Was schön war, KW 37 – Biergarten, Feedback, Stadion

Im letzten Wochenrückblick noch gemeckert, dass ich in diesem Jahr noch in keinem einzigen Biergarten gewesen war – und am Tag der Veröffentlichtung dann in einen Biergarten geradelt. Natürlich mit Taschenbuch als Wespenschutz, falls die Bierdeckel mal aus sind.

Endlich die dritte Staffel von „Master of None“ geguckt und sehr gemocht. Fokus auf Frauen, hier Schwarze Frauen. Gefiel sehr, bis auf wenige, eeeewig lang ausgedehnte Einstellungen, weil’s halt artsyfartsy sein sollte, glaube ich.

Ich erwähnte meinen neuen Kleiderschrank, der, ja, schon gut, vom schwedischen Möbelhaus geliefert wurde. Genauer gesagt, kamen sechs Pakete per Spedition bei mir an. Ich hatte mir vorher bräsigerweise nicht auf der Website durchgelesen, wieviele Pakete es hätten sein müssen; erst beim Zusammenbauen merkten F. und ich, dass da wohl zwei Pakete zuviel angekommen waren.

Ich notierte mir den Produktnamen und mailte der Spedition, dass hier was rumstände, was wieder abgeholt werden könnte. Dann versuchte ich auf der Ikea-Website, auf diversen Pfaden zu irgendeinem Formular zu kommen, mit dem ich mein Begehr loswerden konnte. Ich fand schlussendlich zwei, bei denen ich auch brav alles eintippte, was ging – nur um dann zweimal ins Nirvana geschickt zu werden, einmal per 404 und einmal per „You don’t have permission to“ irgendwas.

Die Spedition meldete sich immerhin nach vier Tagen telefonisch und war offensichtlich hoch erfreut, dass jemand freiwillig wieder was hergibt, nach dem sie vermutlich schon suchten. Zwei Tage später waren die zuviel gelieferten Schranktüren wieder aus meinem Flur verschwunden. Ich musste bei dem Ganzen an meinen Vater denken, der mal aus Gründen eine Ikea-Küche bestellt hatte und danach mit allen Hotlines wahnsinnig wurde, weil irgendwas fehlte. Er stammt halt noch aus einer Generation, in der man zum Schreiner Müller am Ort geht, der fräst dann eine Küche, baut sie ein, und wenn was fehlt, fragt man bei Herrn Müller nach, der kommt dann rum oder schickt seinen Lehrling. Die Idee, mit einem globalen Konzern und Call Centern zu reden, damit irgendwer einen fehlenden Regalboden von irgendwoher nach Hannover schickt, hat ihn nachhaltig an der Moderne zweifeln lassen.

Ich hätte auch gerne einen bezahlbaren Herrn Müller, der mir einen Kleiderschrank macht, aber das macht Herr Müller halt nicht für das wenige Geld, was jetzt Ikea von mir bekommen hat. Ich erinnere mich aber gerne an die maßgeschneiderten Schränke, die ich in unser Hamburger Bad hatte einbauen lassen. Die waren ungefähr zehnmal teurer als das, was der Schwede von mir hätte haben wollen, und genau das wollte ich jetzt für einen Kleiderkasten nicht ausgeben. (Die waren aber auch zehnmal schöner. Seufz.)

Ich habe den Wagner-Brocken niedergerungen. Irgendwann verging mehr leider etwas die Lust, das zwanzigste Buch als Inhaltsangabe zu lesen, nur weil irgendwo eine Wagner-Thematik vorkam. Auch die für mich persönlich interessantesten Auswirkungen Wagners in anderen Kunstformen – nämlich der Bildkunst – kam mir leider deutlich zu kurz. Aber dafür kann der Autor ja nichts, dass ich mich mehr für Anselm Kiefer interessiere und weniger für Willa Cather, von der ich immer noch nicht weiß, warum sie so irre viel Platz im Buch bekommen hat.

Was ich allerdings überraschend fand, war die Zuneigung des homosexuellen Publikums zum Komponisten. Mir ist in den eigenen Opernbesuchen der letzten 35 Jahre durchaus aufgefallen, dass sich bei Wagner recht viele männliche Paare im Zuschauerraum aufhalten, aber dass das von Anfang an so war, war mir neu. „Über die Symbolik in Parsifal, die Speere, Wunden und Körperflüssigkeiten, haben Generationen von schwulen Opernbesuchern gekichert.“ (S. 347) Dass Wagners Förderer Ludwig II. homosexuell war, dürfte inzwischen auch in den letzten bayerischen Fankreisen nicht mehr wegdiskutiert werden, und die Homosexualität Siegfried Wagners war ein offenes Geheimnis. (Das wusste ich immerhin.)

„Wagner wurde Teil des Curriculums für schwulen Geschmack. Als Magnus Hirschfeld seine ersten Untersuchungen zu schwuler Identität und schwulem Verhalten veröffentlichte, zitierte er Krafft-Ebings Fallstudie […] In Hirschfelds Buch Die Homosexualität des Mannes und des Weibes von 1914 beschreibt er Bayreuth als ‚ein[en] sehr beliebte[n] Sammelplatz von Uraniern aus aller Herren Länder.‘ Hirschfeld war 1911 bei den Festspielen und könnte dieses Treiben selbst beobachtet haben.“ (S. 351)

Esse derzeit wieder sehr viel Zeug mit Tsaziki nebenan, also Jogurt, in den ich Gurke und Knoblauch reibe. Hier ist es Brokkoli im Kichererbsenteig. Schnelles Essen für den Feierabend.

Der Verlag meldete sich und kündigte das Word-Dok an, das ich Ende Juli eingereicht hatte und über das nun ein Korrektor (kein Lektor) rübergegangen war. Mein Kontakt beim Verlag ließ ausrichten, dass der Herr meine Arbeit sehr gerne gelesen hätte, ungefährer O-Ton: wissenschaftlich, aber sehr gut lesbar. Das hat mich außerordentlich gefreut.

Nun bin ich sehr gespannt darauf, wie das Dok bei mir ankommt – und wie ich damit weiterarbeite. Bei meiner derzeitigen Agenturbuchung merkte ich nämlich erstmals, dass mein Office-Paket von 2008 langsam in die Knie geht. Ich erwarb es legal zum Start der Selbständigkeit und machte auch brav alle Updates, aber ich weiß gar nicht, seit wann keine mehr kamen. 2018 dachte ich über einen neuen Rechner mit neuer Software nach (mein geliebtes Macbook Air ist von 2012), aber da saß ich schon an der Diss und wir wissen ja alle: Never touch a running system. Und so ruckelt meine alte Software weiter unter der alten Haube, bis die Diss als Buch im Regal stehen wird, und DANN gibt’s einen neuen Rechner (weil ihr alle mein gut lesbares Buch kauft und ich reich werde).

Ich merkte in der letzten Woche, dass ich einige Kundendokumente nicht vernünftig öffnen konnte bzw. nicht alles lesbar war, was in ihnen steht. Mit LibreOffice kann ich sie lesen und schicke dann meine Uralt-Excel-Doks wieder zurück, das geht. Aber ob mein Uralt-Word jetzt alle Korrekturen lesen kann? Ich werde 17 Sicherungskopien vom Verlagsdokument machen, eine mit LibreOffice öffnen, eine andere auf F.s recht neuem Rechner und eine normal auf meinem und dann wild vergleichen. Nicht dass mir noch langweilig wird.

Eine kleine innere Kettenreaktion ausgelöst. Also.

Seit vergangenem Samstag brummt Robotron II hier durch die Gegend, hält meine Wohnung sauber und macht mich sehr glücklich. Meistens jedenfalls. Montag nacht um 2.30 Uhr eher weniger, denn da meinte er, zweimal laut eine Tonfolge von sich geben zu müssen. Könnte mir egal sein, aber seine Home Base steht im Arbeitszimmer neben meinem Schlafzimmer, und die Tür ist offen und ich war dementsprechend um 2.30 Uhr wach. Ich machte Licht, schaute nach, ob’s ihm gut geht, löschte das Licht wieder und versuchte einzuschlafen. Klappte eher so mittel, vor allem, als der Herr um 3.30 Uhr dann nochmal sein Liedchen pfeifen musste. Dieses Mal schleppte ich ihn in die Küche, schloss die Tür und las ein Stündchen, weil ich eh nicht schlafen konnte. Der Dienstag war dann auch eher zäh, aber ich verzieh dem Kleinen sein Gequengel wieder.

Trotzdem trug ich Robbi die nächsten Nächte auch wieder in die Küche. Ohne Home-Base, denn meine Küche ist gefühlt mit zu viel Zeug und zu vielen Möbeln zugestellt, um auch noch seine Basis unterzubringen. Da mich aber das Hin- und Hertragen nervte, stellte ich Donnerstag kurzerhand die halbe Küche um, räumte Geschirr in andere Zimmer, warf launig Zeug weg, überlege außerdem, ein Regal umzustreichen, und der Piepskopf wohnt jetzt weit genug von meinem Bett entfernt unter dem Küchentisch.

Was das Geräusch mitten in der Nacht zu bedeuten hatte, habe ich übrigens immer noch nicht rausgefunden. Weder die Bedienungsanleitung noch die App noch das Interweb konnten mir helfen. Was habe ich mir da bloß ins Haus geholt?

Und dann war gestern endlich mal wieder Stadion angesagt, nach anderthalb Jahren Pause. Leider nicht in Augsburg, sondern in einem kleinen Stadion hier in der Stadt.

F. und ich trafen Frau Neubauer und Herrn Ost und nahmen recht ungewohnte Plätze ein, nämlich in der Nordkurve direkt hinter dem Tor. Momentan dürfen ein Drittel der normalen Zuschauerzahlen ins Stadion, das sind hier in München immer noch 25.000. Zunächst bekommen, soweit ich weiß, die Dauerkartenbesitzer:innen eine Zuteilung, wenn sie nach Karten fragen, dann Mitglieder – oder umkehrt –, erst dann der Rest. Läuft in Augsburg ähnlich. Dabei kann man aber nur nach Preiskategorie anfragen, nicht nach bestimmten Plätzen. Heißt: Auch die Dauerkarteninhaber:innen sitzen nicht da, wo sie üblicherweise sitzen, denn zwischen den Leuten muss schließlich Platz gelassen werden. In der Arena schienen im Oberrang nur hinter den Toren Karten vergeben worden zu sein, ansonsten saßen alle 25.000 im Mittel- und Unterrang. Auch die Auswärtsfankurve war gut besetzt, im Gegensatz zur heimischen Südkurve, dort wird nicht supportet, bis wieder alle rein- und stehen dürfen. Daher war es äußerst ruhig im Stadion.

Was sonst noch war: 3G. Man musste beim Einlass vor dem Abtasten das Impfzertifikat oder ähnliches vorzeigen und dann beim Drehkreuz, wo man sein Ticket scannt, nun auch noch den digitalen Impfnachweis scannen. Erst dann sprang das Licht auf grün und man konnte durchgehen. Das wurde auch auf der Website des FC Bayern deutlich kommuniziert: Wer keinen digitalen Nachweis hat, muss sich vor dem Spiel einen besorgen. Dafür wurden anscheinend die Ticketboxen vor den Einlässen umgebaut: Nun konnte man sich dort gegen Vorlage z. B. des Impfpasses oder eines Testergebnisses einen QR-Code ausstellen lassen, damit man durch die Drehkreuze kam. Die Schlangen an den Boxen übertrafen die vor den Einlässen um Längen, und ich meine, LÄNGEN. Auch ein paar Testmöglichkeiten waren da, die anscheinend auch genutzt wurden, was mich wieder etwas nervöser werden ließ, weil ich natürlich dachte, es sind alle geimpft und wenn nicht, geht man nicht in Stadien, aber mei. Natürlich nicht.

