst (leider?) trotzdem.

Aus dem Newsletter Phoneurie lernte ich, dass man sich beim Smithonian nicht nur Abbildungen runterladen kann, sondern sogar 3D-Druckvorlagen.

Auch Theresa Bücker verschickt nun einen Newsletter.

Als Rausschmeißer mal wieder Tom Gauld, den ich sehr mag.

Tagebuch Mittwoch bis Freitag, 13. bis 15. Januar – Traurig, aber mit Kuchen

Am Mittwoch kam Wehner, mein Weizensauerteig, zum ersten Mal zum Einsatz. Aus ihm wurde ein helles Weizenbrot, das ich zu flach produzierte, weil mir das Gärkörbchen einen Hauch aus der Hand rutschte, als ich den Inhalt in den brüllheißen Gusseisentopf kippen wollte. Daher musste ich noch ein bisschen am Topf ruckeln, um das Brot vom Rand wegzukriegen, womit ich vermutlich jede Luft aus ihm rausdrosch. Es schmeckt aber sehr gut. Noch nicht ganz so, wie ich es haben möchte, aber es war nicht klietschig und hatte eine schöne Porung.

Mittwoch und Donnerstag waren aber ansonsten eher unproduktive Tage, weil mich ein bisschen Traurigkeit ereilte und die Coronapanik wieder hochkroch. Und weil alle Bibliotheken geschlossen sind, konnte ich nirgends hin als auf mein Sofa oder mal für einen kleinen Spaziergang vor die Tür, aber das half beides nicht so richtig. Also tat ich das, was ich auf Twitter gelernt hatte in den letzten Monaten: Sei nicht so hart zu dir, die Zeiten sind beschissen, nimm dir nen Keks. Das war in meinem Fall Schokolade, immerhin die funktioniert.

Gestern brachte F. zur Date Night eine kleine Selektion eines Münchner Betriebs vorbei: Truly Craft Chocolate nutzt nur Kakaobohnen und Zucker für ihre Köstlichkeiten. Wir probierten jeder ein Stück von vier Tafeln und das war alles hervorragend. Mein Favorit, was mich etwas überraschte, war ausgerechnet die Tafel mit dem höchsten Kakaogehalt: Sie schmolz ewig vor sich hin, beeindruckte mich zuerst mit einem tiefen Kakaogeschmack wie vom entölten Backkakao, den ich in Marmorkuchen werfe, aber ohne so fies staubig zu sein. Es ist etwas albern zu sagen, dass man den Kakao deutlich schmecken konnte, aber ich habe schon genug Vollmilchmassenschokolade gegessen, um zu wissen, dass der eben manchmal nicht durchkommt, sondern die Tafel einfach nur süß und angenehm schmeckt. Was für mich sehr lange okay war, aber eben nicht so, wie Schokolade eigentlich schmecken kann.

Gestern heiterte mich auch ein bisschen Backen auf. Ich schleiche seit Jahren um das Blog La Pâticesse herum, von dem ich noch nie etwas nachgebacken habe, weil sowohl Fotos als auch die ganzen Arbeitsschritte mich Hobbybäckerin total einschüchtern. Ich ahne, dass es wieder eine alte Masterchef-Folge war, die bei mir den dringenden Wunsch erzeugte, mich mal an Frangipane zu versuchen, auch um meine neuen Tarteletteförmchen einzuweihen. Beim wilden Rumgoogeln stieß ich auf diverse Rezepte, die alle supersimpel klangen – und wunderte mich, dass zum Beispiel dieses hier bei La Pâticesse deutlich mehr Aufwand wollte. Gestern war aber ein Tag, an dem ich Lust auf mehr Aufwand hatte, und so fertigte ich erstmals keinen simplen Mürbeteig, sondern total schick klingenden Pâte sablée an und danach eine Crème pâtissière sowie eine Crème d’amande, aus denen zusammen dann Frangipane wurde.

Für unsere Date Night hatte ich mir Soul Food gewünscht, also gab es Buttermilk Fried Chicken und Ofenkartoffel mit Sour Cream – und danach auf dem Goldrandtellchen mit der Silbergabel jeweils ein Tartelett mit Frangipane und Apfelspalten. Dazu Bier. Stay classy!


