Tagebuch Dienstag, 9. Februar 2021 – „I may destroy you“

Einen Hauch später als geplant aufgestanden, drei Flaschen Wein zu zweit am Montag bis sehr spät sorgten dafür, dass der Wecker erst um 8 klingelte und dann bis 9 snoozen durfte wie wir auch. Etwas trantütig in den Tag gekommen, dann aber doch halbwegs konzentriert an der Diss-Überarbeitung gesessen. Keine guten Nachrichten aus dem Staatsarchiv Nürnberg, dafür welche von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, immerhin. Die entsprechenden Fußnoten ergänzt „vgl. E-Mail von Dings an die Verfasserin, 9.2.2021“. Wobei mir der Doktorvater in der abgegebenen Fassung immer „an die Verfasserin“ durchgestrichen hat, ich hadere noch damit, diese Korrektur zu übernehmen, denn bei Archivalien schreibe ich ja auch „Schreiben von Dings an Bums, 24.2.1936“ oder so. Die Symmetrie! Meine heilige Symmetrie! (Ist Symmetrie hier überhaupt der richtige Ausdruck? Eher Gleichmäßigkeit? Konsistenz? Näh. Vielleicht einen Schluck Rotwein für die Konzentration nachlegen.)

Den Abend verbrachte ich mit den restlichen Folgen von „I may destroy you“, das mich sehr atemlos zurückließ. Schon die erste Folge ist ein totaler Schlag in die Magengrube, und das geht ähnlich weiter. Bei einigen Folgen bin ich mir nicht sicher, ob man aus zweien nicht auch eine hätte machen können, aber ich habe alle gern gesehen, wenn man von „gern“ sprechen kann in einer Serie, in der es um eine Vergewaltigung unter Drogen geht. Autorin und Hauptdarstellerin Michaela Cole verarbeitet in der Serie ihre eigene Gewalterfahrung, was mir vor dem Anschauen nicht bewusst war. Ich mochte diesen Satz aus einer Rezension: „Die Kreation von „I May Destroy You“ war für Coel kathartisch, denn sie musste für ihre Figur einen Ausweg aus dem Trauma suchen, und damit auch für sich selbst.“

Die Serie läuft bei Sky, soweit ich weiß, und ist bei Amazon käuflich zu erwerben.

Inheritance. A project about American history, Black life, and the resilience of memory

Der Atlantic hat mit „Inheritance“ ein Online-Projekt gestartet. Ich habe noch längst nicht alle Inhalte durchgeklickt (macht am Laptop mehr Spaß als am Telefon), aber gestern blieb ich an dieser Story hängen:

A Priceless Archive of Ordinary Life

William Dorsey (1837–1923) war ein wohlhabender, studierter Schwarzer in Philadelphia, der unter anderem als Kellner und Maler arbeitete und der sein Leben lang Zeitungsausschnitte über „black lives“ ausschnitt und in über 400 selbst gefertigte Bücher einklebte, die nach Themen geordnet waren.

„Dorsey’s scrapbooks represent a bricolage of one man’s far-ranging interest in African American history and culture. He clipped articles mainly from northern newspapers, Black and white, including some extremely rare publications. The scrapbooks hold articles on Black emigration schemes, fraternal orders, actors, and centenarians who lived through slavery. Dorsey devoted one scrapbook to an 1881 North Carolina convention of Black Republicans, one of many such gatherings at which African Americans envisioned post-emancipation political futures. He devoted another scrapbook to lynchings, and several scrapbooks to Frederick Douglass. Dorsey’s work spans the esoteric and the everyday, and serves as an invaluable record of Reconstruction’s promise and failure, and the nation-changing journey of Black people from chattel to citizens.“

Warum diese Papiere so wichtig sind?

„Today, other writers and scholars recognize the profound importance of materials such as the Dorsey collection—resources collected and preserved informally by African Americans at a time when white historians claimed that African Americans had no history to speak of.“

Nach seinem Tod wurden die Bücher an die Cheney University in Pennsylvania gestiftet, wo sie eine Zeitlang eher unbeachtet und konservatorisch unbetreut herumlagen, durch kleinere Stiftungen wurde immerhin ein Großteil auf Microfiche gefilmt, aber über 100 Bücher sind immer noch nur als Papiersammlung erhalten.

„When Cheyney hired its first archivist, Eric Dulin, in 1996, the “archive” was a storage room crammed with museum-worthy artworks. […] Cheyney’s current archivist, Keith Bingham, now 72, succeeded Dulin in 2007, and has since been the keeper of the Dorsey scrapbooks, much as Dorsey was “custodian” of the American Negro History Society. In 2013, Cheyney came to an agreement with Pennsylvania State University that sent the 388 Dorsey volumes off campus, to an institution almost three hours away, where the volumes could be assessed.The collection has not returned to Cheyney since its departure. Fluctuating temperatures and humidity are the enemies of paper, and Cheyney has no place that is sufficiently climate-controlled, including the library itself. The condition of the scrapbooks varies. According to Jennifer Meehan, the director of the Eberly Family Special Collections Library at Penn State, which holds the scrapbooks, a 2013 report on the state of the volumes found them to be in “fair to poor condition. Some of the condition issues identified are: mold and water damage; damaged and/or missing bindings; brittle pages; acidic, brittle and folded clippings.” Opening some scrapbooks would be difficult, and scanning to digitize isn’t always an option.

Yet repairs that would slow deterioration have not been undertaken, and there’s no financial estimate of what it would require to tackle the mammoth task of conserving all of the scrapbooks. The Cheyney–Penn State agreement stipulated only that Cheyney would lend the materials for 150 days as part of an archiving project. No other agreement has been signed, despite multiple attempts to execute one. Penn State continues to act as temporary guardian. Cheyney is the gatekeeper. No one can see the originals at Penn State without Bingham’s consent. Before Cheyney’s Hill Library closed this summer, researchers could at least consult microfilm of 260 scrapbooks (funding ran out before the remaining 128 could be committed to reels).“

Hier das Munch-Emoji einfügen.

Tagebuch Montag, 8. Februar 2021 – Außerplanmäßige Date Night mit außerplanmäßig viel Wein, aber zurzeit sollte man Feste feiern wie sie fallen und

Tagsüber eher unkonzentriert an der Diss gesessen, drei Teile noch einmal unter die Lupe genommen und Dinge gekürzt, aber so ganz war ich nicht bei der Sache.

Nachmittags länger mit dem Mütterlein telefoniert, etwas trauriger und mutloser geworden. Ich hatte gehofft, dass Menschen, die zuhause gepflegt werden, ähnlich schnell geimpft werden wie Menschen in Pflegeheimen, und wenn man schon mal da ist, werden die Angehörigen gleich mitgeimpft, das wäre so praktisch. Das scheint aber momentan wegen der Kühlkette des Impfstoffs und der Anzahl an Dosen in einer Ampulle eher nicht zu gehen (danke an Twitter für die Auskünfte, ich konnte nichts ergoogeln). Im Schreiben, das meine Mutter erhalten hat, wird ihr geraten zu warten, bis die Impfstoffe leichter zu transportieren und zu verabreichen sind, dann könnte das der Hausarzt machen.

Ich muss gestehen, mein sehr standhafter Glaube an deutsche Effizienz hat schon sehr unter BER und der Elbphilharmonie gelitten, und diese Impfkampagne macht es nicht besser. Obwohl ich das mit dem Impfstoff natürlich einsehe.

Das Mütterlein von F. hatte sich am Wochenende nach Monaten mal wieder in die Nähe eines Jamei-Ladens gewagt und uns ungefähr zehn Kilo Käse mitgebracht. Daher saßen F. und ich gestern außerplanmäßig an einem Montag zusammen in der Küche und gönnten uns zu meinem endlich mal RICHTIG gut gewordenem Weizensauerteigbrot (Porung, Zähigkeit, Geschmack, alles top) den Münchner Hausleib vom Brantner, zum Nachtisch ein paar Stückchen Schokolade von Truly Chocolate und sprachen einen Hauch zu viel dem Wein aus meinem Broeding-Paket zu. Aber das tat sehr gut und wir wollten einfach nicht damit aufhören, dass irgendwas gut tut.



Noch ein Geständnis: Meine Angst vor Corona gilt nicht nur den Langzeitschäden, dem eventuellen Krankenhausaufenthalt oder all dem anderen Scheiß, den das Virus noch so mitbringt. Meine Angst gilt hauptsächlich dem Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn. In den letzten Jahren habe ich immer und immer wieder gemerkt, wie sehr mich tolles Essen und gute Weine glücklich machen (oder ein Wurstbrot und ne Coke Zero). Und gerade jetzt, wo mich keine Bibliotheken und Museen glücklich machen können, backe ich besinnungslos einen Kuchen nach dem anderen, weil es gut tut. Nicht nur das Backen, sondern vor allem das Genießen, nachmittags, wenn die Arbeit fast erledigt ist, die Espressomaschine heizt seit Stunden vor und produziert eins a Schaum (neuerdings Hafermilch, geht erstaunlich gut), und dann gehe ich kurz mit Flat White und Kuchen auf die Couch, gucke aus dem Fenster, gerne in den Schneefall, und lasse es mir ganz kurz ganz gut gehen.

F. und ich sprechen immer noch über das Lamm beim ersten gemeinsamen Tantris-Besuch, von der Brandade mit Kaviar bei Filippou in Wien, ab und zu von der Stadionwurst in Augsburg, aber das ist ein anderes Level, und wir freuen uns jetzt schon auf den ersten Urlaub als Geimpfte, denn der wird in Wien stattfinden, und wir werden länger da bleiben als je zuvor, jede Weinbar mitnehmen, jedes Backhendl, jeden Würstlstand und irgendwann in Schönbrunn auf einer Bank sitzen und lesen und nichts tun. Das wird toll. Und dafür würde ich sehr gerne etwas schmecken können, weswegen ich weiter zuhause bleibe, meinen Lebensgefährten (eigentlich) nur einmal in der Woche sehe, auch im Treppenhaus eine Maske trage und Menschen auf dem Bürgersteig ausweiche, diesen verdammten Nervensägen.