Der Einlass selbst war dann ein Klacks im Unterschied zu sonst, wo man gefühlt 15 Minuten in einer dichten Menschentraube steht, bis man endlich reinkommt, weil halt sehr viele Menschen reinwollen. Nun waren Abstandsmarkierungen auf dem Boden, es trugen auch alle brav Maske, wenn auch nicht alle FFP2. Erst am Platz durfte man die Maske abnehmen. Ich hatte in der U-Bahn schon gemerkt, dass fast alle Bochumer nur die medizinischen Masken tragen, vermutlich weil man nur noch die in Nordrhein-Westfalen tragen muss, auch in den Öffis. Das war mir auch in Niedersachsen aufgefallen, dass ich mit FFP2 total overdressed war. Aber hier in Bayern gilt halt FFP2, (Seit dem 2. September reicht auch bei uns die OP-Maske, danke, @el_loko74), wobei ich keinen einzigen Ordner mitbekommen habe, der die Maskenpflicht durchsetzen wollte. Es waren eh deutlich weniger als sonst unterwegs.

Ich wollte gerne gegen Bochum ins Stadion, weil der FCB und Bochum eine Fanfreundschaft pflegen. Das heißt, wir sind uns alle grün und man muss keinen Stress erwarten, wenn man mit Fanschal durch die Gegend läuft. Normalerweise trage ich den nicht mehr, weil ich mich nicht mehr als Bayern-Fan sehe, aber ich kleide mich seit einiger Zeit fast ausschließlich in blau, die Farbe von Bochum, und wollte dann doch klarmachen, für wen ich die Däumchen drücke. Darüber ärgerte ich mich schon in der U-Bahn, weil gestern allen Ernstes nicht nur das FCB-Heimspiel, sondern auch das von 1860 München stattfand, und die beiden Vereine bzw. einige ihrer Fans sind sich alles andere als grün. Ich bekam von einigen Trikotträgern böse Blicke ab, aber immerhin kam mir niemand zu nahe wie vor ewigen Zeiten mal am Hauptbahnhof, als wir in Augsburg-Kutten wiederkamen und ein Sechziger mir meinen Schal abnehmen wollte; die mögen Augsburg nämlich auch nicht. So war ich nach wochenlanger Vorfreude schon auf dem Weg zum Stadion eher genervt von allem.

Aber das legte sich, als ich im Stadion war. Ich war selbst davon überrascht, wie gut auf einmal die Laune wieder war, obwohl das nicht mehr meine Mannschaft ist, wie ich während des Spiels sehr deutlich merkte. Trotzdem: Im Rudel irgendwo rumhocken, Spielern beim Aufwärmen zuschauen, die Vorfreude, gestern war dazu auch noch perfektes Wiesnwetter, wie es sich gehört, und man hatte durch die eingeschränkten Zuschauerzahlen sogar mal Platz am Platz. Keine Füße von hinten im Kreuz, auch keine Raucher:innen um uns herum, aber dafür zwei gut gelaunte Bochum-Fans zwei Reihen hinter uns. Die Reihe dazwischen war nicht leer, aber wir saßen alle schachbrettmustermäßig versetzt, und Frau Neubauer und ich verbrüderten uns kurz mit den Herren, wünschten allesamt ein schönes Spiel, was man halt so macht. Ich brüllte Spielernamen bei der Aufstellung in den Himmel, das hatte ich auch schon lange nicht mehr gemacht, alles herrlich.

Auch die Bochumer hinter uns hatten zunächst Spaß, sprachen nach 30 Sekunden von „100 Prozent Ballbesitz“ für Bochum, „läuft doch“, sangen alles mit, was aus der Kurve kam und hatten gute Laune, auch wenn sie schon vor dem Spiel meinten, dass sie hier hoch verlieren würden. (Was sie auch taten.) Ich weiß nicht mehr, in welcher Spielsituation es war, aber einer der beiden regte sich über eine Schiri-Entscheidung auf und meinte: „Wieder so’n schwuler DFB-Schiedsrichter“, woraufhin Max und ich uns umdrehten und deutlich hörbar ein unwilliges „HEY!“ an ihn richteten. Max machte es deutlicher: „Schwul ist kein Schimpfwort.“ Von hinten kam ein „Lass mich in Ruhe“ oder ähnlich zurück, wir guckten weiter Fußball, aber der Herr war jetzt angenervt. Über den Rest der Halbzeit hörte man ständig Dinge wie „Man darf ja nichts mehr sagen“, „Man muss doch Emotionen im Stadion rauslassen können“, „Die sollen sich nicht so anstellen“ uswusf. Woraufhin Max und ich, auch wieder ohne uns irgendwie abgesprochen zu haben, uns mit dem Halbzeitpausenpfiff nach hinten umdrehten und erneut das Gespräch suchten, denn anscheinend gab es ja Gesprächsbedarf.

Ich kürze das mal ab: Er meint das nicht so, er hat einen schwulen Kollegen, wenn sein Sohn schwul sei, wär das total in Ordnung, soll bitte jeder jeden lieben, wie er mag, aber das hier ist Fußball, da geht’s um Emotionen und wir dürften das nicht so eng sehen, wie kennen ihn ja gar nicht, jeder, der ihn kennt, weiß, dass er nichts gegen Schwule hat. Meine Gegenargumente halfen nicht viel: Wenn du einen schwulen Kollegen hast, wie kannst du das dann als Schimpfwort nehmen? Nimm eins von den 8000 anderen Adjektiven, die wir haben. Und ja, wir kennen dich nicht, aber genau das ist das Problem, das hier ist öffentlicher Raum und da hören eben nicht nur deine Kumpels, dass du schwul als Schimpfwort nimmst, was du vielleicht gar nicht so meinst. (Warum sagst du es dann?)

Wir trennten uns im Bewusstsein, uns nicht wirklich überzeugen zu können, sprachen dann noch kurz über Fußball, so war dann anscheinend wieder alles in Ordnung, jedenfalls kam in der zweiten Halbzeit nichts mehr von hinten, aber bei einem 0:4-Rückstand zur Pause war da auch nicht mehr viel. Die beiden gingen nach dem 0:7, weswegen wir uns nicht mehr verabschiedet haben.

Max und ich sprachen nach dem Spiel noch kurz über die Situation. Auch wenn wir bei den beiden (oder dem Schreihals) vielleicht nichts ausrichten konnten, so hofften wir beide, dass die Umsitzenden etwas mitgenommen hätten. Auch auf die Kinder und die Vorbildfunktion kamen wir nämlich mit den beiden zu sprechen. Zwischen uns in der Reihe saß auch gerade die klassische Kleinfamilie, Mama, Papa, zwei Kinder, die sich alles interessiert anhörten. Wie überhaupt viele uns interessiert zuhörten, aber niemand was sagte, was auch okay war. Die Diskussion verlief für ein Fußballstadion in durchaus zivilisiertem Rahmen, was mich freute, weil ich halt doch ein Schisser bin, siehe oben, wo ich vor den 60ern lieber wegging und den Waggon wechselte. Das „Hey“ war auch eine Impulsreaktion, ich dachte da gar nicht drüber nach, aber ich war froh, dass Max sich auch geäußert hatte.

Ansonsten war ich nach 20 Minuten geistig schon wieder beim Bier zuhause, weil das eben nicht mehr meine Mannschaft ist. Ja, toller Fußball, ja, tolle Spieler, aber ein 7:0 ist halt endslangweilig. Ich weiß, Jammern auf fast unverschämtem Niveau, aber Augsburg siegte gestern gegen Gladbach mit einem lausigen 1:0 in der 80., und wir wären dort so dermaßen eskaliert, während man hier halt rumsaß und das 6:0 nur noch höflich, aber desinteressiert beklatschte.

Trotz allem: Das war schön, wieder im Stadion zu sein, und ich denke jetzt über eine Fahrt nach Augsburg nach.

Abends stießen wir noch mit frisch gebrautem Oktoberfestbier an – „auf eine friedliche Wiesn“ –, für mich gab’s noch eine Breze und Radi dazu, den esse ich neuerdings auch zu allem, und dann übermannte mich die übliche Stadionmüdigkeit. Hatte ich auch schon wieder vergessen, wie sich die anfühlt.

Was schön war, KW 36 – Arbeit, kein Fluss und ein Roboter

Beim Zoom-Call mit der Lieblingsagentur war hinter dem Text-CD die Speicherstadt zu sehen. *wimmer*

Ich weiß nicht, ob es an der derzeitigen, recht beflügelnden Buchung oder den neuen Medikamenten liegt, aber diese Woche habe ich mich sehr gut gefühlt, vernünftig (in meinem Sinne) gegessen, genug Sport gemacht und viel erledigt bekommen.

Einen Teil des frischen Einkommens gleich in einen Roboter angelegt. Seit Kai in Hamburg einen Roomba für uns angeschafft hatte, bin ich vernarrt in die kleinen Robbis, die für mich staubsaugen. Das Teil hat Kai bei unserer Trennung natürlich behalten, und ich war seitdem roboterlos. Jetzt nicht mehr, denn seit gestern brummt hier Robotron der Zweite durch die Gegend. Endlich nicht mehr bei den Sportübungen auf dem Boden alle drei Tage denken, gnarf, saugen müssteste auch mal wieder.

Der Kleine kann sogar Internet, und ich kann ihm vom Sofa aus Befehle erteilen. Entspricht total meiner Geisteshaltung. Ungünstige Platzierung der Benachrichtigungen auf dem iPhone, ich weiß. Arme Luise (hier in der älteren Münchner Wohnung).

Der Weg zum Lieblingsbäcker führt mich immer über einen Friedhof. Am Dienstag schlenderte ich in der Mittagspause gerade über ihn, als ich ein Geräusch hörte, das mir nicht bekannt vorkam. Es klang wie Wasser, und ich überlegte, ob es neuerdings hier einen Springbrunnen gibt. Gab es nicht. Das Rauschen war schlicht die riesige Krone eines riesigen Baums, durch die der Wind ging. Hatte ich in dieser Intensität noch nie wahrgenommen. Das war schön.

*googelt Laubbäume und ihre Namen*

Die Woche war angenehm warm, so dass F. und ich am Dienstag spontan auf dem Balkon sitzen konnten. Gestern regnete es allerdings, so dass wir unsere Biergartenverabredung mit dem dritten Podcastteilnehmer, den wir schon ewig nicht mehr gesehen haben, absagen mussten. Ich war in diesem Jahr noch nicht im Biergarten und prangere das sehr an.

Erdnussbutter und ich, das ist eine Geschichte der Vernachlässigung. Ich habe das Zeug irre schnell über, dann esse ich es ein halbes Jahr lang nicht, dann esse ich es eine Woche den ganzen Tag und dann geht alles von vorne los. Weswegen ich nie weiß, ob ich jetzt ein halbvolles oder ganz volles oder gar kein Glas davon im Schrank stehen habe. Meist denke ich irgendwann spontan beim Einkaufen, hey, JETZT Erdnussbutter haben wollen, dann wird das Glas gekauft, nur damit ich zuhause feststelle, dass ich noch ein halbvolles habe. Das riecht meist aber schon ranzig, weswegen ich es wegwerfe und das neue öffne. Und das werfe ich dann in einem halben Jahr weg, weil siehe oben.

Was ich eigentlich sagen wollte: Die Brantner-Krustis sowie das Sesam-Ciabatta schmecken ganz ausgezeichnet mit Erdnussbutter und Himbeermarmelade. Erinnert mich bitte im März 2022 daran, neue Erdnussbutter zu kaufen.

Wir haben Karten für das Bayernspiel gegen Bochum am kommenden Samstag. Das wird der Test werden, ob ich oder wir gemeinsam uns diese Saison noch in Stadien trauen oder lieber nicht. Wobei das Stadion das kleinste Problem ist, weil sich dort die Zugelassenen verteilen werden; in München darf ein Drittel der Sitzplätze belegt werden. Das sind aber immer noch 25.000 Leute, die im Zeitfenster von ungefähr zwei Stunden in der U-Bahn sein werden. Das ist das Problem. F. überlegt, ob er zu Fuß geht, ich denke übers Rad nach und ahne, dass die Faulheit mich die Bahn nehmen lassen wird. Falls das okay sein wird, würde ich auch Augsburg wieder in Betracht ziehen. In Zügen habe ich in den letzten Monaten oft genug gesessen, die schrecken mich nicht mehr; auch hier ist die pickepackevolle Tram vom Bahnhof zum Stadion der Punkt, über den wir nachdenken.