Natürlich beim Knipsen aus der Hüfte ausgerechnet den nicht ganz perfekten Rand nach vorne gedreht, ist klar. Der Teig war feiner als mein üblicher Keksteig, die Franginape mild und zart und überhaupt bin ich schwer begeistert. Alleine so seltsame Dinge zu tun, wie mit dem Teigschaber Butter weicher zu kriegen, aka sie zu Beurre pommade zu verarbeiten, hat mir sehr viel Freude gemacht. Lenkte halt auch gut ab.

Nachmittags war ich als Gast zu einem Podcast eingeladen, der noch nicht online ist. Also noch keine einzige Folge, daher kann ich hier nichts verlinken. Das war aber ein sehr schönes Gespräch, auch weil es mir einige Dinge klarmachte, über die ich gar nicht mehr nachdenke. Es ging um meine Entscheidung, in etwas gesetzterem Alter (ok boomer) noch einmal zu studieren. Momentan hadere ich an schlechten Tagen mal wieder mit dieser Entscheidung, muss mir aber immer wieder eingestehen, dass die letzten acht Jahre, trotz aller Schmerzen und Widrigkeiten mit die besten meines Lebens waren. Auf Trennung, Umzug und finanzielle Schwierigkeiten hätte ich gerne verzichtet, aber andererseits habe ich so viel mitgenommen aus der Zeit an der Uni bzw. während der Promotion und generell der Zeit in München, was immer überwiegt.

Im Gespräch wurde mir klar, dass ich schon einmal einen großen Sprung ins Ungewisse gewagt hatte, der im Prinzip gut gegangen ist – warum sollte das nicht noch einmal klappen? Und: Ich habe nun Fähigkeiten, die ich vor acht Jahren noch nicht hatte (und drei Uniabschlüsse), das kann ja wohl verdammt nochmal nichts Schlechtes sein. Es kam auch die Frage auf, wie ich mich zu diesem Sprung entschieden habe, ob ich ewig abgewogen oder Pro-Contra-Listen geschrieben hätte. Dabei wurde mir klar, dass ich eigentlich nur zwischen „Never touch a running system“ und „Ach, fuck it“ abgewogen hatte, und das fand ich im Nachhinein ganz spannend zu sehen – dass die ganzen möglichen Zwischentöne in meinem Kopf gar nicht da waren. Ich weiß noch nicht, was ich mit dieser Erkenntnis mache, aber vielleicht rettet sie mich an kommenden miesen Tagen, an denen ich mal über Zwischentöne nachdenken sollte und nicht über entweder „Ich werde unter einer Brücke schlafen müssen“ oder „Ich revolutioniere die Kunstgeschichtsschreibung, haue ein populärwissenschaftliches Werk nach dem anderen raus und wohne in einer Villa“.

Apropos Podcast: Holgi erzählt bei Wrint eine gute halbe Stunde lang, wie es ihm mit seiner Corona-Infektion ging, von der er immer noch nicht weiß, wo er sie sich eingefangen haben könnte.

Trump’s last days and the echo of one specific Hitler analogy

Die Washington Post fragt sich, ob man den Sturm aufs Kapitol mit dem Hitlerputsch 1923 vergleich kann. Pointe: Man sollte zumindest das ganze rechte Potenzial in der Bevölkerung im Auge behalten. Weil das ja in Deutschland auch so super geklappt hat und bis heute super klappt. Gnarf.

„The Beer Hall Putsch, as the episode would be remembered, was a failure. Hitler did not receive the local backing from politicians and security forces he expected. Sixteen Nazis were gunned down in the streets in clashes with police officers, four of whom were killed. Hitler slunk out of town and was later arrested and tried for treason. But his punishment ended up being lenient — he spent a few months in prison before being released with a pardon — and he emerged from the botched putsch as a more popular national figure. Within a decade, he would install the Third Reich.

Some observers of what happened this past week in Washington note potential echoes of the Beer Hall Putsch — not in the risk that Trump is about to turn into a genocidal monster, but in that there may not be meaningful consequences for the lies and subversion of democratic order that Trump appears to have encouraged.“

Die beim Putsch getöteten Nazis wurden übrigens zur Zeit des „Dritten Reichs“ in die sogenannten, neu erbauten Ehrentempel am Königsplatz überführt. Die wurden 1947 von der US-Armee gesprengt, jedenfalls die Bauten auf den Sockeln. Diese waren schlicht zu massiv und die Armee hatte noch was Anderes zu tun. Sie stehen bis heute, direkt vor dem NS-Dokuzentrum sowie dem ehemaligen NS-Verwaltungsgebäude, in dem sich das Zentralinstitut für Kunstgeschichte befindet. Dieser Sockel ist weiterhin von Grün überwuchert, der vor dem Dokuzentrum wurde für die Eröffnung desselben halbwegs wieder sichtbar gemacht. Ein, wie ich finde, sehr eindrucksvolles Relikt, gerade in seinen unterschiedlichen Zuständen.