„Autobahn“ (2019)

Der Dokumentarfilm „Autobahn“ beginnt im Jahr 2011 und sollte eigentlich ein Abschlussfilm an der Filmuniversität Babelsberg werden, wie Regisseur Daniel Abma in den DVD-Extras erzählt. (Disclosure: Abma hatte mich nach diesem Blogeintrag angeschrieben und gefragt, ob mich der Film interessiert. Tat er, danke für die DVD!) Der Abschluss war für 2015 geplant, die Autobahn wurde aber erst 2018 eröffnet, und so drehte das Team einfach weiter, was mich sehr gefreut hat, denn so konnte ich das Ehepaar Weihe und ihren Dackel, den Handarbeitsladen „Maschenspaß“ mit seiner Besitzerin, einen Bodybuilder, eine Lokalredakteurin, den Mann mit dem Jesus-Schild und den Bürgermeister von Bad Oeynhausen noch etwas länger begleiten. Und eher nebenbei die Bauarbeiten an der Nordumgehung des Ortes, die eine elendig verstaute Ortsdurchfahrt ersetzt.

Der Film beginnt mit einem idyllischen Blick auf das Haus der Weihes, deren (Schwieger-)Eltern das Haus 1936/37 erbaut hatten. Es steht quasi mitten im Grünen, „Autos gab’s damals nicht“, was ich ziemlich abnicken kann nach meinen ganzen Recherchen, jedenfalls längst nicht genug für eine Autobahn. Heute schon, und pro Tag quälen sich über 25.000 von ihnen, meist LKWs, durch den Ort, der mitten auf der Strecke Amsterdam–Warschau liegt. Seit 40 Jahren gab es Pläne, diese Straße zu ersetzen, aber erst 2008 wurde der erste Spatenstich erledigt. Abma, der aus den Niederlanden stammt und von dort ab und zu nach Berlin fuhr, stand selbst irgendwann in Bad Oeynhausen im Stau und wollte eigentlich einen Film über die Menschen an dieser Straße drehen – und daraus wurde dann gleichzeitig ein Film über die Autobahn, die um sie herum entsteht.

Für die knapp zehn Kilometer brauchte Straßen.NRW deutlich länger als erwartet, Klagen verzögerten mittendrin den Bau, aber nun geht er ganz langsam voran. Nach der eben erwähnten Idylle sehen wir den Beginn der Bauarbeiten, so dass die Weihes nun nicht mehr im Grünen wohnen, sondern 100 Meter von einer Baustelle entfernt, auf die in 20 Minuten 25 LKW fahren oder sie verlassen, Herr Weihe zählt mit. Der Film teilt sich in einzelne Jahre auf, jeder Abschnitt beginnt mit einer Jahreszahl und Bildern von der Autobahn. 2012 sehen wir die ersten Bagger, 2013 ist ein Tunnel entstanden, für den der Bürgermeister der Feuerwehr erstmal drei Großfahrzeuge spendiert, denn im Tunnel gibt es keine Lüftung, da muss die Rettung halt anders ablaufen. Bei der Übergabe spielt eine Blaskapelle, es gibt Bier und Würstchen, ich fühlte mich sehr deutsch beim Zugucken und erinnerte mich an meine Dorfjugend.

Im Jahr 2014 ist die Fahrbahndecke gegossen, es fehlen noch die Mittelleitplanken und die Markierungen, Herr Weihe berichtet vom geplanten „Flüsterasphalt“, auf den er hofft. Erstmal bleibt alles leise, denn Klagen verhindern den weiteren Ausbau. 2015 sehen wir erstmals eine Hängebrücke, die quasi im Nichts steht; das kannte ich von den Bauabschnitten zur NS-Zeit, von denen ich Bilder und Fotos gesehen hatte, erstmal die Brücke, dann irgendwann die Straße. Das scheint sich nicht geändert zu haben. (Noch ein Disclosure: Ich habe von Straßenbau überhaupt keine Ahnung, wünschte mir aber gerade, das wäre anders.) 2016 werden die Lärmschutzwände hochgezogen, die quasi fünf Minuten nach ihrer Errichtung mit Graffitis verziert werden, 2017 wird wieder an der Strecke gebaut, und 2018 wird eröffnet. Mit Bier und Würstchen, einem Trio mit Kontrabass und einem schwarzrotgoldenen Band, das gefühlt zehn Leute gleichzeitig durchtrennen, der Bürgermeister ist nicht mehr dabei, er wurde abgewählt, vielleicht auch von den Leuten, die nun an der Nordumgehung wohnen, sein Nachfolger schenkt ihm trotzdem ein Stück vom Band.

Der Film ist das geworden, was das Team sich vorgenommen hatte: Er erzählt zwar etwas über die Straße, aber viel mehr über die Menschen, die an ihr wohnen. Ich wusste bis zum Schluss nicht ganz genau, warum der Bodybuilder dabei war, der bis auf die Bratwurst bei der Eröffnung quasi keine Verbindung zur Straße hat, aber er war für mich ein schlichtes Beispiel dafür, dass jeder Mensch eine Geschichte zu erzählen hat, und manchmal braucht es eben eine Autobahn und einen Film über diese, um ihn und sie kennenzulernen.

Spannender war für mich das Ehepaar, an dem man mitverfolgen konnte, was eine Autobahn macht außer viele, viele Fahrzeuge zu transportieren. Die beiden richten sich damit ein, dass es wohl etwas lauter werden wird, bekommen vom Land NRW (?) Schallschutzfenster spendiert, aber nur fürs Schlafzimmer, „im Wohnbereich sind 52 bis 54 Dezibel zumutbar“, wie Herr Weihe weiß. Sie testen eine Belüftungsanlage fürs Schlafzimmer, dessen Fenster sie nun vermutlich nicht mehr öffnen können, die sich als lauter entpuppt als die Straße. Und sie begehen den zu eröffnenden Abschnitt zu Fuß, denn er ist nun einmal da. Mich haben die beiden schlicht angerührt in ihrem durchaus an der Umgebung interessierten „Wird schon, muss ja“, aber eigentlich hat man hier seit Jahrzehnten seinen kleinen Kosmos. Dann kommt da halt eine Straße drum, naja, gibt Schlimmeres, noch eine Kelle Mittagessen? und nachher weckt Frau Weihe weiter Bohnen ein, die wachsen auch weiter.

Die Gegner:innen der Umgehung kommen nicht zu Wort; Abma erklärt, dass die Proteste schon weit vor Drehbeginn stattgefunden hatten und dass sie deshalb im Film nicht zu sehen sind. Bei der Eröffnung hält immerhin eine Dame ein kritisches Schild hoch. Die Eröffnung war für mich mit das Spannendste, denn, ich fiepste vor dem Laptop: Da verkaufte eine Dame Bilder. Ich konnte bei der ersten Einstellung nicht erkennen, ob es Fotos waren oder Gemälde, aber es waren gerahmte Kunstwerke. Auf eins zoomt der Film netterweise und seitdem habe ich ein neues Projekt im Kopf: auf Eröffnungen von Autobahnteilstücken gehen und gucken, was an Devotionalien angeboten wird.


(Screenshot „Autobahn“. Edit nach Hinweis von Abma, danke: Die Malerin heißt Helga Frank, das Bild ist auch auf ihrer Website abgebildet.)

Ob es bei jeder Eröffnung Menschen gibt, die Bilder malen? Vor allem solche mit leeren Fahrbahnen und viel Grün drum rum? So sahen nämlich die wenigen Werke aus, die ich im Film erkennen konnte, und damit sehen sie genauso aus wie die Bilder, die ich mir drei Jahre lang für die Diss angeschaut habe: keine Mittelleitplanke, kein Seitenstreifen, alles ordentlich in die Landschaft eingebettet, keine LKW im Stau, hübsch aufgeräumt.


Hans Neumann: Am Seehamer See, keine Werkdaten bekannt. Bildquelle: Der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen (Hrsg.): Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst, Berlin 1936, Mappe mit acht Blättern, Blatt 7.


Eduard Freiherr von Handel-Mazzetti: Autobahn durch märkisches Land, keine Werkdaten bekannt.
Bildquelle: Kat. Ausst. Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst, durchgeführt von der Ausstellungsleitung München e. V. im Auftrag des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen, München 1936, o. S.


Alwin Stützer: Landschaft am Irschenberg, 8.7.1936, Mischtechnik, 54 x 110 cm. Bildquelle: Zieske, Peter: Alwin Stützer 1889–1974. Monographie über den Maler, Passau 1977, S. 38.
(Woher ich taggenau weiß, von wann das Bild ist? Der Nachlass Stützers liegt im Kunstarchiv Nürnberg und er hat viele, viele Taschenkalender hinterlassen. Noch ein Projekt!)

Ich fand diese Diskrepanz zwischen einem riesigen Bauwerk, das Natur zerstört, und den heutigen (!) Abbildungen sehr interessant. Vielleicht halten es die Weihes auch nur deshalb aus; hinter ihrem Haus geht das Grün ja weiter, nur vorne raus ist es halt laut. Für mich war generell die Eröffnungsszenerie spannend: das zeremonielle Drumherum, die Reden, die Musik, die Fahnen, die Würstchenbude. Das dürfte 1937 bis 1939 nicht groß anders ausgesehen haben. 1938 wurden 42 Teilstrecken dem Verkehr übergeben, immer mit großem Bohei. Da die Autobahnen als Propagandaprojekt und nicht wegen der lächerlich geringen Kfz-Zahlen wichtig waren, waren auch die Eröffnungen als Teil dieser Propaganda wichtig: Sie waren Beleg für den Erfolg des Systems, und vorsichtig formuliert, klingen die Reden heute nicht viel anders: Auch sie sprechen von besseren Lebensumständen und guckt mal, wie gut wir das alles hingekriegt haben.