Bin jetzt auf Seite 552 des Wagner-Buchs. Noch fast 200 Seiten, aber wir sind jetzt endlich in der Weimarer Republik angekommen aka der historischen Periode, bei der es für mich interessant wird. Der Rest war auch interessant, aber jetzt greife ich deutlich häufiger zum Unterstreichbleistift.

Why CAPTCHA Pictures Are So Unbearably Depressing

Das fand ich spannend, weil ich mich das durchaus auch schon mal gefragt hatte: Wieso sind das immer so fürchterliche Bilder, auf denen ich Ampeln oder Boote anklicken muss? Der Artikel beantwortet es in Kurzform so: weil KI Bilder für KI und nicht für uns macht. Der Algorithmus kennt erst einmal keine Ästhetik oder Perspektive und dem Konzern dahinter ist beides egal.

„CAPTCHA images are pictures of the outside world, but it’s a world that is unsettlingly bare of people. This is likely for privacy reasons, which is a laudable motive on Google’s part. But it winds up making the pictures look totally postapocalyptic. Each CAPTCHA depicts a world blasted by a neutron bomb, where the objects survive but none of the people do. […]

Google’s CAPTCHA images are frequently grainy and badly focused. This is likely because, as Vox points out, Google has gone through most of the easy visual-recognition training cases, where the pictures were clear and sharp. Now they’re stuck with the hard stuff, which tend to be pictures of terrible quality. This gives CAPTCHA images the low-res feel of a crime-scene video, as Todd noted in a tweet: “They remind me a lot of CCTV or dashcam video footage.” When you look at the pictures, it feels like you’re about to see some terrible incident. […]

When you get those CAPTCHAs that chop up a single photo into sixteen squares, the imposition of those crisp white lines feels so disconcerting. It’s an alien view of the world: Behold the riddle of human existence. What could it possibly mean? By asking us to identify elements of an image that are sliced into pieces — “Select all squares with traffic lights” — CAPTCHAs turn everyday reality into a puzzle that no normal human would ever think of as a puzzle.
This is what’s so disquieting about the exercise. We’re being asked to parse the world in the visual-scanning style of an AI. Which, in turn, makes you feel like an AI, hunting for meaning in a baffling world.“

Ein kleiner Thread von mir zum alten Kochbuch meiner Mutter.

Marmorkuchen nach Beate Wöllstein

Ein Rezept aus Wöllsteins Die große Backschule. Kuchen, Gebäck und Desserts: Küchenpraxis, Warenkunde, Rezepte, das mir sehr gut gefällt, sowohl Rezept als auch Buch. Das Buch versammelt im ersten Teil viele Grundteige, auf denen dann der Rezeptteil aufbaut. Dabei sind nicht alle Teige so, wie ich persönlich sie gerne mag, aber das ist schließlich immer Geschmackssache. Brioches backe ich weiterhin nach dem Rezept von La Paticesse, das gefällt mir besser durch seine lange Gehzeit. Trotzdem: Blättert in der Buchhandlung einfach mal rein.

Ich habe natürlich ein Marmorkuchenrezept, und so irrwitzig viel anders sind die Mengen hier auch nicht. Es kommt deutlich mehr Zucker in den Teig als bei meinem Standardrezept sowie mehr Eiweiß. Beides sorgt dafür, dass dieser Kuchen nicht so saftig-schwer ist, sondern stattdessen äußerst fluffig. Ich behaupte, ohne die Schokoschicht außen herum würde er fast auseinanderfallen.

Normalerweise backe ich Marmorkuchen in der Kastenform, das Buch möchte aber einen Gugelhupf. Die untenstehenden Mengen reichen für eine große Form mit 28 Zentimeter Durchmesser oder für zwei kleine mit 18. Meine ist 23 Zentimeter groß, ich habe 3/4 des Rezepts verwendet und das hat hervorragend gepasst.

Erstmal die Form ordentlich buttern und mit Mehl bestäuben. Überschüssiges Mehl abklopfen. Den Ofen auf 230° Ober- und Unterhitze vorheizen.

In einer Rührschüssel
250 g zimmerwarme Butter (Wöllstein möchte Süßrahm) mit
375 g Zucker und
dem Mark einer Vanilleschote länger aufschlagen, bis alles schön schaumig ist. Nach und nach
60 g Eigelb hinzugeben. Das sind ca. 3 Eier.

180 g Milch abmessen.

500 g Mehl, Type 405, mit
15 g Backpulver mischen.

Mehlmischung und Milch abwechselnd zur Butter-Zucker-Mischung geben und unterrühren.

90 g Eiweiß steif schlagen und vorsichtig unterheben.

45 g entöltes Kakaopulver mit
40 g Zucker und
80 g Milch vermischen, bis der Mix klumpenfrei ist.

Etwa 500 g des Teiges abnehmen und in einer weiteren Schüssel mit der Kakaomischung verrühren. Nun ein Drittel des hellen Teigs in die Backform füllen, den Schokoladenteig darüber und mit dem restlichen hellen Teig abdecken. Bei jedem Füllvorgang mit einer Gabel lustige Muster machen.

Den Kuchen im vorgeheizten Ofen für 10 Minuten anbacken. Herausnehmen und mit einem kleinen nassen Messer rundum in der Mitte einritzen. Die Form wieder in den Ofen stellen, die Temperatur auf 180° reduzieren und für weitere 40 bis 50 Minuten backen. Normalerweise dauert bei meinem Ofen alles länger als in Rezepten angegeben, hier waren 40 Minuten schon perfekt. Stäbchenprobe machen! Den fertigen Kuchen aus dem Ofen nehmen und in der Form komplett auskühlen lassen, erst dann vorsichtig auf ein Gitter stürzen.

Wenn der Kuchen erkaltet ist, mit Aprikotur versehen. Dafür
100 g Aprikosenkonfitüre mit
30 g Wasser aufkochen, alles pürieren, noch einmal kurz aufkochen und dann sofort mit einem Pinsel auf den Kuchen streichen. Erneut erkalten lassen.

Wöllstein hätte nun gerne eine Mischung aus flüssigem Fondant und Kuvertüre (250 g Fondant, 20 g Wasser, 50 g bittere Kuvertüre). Hatte ich nicht, wollte ich nicht, ich habe alles mit 200 g bitterer Schokolade überzogen und erneut erkalten lassen. Dieser Kuchen braucht leider Geduld. Lohnt sich aber sehr.

Kurkuma-Tofu mit Honigglasur

In der NYT heißt das Rezept Kurkuma-Huhn mit schwarzem Pfeffer und Spargel, aber ich habe da einiges ausgetauscht. Unten steht das Originalrezept mit meinen Abwandlungen. Kurzfassung: In 20 Minuten großartiges Futter. Angeblich soll es für vier Personen reichen.

Erstmal Jasminreis oder ähnliches als Beilage aufsetzen. Bei war gab es auch noch ein paar Vermicelli-Nudeln dazu, ich konnte mich nicht entscheiden.

Dann die ganzen Vorbereitungen erledigen, damit alles neben der Pfanne oder dem Wok steht, die Kochzeit ist quasi ein Wimpernschlag.

In einem Schälchen
60 ml (1/4 cup) Wasser mit
3 EL Honig,
einem knappen TL schwarzem Pfeffer und
1/2 TL Salz verrühren. Beiseite stellen.

350 g schnell bratendes Gemüse in mundgerechte Stücke schneiden. Bei der NYT war es grüner Spargel, bei mir waren es Brokkoliröschen, TK-Erbsen und TK-Edamame, flugs in warmem Wasser angetaut.

450 g Huhn (bei mir Naturtofu) in mundgerechte Stücke schneiden. In einer Schüssel
2 EL Mehl mit
1 1/2 TL gemahlenem Kurkuma vermischen. Huhn oder Tofu darin wenden, bis alle Stücke hübsch bestäubt sind.

In einer Pfanne das Fleisch oder den Tofu in
1 EL neutralem Öl bei mittlerer bis höherer Hitze anbraten, bis alles fast so gebräunt ist, wie ihr es gerne mögt. Das Gemüse dazugeben und ebenfalls so lange braten, bis es für euch gut aussieht. Die NYT behauptet, das dauert alles nur fünf Minuten, hat bei mir ungefähr hingehauen.

Alles mit der Honigsauce übergießen und kurz eindicken lassen. Vom Herd nehmen und noch
1 TL Reisessig (oder Sojasauce) einrühren. Dringend mit
Limettenspalten servieren, die fand ich deutlich besser als den Essig. Sojasauce ruiniert ein bisschen die hübsche Farbe, glaube ich, habe ich aber noch nicht ausprobiert. Mit dem Reis sofort servieren.

Das hat so gut geschmeckt, dass ich das einen Tag später gleich nochmal gemacht habe, dieses Mal mit Erdnussbutter statt Honig, der war mir einen winzigen Hauch zu süßlich, und einer Runde Chiliflocken, die ich in die Mehlmischung gegeben habe. Für die Sauce einfach einen Klecks Erdnussbutter mit dem Gemüse in die Pfanne geben und alles mit Wasser ablöschen. Eine kleine Handvoll Erdnüsse darüber schadet auch nie. Und ein paar Frühlingszwiebeln. Ich ahne, dass man auch noch Koriander … aber ich schweife ab.

Was schön war, KW 35 – Alles irgendwie

Fenster geputzt mit dem üblichen Effekt: Wow, ist das auf einmal hell hier.

Am vergangenen Sonntag gingen F. und ich in die Ausstellung von Matt Black im Kunstfoyer, „American Geography“ (hier die Seite des Künstlers mit Bildbeispielen). Sie läuft nur noch bis zum 12. September – wer noch Gelegenheit dazu hat, möge bitte reingehen. Kostet auch nichts.

Mir haben besonders die, ich nenne sie mal so, Cinemascope-Panoramen gefallen. Sie kamen mir vor wie eine große Erzählung, ein Epos, das mir mitteilt, was bisher geschah. Indem man am Bild entlang ging, las man die Story, die allerdings meist von Verfall und Verzweiflung berichtete.

Ich mochte die vielen Stromleitungen, die Blacks Fotos zerschneiden, und ich mochte bis zu einem gewissen Grad seine Eigenheit, Bilder kippen zu lassen, also den Horizont eben nicht horizontal zu zeigen. Simple Lesart: Alles ist in Bewegung, nichts ist sicher.

Ich sah das erste Triell und muss mir die anderen beiden vermutlich nicht mehr anschauen. An meiner Wahlentscheidung hat der Schlagabtausch nichts geändert, ganz im Gegenteil. Mein Wahlbrief ist schon im Kasten.

In dieser Woche war ich gefühlt jeden Tag in der Uni-Bib oder an der Packstation oder in Postfilialen, in denen Pakete landen, die nicht mehr in die Packstation passen. Meine geliebte Station in fußläufiger Nähe ist leider seit Ende Juli abgebaut, daher radele ich jetzt durch die Gegend und lerne neue Packstationen kennen.

Buch 1: Der Katalog zur Ausstellung der Gottbegnadeten im DHM in Berlin. Der Katalog ist weniger textlastig als ich gehofft hatte, aber er bildet viele der Werke von Künstlern, die schon zur NS-Zeit erfolgreich waren und ihre Karriere launig in der Bundesrepublik fortsetzen konnten, ab, aus beiden Zeitperioden. Die Karte dieser Skulpturen ist netterweise auch online.