Die Toten wurden erneut umgebettet, kann man bei Interesse ergoogeln, auf welchen Friedhöfen die alten Nazis liegen.

Das ist jetzt ein very Munich Schluss für diesen Blogeintrag.

Crêpes Suzette

Meine Orangen mussten weg. Wie praktisch, dass ich gerade bei einer alten Masterchef-Folge Crêpes Suzette gesehen und darauf totale Lust hatte. Das Rezept kommt, wie so ziemlich alle französischen Klassiker, von Aurélie. Aus dem Blog habe ich, soweit ich mich erinnere, noch nie was Schlechtes nachgekocht. Merci!


(Ja, das Foto ist mies, ich weiß. Wenn ich koche, will ich danach essen, nicht knipsen. Jedes gute Foto hier im Blog ist ein Glücksfall.)

Für drei Crêpes, also eine Portion. Ähem.

80 g Mehl, Type 405, mit
1 TL Vanillezucker und
1 Prise Salz mischen.
1 Ei sowie
130 bis 150 ml Vollmilch dazugeben und mit einem Schneebesen zu einem glatten, eher dünnflüssigen Teig rühren. Den Teig für eine kurze Zeit stehen lassen, ich lasse ihn nur so lange in Ruhe, bis die Sauce auf dem Herd ist. Die kommt jetzt.

1 Orange ein wenig abreiben, danach filetieren, die Filets mit den Zesten zur Seite stellen.
2 weitere Orangen auspressen, den Saft aufheben.

In einer Pfanne
1 EL Butter schmelzen,
5 EL Zucker dazugeben sowie den Orangensaft. Alles aufkochen und sirupartig eindicken lassen.

Währenddessen in einer beschichteten Pfanne in wenig Butter die drei Crêpes ausbacken. Zu Vierteln zusammenklappen, kurz in der Siruppfanne durchschwenken.

5 EL Grand Marnier oder Cointreau dazugeben und flambieren, so dass der Alkohol verkocht. Die Filets mit den Zesten nur kurz vor Schluss dazugeben, sie sollten nicht kochen, sonst zerfallen sie.

Nun die Herrlichkeit auf einen (oder na gut, zwei) vorgewärmte/n Teller geben und schmecken lassen. Wer will, kann auch jetzt noch eine Runde flambieren, ich mache das lieber früher in der Pfanne.

Rote-Bete-Meerrettich-Terrine

Das Rezept will ich seit Wochen aufschreiben; wir hatten es im Rahmen des Menüs am Heiligabend und ich habe die Reste noch tagelang auf Brot gegessen. Das Rezept stammt aus der essen & trinken, ich habe es ein wenig vereinfacht und vor allem halbiert, weil wir nur zu zweit waren. Das sind die Mengen, die unten stehen. Wer für eine größere Runde kocht und unbedingt noch mit Pumpernickel rumspielen will, klickt bitte rüber.

Für eine Springform mit 18 bis 20 Zentimeter Durchmesser, die Terrine im Bild wurde in einer 18-Zentimeter-Form zubereitet. Diese leicht anfeuchten und dann mit Klarsichtfolie auslegen.

250 g rote Bete in Salzwasser weichkochen, pellen, in Stücke schneiden und warm weiter verarbeiten. Ich habe gleich vorgekochte Bete genommen und sie kalt verarbeitet.

Eine Marinade herstellen aus
3 EL Weißweinessig,
2 EL Zitronensaft,
3 EL Haselnussöl, mit
Salz, Zucker und Cayennepfeffer kräftig abschmecken. Die Beten-Stücke für mindestens 20 Minuten marinieren lassen. Danach mit der Marinade (!) im Mixer sehr fein pürieren.

2 Blatt weiße Gelatine in kaltem Wasser für einige Minuten einweichen.
1 EL Portwein lauwarm erwärmen und die ausgedrückte Gelatine darin unter Rühren auflösen. Gelatine unter die rote Bete mixen, in die Form gießen und mindestens 2 Stunden kalt stellen, bis alles geliert ist.