Ich erwähnte oben den Mann mit dem Jesus-Schild. Der Film beginnt jedes Jahr mit einer Szene von der Autobahn und schwenkt dann zurück zur immer noch vorhandenen Ortsdurchfahrt. Die Szenen sind auf Dauer sehr enervierend und ich weiß nicht, wie man es an der Straße aushält, denn mich haben schon 85 Minuten mit ihr genervt. Ein Auto nach dem anderen, immer laut, egal bei welchem Wetter, außer Sonntags. Und immer steht ein Mann mit einem Schild und einem Überzug für den Körper an einer großen Kreuzung und verkündet durch Schild und Überzug, dass Jesus lebt und man bitte an ihn glauben möge. Eine Lokalreporterin fragt ihn, was er mache, wenn die Umgehung käme, woraufhin er meint, dann gehe er eben an eine andere Kreuzung. Der Mann ist zunächst in seiner Religiösität ein kleiner Fremdkörper im Film, aber irgendwann nicht mehr: Man sieht die Weihes ein Tischgebet sprechen, bei der Eröffnung durchschneiden auch Pfarrer und Priester des Orts das schwarzrotgoldene Band, und einer der Festredner wünscht, dass der Herrgott alle Fahrenden beschützt. Letzteres dürfte 1938 anders gewesen sein.

Die Graffiti auf den Lärmschutzwänden sind auch auf der Brücke, eins lautet „Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen – JESUS“, der Bodybuilder und Herr Weihe finden das alles nicht so gut, aber es gibt jemanden, der verdächtigt wird. Der Film fragt den Mann mit dem Jesus-Schild direkt, ob er das war, denn er freut sich über die vielen Nennungen von Jesus auf den Wänden. Er verneint und erzählt etwas mehr von sich. (Ich verrate jetzt ein bisschen an Handlung, aber ich ahne, dass nicht viele von euch den Film sehen werden, und ich mochte die Szene sehr:) Er stammt aus Kasachstan, wo er auch das Wort Jesus verkündet habe, er habe mit anderen Menschen gesungen und für die Bibel Werbung gemacht, wofür er für zweieinhalb Jahre in Gefängnis kam. Nach seiner Entlassung habe er in drei Städten in Kasachstan Graffiti gesprüht, um auf den christlichen Glauben aufmerksam zu machen, wofür er nochmal für vier Jahre verurteilt wurde. „Ich bereue nichts, viele Menschen haben das gesehen.“ Ich schaue Graffiti nun mit ein bisschen anderen Augen an und Menschen mit Schildern an Kreuzungen auch. Vielleicht haben die Werbung besser verstanden als ich.

„Autobahn“ erzählt wenig über Planungsverfahren und Raumordnungen und Kosten, sondern eher, was das alles mit den Menschen macht, über deren Köpfe das hinweg irgendwann mal entschieden wurde. Man fühlt sich ein bisschen hilflos beim Zuschauen, aber irgendwie arrangieren sich alle mit diesem neuen Ding, und ich ahne allmählich, warum in Deutschland weiter Autobahnteilstücke gebaut werden und dann noch welche und noch welche: Man arrangiert sich eben damit. Die Besitzerin des Strickladens an der Durchfahrtstraße erzählt anfangs von der alten Straße, da waren noch Alleebäume, da konnte man noch spazierengehen, aber inzwischen putzt sie ständig dunklen Dreck von ihren Scheiben und es scheint ihr kaum noch aufzufallen, dass sich das ganze Licht im Laden ändert, wenn draußen ein LKW vorbeifährt. Aber kurz vor der Eröffnung der Nordumgehung fragt sie sich schon, wie das wohl werden wird, wenn hier gar kein großes Auto mehr vorbeikommt.

Ich könnte über jede einzelne Person einen Blogeintrag schreiben, sie sind mir alle auf ihre Art ans Herz gewachsen in schnell vergangenen 85 Minuten. Mag sein, dass ich die Autobahn inzwischen mit mehr Interesse verfolge als früher, mag sein, dass ich als gebürtige Niedersächsin anders auf die Landschaft da oben gucke, mag sein, dass ich mich an das einzige Mal erinnere, dass ich durch den Ort gefahren bin (Hannover–Osnabrück). Kann aber auch sein, dass der Film einfach gut ist und man sich gerne anguckt, was die Straße mit den Leuten macht. Falls ihr den Film irgendwo zu sehen bekommt – zum Beispiel demnächst beim ADAC im Shop –, lege ich ihn euch sehr ans Herz. Auch wenn ihr das Wort „Autobahn“ nach Jahren in diesem Blog nicht mehr hören könnt.

Tagebuch Freitag/Samstag, 5./6. Februar 2021 – Lemonbrot und Leseputzen

Zur freitäglichen Date Night koche ich oder F. schleppt Essen an, das andere gekocht haben. Dieses Mal wünschte ich mir spontan Raclette – bis mir am Freitag, meinem Einkaufstag, einfiel, dass mein geliebter Karstadt um die Ecke ja vor Monaten geschlossen wurde. Dort war im Untergeschoss die Feinkostabteilung, bei der ich so irrwitzige Dinge wie Pastrami oder frischen Koriander erstehen konnte, den mein Edeka nie oder nur an ungeraden Dienstagen bei Vollmond hat. Oder eben Raclettekäse.

Da ich es immer noch, trotz netterweise sinkender Inzidenzzahlen, so gut es geht vermeide, vor die Tür zu gehen, außer es ist zu etwas menschenfreiem wie eine Packstation, bündele ich Einkäufe immer an einem Tag und möglichst an einem Ort. Das klappt nicht immer; wenn ich Lust auf wirklich guten Aufschnitt habe, dann gehe ich eben zum Metzger, und wenn es die Lieblingsbrötchen sein müssen, MÜSSEN, dann auch zum Bäcker, wo ich sonst halt auf Aufschnitt verzichte oder meine Tiefkühlfächer mit selbstgebackenem Brot leeresse. Da ich aber in den vergangenen Jahren gelernt habe, dass es mir gut geht, wenn ich gut esse, muss es eben auch ab und zu Aufschnitt sein WEIL PANDEMIE UND SELF-CARE. (Hervorragende Argumentation, um weiter Fleisch zu essen oder Dinge zu kaufen, die eigentlich nicht nötig wären, weil Tiefkühler gut gefüllt.)

Nun stand ich also vor der Entscheidung, zum Käsehöker zu radeln – oder halt Gruyère beim Edeka zu holen. Ratet, was es geworden ist.

Ich kaufte für die Woche und den Freitagabend ein, sah auf dem Rückweg, dass die Altpapiertonnen leer waren, erledigte Altpapier, putzte dann die Wohnung einmal komplett durch, dann war es schon nachmittags, ich bearbeitete weiter den Brotteig, den ich am Donnerstag abend angesetzt hatte, buk nebenbei eine Lemon Tarte, die ich zum Nachtisch reichen wollte, als ob man nach Raclette noch irgendeinen Nachtisch braucht, dann schnipselte ich recht wenige Zutaten für die Pfännchen zurecht, kochte Pellkartoffeln, drapierte Käse, deckte den Tisch und freute mich vor.

Wir genossen ein bisschen Rindfleisch, das hervorragend mit der japanischen Kewpie-Mayonnaise harmonierte, F. streute Furikake auf die Kartoffeln, ich würzte mein Rührei mit Siracha, wir nutzten nicht nur die übliche Kräuterbutter für die Pfännchen, sondern auch Misobutter, und über alles gab es einen Koriander-Minz-Dip, den wir bei unserem liebsten afghanischen Restaurant zum ersten Mal gegessen hatten. Den Laden gibt es leider nicht mehr, und das Rezept für Zhug ist auch nicht ganz dasselbe, aber es ist sehr nah dran. Dazu gab es kalifornischen Chardonnay und für mich ein winziges Stück Lemon Tarte hinterher. Crossover-Käsepfännchen for the win!

Gemeinsam eingeschlafen.

F. war früher wach, löste vermutlich schon das NYT-Crossword, während ich noch schnarchte. Dann döste er wieder weg und ich buk das Teigklumpen, der seit Donnerstag abend ein Brot geworden war.

Gestern mittag gab es logischerweise die übliche Raclette-Restepfanne, sehr schmackhaft. Von unseren Außer-Haus-gekochten Speisen bringt F. am liebsten was vom Broeding an den Tisch; die verpacken ihre Köstlichkeiten in Pappschachteln oder flache Weckgläser, die man einfach so in den Ofen schieben kann, um die Speisen aufzuwärmen. Die Gläser kann man zurückbringen, man darf sie aber auch behalten, und ich bewahre jetzt Hefewürfel, halbe Riesenzwiebeln oder übrig gebliebenen Korianderdip nicht mehr in ollen Tupperdöschen auf, sondern habe eine Batterie an wunderschönen Weckgläschen in allen Größen im Kühlschrank stehen. Das freut mich neuerdings noch mehr, den Kühlschrank zu öffnen als eh schon, es ist jetzt sehr hübsch da.

Ich verbrachte den restlichen Tag damit, die Effingers weiter zu lesen. (Zwischendurch schlief ich beim Augsburg-Spiel ein, es langweilt inzwischen nur noch, Fuppes am Laptop zu gucken, Stadion or bust, keine Lust mehr.) Je weiter ich im Buch voranschreite, desto mehr warte ich auf fünf Staffeln davon auf Netflix, das ist quasi schon wie eine Drehbuchskizze geschrieben, das muss nur noch ausformuliert werden. Ich mag dieses Buch in seiner totalen Atemlosigkeit sehr, die aber trotzdem nie das Gefühl hinterlässt, dass mir gerade Wichtiges vorenthalten wird. Man bekommt zum Beispiel das Dreikaiserjahr (meine innere Orientierung bei deutscher Geschichte) und dessen Umbrüche auf zwei Seiten mit, und danach schwingt es durch weitere Zeilen, um Generationenkonflikte und das Nebeneinander von alten und neuen Einstellungen und Ordnungen zu erläutern. Ich bin völlig verliebt in diese Sprache und ihre Knappheit, mit der große Familiengeschichten mal eben so nebenbei runtererzählt werden.

NASA Declares a Beloved Mars Mission Over

Der Artikel ist schon von Februar 2019, aber ich war erneut angerührt von den kleinen, großen Mars-Robotern. In wenigen Tagen soll der Planet übrigens Nachschub bekommen, ist völlig an mir vorbeigegangen.