Im Vorwort stand ein Absatz, von dem ich mir wünschte, er wäre mir zur Diss eingefallen, in der ich „NS-Kunst“ immer in Anführungszeichen schreibe:

„Wir haben uns bemüht, diese Künstler nicht als ‚NS-Künstler‘ und ihre Werke nicht als ‚NS-Kunst‘ zu bezeichnen. Wir wissen, welche Bedeutung sie für die NS-Herrschaft hatten; wie sehr sie zu dieser Herrschaft beigetragen haben. Aber indem man eine bestimmte Gruppe als ‚die Nationalsozialisten‘ auszumachen versucht, entlastet man andere Gruppen und Strömungen. Damit verkleinert sich das Problem der Mitwirkung und man wird den historischen Gegebenheiten nicht gerecht.“

(Raphael Gross: „Die ‚Gottbegnadeten‘ und unsere visuelle Welt“, in: Wolfgang Brauneis/Ders. (Hrsg.): Die Liste der „Gottbegnadeten“ – Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, München 2021, S. 10/11, hier S. 10.)

Meine liebste Erklärung für „NS-Kunst“ stammt von Joan Clinefelter, ich copypaste mal meine eigene Fußnote:

„Joan L. Clinefelter schreibt, dass sich faschistische Kunst nicht durch bestimmte Motive oder einen einheitlichen Stil definiert, den es zudem nicht gegeben hat, sondern durch einen „interpretive gloss placed on the works.“ Sobald ein Werk in einem Kontext auftaucht, der durch Partei oder Staat als zugehörig oder offiziell definiert wird – Ausstellungen, Sammlungen, Publikationen –, ist es „NS-Kunst“. Vgl. Clinefelter, Joan: Artists for the Reich. Culture and Race from Weimar to Nazi Germany, Oxford/ New York 2005, S. 4.

Der eben genannte Wolfgang Brauneis, einer der Kuratoren der Ausstellung, erwähnte übrigens Protzen in seiner Eröffnungsrede. Im Katalog kommt er aber nicht mehr vor, danach suchte ich natürlich als erstes.

Buch 2 und 3 waren Leserinnengeschenke, vielen Dank! Von Brit Bennett las ich The Vanishing Half mit Begeisterung und freue mich daher sehr auf ihren Erstling, The Mothers. Im zweiten Buch, Kalte Heimat: Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 von Andreas Kossert las ich bereits das Vorwort – und musste feststellen, dass ich, obwohl meine Mutter aus dem ehemaligen Ostpreußen stammt, keine Ahnung von Vertriebenenpolitik nach 1945 habe. Alleine die Zahl der Geflohenen aus den ehemaligen Ostgebieten, die irgendwie im zerbombten „Altreich“ integriert werden mussten, erstaunte mich: 14 Millionen. Vierzehn Millionen! Und heute quengeln die Pappnasen von Rechtsaußen wegen eines Fliegers aus Afghanistan.

„Vor 1953 findet man für die Heimatlosen Bezeichnungen aller Art. Man sprach von Aussiedlern und Vertriebenen, von Flüchtlingen, Ostvertriebenen, Heimatvertriebenden, Ausgewiesenen und Heimatverwiesenen. 1947 setzte sich dann allmählich ‚Vertriebene‘ – expellees – durch, auch weil die amerikanische Besatzungsmacht das anordnete. Der Begriff sollte zum Ausdruck bringen, dass die Vertreibung endgültig war und keine Hoffnung auf Rückkehr bestand.“ (S. 10) In der DDR wurde spätestens 1950 „aus dem ‚Umsiedler‘ der ‚Neubürger‘.“ (S. 12) „Seit den 1960er Jahren spielte das Schicksal der Vertriebenen in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit kaum noch eine Rolle, und auch die Erinnerung an das historische Ostdeutschland schwand zusehends, bewahrt nur noch in den landsmannschaftlichen Biotopen. […] Vertriebene galten pauschal als Revanchisten, weshalb es unter Intellektuellen verpönt war, sich mit Flucht und Vertreibung der Deutschen zu beschäftigen.“ (S. 13)

Eigene Nase. Ich habe die Bewohner der ehemaligen Ostgebiete auch immer als nervige Konservative bzw. rückständige Nationalisten wahrgenommen. Erst seit Kurzem, seitdem ich überlege, was es bei Omi eigentlich an ostpreußischen Spezialitäten auf dem Esstisch gab und ich seitdem nach Rezepten aus der Gegend googele (oder Mama frage), ahne ich, dass mein Urteil vorschnell war.

„Die oft gepriesene materielle Integration der Heimatlosen im Wirtschaftswunderland gelang letztlich, weil die Vertriebenen nicht in der Rolle der Betroffenen verharrten, sondern selbst Hand anlegten […] Überliefert ist aber die Geschichte der Einheimischen, die angeblich ganz allein durch ihre gewaltigen Leistungen die Heimatlosen integriert haben. Für die Historikerin Helga Grebing gehört die Ignoranz gegenüber den Landsleuten aus dem Osten zu den deutschen Verdrängungsleistungen nach 1945, war gleichfalls eine ‚Unfähigkeit zu trauern.‘ […] Dass die Aufnahme der 14 Millionen nicht zur politischen Dauermalaise wurde, die Radikalisierung ausblieb, dafür zahlten die Vertriebenen mit Verleugnung ihres Schmerzes und kultureller Selbstaufgabe. Schlesier, Ostpreußen, Pommern, Deutschböhmen und Banater Schwaben, die über Jahrhunderte beigetragen haben zur Vielfalt der deutschen Identität, hatten fern der Heimat nichts mehr zu melden.“ (S. 14 und 16)

Bin sehr gespannt auf den Rest des Buchs. Vielen Dank für beide Geschenke, ich habe mich sehr gefreut.

Dann schickte Lektorgirl noch Buch 4 vorbei: Wagnisse: 13 tragische Bauwerke und ihre Schöpfer. Klingt erstmal spannend und macht den Stapel noch höher. Ächz.

Denn aus der Uni-Bib holte ich dusseligerweise zeitgleich den Katalog zur Ausstellung im Bucerius-Kunstforum in Hamburg, „Moderne Zeiten – Industrie im Blick von Malerei und Fotografie“, die aber anscheinend ohne eine einzige Autobahn auskommt, sad. Und ohne einen Grossberg. Jetzt kann ich sie nicht mehr ernstnehmen.

Auch hier gelang mir bisher nur ein schweifender Blick in die Aufsätze, aber für diesen Absatz hat es sich schon gelohnt, weil ich innerlich nur so A-MEN, BROTHER, PREACH! vor mich hinbeckerfaustete.

„Industriefotografen pauschal zu den NS-Propagandisten zu zählen, würde den Ambivalenzen der historischen Wirklichkeit nicht gerecht. Auch wenn sich ein Mann wie [Albert] Renger-Patzsch mit dem Regime arrangierte, blieb er doch seiner Bildsprache der Neuen Sachlichkeit treu. Ohnehin sind die Kontinuitätslinien zwischen den 20er Jahren und dem ‚Dritten Reich‘ stärker als die Brüche oder Neuansätze. Gemeinschaft zu visualisieren, war etwa lange vor 1933 ein Topos der Industriefotografie, und auch die Porträts kräftig-stolzer Arbeiter waren keine Neuerfindung, sondern knüpften an ältere Traditionen an.“

Ralf Stremmel: „Dokumentieren und Inszenieren. Industriefotografie im Ruhrgebiet von 1860 bis 1960“, in: Kat. Ausst. Moderne Zeiten – Industrie im Blick von Malerei und Fotografie, Bucerius Kunst Forum Hamburg 2021, München 2021, S. 54–65, hier S. 62.

Renger-Patzsch fand ich in den Unterlagen im Bundesarchiv zur Ausstellung „Die Straße“ (1934), aber ich bin mir nicht sicher, ob seine Fotos schlussendlich ausgestellt oder nur angefragt wurden. Hat bei mir nur zu einer Fußnote gereicht.

Und das letzte Buch: Entnazifizierungsgeschichten. Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit von Hanne Leßau. Ich sah die Autorin in einer YouTube-Veranstaltung, ich meine, vom Fritz-Bauer-Institut, aber der Link ist inzwischen auf privat gestellt. Daher verweise ich faul auf die gute Besprechung bei hsozkult.

Wenn ich nicht gerade Bücher durch die Gegend trug, war ich mit F. Bier trinken (Freitag), saß am Schreibtisch (die ganze Woche) oder baute (gestern) mit F. meinen neuen Kleiderschrank auf. Kleiderschränke sind die Möbelstücke, die ich am garstigsten von allen finde, weswegen ich mich in jeder Wohnung über Abstellkammern freue, denn da landen alle meine Klamotten. In dieser Wohnung nutzte ich Kommoden mit Schubladen und die Garderobe und einen Teil des leider zu kleinen integrierten Wandschranks und gefühlt noch das Bad, aber irgendwann musste ich mir eingestehen: Du brauchst einen Kleiderschrank. Hab ich jetzt.

Vorletzte Woche entdeckte ich irgendwie die Serie „Five Bedrooms“, die es im irgendwo im Interweb gibt. Die zwei Staffeln ließen sich sehr gut weggucken. Wenn Sie „Please Like Me“ mochten, mögen Sie „Five Bedrooms“ vermutlich auch.

Auf Netflix läuft die zweite Staffel von „Never Have I Ever“. Darin nutzt die pubertierende Hauptperson die Sprachnachrichten ihres toten Vaters, um sich zu beruhigen. Und auf einmal fiel mir ein: So was Ähnliches habe ich ja auch.

Ich lösche Sprachnachrichten nie, eher aus Faulheit denn aus Berechnung. Aber so hörte ich vor ein paar Tagen, wie Papa mir nochmal im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zum 49. Geburtstag gratulierte – „wir melden uns dann später nochmal.“ Das war sehr seltsam, aber auch sehr schön.

Die Staffel endet mit diesem Song, der seitdem in meinen Ohren wurmt.

Am Donnerstag hatte ich einen sehr, sehr, wirklich sehr wütenden Blogeintrag über Impfgegner in den Fingern, aber netterweise hatte McSweeney’s den schon geschrieben. (Via @misscaro)

„Oh, you’re afraid of fucking side effects? Fuck you. You know what has fucking side effects? Fucking aspirin, fucking Tylenol. You could be fucking allergic to pineapple, you fucking fuckwit. Everything has side effects. You’re being a big fucking baby with a huge diaper full of fucking diarrhea, complaining about maybe feeling slightly tired for a day or two while your asymptomatic COVID case you get and pass to some innocent fucking kid could wind up killing them or someone else. Fuck you, you fucking selfish fucking shit-banana, you unredeemable ass-caterpillar, you fucking fuck-knob with two fucks for eyes and a literal poop where your heart should be. You want a two-month-old to wind up on a fucking ventilator instead of you, a fucking adult, getting a fucking sore arm for a day? What are you, a pitcher for the Yankees? A fucking concert pianist? An arm model? Get the fuck out of here! Fuck you. Get vaccinated. Fuck. Fuck you!“

Ja, ich weiß, mit Anschreien bringt man niemanden dazu, sich vernünftig zu verhalten, aber nach anderthalb Jahren Nettsein, Überzeugen, Impfwerbung, Kanzlerinnenansprachen, Twitter-Threads und Drosten-Podcasts habe ich keine Lust mehr. Es war sehr beruhigend, den Artikel zu lesen.

Die Bilder in diesem Beitrag stammen von den Insta-Accounts Frances Palmer und Triple Wren Farms. Weil ich es schön finde, auf Insta lauter Blumen zu sehen.

Als Rausschmeißer noch einen Artikel aus der LA Book Review. Der jüdische Autor und Musiker Paul Festa schreibt über den Wagner-Brocken, den ich noch ein paar Wochen lese. Lohnt sich alleine für die herrliche Zusammenfassung der Götterdämmerung: „In which Siegfried is drugged into cheating on Brünnhilde, so she cancels everything with a torch, including him, herself, her horse, her father, his family, and the new construction.“

„Cancellation of the Gods“ nähert sich Wagner aus verschiedenen Richtungen und ich habe jede Zeile gern gelesen.