Für die Meerrettich-Mousse
3 EL scharfen Meerrettich aus dem Glas mit
75 g Crème fraîche und
75 g saurer Sahne verrühren.

100 ml Sahne steif schlagen.

3 Blatt weiße Gelatine für einige Minuten in kaltem Wasser einweichen,
1 EL Portwein lauwarm erwärmen und die ausgedrückte Gelatine darin unter Rühren auflösen. Sofort mit einem Schneebesen unter die Meerrettichmasse rühren, dann mit einem Teigschaber die Sahne unterheben.

Meerrettich-Mousse auf die gelierte Rote-Bete-Mousse geben und die Oberfläche glatt streichen. Mindestens 4 Stunden kalt stellen. Aus der Form heben bzw. den Ring der Form entfernen und die Terrine in sechs bis acht Stücke teilen.

Bei uns gab es noch Blattsalat mit einem Senfdressing dazu sowie angeröstete Kürbiskerne. Und wie gesagt, nach dem Festessen ist das ganze ein hervorragender Brotaufstrich. Man kann die Terrine schon einen Tag im Voraus zubereiten, dann kriecht das Rot der Bete langsam in die Meerrettichschicht. Je länger die Terrine steht, desto pinkfarbener wird sie.

Tagebuch Dienstag, 12. Januar 2021 – War ja klar

Ich blogge nie wieder triumphierend darüber, wie lange meine Tage schon nicht mehr da waren.

Tage sind da. Immerhin weiß ich jetzt, warum ich in der letzten Woche gefühlt eine Kuh hätte essen wollen, aus der dann Fenchelsalami und Wacholderschinken vom Lieblingsmetzger wurden. Der Eisenverlust, Sie wissen schon.

Schreibtischtag, wie vermutlich den ganzen Januar, das ist jedenfalls meine innere Deadline. Der Doktorvater hätte gerne Februar, März die überarbeitete Fassung, ich will das Ding schon früher vom Tisch haben, jedenfalls den Text, auch um bei Verlagen Angebote für den Druck einholen zu können. Für einige Bilder müsste ich nochmal nach Nürnberg, aber wann das Kunstarchiv wieder öffnet, steht in den Sternen. Ins Staatsarchiv Nürnberg würde ich auch gerne mal, da war ich noch nicht, das wurde bis September 2020 umgebaut und bis dahin hatte ich die Diss abgegeben. Da liegen aber noch Unterlagen zur Bundesautobahn, für die Protzen auch gearbeitet hat, und darüber weiß ich außer einem einzigen Schreiben in seinem Nachlass nichts. Deshalb würde ich da gerne mal wühlen; momentan suche ich noch online in den Findmitteln rum, aber es hat nicht oberste Priorität.

Biografie und Werkübersicht gefielen nach einer Nacht, in der die Texte rumliegen durften, ich kürzte noch ein wenig, da geht aber vermutlich noch was. Gestern saß ich an den Kapiteln zu den Künstlergenossenschaften und -vereinen sowie dem Beginn des langen, laaaangen Autobahnkapitels. Die neue Struktur scheint zu funktionieren, aber so ganz traue ich der Sache immer noch nicht. Wir basteln weiter.

Abends saß ich vor dem Rechner und sah Prof. Dr. Monika Betzler bei ihrem Vortrag im Rahmen der Corona Lectures der LMU zu, sie sprach über „Fake News“ und Verschwörungstheorien in Zeiten von COVID-19. Der Vortrag ist in einigen Tagen online. So lange könnt ihr bei Armin Nassehi reinschauen, der vor einigen Wochen sprach.

Ich lese weiterhin alles, was zum Sturm aufs Kapitol zu lesen ist, auch wenn es sehr schlechte Laune macht. Bei der NYT steht eine minutengenaue Rekonstruktion der Ereignisse, die ich sehr erhellend fand, auch weil sie einige Fotos und Videos einordnet, die seit Tagen durch die Timelines geistern.