Der Artikel war Teil eines Newsletters vom Atlantic, der mit „Stories That Made Us Think Again – Four Atlantic writers on pieces that challenged their assumptions“ umschrieben wurde. Zum Artikel von Marina Koren schrieb Adam Harris:

„Space has always felt distant, cold. The things floating around in it—not just rocks and dust, but also our satellites and rovers—seemed fundamentally disconnected from my experience. Sure, I understood intellectually that some of the information gathered by these machines exploring space had an impact on my life here on Earth. But I never expected to find myself crying over them when they went away.

Yet Marina Koren’s masterfully written piece “NASA Declares a Beloved Mars Mission Over” made me do just that. The story was an obituary for the Opportunity rover, sent to Mars in search of water. The rover had been rolling around the red planet for more than a decade, sending back signals of what it found. The work was patient and precise and important. “Then,” Marina wrote, “it stopped.” Scientists sent up commands, but Opportunity didn’t respond. I actually cried reading that, and it was strange. When I was done with the piece, I learned that she’d written another explaining why we mourn when space robots die.“

Ein Ausschnitt aus dem Artikel:

„The end of Opportunity leaves only one functioning rover on Mars: Curiosity. Curiosity arrived on the planet in 2012 and, despite some technical problems of its own last year, is in good health. The rover is on the opposite side of the planet, and with Opportunity shut down, “we basically lost our surface presence on one half of Mars,” says Mike Seibert, a former Opportunity flight director. (Seibert was around for the last massive dust storm on Mars, in 2007, which the rover survived just fine.)

Curiosity doesn’t have the time or speed to trundle over and check on its friend. The only views NASA has of Opportunity come from robotic spacecraft that orbit Mars, like satellites circle the Earth. From here, Opportunity is a fuzzy smudge against a vast, rugged landscape.

For engineers and scientists, the pain of the mission’s demise is softened by this fact: Opportunity was supposed to die years ago. It was one of two rovers NASA landed on Mars in 2004. The other, named Spirit, touched down on the other side of the planet. The missions were expected to last three months, but they kept going for years.“

Am 18. Februar landet (hoffentlich) Perseverance, der im Laufe des Jahres noch durch Rosalind Franklin Verstärkung bekommt.

Die Begründung der ESA, den Rover nach Franklin zu nennen, fand ich schön:

„Rosalind Elsie Franklin was a British chemist and X-ray crystallographer who contributed to unravelling the double helix structure of our DNA. She also made enduring contributions to the study of coal, carbon and graphite. ESA has a long tradition of naming its missions for great scientists, including Newton, Planck and Euclid.

“This name reminds us that it is in the human genes to explore. Science is in our DNA, and in everything we do at ESA. Rosalind the rover captures this spirit and carries us all to the forefront of space exploration,” says ESA Director General Jan Woerner.“

Lemon Tarte

Die Autorin des Rezepts aus der Washington Post behauptet, das Ding sei die einfachste Lemon Tarte ever und ich ahne, dass das stimmt. Es kommt kein Zeug oben drauf außer ein bisschen Puderzucker und das reicht dann auch. Man muss ein bisschen Zeit einplanen, aber dann kann eigentlich nichts schiefgehen. Die einzige Änderung, die ich vorgenommen habe, ist die Zuckermenge im Kuchenboden zu erhöhen, der war mir beim ersten Mal zu sehr nur Trägermedium für den Zitronenschlotz. Jetzt schmeckt er ein bisschen nach was.

Den Boden kann man prima vorbereiten: Entweder den Teig für bis zu drei Monate einfrieren oder die fertig gebackene Tarteschale bis zu zwölf Stunden rumstehen lassen, bevor sie mit Füllung gebacken wird.

In einem Zerkleinerer
190 g Mehl, Type 405, mit
80 g Kristallzucker (im Originalrezept 40 g),
1/4 TL Salz sowie
1 EL frisch geriebener Zitronenschale kurz vermischen.
115 g kalte Butter in Stücken daruntermischen, als letztes
1 Ei untermixen, bis sich alles halbwegs verbunden hat. Ich habe zum Schluss alles noch einmal durchgeknetet. Nicht zu lange, denn dann wird aus Mürbeteig gerne Matsch. Den Teig zu einer kreisförmigen Platte formen, in Frischhaltefolie wickeln und für eine Stunde im Kühlschrank parken.

Nach der Ruhezeit den Teig zwischen zwei Lagen Backpapier ausrollen, so dass er eine Tarteform bedeckt. Die Tarte im Bild wurde in einer 28-Zentimeter-Form gebacken, da reichte der Teig so gerade; das erste Mal probierte ich eine 26er, da kam mir der Teig etwas stabiler vor und man konnte einen schöneren Rand basteln. Ging aber beides.

Den Teig in der Form mit einer Gabel mehrfach einstechen, damit er nicht zu hoch aufgeht beim Backen. Den Rand vergesse ich immer, hat trotzdem funktioniert. Dann die ausgekleidete Form für eine Stunde einfrieren. (Gefrierfach, nicht Kühlschrank.)

Nach einer Stunde den Teig mit Backpapier oder Alufolie bedecken, mit dem Blindbackzeug eurer Wahl auslegen und im auf 190° Ober- und Unterhitze vorgeheizten Ofen für 20 bis 25 Minuten backen. Der Teig sollte nicht mehr roh aussehen. Blindbackzeug entfernen und weitere fünf Minuten backen, bis der Teig goldigbraun ist und sich leicht vom Rand löst. Aus dem Ofen nehmen und für mindestens 30 Minuten abkühlen lassen.

Nun die Füllung herstellen.
2 Zitronen (eine davon darf gerne die eben abgeriebene sein) in Scheiben schneiden, die Kerne entfernen und so in den Zerkleinerer geben. Wer es nicht ganz so bitter mag, der schält die Zitronen, damit das weiße Zeug unter der Schale wegkommt und verwendet nur die Filets. Ich persönlich mochte alles mit allem. Die Zitronen mit
250 g Kristallzucker vermixen, bis keine größeren Schalenstücke mehr sichtbar sind.
1/4 TL Salz und
115 g kalte Butter, in Stücken, untermixen. Nacheinander
2 Eier sowie
1 Eigelb untermixen. Zum Schluss noch
25 g Stärke.

Das ganze sieht aus, als ob sich Fett und der Rest nicht so recht verbunden haben, das ist in Ordnung so, die Creme (sehr flüssig) ist fleckig und stückig. Total egal, sieht nachher keiner mehr. Die Creme in die abgekühlte Form füllen und alles bei 160° für 40 bis 45 Minuten backen. Die Oberfläche darf ruhig ein bisschen wabbelig aussehen. Dringend per Stäbchenprobe in der Mitte testen, ob alles festgeworden ist.

Auskühlen lassen und mit Puderzucker bestäubt servieren.

Tagebuch Donnerstag, 4. Februar 2021 – 295 Seiten

Der erste komplette Korrekturgang des Textteils der Diss ist durch. Statt 358 Seiten bin ich jetzt bei 295. Da geht vermutlich noch mehr, aber jetzt habe ich alle gewünschten Korrekturen und Anmerkungen eingearbeitet und einen besseren Überblick, wo was nach dem großen Umbau überhaupt steht. Wir beginnen mit den üblichen 40 Korrekturschleifen.

So lange ich morgens aus dem Haus ging, um in Bibliotheken zu arbeiten, reichte mir ein Flat White als lange vorhaltendes Frühstück; mein Zeichen, jetzt mit der Arbeit aufzuhören bzw. sie ins Home Office zu verlagern, war immer der knurrende Magen, meist so gegen 15 Uhr. Momentan verzichte ich auch auf den Kaffee morgens, sondern koche gleich die große Kanne Tee, die ich dann am Schreibtisch leertrinke. Auch hier ist mein Zeichen für die Mittagspause der knurrende Magen, und der knurrt manchmal um 12, manchmal aber auch erst um 15 Uhr, so wie gestern.

Statt gleich zu speisen, ging ich erstmal auf die Matte, dann war das auch erledigt, und danach gab’s die restlichen zwei Krustis vom Vortag mit dem übriggebliebenen Hummus und einem Berg Gemüse dazu. Abends eine Schüssel Schokomüsli mit einem Apfel drin.

Alles erledigt, keine Lust zu putzen, zu lesen oder Serien zu gucken – also spontan in Hamburg angerufen für eins der üblichen „Nur mal kurz Hallo sagen“-Telefonate, die dann dann immer zwei Stunden dauern. Das war schön.

„Oh, Rauschen im Hintergrund, regnet’s bei euch?“
„Nee, das ist die Hochbahn.“
„AWWWW, DIE U DREEEIIII!“

Ganz seltsames Heimweh gerade. Muss sofort fünf Kilo Laugengebäck als Konterargument kaufen.

How the Pandemic Is Coming to Prime Time. (Or Not.)

Ich hatte beim Staffelauftakt von „This is Us“ gebloggt (finde ich selbst nicht wieder), dass ich überrascht war, Masken und Social Distancing in die Story eingebaut zu sehen. Inzwischen stolpere ich bei fast allen meinen Serien darüber, wenn genau das nicht passiert ist. Die NYT hat bei einigen Autor:innen und Showrunnern nachgefragt, warum sie sich dafür entschieden haben, die Pandemie einzubauen oder eben nicht.

„Last June, when the “Grey’s Anatomy” writers room reconvened, virtually, after a longer than usual hiatus, Krista Vernoff, the longtime showrunner, asked whether or not the coming season should incorporate the coronavirus pandemic.

“I’m like 51-49 for not doing the pandemic,” she told her staff. “Because we’re all so tired of it. We’re all so scared. We’re all so depressed. And we come to ‘Grey’s Anatomy’ for relief, right?”

But she was open to counterarguments. And when she asked for volunteers to try and talk her into it, she recalled recently, hands went up in nearly every Zoom window. The show’s senior surgical adviser, Naser Alazari, made the most compelling case: The pandemic was the story of a lifetime, he told her, speaking from the clinic where he was treating Covid-19 patients. “Grey’s” had a responsibility to tell it.