„I recently found myself accused of Jewish Wagner sympathy after asking on social media if anyone could recommend a production of Tristan und Isolde for my college seminar “Music for Masochists: Five Centuries of Difficult Listening in Western Classical Music.” Tristan gave tonal music a hard shove toward a sheer cliff and as such plays a pivotal role in the story of difficult music.

In response to my query, amid a few recommendations, someone deposited the hashtag #wagneriscancelled and assigned me to watch the Sarah Silverman music video about Jewish people who drive German cars. This stung: my first and most beloved car, the gift of my Jewish mother’s Jewish second husband, was a blue 1967 Volkswagen Bug. When you turned on the radio the windshield wipers activated; it was too human to be a Nazi.

I responded with a defense of Tristan that was heartfelt but also dishonest in a sense: I’d already canceled Wagner, at the age of 14. I needed help choosing a Tristan because I barely knew the opera, and that’s the Wagner opera I knew best. […]

Wagnerism [der Wagner-Brocken von Alex Ross] is primarily a book about the composer’s influence on nonmusical spheres. “Wagner’s effect on music was enormous,” Ross writes, “but it did not exceed that of Monteverdi, Bach, or Beethoven. His effect on neighboring arts was, however, unprecedented, and it has not been equaled since, even in the popular arena.” This struck me as overstated before getting through the book — not after. The cumulative effect of Ross’s survey is to suggest a kind of key to all modern mythologies: no significant political or aesthetic movement in the West seems to have escaped Wagner’s influence. Another effect is to confirm Ross’s status as a virtuoso generalist, equally at home in the harmonic thickets of the score as in the most unexpected corners of the literary fin de siècle. “Writing this book,” Ross declares in his introduction, “has been the great education of my life.”

Nach der Einleitung folgt eine Art Tagebuch, in dem Festa elf Wagner-Opern auf Video anschaut und seine Gedanken wandern lässt. Daraus kann ich kaum zitieren, weil alles aufeinander aufbaut, aber ich lege euch diesen Ritt sehr ans Herz. Und dieses Bernstein-Zitat für die Wagnerdooffinder: “I hate Wagner,” [Leonard] Bernstein said. “But I hate him on my knees.”

Bücher Juni bis August 2021

Der Stapel ist etwas kleiner als der letzte. Im Norden las ich sehr viel, dann kam anscheinend wieder eine Pause, und momentan sitze ich am dicken Wagner-Buch. Das wird auch noch dauern, bis ich damit durch bin. Kauft es einfach und lest mit mir mit!

Taffy Brodesser-Akner – Fleishman Is in Trouble

Hat mir gefallen, ich erwähnte es hier sehr kurz in einem Ausschnitt. Hier der Perlentaucher zur deutschen Fassung.

Wolfgang Ruppert – Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert

Sehr lesenswert, jedenfalls wenn man sich wie ich für das München Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts in Künstler:innenkreisen interessiert. Ich zitierte im Blog, wie Maler bei Wagner einschlafen und erwähnte hier, was genauer drin steht. Dort steht auch was zu den nächsten beiden Büchern.

Kristine Bilkau – Die Glücklichen

Siegfried Lenz – Der Überläufer

Emma Cline – The Girls

Einer der Favoriten aus diesem Stapel, hier im Blog erwähnt.

Connie Palmen – Logbuch eines unbarmherzigen Jahres

Das klingt jetzt sehr hartherzig, aber es ist schon fast absurd, dass zwei Ehemänner der Autorin versterben und sie über beide ein Buch schreibt. „I. M.“ fand ich großartig, „Logbuch“ liest sich sehr anders, viel analytischer und mit hundert Verweisen auf andere Witwer und Witwen, die über ihre Verstorbenen Bücher geschrieben haben. Trotzdem: Alleine für diese Stelle hat sich’s gelohnt:

„Wenn er [der verstorbene Ehemann] den kleinen Citybus nimmt, um einer Versammlung von Holland Symfonia in der Stopera vorzusitzen, kommt er an meiner Wohnung an der Prinsengracht vorbei. Er setzt sich dann immer auf die linke Seite des Busses und ruft mich an, wenn er an der Rozengracht vor der Ampel steht. ‚Geh man eben an dein Fenster“, sagt er, ‚ich komme gleich vorbei.‘ Ich höre auf zu schreiben, trete ans Fenster im ersten Stock und warte auf ihn, das Telefon in der Hand. Da kommt er, auf der anderen Seite der Gracht, wir winken einander zu, sagen hallo Liebling, hallo Schatz, winken, bis wir einander nicht mehr sehen können. Jetzt bist zu weg, sagen wir dann, bis nachher, bis dann.

Ich habe ihm nie erzählt, dass ich danach mindestens eine Stunde lang nicht mehr arbeiten kann, weil ich mich erst wieder von ihm losreißen muss.“ (S. 41/42)

Gabriele Tergit – Käsebier erobert den Kurfürstendamm

Ich habe Ihnen das schon mal ans Herz gelegt und mache das gerne wieder.

Friedrike Mayröcker – ich sitze nur GRAUSAM da

Mein erster Mayröcker. Ich weiß immer noch nicht, was ich eigentlich gelesen habe über sie und ihren Partner Ernst Jandl, aber wenn man den Kopf ausmacht und sich einfach von der Sprache tragen lässt, reicht das auch völlig. Beim Perlentaucher findet sich der Begriff der „gebrochenen Offenheit“, das gefiel mir gut.

Was schön war, KW 34 – Arbeit und Essen

Arbeit tut gut. Also nicht nur die Kunstgeschichte, sondern auch die schnöde Werbung. Gerade habe ich mehrere kleine Jobs auf dem Tisch, die meinen Kopf in unterschiedliche Richtungen schicken, und das gefällt mir sehr gut. Es lenkt außerdem vom Norden ab, ich denke nicht ständig daran, ob alles in Ordnung ist.

Was sich dort schon verändert: das Mütterchen ruft öfter an als vorher, obwohl es gar nichts zu erzählen hat. Aber jetzt ist eben kein Ansprechpartner mehr für die kleinen Nichtigkeiten des Alltags im Haus, an den sie diese loswerden kann. Und, und das freut mich außerordenlich: Sie sagt Sätze wie „Wenn ich denn nach München komme …“ oder „Wenn ich wieder in die Oper gehe …“, was sie über zwei Jahre nicht sagen konnte.

Sehr interessiert gelesen: What if friendship, not marriage, was at the center of life? Der Untertitel, ein Zitat zweier Freundinnen, um die es auch geht, verdeutlicht, was der Kern ist: „Our boyfriends, our significant others, and our husbands are supposed to be No. 1. Our worlds are backward.“

Im Artikel wird das Konzept hinterfragt, alle Bedürfnisse, die man hat, auf ein einziges Paar Schultern zu legen, was mir immer sinnvoller vorkommt, je älter ich werde. Vermutlich denke ich eh nicht mehr ganz so in diesen engen Konzepten, seit ich weiß, dass ich mir selbst genüge. Wobei das natürlich einfacher ist, wenn man weiß, dass im Hintergrund genügend andere Menschen sind, denen ich auch genüge. Aber alleine die Idee abzuschütteln, man bräuchte jemand anderen, um sich selbst zu komplettieren, ist harte Arbeit, vor allem, wenn man sie jahrelang eingetrichtert bekommen hat.

Ich fand am Artikel auch spannend, dass sich das Konzept von Freundschaft über die Jahrhunderte verändert hat:

„Intimate friendships have not always generated confusion and judgment. The period spanning the 18th to early 20th centuries was the heyday of passionate, devoted same-sex friendships, called “romantic friendships.” Without self-consciousness, American and European women addressed effusive letters to “my love” or “my queen.” Women circulated friendship albums and filled their pages with affectionate verse. In Amy Matilda Cassey’s friendship album, the abolitionist Margaretta Forten inscribed an excerpt of a poem that concludes with the lines “Fair friendship binds the whole celestial frame / For love in Heaven and Friendship are the same.” Authors devised literary plot lines around the adventures and trials of romantic friends. In the 1897 novel Diana Victrix, the character Enid rejects a man’s proposal because her female friend already occupies the space in her life that her suitor covets. In words prefiguring Kami West’s, Enid tells the man that if they married, “you would have to come first. And you could not, for she is first.” […]

These friendships weren’t the exclusive province of women. Daniel Webster, who would go on to become secretary of state in the mid-1800s, described his closest friend as “the friend of my heart, the partner of my joys, griefs, and affections, the only participator of my most secret thoughts.” When the two men left Dartmouth College to practice law in different towns, Webster had trouble adjusting to the distance. He wrote that he felt like “the dove that has lost its mate.” Frederick Douglass, the eminent abolitionist and intellectual, details his deep love for his friends in his autobiography. Douglass writes that when he contemplated his escape from slavery, “the thought of leaving my friends was decidedly the most painful thought with which I had to contend. The love of them was my tender point, and shook my decision more than all things else.”

One question these friendships raise for people today is: Did they have sex? Writings from this time, even those about romantic relationships, typically lack descriptions of sexual encounters. Perhaps some people used romantic friendship as a cover for an erotic bond. Some scholars in fact suspect that certain pairs had sex, but in most cases, historians—whose research on the topic is largely confined to white, middle-class friends—can’t make definitive claims about what transpired in these friends’ bedrooms. Though we will never know the exact nature of every relationship, it’s clear that this period’s considerably different norms around intimacy allowed for possibilities in friendship that are unusual today. […]

Beliefs about sexual behavior also played a role. The historian Richard Godbeer notes that Americans at the time did not assume—as they do now—that “people who are in love with one another must want to have sex.” Many scholars argue that the now-familiar categories of heterosexuality and homosexuality, which consider sexual attraction to be part of a person’s identity, didn’t exist before the turn of the 20th century. While sexual acts between people of the same gender were condemned, passion and affection between people of the same gender were not.“

Mit diesem Artikel guckte sich die Mini-Serie „It’s a sin“ noch schmerzlicher weg, als es eh schon war. Trotzdem große Empfehlung.

Ich erwähnte letzte Woche, wie gerne ich die Serie „High on the hog“ geschaut hatte, die auf dem gleichnamigen Buch beruhte. Ich zitiere mich selbst und möchte festhalten, dass ich durchaus das Gefühl hatte, die Formulierung sei sehr an der Grenze zur Bettelei: „Das Buch […] liegt auf meiner Merkliste. Es steht hier nur in einer Fachbereichsbibliothek, ich kann es aber nicht ausleihen.“

Seit Donnerstag liegt es stattdessen hier, und die Botschaft der freundlichen Schenkerin lautete: „Der Wink mit dem Zaunpfahl wurde verstanden :-)“ (Hier die errötende Anke vorstellen.) Vielen Dank, ich habe mich sehr gefreut.

Diese Woche war die erste in diesem Jahr, in der ich ein frisch gezapftes Bier in der Gastronomie genießen konnte. (Okay, fünf.) Bei allen Gästen wurde ein Impfzertifikat kontrolliert. Das Obacht ist eben ein guter Laden.

Mehrere Tweets wiesen mich diese Woche auf die unterschiedliche Inzidenz für Geimpfte und Ungeimpfte hin, hier in Bayern waren das laut Tweet in der vorletzten Woche 5,75 versus 58. Ich suchte ein bisschen nach Infos und fand diese Pressemitteilung der bayerischen Staatsregierung, in der die aktuellen Inzidenzen (gerundet) lauten: Bei Geimpften 9, bei Ungeimpften 111. Na bravo.

Ich las zusätzlich einen der wöchentlichen Situationsberichte des RKI, bei dem ich verschreckt feststellte, dass bei den Menschen unter 60 Jahren noch satte 35 Prozent nicht geimpft sind. Was ist mit den Leuten?

In Berlin läuft derzeit im DHM eine Ausstellung zu den sogenannten „Gottbegnadeten“, also Künstler*innen, die Hitler als wertvoller als den Rest ansah und die zum Beispiel nicht eingezogen werden konnten. Die Ausstellung zeigt verschiedene Lebenslinien und verweist auf die Nicht-Zäsur von 1945.