Tagebuch Montag, 11. Januar 2021 – Mit der kleinen Machete

Schreibtischtag. Die neue Anordnung der Diss steht und funktioniert bis jetzt gut. Anstatt wie bisher chronologisch vorzugehen, gibt es jetzt Themenblöcke – das war auch die Anordnung, mit der ich den Schreibprozess begann, bis ich der Meinung war, dass ich chronologisch mehr aufarbeiten könne. Mit dem nötigen Abstand zu Arbeit und Subjekt ahne ich aber nun, dass vieles von dem, was ich äußerst spannend fand, sehr wahrscheinlich nur für mich, die Suchende, spannend war und nicht für diejenige, die später mal mein Buch aus dem Bibliotheksregal ziehen soll. Das Inhaltsverzeichnis, was quasi aus einer Ausstellung nach der anderen bestand, hat mich bis zum Schluss genervt in seiner Aussagelosigkeit, aber mir fiel schlicht nichts Besseres ein. Jetzt schon, weil ich inzwischen gewillt bin, von einem Großteil meiner Arbeit wieder Abschied zu nehmen, es hilft ja nichts.

Daher ging ich gestern weiter mit der kleinen Machete durch meine Zeilen (die große kommt noch), schrieb einen biografischen Teil und eine Werkübersicht und werde daran heute weiterarbeiten, mal sehen, wie die beiden die Nacht überstanden haben in ihrem Buchstabenbiwak.

Zum Mittag gab’s mal wieder Pasta. Durch das Leeressen der Tiefkühlfächer fiel mir dauernd die Tüte mit den TK-Erbsen in die Hand, die nie alle werden darf, und daher warf ich gestern Speck in die Pfanne (aka Bacon), machte aus den Erbsen Püree und gönnte mir die guten Orecchiette (hier genauer notiert).

Abends Sport gemacht, gelesen, „Cobra Kai“ geguckt, das übliche. Beim Crossword erst zwei Worte vor Schluss den Autocheck angemacht, mit dem man bei der Eingabe sieht, ob der Buchstabe stimmt. Das hat noch nie geklappt, dass ich das ganze Rätsel ohne Autocheck löse, aber so kurz vor Schluss war eine Premiere. Dafür gnadenlos bei der Spelling Bee versagt, nicht mal das Pangram gefunden (das ist das Wort, in dem alle angebotenen Buchstaben vorkommen). Ach, und die Arte-Sendung über Entnazifizierung geschaut, die ich gestern schon im Blog empfohlen hatte. Mir wurde der DDR-Sozialismus viel zu sehr in die Ecke der Nationalsozialisten gerückt und natürlich bleibt die Sendung sehr an der Oberfläche, aber ich fand sie trotzdem sehenswert.

Ein moralisches Komplettversagen – Über die Rezeption von Leni Riefenstahl

Christina Dongowski rezensiert auf 54books Nina Gladitz’ Monografie über Leni Riefenstahl, Leni Riefenstahl: Karriere einer Täterin, und beschwert sich zu Recht über die sehr milde Berichterstattung der Bundesrepublik über die Regisseurin. Ich hatte schon mehrere Rezensionen über das Buch gelesen und bin mir immer noch nicht sicher, ob ich es dringend lesen möchte, weil mir schon die Leseprobe zu wenig Distanz zum Subjekt hat. Aber vielleicht ist sie genau deshalb lesenswert.

Mir hat an der Rezension gefallen, dass sich Dongowski generell mit der Auseinandersetzung mit NS-Täter:innen befasst, was für mich selbst auch nicht ganz unwichtig ist. Ich musste mir jedenfalls im Text des Öfteren an die Nase fassen.

„Gladitz macht die Funktion etlicher, scheinbar rein ästhetischer Argumente für die Verwischung und Normalisierung von Täterschaft im Kulturbetrieb der Nazi-Zeit und danach explizit zu einem der zentralen Themen des Buches. Diskutiert wurde die Biographie in den Feuilletons so aber nicht. Die Reaktion auf das Buch war trotzdem in gewissem Sinne einschlägig, hat es doch zu erstaunlichen (sozial)medialen Erkenntnisschüben geführt: Die Lieblingsregisseurin Adolf Hitlers und Regisseurin der wichtigsten und erfolgreichsten NSDAP-Propagandafilme war eine Nazi-Täterin. No shit, Sherlock! könnte man meinen. Bloß gehört die schlichte Erkenntnis, dass Leute, die freiwillig Nazi-Kunst machen, auch Nazis sind, eben noch immer nicht zu den Basics deutscher Debatten. Genauso wenig verbreitet ist das Wissen, dass man Menschen in Lager sperren und sie dort ermorden (lassen) und gleichzeitig Künstler:innen oder unglaublich belesen und gebildet sein kann. Mit dem Kunst-Bonus kommt der Persilschein. Immer noch. […]