In rooms all over the internet, hospital dramas, first-responder shows, situation comedies and courtroom procedurals were having similar debates. To ignore the events of the spring and summer — the pandemic, America’s belated racial reckoning — meant placing prime-time series outside (well, even more outside) observable reality. But to include them meant potentially exhausting already exhausted viewers and covering telegenic stars from the eyes down.

It also meant predicting the future. David Shore, the showrunner for ABC’s “The Good Doctor,” knew that scripts written in the summer wouldn’t air until the fall. “That’s a challenge you really don’t face normally,” he said, speaking by telephone. “Usually, when you’re writing a story, you know what the world’s going to look like.”“

Tagebuch Mittwoch, 3. Februar 2021 – If this isn’t nice I don’t know what is

Mittwoch ist der Tag, an dem der Lieblingsbäcker französisches Landbrot auf die Theke wirft. F. bestellt sich grundsätzlich einen Brocken vor, ich werde gefragt, was ich haben möchte, meistens möchte ich Semmeln Brötchen, die werden mir dann vorbeigebracht, ich kann mein Herzblatt kurz kuscheln und dann trennen sich unsere Wege wieder. Stupid virus, but I have Semmeln Brötchen.

Eins wurde mit viel Eisbergsalat, japanischer Mayonnaise und ein paar Scheibchen Pfefferschinken mein Mittagessen, das andere begleitete eine Portion Hummus, die ich gestern abend zusammenrührte, wobei mir der Paprikastreuer etwas entglitt. Der Rest oben drauf besteht aus Za’atar und Schwarzkümmel.

Ansonsten war das gestern einer von den Tagen, an denen man sich abends fragt, wo eben dieser Tag plötzlich hin ist. Weiter die Diss überarbeitet, zufrieden gewesen, aber jetzt dann doch erstmals den Buchversand (eben Buchverstand getippt, wird in den Sprachschatz aufgenommen) der Stabi benutzt: In ein paar Tagen bekomme ich Post mit drei Büchern, die ich für Zitate und weiteres Wissen benötige. POST VON DER STABI <3

Über das Bild bei „Nine nurses testing“ sehr gelacht.

Beim Fertigmachen für die Nacht im Deutschlandfunk hängengeblieben und mir von Anna Vinnitskaya Chopin vorspielen lassen.

Ich bin begeistert von der neuen Kollektion von Iris van Herpen. Hier auf Insta, hier in Bewegung. (Und hier unten ein Screenshot.)

Die Überschrift ist ein Zitat von Kurt Vonnegut und stammt aus dem neuen Newsletter von Josh Radnor, über den Reddit mal schrieb, er klänge so, als ob Ted ihn schreiben würde. Fine by me.

Ich hatte gestern Spaß an der wissenschaftlichen Arbeit, BEKOMME POST VON DER STABI, habe meinen Lieblingsmenschen anfassen können, habe gut gegessen, gelacht und schöne Dinge gehört und angeschaut. If this isn’t nice I don’t know what is.

Tagebuch Dienstag, 2. Februar 2021 – Über Fotografie nachdenken

Montag war ich schon um 4 wach, gestern immerhin erst seit kurz vor 6, yay, aber dann daddelte ich wieder zwei Stunden im Bett am Handy rum mit der inneren Ausrede, ach, mein Arbeitsweg ist ja so kurz, ich bin brav um 9 am Schreibtisch. Das klappte dann mit Duschen und Teekochen aber nur so gerade eben und so hatte ich gleich morgens das Gefühl, zu spät gekommen zu sein, bescheuert.

Das Tagwerk war, mal wieder, immer noch, an der Dissüberarbeitung zu puscheln. Gestern beendete ich die noch ausstehenden Zwischenfazite, die noch zum Teil der Arbeit gehören, die vor 1945 spielt. Heute kommt dann alles bis zu Protzens Tod 1956 dran, und da ich im allerletzten Teil „Einordnung und Ausblick“ vermutlich am wenigsten ändern muss, würde ich das jetzt alles gerne mal komplett lesen, bevor ich zu eben diesem Schluss komme. Wir werden sehen.

Christian veröffentlicht in seinem Blog sehr oft Fotos, immer schon breit und groß und so, dass man sie sich vernünftig angucken kann, nicht so’n Pixelkram wie in anderen Weblogs *hust* hier *hust*, und ich sehe die immer gerne an. Einen seiner Buchtipps verschenkte ich bereits an F., der auch gerne etwas minimalistischer unterwegs ist, und soweit ich das beurteilen kann, hat ihm das Buch gefallen und genützt.

Vorgestern schrieb Christian etwas ausführlicher über seinen Weg zu seinen Bildern, gerne gelesen. Gestern beschnitt er zwei der Bilder neu, die er am Vortag gezeigt hatte, um den Unterschied klarzumachen, wie sehr Nachbearbeitung nötig ist. Und da musste ich dann doch mal einen meiner seltenen Blogkommentare loslassen, und daraus entwickelte sich die Frage, wie sehr man als Künstlerin überhaupt schon weiß, was man da tut, während man es tut, ich zitiere Christian: „Was sagt eigentlich die Fachfrau zu der Frage, wie bewusst das dem Künstler beim Anfertigen des Kunstwerkes ist? Plant die Künstlerin das beim Heben des Handys irgendwo im Mendener Feld? Tut sie das unbewusst? Gibt es die Schwelle zu „man spürt die Absicht und ist verstimmt“?“

Zur Beantwortung dieser Frage zückte ich eins der wenigen Theoriebücher, die ich mir als Bachelor mal angeschafft hatte, verfluchte meine übliche Abneigung gegen Theorie, die dazu geführt hatte, dass das eins der wenigen geblieben war, und antwortete:

„Wie bewusst der Künstlerin das ist, was sie tut, lässt sich recht einfach beantworten: sehr, sonst würde sie nicht fotografieren, malen, skulptieren. Ich zitiere mal einen meiner fachlichen Lieblinge, wo es eher um Kunstwerk und Betrachterin geht, aber ich meine, das kann man erweitern: „Kunstwerk und Betrachter kommen unter Bedingungen zusammen; sie sind keine klinisch reinen und isolierten Einheiten. Und so wie der Betrachter sich dem Werk nähert, so begegnet ihm das Kunstwerk: antwortend und seine Tätigkeit anerkennend.“ Die „Prämisse der Rezeptionsästhetik“ und meiner Meinung nach auch der der künstlerischen Tätigkeit: „dass die Betrachterfunktion im Werk vorgesehen ist.“

Ob du nun genau diesen Vogel ablichten wolltest oder genau diesen Sonneneinfall, ist zweitrangig; wichtig ist, dass du etwas gesehen hast, was du festhalten – und herzeigen wolltest. Das heißt, wenn ich ein Foto von dir betrachte, weiß ich, dass du es mit dieser Funktion aufgenommen hast. Ob ich darüber verstimmt bin, liegt dann wieder nicht mehr in deiner Hand – und macht ein ganz anderes Fass auf: Wie reagieren wir auf Kunst?

Zitate: Wolfkamp Kemp: „Kunstwerk und Betrachter. Der rezeptionsästhetische Ansatz“, in: Hans Belting (u. a.) (Hrsg.): Kunstgeschichte: Eine Einführung, Berlin 2008 (Erstauflage 1985), S. 247–265, hier S. 248.“

„Wir reagieren wir auf Kunst“ ist einer unserer liebsten Running Gags im Podcast, gerade wenn es um Fotos geht. Flo fotografiert schon ewig und kann viel zur Technik sagen, F. versucht sich daran erst seit ungefähr einem Jahr ernsthaft und vergleicht sich, gefühlt, dauernd und viel zu viel mit anderen, ich komme immer mit dem female gaze um die Ecke und wir meckern alle über Instagram. Auch darüber gibt es in dem eben erwähnten schlauen Buch natürlich Aufsätze: Wie nähert man sich einem Kunstwerk über die formanalytische Methode, wie über die ikonologische, wie über die sozialgeschichtliche usw. Jede:r von uns bringt einen ganz eigenen Rucksack an Erfahrungen mit, und deswegen sieht jedes Werk für jede:n anders aus bzw. transportiert andere Dinge.

Mir fiel nur gestern wieder mal auf, dass wir bloggenden Menschen immer etwas herzeigen. Christian zeigt ja nicht nur seine Bilder, sondern schreibt auch einen Text dazu, genau wie ich, die sich hier in Worten präsentiert. Immer ausgewählt, nie vollständig, gerne auch mal hübsch redigiert, aber ich zeige immer etwas, ich stelle immer etwas zur Schau. Nach fast 20 Jahren Rumgeblogge fiel mir zum ersten Mal auf, wie quatschig mein Motto da oben links eigentlich ist: „Blog like nobody’s watching“ war mal als Gedankenstütze gedacht, von der Leber weg zu erzählen und eben nicht auszuwählen und zu redigieren, wie ich das im beruflichen Alltag mache(n muss). Aber es bleibt quatschig.

Vielleicht kehre ich zu meinem ersten Blogmotto zurück: „The person you love is 72% water.“ Aber so cleveres Wortgeklingel hat überhaupt nichts mehr mit mir zu tun, da kann ich ja gleich meinen Facebook-Account wieder öffnen. Hm. Ich denke da mal weiter drüber nach.

Tagebuch Freitag bis Montag, 29. Januar bis 1. Februar 2021 – Warm, satt, zufrieden

Donnerstag abend hatte ich beim Abspülen schon gemerkt, dass das Warmwasser eher so Lauwarmwasser war, machte mir aber keinen großen Kopf. Den machte ich mir Freitag, als es nur noch kaltes Wasser gab und die Heizungen auch nur sinnlos rumstanden. Katzenwäsche, Kaffee im Bett, dann saß ich mit zwei Paar Socken, meinem Hoodie und der Stadiondecke am Schreibtisch, aber das ging gar nicht. Frühes Wochenende gemacht und mit der Bettdecke aufs Sofa umgezogen. Nachmittags ging wieder alles, aber es war ja jetzt Wochenende, da konnte ich echt nichts mehr machen.