Der Katalog wird mich nächste Woche erreichen, bis dahin verweise ich auf den folgenden Monopol-Artikel, der natürlich totales Wasser auf allen meinen Mühlen ist.

„Einige der Künstler durften dann sogar NS-Gedenkstätten ausgestalten. So etwas wurde nicht kritisiert?

Nein, und das ist wirklich bemerkenswert. Anfang der 1960er gestaltete Willy Meller eine Monumentalskulptur für das erste westdeutsche NS-Dokumentationszentrum, in Oberhausen. Die Entrüstung darüber blieb aus, erstaunlicherweise, denn Meller war einer der erfolgreichsten Bildhauer im Nationalsozialismus gewesen. Er wurde unter anderem mit der Bauplastik für NS-Ordensburgen oder dem KdF-Seebad Prora beauftragt. Dass dieser Künstler eine figürliche Plastik vor diesem Dokumentationszentrum errichten durfte, das war einer der Momente während der Recherche, in denen ich dachte, ich werde bekloppt. Kunst war im Nationalsozialismus sehr populär. Es gab viele Ausstellungen, Kunstzeitschriften, Postkarten, Kunstdrucke – in Sachen Merchandising waren die Nationalsozialisten wirklich durchaus modern. 1962 müssen viele Leute gewusst haben, wer Willy Meller ist. Trotzdem gab es keinen Widerspruch.“

In meiner Diss verweise ich auf die Vorarbeiten, die Protzen – 20 Jahre nach seinen Arbeiten für die Reichsautobahn – für die Bundesautobahn leistete, zu denen ich leider nichts in den Archiven finden konnte, was über die wenigen Schriftstücke im Nachlass hinausging. Das Volkswagenwerk kaufte bereits 1950 mehrere Werke von Erich Mercker, die Kopien oder Varianten zweier Werke von 1936 und 1939 waren. VW nutzte zusätzlich ein Gemälde Werner Peiners, einer der Gottbegnadeten, als Hintergrund für eine Bulli-Werbung; die Werbung erschien Anfang der 1950er-Jahre, das Gemälde stammte aus der Zeit zwischen 1936 und 1938.

Ich habe mich sehr über eine Reply gefreut.

Die cool people unter uns wissen natürlich, dass das ein Zitat aus „Tristan und Isolde“ ist. Sehr gelacht, vielen Dank an den Autor.

Gestern hatte der FC Bayern sein zweites Heimspiel in dieser Bundesligasaison. Zufällig waren F. und ich draußen unterwegs und trafen auf einige Fans mit Schals. Das hatte ich auch schon lange nicht mehr gesehen: Menschen, die offensichtlich zu Fußballspielen gingen. Das war schön.

Der Wochenhöhepunkt war der gestrige Abend, denn F. führte mich mal wieder groß aus. Es ging in den Salon Rouge, für den bzw. dessen Vorgängerwirkungsstätten Tohru Nakamuras wir mehrere Reservierungen hatten, aber dann, na ja, Sie wissen schon. Statt im Mai 2020 oder im Dezember 2020 saßen wir halt jetzt in seinem Restaurant, ich freute mich über die Kontrolle des Impfstatusses und die laut Website vorhandenen H14-HEPA-Filter, wir schlemmten daher kaiserlich.


Eine knusprige Schale, Tomatenschaum, Wasabi und Kaviar. Der perfekte Bissen: knusprig, weich, kühl und gleichzeitig gefühlt warm durch den Schaum, scharf und mild. Genau das finde ich so irre an Nakamura: In jedem Bissen ist alles.


Ein kaltes, festes Tomatenviertel, darunter weiche Aubergine, darauf knusprige Kombu-Alge und ein kleines Scheibchen Habanero.


Die beste Tomate, die ich je hatte. Unter ihr Lachsforelle und Chawanmushi, eine Art Eierstich.


Bachforelle, Gurke, Verbene und Kapuzinerkresse. Irgendwo war noch Ingwer, und ich erinnerte mich wieder daran, wie großartig Ingwer zum Gurkensalat schmeckt. Ja, profan bei einen derartig schönen Teller, aber ich bin alt, ich vergesse manchmal, was mir gut geschmeckt hat. Deswegen muss ich essen gehen, um daran erinnert zu werden. Win-win!

Mit diesem Gang begann auch die Weinbegleitung, die, natürlich, natürlich, großartig war.


Huch, schon ein Fleischgang? Ozaki Wagyu mit Rettich, Grünkohl (alle Influencer haben mich für „kale chips“ verloren), Meerrettich und Beurre blanc. Ich hätte das Fleisch fast mit etwas weniger drumrum auf dem Teller haben wollen, aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau.


Der Gang nannte sich „Münchner Umland“, wir kommen also aus Japan kurz wieder nach Hause. Er war vegetarisch, bestand aus Artischocke, Karotte und Thai-Basilikum mit Safrandressing, das einem schon entgegenduftete, als der wie immer hervorragende Service sie frisch auf den Teller tropfte. Das fand ich sehr erfrischend, ein schöner „palate cleanser“.


Schlimmstes Gefäß, tollster Wein. Auf dem glitzendern Wulst, das sich Teller nennt, lag ein perfekt gegartes Stück weißer Heilbutt, darauf drei Muscheln, die mit Soja glasiert wurden, darunter ein Reisrisotto mit Pilzaioli. Der Wein dazu war die Premiumvariante der Weinbegleitung, die F. dringend haben wollte und ich habe so gar keine Gegenwehr geleistet. Ein Chardonnay aus dem Burgund, den wir laut Sommelier erstmal ein paar Minuten atmen lassen sollten. Kein Problem, wir haben Zeit. Er veränderte sich quasi mit jedem Schluck und jedem begleitenden Bissen und war einer der tollsten Weine, die ich je getrunken habe.


Der Hauptgang waren zwei Stücke Kotelette vom Pyrenäenschwein, dazu gab es gerösteten Mais und ein Bohnencassoulet, das auch am Tisch blieb, damit man das kleine Kupfertöpfchen leeressen konnte, was wir pflichtschuldig erledigten. Der Pinot Noir aus dem Burgund dazu war wieder ein Premiumweinchen, und ich gestehe, dass ich gewimmert habe, als das wirklich komplett leergeatmete Glas abgeräumt wurde, ich hätte es gerne in den Arm genommen. Ein unglaublicher Wein.


Das Fiese an den Sternengängen ist bei mir immer: Bei Gang 3 denke ich, OMG wir sind schon halb durch, wie haben doch gerade erst angefangen, aber beim ersten Dessert bin ich dann so erledigt, dass ich geistig abschalte. Daher habe ich zu diesem Gang – Melone, Earl-Grey-Geliertes, marinierte Blaubeere und Pistazienblättchen – kaum etwas beizutragen. Ich habe mich nur etwas geärgert, dass aus dem schönen Tageslicht inzwischen ein arg schummeriges Halbdunkel geworden war, das mich die vielen lustigen Baisertröpfchen und Kleckse und Dekoblümchen nicht mehr recht erkennen ließ. Das Restaurant ist nur noch bis Oktober in der vorläufigen Location im Werksviertel, danach warten wir alle brav, bis das Innenstadtgebäude renoviert wurde. Daher rechne ich beim nächsten Besuch wieder mit besserem Licht.


Das zweite Dessert haben sowohl F. als auch ich eher verwackelt bis gar nicht fotografiert, das war ein lustiges Wassereis mit Yuzu. Das hier war einmal Haselnusseis (TEAM HASELNUSS!) und davor … äh … irgendwas. Ich glaube, Himbeere. Ich war durch.

Zum Abschluss gab’s statt Espresso für uns einen äußerst weichen japanischen Whisky, dann schaukelten wir mit S- und U-Bahn nach Hause und fielen ohne große Umstände ins Bett. Essen ist anstrengend, aber irgendwer muss es ja machen.

Gute Woche, diese Woche.

Leserinnenpost

Gestern erreichte mich ein elektronisches Schreiben, in dem mir eine Leserin mitteilte, dass sie mein Blog nun nicht mehr verfolgen möchte, weil ich einen Menschen, der sich nicht impfen lassen möchte, als „störrisch“ bezeichnet habe.

Falls eine:r von euch da draußen eventuell auch nicht mehr mitlesen möchte, sich aber nicht ganz sicher ist, vielleicht bin ich ja doch innerlich total verständig und das war ein Ausrutscher, formuliere ich das als kleinen Service nochmal anders: Ich halte Menschen, die sich nach 18 Monaten Pandemie, mehreren sicheren und wirksamen Impfstoffen, die inzwischen großflächig und meist ohne längere Wartezeit verfügbar sind und diversen Studien über die Schäden, die eine Erkrankung mit COVID-19 mit sich bringt, immer noch nicht nicht impfen lassen, obwohl sie es könnten und damit nicht nur sich, sondern auch alle Menschen in ihrer Umgebung schützen könnten, für rücksichtslose Egoist:innen.

Was schön war, KW 33

Letzte Woche war die Inzidenz hier in München noch in den 30ern, jetzt sind wir seit Tagen über 50 und so langsam habe ich das Gefühl, es wird allen allmählich egal. Fast egal, denn das Restaurant, für das F. und ich am Samstag eine Reservierung haben, zeigte heute auf Insta eine Texttafel, dass nur Geimpfte, Genesene und Getestete reinkommen, was mir den Aufenthalt in einem Innenraum sehr erleichtern wird.

Ich hoffe eh darauf, dass das der Weg sein wird, auch noch die vorletzten zum Impfen zu bekommen: Wenn man nirgends anders mehr reinkommt, ist der Weg zur Ärztin und zur Spritze vielleicht einfach bequemer als sich ständig testen lassen zu müssen.

Das ist allerdings auch nur eine vage Hoffnung. Am Freitag waren F. und ich auf einer Hochzeit im engsten Familienkreis; bis auf die wenigen Minuten im Standesamt fand alles im Garten des Brautpaars statt, aber ich wusste, dass einer der Anwesenden sich störrisch weigert, sich impfen zu lassen, weswegen ich äußerst unentspannt war und nach immerhin fünf Stunden auch nach Hause fuhr. Im Zug, wo ich nicht weiß, ob irgendjemand geimpft ist. Es ist alles Quatsch.

Aber es war auch vieles schön.

Nach Monaten traute ich mich endlich mal wieder in ein Museum, genauer gesagt, in die Pinakothek der Moderne. Seit 2020 sind dort drei Grossbergs als Dauerleihgabe vorhanden – und ich wusste sogar nur von einem. Ich fiepste daher glücklich unter meiner Maske, als ich gleich drei Gemälde vor der Nase hatte.

An der Nachbarwand hingen zwei Radziwills, von denen ich nur einen im Kopf hatte, keine Ahnung, ob das andere Werk auch schon länger hängt oder hing. Egal, gern gesehen.

Sehr gefreut habe ich mich über ein Wiedersehen mit einem meiner liebsten Kanoldts, dem Halbakt II, und dem Mädchen mit Schmuck von Wilhelm Lachnit. Zwischen den beiden hängt derzeit eine großformatige Fotografie von Cindy Sherman. Die Räume, die sonst meine liebsten im Museum sind – Neue Sachlichkeit, der seit letztem Jahr nicht mehr existente Saal 13 mit der Kunst aus der NS-Zeit, bye-bye Protzen, ich konnte mich nicht von dir verabschieden, sowie die Expressionist:innen –, sind derzeit durchmischt mit Werken der zeitgenössischen Kunst. Bei derartigen Ausstellungen weiß ich nie so recht, wem das eigentlich zugute kommt: Für mich sehen die frühen Arbeiten oft irre revolutionär aus und das Neue wie ein billiger Abklatsch. Aber auch hier, egal, endlich wieder Kunst gucken, und mich über Kiki Smith und ein Werk von Louise Bourgeois gefreut, das ich schon aus der Sammlung Goetz kannte, und über die Paper Drops von Tillmans.