Für die Karriere Riefenstahls als Lieblingskulturnazi des BRD- und später gesamtdeutschen Feuilletons war das Bekanntwerden ihres persönlichen Beitrags zum Porajmos, nun auch gerichtsfest, komplett folgenlos. Ihre 1987 bei Knaus erschienenen Memoiren wurden ein Bestseller und sind eine Meisterleistung des Herumdoktorns an der eigenen und der kollektiven Erinnerung und an der historischen Wahrheit. Auch international: Liberale und konservative französische, amerikanische und britische Kulturbetriebsmitglieder konnten ihre Faszination für den Faschismus und für seine elitäre, alles Gewöhnliche, Normale, Alltägliche, Kleinteilige, Hinfällige und Diffuse verachtende und ausmerzende Ästhetik ausleben. In verschämt-intellektuellen Essays wurde über die doch irgendwie Avantgarde-gewesen-seiende Riefenstahlsche Kamera- und Schnitttechnik geschrieben und sich dafür auf Walter Benjamin und Susan Sontag berufen. In Grafik, Photographie und Kunst wurde sich Riefenstahls Ästhetik bis hin zu konkreten Bildfindungen für die eigenen werblichen oder popkulturellen Bemühungen einfach direkt angeeignet. Peter Savilles Cover für Flesh + Blood von Roxy Music, bereits 1980 erschienen, kann wenigstens für sich in Anspruch nehmen, ein echtes Zeichen der Zeit gewesen zu sein: Der Canary in the Coal Mine, der anzeigt, dass die queeren, gender-fluiden, kollektiv-ekstatischen 70er vorbei sind und ab jetzt das Kraft durch Freude-gestählte, sich permanent selbst-optimierende Individuum der kapitalistische Leistungsgesellschaft gefragt sein wird. Die Endmoränen dieser Verpoppung der Ästhetik für einen Staat von Massenmörder:innen lassen sich in der Klamauk-Version der Blut-Boden-Brauchtum-Sitte-Ästhetik bewundern, mit denen heute Rammstein und andere Maskulinitäts-Performance-Künstler und Deutsch-Humor-Künstler:innen Fans und Feuilleton regalieren. Aber, natürlich!, „ironisch“!“

Six hours of paralysis: Inside Trump’s failure to act after a mob stormed the Capitol

Keine Einleitung nötig. (Evtl. €)

„Hiding from the rioters in a secret location away from the Capitol, House Minority Leader Kevin McCarthy (R-Calif.) appealed to Jared Kushner, President Trump’s son-in-law and senior adviser. Sen. Lindsey O. Graham (R-S.C.) phoned Ivanka Trump, the president’s daughter. And Kellyanne Conway, a longtime Trump confidante and former White House senior adviser, called an aide who she knew was standing at the president’s side.

But as senators and House members trapped inside the U.S. Capitol on Wednesday begged for immediate help during the siege, they struggled to get through to the president, who — safely ensconced in the West Wing — was too busy watching fiery TV images of the crisis unfolding around them to act or even bother to hear their pleas.

“He was hard to reach, and you know why? Because it was live TV,” said one close Trump adviser. “If it’s TiVo, he just hits pause and takes the calls. If it’s live TV, he watches it, and he was just watching it all unfold.”“

The Attack on the Capitol Was Even Worse Than It Looked

Der TV-Kritiker der NYT über den Sturm auf das Kapitol, zu dem immer mehr Videos auftauchen. (Evtl. €) Aus bildwissenschaftlicher Sicht nicht uninteressant, dass eben nicht die ersten, unmittelbaren Bilder die bleiben, an die wir uns möglicherweise noch länger erinnern, sondern die, die erst später auftauchen.

„Wednesday’s insurrection was one of the rare live-TV atrocities that grew only more sickening, more terrifying, more infuriating as more days passed. What we remember of the 9/11 attacks, for instance, is largely what we saw in the first few hours: the planes hitting, the towers collapsing, the pedestrians fleeing. Terror attacks, mass shootings — the shock hits us up front, and then we process it.

But last Wednesday seemed to last for days. New smartphone videos of violence came out one by one. The horror came in waves, the attack revealed with every image as more bloodthirsty and deplorable.

Watching the stunning coverage on Wednesday, I kept noticing all the flags waving in the crowd. In a video that aired on CNN this weekend, the flag becomes a weapon. An assailant outside an entrance beats a prostrate police officer with the pole of an American flag while others hurl them at defenders like javelins, the kind of too-perfect metaphor that only reality can get away with.“