Abends war Date Night, wo ich Kartoffeln mit Zeug belegte. Wir sprachen ausgerechnet über KZ-Gedenkstättenbesuche – das passte gut in meine Lektüre vom Wochenende –, F. hatte wieder mal kluge Anmerkungen zu meiner Diss-Überarbeitung, die ich mir gleich per Mail schickte, damit ich sie über dem ganzen Gewürztraminer nicht vergaß. Gemeinsam eingeschlafen.

Samstag und Sonntag waren Lesetage. Ich beendete das Buch von Ruth Klüger, was ich eben verlinkte, und begann Gabriele Tergits Effingers. Das Buch hat seit spätestens gestern abend gewonnen, als ich auf folgenden Satz stieß, den ein Berliner Handwerkermeister Mitte der 1880er-Jahre beim Umbau eines hochherrschaftlichen Hauses sagt: „Keen lieber Gott mehr, aber Wasserspülung. Das ist die neue Zeit.“ (S. 62) Ich hatte im Vorfeld oft den Vergleich mit Thomas Mann gelesen, aber Tergit ist Mann auf Speed. Der Herr hätte für diese Beobachtung vermutlich vier Seiten veranschlagt und davon zwei auf Äußerlichkeiten des Handwerkers verschwendet.

Außerdem setzte ich Samstag morgen einen Brötchenteig an, den ich Sonntag verbuk. Ich taute ein Stück Marmorkuchen auf, den es zum Tee gab und ließ es mir gut gehen.

Gestern merkte ich am Schreibtisch, dass mein Kopf netterweise das Wochenende durchgearbeitet hatte. Ich konnte zwei Kapitel beenden, die mir noch etwas im Magen gelegen hatten. Ich bin mit der Zeit bis 1945 jetzt erstmal, erstmal, haha, durch, und konnte gestern daher überschlagen, wieviele Seiten ich bisher durch meinen großflächigen Umbau eingespart hatte. Ich hatte vieles gekürzt, aber auch vieles ergänzt, und Stand heute sind aus den 358 DIN-A4-Seiten 298 geworden. Da geht noch was, aber das fühlt sich schon gut an.

Diese Lemon Tarte (evtl. $) ist übrigens hervorragend Home-Office-geeignet: Man knetet oder hackt zehn Minuten lang was, das kommt dann ewig in Kühlschrank, Gefrierfach oder Ofen, das heißt, man kann wieder ein Stündchen konzentriert arbeiten, bis der nächste Arbeitsschritt ansteht. Mir war der Mürbeteigboden allerdings etwas zu unsüß und das gesamte Ding generell zu unspektakulär, aber ich hatte gestern immerhin in Arbeitspausen was Besseres zu tun als auf Twitter abzuhängen.

Handsemmeln

Obwohl meine Sauerteige brav vor sich hinsäuern, hatte ich am Wochenende Lust auf Hefegebäck. Ich hatte mich bisher eher erfolglos an Brötchen versucht – meine Nordishheit sträubt sich immer noch, beim Bäcker nach „Semmeln“ zu fragen, daher bin ich froh, dass ich beim Lieblingsbäcker auf „Krustis“ ausweichen kann, JA, DAS IST NICHT SO ALBERN FÜR MICH WIE „SEMMELN“ SAGEN ZU MÜSSEN. Moin. Mohltied. Fischkopp. (Jetzt geht’s mir besser. … Wo war ich? Ach ja:) Hand… brötchen.

Das Rezept stammt natürlich aus Lutz Geisslers Brot backen in Perfektion mit Hefe und beschreibt eine österreichische Spezialität und deswegen buk ich gestern knurrend Semmeln. Für neun Stück

465 g Weizenmehl, Type 550, mit
25 g Roggenmehl, Type 1150,
170 g Wasser,
125 g Vollmilch,
10 g Salz,
10 g weicher Butter,
10 g Zucker und
0,5 g Frischhefe (ein Kügelchen von ca. 1 cm Durchmesser) zu einem Teig verkneten. Abdecken und für 24 Stunden lang bei Raumtemperatur gehen lassen, dabei zweimal ziehen und falten.

Da ich keine Ahnung habe, wie warm oder kühl meine Küche ist und auch nie weiß, welche Temperatur mein Teig hat, gebe ich die Tipps mal weiter, die mir bisher geholfen haben. Vielleicht produzieren sie bei euch matschigen Klump, aber bei mir hilft es zum Beispiel, die Schüssel nicht nur locker mit einem Handtuch abzudecken, sondern in eine große Tüte zu packen, die zuzuzwirbeln und so den Teig halbwegs luftdicht stehen zu lassen. Außerdem ziehe und falte ich mit nassen Händen. (Ziehen und falten: unter den Teig fassen, einen Strang hochziehen – er soll nicht reißen! – und oben auf die Teigkugel legen. Die Schüssel um ein Viertel drehen, den nächsten Strang ziehen etc. Das ganze vier- bis sechsmal. Das muss auch nicht sklavisch in 8-Stunden-Abständen sein, ich ziehe und falte meist dreimal über den Tag verteilt und lasse den Teig nachts in Ruhe.)

Am Backtag den Teig auf der gut bemehlten Arbeitsfläche ein bisschen in die Länge ziehen, neun Stücke zu ca. 90 g abstechen und rundwirken. Diese Kugeln fünf Minuten ausruhen lassen.

Jedes Stück zu Kreisen ausrollen, ca. 10 cm Durchmesser. Fünf Minuten ausruhen lassen, danach vorsichtig das überschüssige Mehl abklopfen.

Aus den Kreisen Semmeln formen. Ich erspare mir hier die wohlmeinende Beschreibung im Buch, auch die Phasenfotos habe ich nicht verstanden, aber dieses Video erklärt es sehr gut. Unter dem Video steht auch noch ein Rezept, das keine 28 Stunden dauert, aber das habe ich noch nicht ausprobiert.

Die Semmeln auf einem bemehlten Tuch eine, besser zwei Stunden gehen lassen. Das Video möchte, dass die hübsch geformte Seite unten liegt, das Buch will sie oben. Ich habe sie gestern nach unten gedreht, Ergebnis siehe Foto.

Zwei Bleche im Ofen auf 250° vorheizen. Beide herausnehmen, die Brötchen auf Backpapier auf ein Blech geben, ordentlich mit Wasser besprühen, das zweite Blech wie eine Muschel als Abdeckung oben drauf legen. Alles in den Ofen geben, diesen auf 230° Unter- und Oberhitze herunterschalten. Nach fünf Minuten das obere Blech abnehmen, die Brötchen müssten jetzt schon prima aufgegangen sein. Weitere 15 Minuten offen backen. 2–3 Minuten vor Schluss auf Umluft schalten und den Ofen kurz öffnen, damit der Dampf entweicht. Die Brötchen nach der Backzeit herausnehmen und noch einmal ordentlich mit Wasser besprühen.

Falls du danach noch eine Runde Brötchen backen willst, die Bleche nochmal zehn Minuten lang bei 250° aufheizen.

Ich fand die *knurr* Semmeln genau richtig: ein bisschen zäh, nicht so wattig-luftig wie die vom Kettenbäcker, schöne Krume, gute Kruste, ganz hervorragend. Optisch noch sehr ausbaufähig, aber für den ersten Versuch bin ich mehr als zufrieden.

Buchempfehlung: Ruth Klüger, „weiter leben“

„Gewiß, es zieht auch welche, die ohne Touristenneugier oder Sensationslust kommen, zu den alten Lagern, aber wer dort etwas zu finden meint, hat es wohl schon im Gepäck mitgebracht. So einer war Peter Weiss, als er einen Aufsatz schrieb, in dem er, nach einem Besuch in Auschwitz, das Lager als „seine Ortschaft“ bezeichnet, weil er als Jude verurteilt war, dort zu sterben. Das wird schon richtig gewesen sein, denk ich, für diesen Besucher, der eben doch nicht verurteilt war, dort zu sterben, sondern es nur gewesen wäre, hätte er nicht auswandern können. Den Aufsatz verstehe ich gut, handelt er doch von meiner Frage, ob man Gespenster in Museen bannen kann, und Peter Weiss schleppte damals die seinen vom Frankfurter Auschwitz-Prozeß nach Polen. Da heißt es zuerst „Nein“, man kann es nicht, denn das Lager, das Peter Weiss sieeht, ist leer vom alten Geschehen, eben nicht mein Lager, sondern schon eher das Lager, wo die zwei lieben deutschen Jungen die Zäune brav weiß streichen, um das Gelände instand zu halten. Und doch gibt er eine zweite Antwort, ein „Ja“ im letzten Moment, auf der letzten Seite, denn da gelingt es diesem Gast in Auschwitz, in einer alten Baracke die Geister zu beschwören. Der springende Punkt: Er sah das, was er mitgebracht hatte, in der neuen Konstellation des Ortes, die da heißt Gedenkstätte und Besucher, und was könnte weiter entfernt sein von der Konstellation Gefängnis und Häftling?

Dabei war Weiss der beste Besucher, den man sich wünschen kann, denn er sah kein fertiges, starres Mahnmal. Er endet mit der Bemerkung, daß „es“ noch nicht vorbei sei, und so hat er mit der ihm eigenen Konsequenz die Judenverfolgung mit anderen Massenverbrechen verglichen, was ihm viele übel genommen haben. Aber ich weiß gar nicht, wie man anders an die Sache herankommen soll als durch Vergleiche.

Claude Lanzmann, auf der Suche nach den Lagern, fragt die Einheimischen in seinem quälenden Shoah-Film: „War’s drei Schritte rechts oder links von hier? Da oder dort? Waren die Bäume damals schon da?“ Ein Besessener, denk ich, Zuschauerin im dunklen Raum, und bewunder ihn halb, halb bin ich ihm voraus: „Du brauchst die Orte. Mir genügen die Ortsnamen“, und bin doch gebannt von seiner Besessenheit.