„Howl“ von Kapoor geht übrigens bis unter das Glasdach des Museums. Im Vordergrund ist die graue Brüstung der Rotunde zu sehen, kein Pixelfehler. #nofilter

Es ist nicht mehr so irre heiß. Radfahren war schön, weiterhin abends einen Negroni auf dem Balkon zu trinken war auch schön. Teilweise habe ich morgens unter der Stadiondecke auf meinem Sofa im Arbeitszimmer den ersten Kaffee getrunken und durch die geöffnete Balkontür ins Grüne geguckt.

Frau Mayröcker knows best.

Am Samstag übel mit Wein und F. abgestürzt, es war herrlich.

Auf Netflix gibt es die erste Staffel von „High on the Hog“ über die Ursprünge der afroamerikanischen Küche, die – natürlich – in Afrika lag. Moderator Stephen Satterfield, der durch die Sendung führt, ist mir einen Hauch zu uncharismatisch und seine Beschreibungen der Mahlzeiten, die er genießt, sind etwas zu eindimensional – „mmmh, that’s good“ ist mir ein bisschen zu dünn –, aber seine Gesprächspartner machen das wieder wett. Mir hat vor allem die Folge zum Reis Carolina Gold gefallen – mir war nicht klar, dass der Reisanbau (durch Sklav:innen) einige der Südstaaten reich gemacht hatte.

Das Buch von Jessica B. Harris, auf dem die Serie beruht, liegt auf meiner Merkliste. Es steht hier nur in einer Fachbereichsbibliothek, ich kann es aber nicht ausleihen.

Von meiner Schwester in Niedersachsen gelernt: Laugencroissants sind ein Ding.

Ein Buch geschenkt bekommen: „Einstürzende Reichsbauten“, eine Publikation zur neuesten Ausstellung von Henrike Naumann, die ich bekannterweise sehr schätze.

Sie kommt auch in der Sendung „Propaganda aus Stein“ zu Wort. Ich verzeihe mal kurz den albernen Titel; Steine sind erstmal Steine und ein Haus ist erstmal ein Haus und einem Gebäude einzuschreiben, dass es eine Ideologie transportiert, ist genau die Idee, die die Nationalsozialisten in ihrer Literatur verbreiteten. Der Titel führt hier also einen NS-Gedanken brav fort und es macht mich allmählich irre.

Ich mochte an der Sendung aber, dass verschiedene Stimmen zu hören waren: Die einen, die sagen, zum Beispiel die Reichstagsbauten in Nürnberg sollten doch bitte abgetragen werden, weil an ihnen die Ideologie nun doch recht deutlich abzulesen ist, und andere, die sagen, dass es nett ist, dass man dort nach Feierabend ein Bierchen trinken kann und genau das nicht tut, was dort in den 1930er-Jahren gemacht wurde, nämlich in Reih und Glied zu marschieren. Eine Meinung fand ich sehr überzeugend: Wenn wir alle Gebäude einebnen, wird das Überwältigungspotenzial dieser Bauten – und im zweiten Schritt der Partei – den Nachgeborenen nicht mehr klar. Kein Buch, kein Foto, kein Google-Arts-Pixel-Denkmal kann das Gefühl ersetzen, vor diesen Klötzen zu stehen.

Ich versuche hier einen Schlenker zum abgerissenen Palast der Republik, aber ich habe mich zu wenig mit DDR-Architektur befasst, um da ernsthaft etwas sagen zu können. Ich mochte einen Insta-Beitrag von Olly Wainwright sehr gerne, der gerade durch Berlin spaziert: Von ihm weiß ich jetzt, dass es den Palast der Republik noch als Schlüsselanhänger im albernen, überflüssigen und ärgerlichen Humboldt-Forum gibt, das nun an seiner Stelle steht.

Das Programm für eine Tagung im ZI im Oktober zu Kunst im NS ist raus. Mein Winzvortrag steht auch schon.

Ebenfalls gern gesehen, weil informativ, nicht weil’s so erbaulich war: die vierteilige ARD-Serie über das heutige Afghanistan. Wir fangen zwar erst in den 1960er Jahren an, aber es erklärt einiges über den Zustand des Landes.

Zu diesem Thema: „What I Learned While Eavesdropping on the Taliban.“

Im Bücherflohmarkt im Haus, also der Ecke im Hausflur, wo alle ihren noch brauchbaren Kram ablegen, den sich jemand anders einfach mitnehmen kann, lag ein Buch über Marianne von Werefkin. Meins.

Meine Eltern haben jetzt Internet. Dass ich das noch erleben darf.

Schullektüren

In meiner Ecke des Internets erinnern sich gerade einige Menschen an die Bücher, die sie in der Schule lesen mussten oder durften. Ich habe bei einem meiner letzten Umzüge endgültig die ganzen kleinen gelben Reclams verklappt, die ich seit 30 Jahren mit mir rumschleppe, daher vergesse ich vermutlich vieles. Das hier wird auch keine vollständige Liste, ich wollte einfach mal nachdenken, was mir noch einfällt – und ob die Lektüren einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

Hermann Hesse, „Unterm Rad“

Ich weiß noch, wie bedrückend ich dieses Buch fand, aber ich erinnere mich hauptsächlich an diese Lektüre, weil wir eine Vertretungslehrerin hatten, mit der ich nicht warm wurde. Dieses Halbjahr war das einzige, wenn ich mich richtig erinnere (also vermutlich nicht), in dem meine Deutschnote schlechter als 2 war, weil ich keine Lust hatte, mich zu beteiligen.

Es hat mir Hesse allerdings nicht verleidet, in meinem Regal finden sich bis heute mehrere Werke von ihm. Ich habe „Narziss und Goldmund“ in China gelesen, im Urlaub. „Das Glasperlenspiel“ steht hier bis heute unberührt, und an den „Steppenwolf“ kann ich mich nicht erinnern, nicht mal, ob ich ihn durchgelesen habe. Vermutlich eher nicht. Könnte man mal reingucken.

Bertolt Brecht, irgendwas. Vermutlich „Mutter Courage und ihre Kinder“, keine Erinnerung. Im Schultheater haben wir einige Szenen aus „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ aufgeführt. Auch hier hat die Schule mir den Autor nicht verleidet. Gerade beim Gang am Regal entlang dachte ich: Könnte man mal wieder reingucken.

Max Frisch, „Homo Faber“.

Oder „Andorra“? Ich weiß es nicht mehr, aber Frisch mag ich bis heute gerne. Oder: Ich glaube, ich mag ihn gerne, ich habe jedenfalls danach noch einiges von ihm gelesen, und ein Schuber mit seinen gesammelten Werken steht im Regal. Könnte man mal wieder reingucken.

Goethe, „Faust I“

Ich meine, dass wir den 2. Teil auch noch angefangen haben, aber wenn, dann habe ich da nur Königs Erläuterungen quergelesen. „Faust“ war Thema meiner Abiklausur im Deutsch-Leistungskurs. Ich habe danach auch noch mehrere Werke von Goethe gelesen, aber ein Liebling wird er nicht mehr werden. Viel spannender fand ich seine Biografie und den Besuch seines Wohnhauses, den ich noch zu DDR-Zeiten erlebte – auf einer Gruppenreise von Jugendlichen aus dem Landkreis Hannover in den Süden der DDR, die ich dreimal mitmachte. Das Goethehaus in Weimar sah ich nur einmal, die Gedenkstätte Buchenwald oberhalb der Stadt allerdings auf allen Fahrten. Daher ist Goethe fieserweise in meinem Kopf immer sehr mit deutscher Geschichte verbunden. Sein Frankfurter Haus besuchte ich ebenfalls vor einigen Jahren, was mir erst wieder einfiel, als ich nach dem Stichwort „Buchenwald“ im eigenen Blog googelte.

„Die Leiden des jungen Werther“ lasen wir auf jeden Fall, aber ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, ob mir das Buch gefiel.

Jakob Wassermann, „Das Gold von Caxamalca“

An das Buch kann ich mich überhaupt nicht erinnern, aber an die Reaktionen meiner Klasse darauf. Ich weiß den Jahrgang nicht mehr, aber irgendein Deutschlehrer hatte mal die eigentlich gute Idee, uns über die nächste Lektüre abstimmen zu lassen. Einige Freiwillige lasen daher Bücher und stellten sie der Klasse vor, diese stimmte dann ab, was alle lesen würden. Ich stellte „Das Gold von Caxamalca“ anscheinend spannender vor als irgendwer das rosa Kaninchen, das von Hitler gestohlen wurde (bis heute nicht gelesen), und so lasen wir alle Wassermann. Und alle fanden es fürchterlich langweilig. Außer mir. Ich hätte viel früher merken müssen, wie gut ich werben kann.

Friedrich Schiller, „Don Carlos“

„Geben Sie Gedankenfreiheit!“ Mehr weiß ich nicht mehr. Aber an das Reclamheft erinnere ich mich noch, das bestand quasi nur aus fünf verschiedenen Textmarkerfarben. Schade, dass ich es weggeschmissen habe.

Ich bin mir sicher, dass ich von Kafka in der Schule etwas gelesen habe, vermutlich einige der kürzeren Erzählungen. Nicht die „Verwandlung“, keinesfalls einen der Romane. Ich wüsste sonst nicht, wie ich an Kafka herangekommen sein könnte wenn nicht in der Schule. Sein Gesamtwerk steht bei mir im Schrank. Danke, Schule.

Horvaths „Jugend ohne Gott“. Auch hier: danke, Schule, Horvath ist großartig. Es folgten viele Theaterbesuche und weitere Bücher.

Theodor Fontane, „Irrungen, Wirrungen“

Keine Erinnerung, außer: langweilig. Ich habe Fontane danach noch Chance um Chance gegeben, weil mich das 19. Jahrhundert irgendwann interessierte, aber ich glaube, ich habe außer der Schullektüre nichts mehr von ihm beendet. Auch nicht „Effie Briest“, mehrfach begonnen, irgendwann nicht mal mehr quergelesen, einfach auf dem Kindle ignoriert.

Lenz’ „Deutschstunde“? Oder hab ich das privat gelesen?

Vermutlich gelesen: Theodor Storms „Der Schimmelreite“, danach las ich noch freiwillig „Pole Poppenspäler“, aber mehr wollte ich dann nicht lesen. („Es muss was Lebendiges in den Deich!“ ist allerdings ein Krachersatz.) Ich meine, den „Zerbrochenen Krug“ von Kleist gehasst zu haben und ich kenne auch nichts anderes von ihm. Büchners „Dantons Tod“ könnten wir gelesen haben. Ich erinnere mich auch an „Frühlingserwachen“ von Wedekind, aber das mag eine Theateraufführung als Schulbesuch gewesen sein. „Nathan der Weise“?

An englische Lektüre aus dem Leistungskurs erinnere ich mich noch weniger. Ich behaupte „Of Mice in Men“ in der Schule besprochen zu haben, und von Herrn Steinbeck stehen hier noch … Moment, ich gehe zählen … fünf weitere Bücher im Regal, unter anderem natürlich „Grapes of Wrath“. Da hat die Schule solide Grundlagenarbeit geleistet.

Im Hinterkopf sind noch Arthur Millers „Death of a Salesman“ (toll) und Tennessee Williams’ „The Glass Menagerie“ (mir egal). Ich glaube, wir haben ein paar Shakespeare-Verfilmungen angeschaut, und ich habe „Romeo and Juliet“ zu Schulzeiten gelesen, aber vermutlich freiwillig. „Room at the top“ steht hier und sieht nach Schullektüre aus, aber ich habe keinerlei Erinnerungen daran.

Jetzt denke ich über die Frauenquote bei Schullektüre nach.

Für mich spannend: die Aufzählung bei Kittykoma, die in der DDR aufwuchs. Viele der dort genannten Bücher stehen bei mir als Leipziger Reclam-Ausgabe im Regal, für die ich die zwangsumgetauschten Ostmärker ausgab.