Es liegt dieser Museumskultur ein tiefer Aberglaube zugrunde, nämlich daß die Gespenster gerade dort zu fassen seien, wo sie als Lebende aufhörten zu sein. Oder vielmehr kein tiefer, sondern eher ein seichter Aberglaube, wie ihn auch die Grusel- und Gespensterhäuser in aller Welt vermitteln. Ein Besucher, der hier steht und ergriffen ist, und wäre er auch nur ergriffen von einem solchen Gruseln, wird sich dennoch als besserer Mensch vorkommen. Wer fragt nach der Qualität der Empfindungen, wo man stolz ist, überhaupt zu empfinden? Ich meine, verleiten diese renovierten Überbleibsel alter Schrecken nicht zur Sentimentalität, das heißt, führen sie nicht weg von dem Gegenstand, auf den sie die Aufmerksamkeit nur scheinbar gelenkt haben, und hin zur Selbstbespiegelung der Gefühle? […]

Dachau hab ich einmal besucht, weil amerikanische Bekannte es wünschten. Da war alles sauber und ordentlich, und man brauchte schon mehr Phantasie, als die meisten Menschen haben, um sich vorzustellen, was dort vor vierzig Jahren gespielt wurde. Steine, Holz, Baracken, Appellplatz. Das Holz riecht frisch und harzig, über den geräumigen Appellplatz weht ein belebender Wind, und diese Baracken wirken fast einladend. Was kann einem da einfallen, man assoziiert eventuell eher Ferienlager als gefoltertes Leben. Und heimlich denkt wohl mancher Besucher, er hätte es schon schlimmer gehabt als die Häftlinge da in dem ordentlichen deutschen Lager. Das mindeste, was dazu gehörte, wäre die Ausdünstung menschlicher Körper, der Geruch und die Ausstrahlung von Angst, die geballte Aggressivität, das reduzierte Leben. Geistern hier noch die Männer, die sich durch die langen, kranken Stunden geschleppt haben, die sogenannten Muselmänner, die Kraft und Energie zum Weiterleben verloren hatten? Oder die Privilegierten, denen es besser ging, die dafür aber exponierter waren und noch eher umgebracht wurden? Die selbstgerechten Politischen und die auf ihre Art nicht minder selbstgerechten eingesessenen deutschen Juden, denen das Haus überm assimilierten Kopf zusammengebrochen war? Sicher helfen die ausgehängten Bilder, die schriftlich angeführten Daten und Fakten und die Dokumentarfilme. Aber das KZ als Ort? Ortschaft, Landschaft, landscape, seascape – das Wort Zeitschaft sollte es geben, um zu vermitteln, was ein Ort in der Zeit ist, zu einer gewissen Zeit, weder vorher noch nachher.“

Ruth Klüger: weiter leben. Eine Jugend, München 2019 (Erstauflage 1992), S. 75–78.

Ich erspare mir eine Rezension, bitte einfach selber googeln oder mindestens den Wiki-Eintrag dazu lesen. Ich mochte an dem Buch die sehr klare Sprache, die durchaus unangenehm werden kann, gerade wenn man von sich selbst meint, doch alles richtig machen zu wollen beim Gedenken und Erinnern und Sprechen über die NS-Zeit und den Holocaust. Ich mochte die Einschübe der Autorin, die sich an die Leserin richteten („wer rechnet schon mit männlichen Lesern? Die lesen nur von anderen Männern Geschriebenes“, S. 82), in denen sie sich für Formulierungen rechtfertigt oder erklärt, warum dort steht, was da eben steht und nichts anderes. Warum es klar und hart ist und ihre Beschreibungen der problematischen Beziehung zur Mutter, dem Deutschland vor und nach 1945, dem Hungern und Warten und Verlieren und Sterben eben nicht „Erich Kästners Weinerlichkeiten zu den aufgehäuften Schuhen toter Kinder“ sind (S. 216).

Für mich waren besonders die Beschreibungen der direkten Nachkriegszeit interessant, aber ich habe jede Seite gerne gelesen, auch wenn das alles überhaupt keinen Spaß macht. Soll es auch nicht, ich soll nicht an Ferienlager denken. Ich las auch, dass Klüger sich bewusst gegen eine Entfernung ihrer Häftlingsnummer entschied; sie erzählt die Geschichte, wie sie als Kellnerin Menschen, die danach fragten, erwiderte, dass das die Telefonnummer ihres „boyfriends“ sei. Nach der Veröffentlichung hat sie sich anscheinend umentschieden, wie ich in einem der Nachrufe auf die 2020 Gestorbene las (war, glaube ich, die „Welt“, dahin verlinke ich mal nicht).

Ich fand es spannend, ihren Gedankengängen zu folgen, die ebenfalls nie in Stein gemeißelt sind, sie machte es Fragenden schwer, welche Fragen man stellen darf oder nicht, auch das kommt zur Sprache. Sie ist eine Stimme unter viel zu vielen, die von den Lagern erzählen und was sie davon mitgenommen haben und ich lege euch das Buch sehr ans Herz.

Ofenkartoffeln mit Sojabutter, Miso-Aubergine und Chili-Spitzkohl

Das Rezept im SZ-Magazin nennt sich „Weltoffene Ofenkartoffel“, aber damit kann ich in meiner Rezeptliste nichts anfangen. Es stammt von Tohru Nakamura, bei dem F. und ich leider nur einmal essen gehen konnten, bevor die Pandemie den Laden trotz unserer Reservierung zusperrte, eine Unverschämtheit. Was mich damals so fasziniert hat, waren die gefühlt 80 Zutaten auf dem Teller und trotzdem schmeckte alles absolut ausgewogen. Dieses Prinzip klappt auch mit der schlichten Ofenkartoffel: Es kommt deutlich mehr drauf als ein Klecks Sour Cream, aber es harmoniert alles hervorragend.

Das Rezept ist angeblich für acht Personen, die Mengen schreibe ich hier auch auf. Ich habe davon die Hälfte zubereitet und unsere zwei Kartoffeln pro Person wogen etwas weniger als 150 Gramm; das war eine hervorragende Hauptmahlzeit.

1 Aubergine halbieren und auf der Schnittseite in ordentlich
Sesamöl in der Pfanne anrösten. Die eine Aubergine haben wir locker zu zweit verspeist, wenn Sie das Gericht für acht Personen zubereiten, vielleicht lieber mindestens zwei verwenden.

8 Kartoffeln (je 150–200 g) waschen, mit ebenfalls ordentlich Sesamöl einreiben und gut salzen. Auberginenhälften und ganze Kartoffeln auf ein Blech geben und im auf 180° Umluft (!) vorgeheizten Ofen eine Stunde lang garen.

Währenddessen einen Berg Mise en place erledigen.

100 g weiche Butter mit
4 EL Sojasauce verkneten. Das ging mir bei nur so mittelgut, ich habe nicht die ganze Sauce einarbeiten können. Vielleicht Butter schmelzen, Sauce dazugeben und wieder fest werden lassen? Probiere ich beim nächsten Mal aus.

100 g Jogurt mit
50 g geriebenem Ingwer und Salz abschmecken.

1 Handvoll Spitzkohl (bei mir Chinakohl) fein schneiden.
Ein Dressing zubereiten aus
4 EL Reisessig,
1/2 TL braunem Zucker,
1 EL Sonnenblumenöl und
1 Chilischote, fein gehackt. Kurz vor dem Servieren mischen.

2 EL weißen Sesam rösten.
1 Handvoll Wasabi-Erbsen oder Wasabi-Nüsse zusammen mit dem Sesam im Mörser grob zerstoßen, das soll kein feines Pulver werden.

100 g Comté (oder anderen Hartkäse) reiben.

1 Bund Schnittlauch hacken (ein halber tut’s auch).

1 kleine Schalotte fein hacken.

Nach einer Stunde die Aubergine aus dem Ofen nehmen und die Schnittflächen mit
2 EL heller Misopaste bestreichen. Nochmal für ein paar Minuten in den Ofen geben, bis die Paste blubbert. Das Fleisch herauskratzen, mit der Schalotte mischen und mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Die Kartoffeln halbieren und die Schnittflächen mit der Sojabutter bestreichen. Das Auberginenragout und danach den geriebenen Käse darauf verteilen. Den angemachten Spitzkohlsalat sowie den Ingwerjogurt darauf geben. Zum Schluss den Wasabi-Sesam-Crunch und die Schnittlauchröllchen darüberstreuen.

Das Rezept wollte dazu auch noch Bonitoflocken – die hatte ich nicht bekommen, stattdessen gab es bei uns Furikake mit Bonitogeschmack, das war auch ein Kracher. Fiel mir erst nach dem Fotomachen auf, daher ist das lustige Zeug nicht abgebildet.

Ja, es ist etwas mehr Arbeit als Sour Cream, aber das war wirklich richtig gut. Gibt’s heute gleich nochmal.

Tagebuch Donnerstag, 28. Januar 2021 – Punjabi Mix

Das Autobahnkapitel ist niedergerungen!

Dachte ich gestern abend jedenfalls, aber dann fiel mir ein, dass ich ein paar Ausstellungen, die ich eigentlich erst im Teil „Erwähnenswerte Aufträge und Ausstellungen“ verarbeiten wollte, vielleicht doch lieber in dieses Kapitel schieben sollte und daher muss ich da heute noch mal ran. Aber im Prinzip ist es niedergerungen! Und es gefällt mir für die erste Fassung schon sehr gut.

Das war mein Tagwerk.

Nachmittags pingte mein Handy und zeigte mir zwei Päckchen in der Packstation an. Das waren meine zwei Ausstellungskataloge zur Neuen Sachlichkeit (meine große Liebe), die ich antiquarisch bestellt hatte. Weil ich außerdem noch ein paar Zutaten für die Date Night brauchte, verband ich die kurze Radfahrt zum Asiashop mit der Abholung. Der Schnee der letzten Tage war netterweise geschmolzen; so gerne ich ihn sehe, so sehr nervt er mich zu Pandemiezeiten, weil ich dann die U-Bahn nehmen muss für Termine.

So aber radelte ich zum Asialaden – und begab mich erstmals in die japanische Ecke. Der Shop ist relativ groß und nicht grundsätzlich nach Zutaten geordnet, sondern eher nach Ländern. Grundlegende Dinge wie Reis, Nudeln, Sojasaucen und frische Ware sind natürlich nicht mehrfach vorhanden, weswegen man da prima die Unterschiede bei Verpackung und Labelling vergleichen kann. Aber bei Gewürzen, Würzmischungen und den ganzen anderen wilden Zutaten, bei denen ich mich immer noch nicht auskenne, guckt man eher nach Ländern oder Gebieten – das gefühlte „irgendwie indischer Subkontinent“ ist nicht unterteilt, ich ahne, dass man mit den Zutaten auch pakistanisch kochen kann. Was wo bei den Thai-Zutaten steht, habe ich allmählich durchschaut, aber nach hellem Miso und Bonitoflocken musste ich dort noch nie suchen. Ab nach Japan!

Dort griff ich als erstes und völlig sinnlos zur Kewpie-Mayonnaise, weil ich von der schon so oft was gelesen hatte, dass ich sie haben wollte. Die schmeckte dann abends auf einer Semmel mit einer dicken Schicht Eisbergsalat und einer Scheibe Kassler auch ganz hervorragend, gefühlt etwas frischer als die übliche Majo. Miso fand ich, das kannte ich aus dem Edeka nebenan immerhin schon in dunkler Form, aber jetzt wollte ich halt helles. Nach Bonitoflocken suchte ich allerdings vergeblich, laut Twitter habe ich eine Würzmischung erstanden, die immerhin Bonitogeschmack hat, und das muss dann für das Rezept heute abend reichen.

F. hatte sich außerdem philippinische Cracker gewünscht, die fand ich. Er hatte mir ein Foto der Verpackung geschickt, was sehr hilfreich war. Generell merkte ich gestern, dass es mit wegen der Maske leicht beschlagener Brille nicht einfacher wird, nach Dingen zu suchen, von denen man nicht weiß, wie sie aussehen, erst recht, wenn man möglichst wenig Zeit in einem Laden verbringen will. Auch deswegen kaufe ich seit Monaten beim leicht teureren Edeka ein statt dem Netto oder dem Lidl; er ist stets leerer und ich weiß genau, wo was steht. Finanziell dämlich, gesundheitlich für mich absolut die richtige Entscheidung. (Pandemie-Strategien. Ich warte auf die Manager-Seminare dazu.)

Gegenüber von den Crackern lag eine Batterie an wild aussehenden indischen Snacks, von wo ich mir einfach mal den sympathisch klingenden Punjabi-Mix gönnte. Das sind Nudeln aus Kichererbsenmehl, Erdnüsse, Linsen und Kichererbsen, alles leicht scharf. Ich bin mit meiner Kaufentscheidung sehr zufrieden.

Ich weiß ja, warum der Thymian tut, was er tut, aber allmählich bin ich doch etwas pikiert. Es sieht so aus, als würde es ihm auf meiner Fensterbank nicht gefallen. Undankbarer Wicht.

Normalerweise stehen neben ihm noch Zitronenmelisse, Majoran und Basilikum, die mussten fürs Foto kurz auf den Küchentisch. Der Hirsch steht da immer, das sieht gerade neben der Zitronenmelisse aus, als trete er kurz auf eine Waldlichtung. DER BESCHWERT SICH NICHT!

The Pandemic Has Erased Entire Categories of Friendship

Der Atlantic schreibt über die Menschen, die wir vermissen, die nicht unsere Freunde sind, sondern eher regelmäßige Begegnungen: die Barista für den Morgenkaffee, den Typ, der immer auf demselben Platz in der U-Bahn sitzt – oder wie F. und ich neulich feststellten: die Nervensägen hinter uns im Stadion in Augsburg. Ich denke öfter an einen bestimmten Kellner in der Stammkneipe; für ihn bin ich garantiert nur ein Gast unter hunderten, aber auf den freue ich mich schon sehr. Der fehlt mir irrationalerweise.

„In the weeks following, I thought frequently of other people I had missed without fully realizing it. Pretty good friends with whom I had mostly done things that were no longer possible, such as trying new restaurants together. Co-workers I didn’t know well but chatted with in the communal kitchen. Workers at the local coffee or sandwich shops who could no longer dawdle to chat. The depth and intensity of these relationships varied greatly, but these people were all, in some capacity, my friends, and there was also no substitute for them during the pandemic. Tools like Zoom and FaceTime, useful for maintaining closer relationships, couldn’t re-create the ease of social serendipity, or bring back the activities that bound us together.

Understandably, much of the energy directed toward the problems of pandemic social life has been spent on keeping people tied to their families and closest friends. These other relationships have withered largely unremarked on after the places that hosted them closed. The pandemic has evaporated entire categories of friendship, and by doing so, depleted the joys that make up a human life—and buoy human health. But that does present an opportunity. In the coming months, as we begin to add people back into our lives, we’ll now know what it’s like to be without them.“

Tagebuch Dienstag/Mittwoch, 26./27. Januar 2021 – Schreib- und Gedenktag

Zwei Tage im Autobahnkapitel verbracht, mindestens zwei werden es noch werden. Meine innere Deadline „Ach, bis Ende Januar bin ich mit der Gesamtüberarbeitung durch“ verschiebt sich möglicherweise um einen Hauch nach hinten. Totale Überraschung.

Je länger ich an meinen eigenen Texten herumdoktore, sie verschiebe, auseinanderrupfe, neu zusammensetze und mit mehr Meta-Ebene und kunsthistorischer Theorie versehe, desto mehr kommt mir meine abgegebene Dissertation wie eine Stoffsammlung vor und das Ding, an dem ich jetzt sitze und veröffentlichen werde, erst wie das richtige Werk. Dann passt das ja eigentlich. Wäre nur schön, wenn mir das schon früher aufgefallen wäre.

Gestern war der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Yad Vashem erinnerte wie in jedem Jahr an seine IRememberWall, bei der man sich einen Namen eines Opfers der Shoah zuteilen lassen konnte, um an ihn oder sie zu erinnern. Ich lernte so Ester Shafran kennen und beschrieb sie auf Instagram, wie ich das in den beiden letzten Jahren auch schon getan hatte. Die Datenbank von Yad Vashem weiß nicht viel über sie bzw. vieles ist auf Hebräisch geschrieben, das ich nicht lesen kann. Sie wurde 1942 in Treblinka ermordet und wurde 17 Jahre alt.

Ich klickte auf Insta auf den Hashtag #iremember und las mir weitere Berichte durch und wie jedesmal, wenn ich ein einzelnes Schicksal kennenlerne, wird die Zahl von sechs Millionen nicht weniger greifbar.

Auch die Arolsen Archives riefen gestern auf Twitter verstärkt zur individuellen Hilfe auf. Ich beteilige mich seit Längerem an der digitalen Arbeit, bei der es darum geht, Häftlingsakten zu transkribieren – vielleicht mögen Sie auch ein paar Minuten Ihrer Zeit schenken?

Die SZ sprach mit einer Freiwilligen über ihre Tätigkeit und Motivation.

Die Freiwilligen, die an dem Projekt mitarbeiten, können sich auch untereinander austauschen. Wie läuft das?

Wenn man die Dokumente eingegeben hat, kann man dazu einen Kommentar hinterlassen – da geht es vor allem um konkrete Fragen: Kann jemand diese Notiz entziffern, was bedeutet dieser Eintrag? Und auf diesen können andere wiederum antworten. Dieser Austausch im Forum ist sehr wertvoll – denn dabei stößt man auch auf Details, deren Bedeutung sich erst in der Zusammenschau erschließt. Auf den Dachauer Dokumenten fanden sich zum Beispiel bestimmte Kürzel, offenbar vom Wachpersonal, doch das war zunächst nicht klar. Darüber wurde dann im Forum diskutiert. Schließlich haben die Freiwilligen angefangen, diese Karten mit Hashtags zu versehen. Und Historiker haben dann festgestellt, dass ihnen das hilft. Sie sind dadurch auf Informationen gestoßen, die sie vorher nicht bemerkt hatten.

Warum machen Sie selbst bei der Aktion mit?

Die Zeit des Nationalsozialismus, der Holocaust, hat mich schon immer interessiert. Ich habe vor allem in früheren Jahren viel darüber gelesen, Filme gesehen. Aufgrund der ganzen rechtsextremen Tendenzen gerade in der jüngeren Zeit ist es mir ein Anliegen, daran mitzuwirken, dass die Gräuel zur Zeit des Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit geraten. Diese Art von Verfolgung und Verunmenschlichung darf einfach nie wieder passieren.“

Johannes Gramlich hat ein Buch über die „Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die bayerischen Staatsgemäldesammlungen“ geschrieben. Gramlich war bei den Gemäldesammlungen mein Ansprechpartner, wann immer ich eine Frage zu Protzen oder der dort verwahrten Papierkopie seines Werkverzeichnisses hatte. Ich bin sehr auf sein Buch gespannt.

Die Rede von Marina Weisband im Bundestag zum Tag des Gedenkens.


(Direktlink)

Ein zweifaches Dankeschön …

… an Melanie: Sie gab mir netterweise per Mail einen Hinweis auf ein Buch, das ich per Tweet gesucht hatte und bei den üblichen Quellen auch nicht fand. Das hatte ich zum Ende des Bachelors, als mir so langsam klar wurde, in welche Richtung der Master gehen könnte, schon komplett gelesen und sogar im Blog besprochen, aber nie gekauft, wozu auch, ich hatte es ja gelesen und es steht in allen Bibliotheken grmbl repeat. Vielleicht lag es an meiner Bräsigkeit oder daran, dass ich nicht vernünftig gucken kann, aber bei Booklooker war das Werk dann doch zu haben und ich bestellte es sofort. Das schrieb ich der freundlichen Hinweisgeberin per Mail als Antwort, worauf sie meinte, ach Mist, das hätte sie mir doch bestellt. Dann gibt’s eben was vom Wunschzettel und das war Effingers von Gabriele Tergit.

Die Hymnen beim Perlentaucher sprechen eine sehr deutliche Sprache, und mit Familiengeschichten kriegt man mich ja bekanntlich immer. Nicole Henneberg ist die Neu-Herausgeberin des Werks von Tergit und erzählt hier zehn Minuten lang etwas zur Autorin und ihrer Zeit. Wer nicht gerne hört, kann hier ein Interview im Deutschlandfunk mit ihr lesen.

Ich bin sehr gespannt! Vielen Dank für das Geschenk (und den Tipp), ich habe mich sehr gefreut.