Was schön war, KW 32

Das Schönste, und ich hoffe, das war korrekt so, war, dass es meiner Mutter gut genug ging, um meine Hilfe nicht zu benötigen. Sie sagt immer, dass alles in Ordnung ist, aber ich frage trotzdem lieber meine Schwester, ob das auch stimmt. Dieses Mal schien es zu stimmen. Ich musste nicht in den Norden fahren, kam so um den Bahnstreik herum und konnte mal wieder etwas konzentrierter arbeiten als in den vergangenen Wochen.

Die letzten Abende, bevor es 30 Grad wurden, saß ich abends alleine auf meinem Balkon, starrte stumm zum Tagesabschluss ins Grüne oder die Mondsichel an und trank dazu einen Negroni. Das war sehr schön.

Mein Ventilator. Das Marvel Cinematic Universe. In diesem Zusammenhang: F.s Disney+-Abo. Der erste Bundesligaspieltag – mit Menschen in Stadien! Das klang so herrlich. Augsburg verlor 0:4 und es war total egal.

Ausgelesen: Käsebier erobert den Kurfürstendamm von Gabriele Tergit. Ich mochte von ihr ja schon die Effingers sehr – wenn Sie sich vielleicht dieses kleine Buch als Einstieg kaufen würden? Es lohnt sich, gerade wenn man sich für die Zeit Ende der 1920er, Anfang der 1930er-Jahre interessiert und gerne eine spannende Sprache liest. Es ist weitaus weniger ausschweifend und beschreibend als die Effingers, sondern wirft eher Schlaglichter auf die Zeitungsbranche, das Publikum, Bürgerlichkeit, politische und wirtschaftliche Entwicklungen sowie Geschlechterbeziehungen. Sehr viel drin; gerne gelesen.

Was schön war, KW 31

Am Mittwoch vor einer Woche saß ich platt und erschöpft im ICE von Hannover nach München. In manchen Zügen hängen Monitore an der Decke, auf denen neben launigen Werbeanzeigen der nächste Halt eingeblendet wird, immer garniert mit irgendeinem generischen Bild der Stadt, in der man demnächst ankommt. Zwischen Würzburg und Nürnberg guckte ich so dauernd auf ein Foto des Dürer-Hauses – und auf das Selbstbildnis im Pelzrock, das in der Alten Pinakothek hängt. Das kenne ich natürlich in- und auswendig, aber ich habe es selten so beruhigend gefunden wie an diesem Tag. Danke, Albrecht, 500 Jahre später.

Als ich nach Hause kam, fand ich zwei Buchgeschenke vor, über die ich mich sehr gefreut habe. Danke für Käsebiers Eroberung des Kurfürstendamms und ein neues Backbuch; sie sind beide schon in Benutzung.

Was ich außerdem vorfand, war eine Glückwunschkarte von F., der mir zum Abschluss meiner Promotion gratulierte. Die Abgabe der Diss sowie die Verteidigung hatten wir ausgiebig feiern können. Der letzte Schritt, die Abgabe des Buchmanuskripts, ging völlig in meiner hektischen Zugfahrt nach Hannover unter. Mir war es ernsthaft nicht mal aufgefallen, dass ich jetzt mit allem durch bin. Keine Zeit.

Am Donnerstag konnte ich wieder mit F. einschlafen. Da meine innere Uhr noch auf norddeutscher Zeit stand, waren wir, glaube ich, gegen 21.30 Uhr im Bett.

Ich erwähnte im letzten (?) Blogeintrag, dass meine vier Balkonkräuter meine längere Abwesenheit nicht überlebt hätten. Nun: Rosmarin und Thymian kriegt anscheinend nichts kaputt, das Basilikum blüht eher als dass es Blätter hat, aber das ist mir gerade egal, und aus den vielen gelblichweißen, vertrockneten Ärmchen der Petersilie gucken erstaunlicherweise ein paar frische grüne Zweige hervor. Nature is healing.

Am Freitag führte mich F. nach zehn Monaten mal wieder in ein Sternerestaurant. Er hatte endlich seit letzter Woche einen vollständigen Impfschutz, und da wir beide damit rechnen, dass eine weitere Welle Restaurantbesuche wieder erschweren wird, erledigten wir das jetzt. Wir waren erstmals im Sparkling Bistro, von dem wir zu meinem Geburtstag ein ganz hervorragendes Essen zuhause genossen hatten.

Ich nahm einen Bus bis zur Türkenstraße und ging die letzten 400 Meter zu Fuß. Die Türkenstraße liegt im Univiertel und besteht in der Ecke bis zum Restaurant quasi aus einer Kneipe neben der nächsten, dazwischen liegen Cafés und Bäckereien. Es war ein warmer Sommerabend, alle Bürgersteige standen mit Tischen und Tischchen voll, lauter gut gelaunte Menschen aßen und tranken. Was mich vor wenigen Monaten noch hätte panisch werden lassen – MENSCHEN! OHNE MASKE! IN MASSEN! – tat mir jetzt sehr überraschend sehr gut. Es fühlte sich, Achtung, das böse Wort, normal an. Ein normaler, schöner Sommerabend in München, wie selbst ich Sommerverächterin ihn mag. Was so eine Impfung für einen Unterschied macht.

F. ging es leider nicht ganz so, er ist immer noch deutlich angespannter als ich. Keine Ahnung, ob es daran liegt, dass ich in den letzten Wochen in so vielen Zügen gesessen habe, dass mir ein Gang durch eine belebte Straße nicht mehr so viel ausmacht, ich weiß es nicht. Ich stellte nur freudig überrascht fest, wie schön das war, dort entlangzugehen und sich auf einen Restaurantbesuch zu freuen.

Der war dann noch toller als erwartet. Mein Lieblingsgang war gleich der erste, aber ich fand alle großartig. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes ausgehungert.

Kohlrabi mit Mohn, Brokkoli mit Senfsaat, hab ich vergessen, Spargel mit Kaffee (!).

Pilze mit Erbsen und Specksauce. Klingt so simpel, war aber der Kracher.

Zander mit Blumenkohl und Zitrone.

Tiroler Flusskrebs mit Lammbries, Mandel und Kopfsalat. Mein Foto wird dem feinen Gang überhaupt nicht gerecht.

Laaer Zwiebel mit Käse, Roggen und Fenchel.

Mostviertel Wagyū mit N25 Kaviar, Artischockenpüre und Jus gras. Das war einer der Gänge, die man schweigend genießt. Das Fleisch!

Johannisbeeren mit Meringue, Mandel und Vanille. Wie bei Oma und so sollte es auch sein.

Ingwereis mit Kaffee, glaube ich.

Danach gab’s zu zwei kleinen Pralinchen für mich einen Haselnussbrand, für F. einen aus der Vogelbeere, beide vom Sammerhof, den wir jetzt leerkaufen müssen, und danach spazierten wir äußerst gut gelaunt nach Hause. Vorneweg hatten wir einen Negroni, auch völlig vergessen, wie gut das Ding schmeckt. Sehr gerne wieder.

KW 31 – Keine passende Überschrift

Das Konstrukt, dass eine 81-Jährige für die Pflege eines 83-Jährigen verantwortlich ist, war seit Monaten fragil, vor allem, wenn dieser 83-Jährige geistig und körperlich immer mehr abbaut. Es hatten auch ausnahmslos alle Menschen, die davon Ahnung haben, Ärztinnen, Pfleger etc. in der Reha, in diversen Praxen und schon im Krankenhaus 2019 direkt nach dem Schlaganfall von Papa von Anfang an gesagt, dass Vaddern eigentlich zu krank ist, um zuhause adäquat versorgt zu werden. Bei solchen Ansagen wird das Mütterchen aber leider sehr schnell sehr bockig und bekommt so ein „Das wollen wir doch mal sehen“-Glimmen in den Augen.

In den letzten zweieinhalb Jahren retteten wir uns quasi von Monat zu Monat. Eine örtliche Pflegeeinrichtung versorgt Papa dreimal am Tag ganz hervorragend, und den Rest des Tages ist das Mütterchen da. Einmal im Monat komme ich für eine Woche, jedenfalls theoretisch, damit sie mal ausschlafen oder zu Ärzten kann und nicht kochen muss. Theoretisch, weil: Corona, Inzidenzen, Zugfahren uswusf., Sie kennen das, Sie waren dabei. Meine Schwester unterstützt beim Papierkram, der Schwager hilft im Garten, die Nachbarn sind da, Dorf halt, das ist schon super. Aber im Prinzip ist meine Mutter seit zweieinhalb Jahren im Dauerdienst. An miesen Tagen weiß sie das auch, dann legt sie heulend am Telefon auf, wenn man vorsichtige Kritik an irgendwas anbringt und sagt Dinge wie: „Du weißt ja nicht, wie das ist, wenn man zweieinhalb Jahre eingesperrt ist.“ Bis jetzt ist mir noch nie rausgerutscht: „Das war deine Idee, kein Mensch auf diesem Planeten verlangt das von dir, und wir schon gar nicht“, aber ich konnte mich bis jetzt immer beherrschen.

Daher war der sofortige Modus, als sie Dienstag vor einer Woche anrief und sagte, sie müsse ins Krankenhaus, auch: Ich buche einen Zug, packe hektisch meinen gerade ausgepackten Koffer wieder ein und übernehme. Dieses Mal konnte ich mich innerlich nicht ganz so stählen wie sonst, weswegen alles noch unvermittelter über mich hereinbrach, aber immerhin: Geheult habe ich erst am Telefon, als meine Mutter aus dem Krankenhaus anrief mit der üblichen Grabesstimme. Und dieses Mal rutschte dann auch alles raus, was ich mir seit zweieinhalb Jahren verkneife bzw. was seit einigen Monaten, wo Papa und nun auch Mama deutlich abbauen, ganz vorne auf der Zunge liegt.

Auch die Pflegenden sind am Ende ihrer Kräfte angelangt, wirklich jede und jeder legt Mama nahe, Papa nun doch in ein Pflegeheim zu geben, wo er besser versorgt werden kann, Schwester, Schwager und ich sammeln seit Monaten Argumente, die man ihr liebevoll und vorsichtig vortragen kann, vielleicht bei einem gemütlichen Beisammensein im Wohnzimmer, mit Kuchen, in Ruhe, aber wir drückten uns genauso lange um eine Aussprache, weil wir nicht das „Das wollen wir doch mal sehen“-Glimmen herausfordern wollten. Nun war der Punkt aber gekommen, an dem das wackelige „Das geht schon irgendwie“ sehr wankte, und so spulte ich heulend alles ab, was im Hinterkopf war, verschwitzt und überfordert im alten Kinderzimmer, und das Mütterchen mit Medikamenten vollgepumpt im Krankenhaus bekam es ungefiltert ab. Wir weinten beide, und irgendwann kam ein gepiepstes „Ich glaube, ihr habt recht.“

In der letzten Woche suchten Schwester, Schwager und ich per Telefon, Internet und Beziehungen einen Platz fürs Väterchen, und weil das Universum irgendwas wieder gutmachen will, fanden wir zunächst einen Kurzzeitpflegeplatz und haben Aussicht auf einen Dauerpflegeplatz. Schwester und ich hatten uns mehrere Heime angeschaut, hatten telefoniert und gemailt und noch mehr telefoniert, aber ich konnte mich Mittwochmittag in den Zug setzen mit dem Gefühl, das alles organisiert ist. Die Entscheidung kam überstürzter und chaotischer und hektischer als wir uns das vorgestellt hatten, aber sie ist endlich da. Komischerweise fühlt genau das sich noch scheiße an: Die Option, die Idee, Papa ganztägig irgendwann in professionelle Hände zu geben, war in Ordnung, aber jetzt, wo diese Option eine Tatsache ist, fragt man sich doch den ganzen Tag, ob man es richtig gemacht hat. Zum Schluss waren Schwester und ich uns erneut unsicher und fragten das Mütterchen, das ja ewig dagegen gewesen war, aber selbst sie hatte inzwischen verstanden, dass gerade alles über aller Kräfte geht, auch die von Papa.

Ich stand Mittwoch also wie immer um 5.45 Uhr auf, weckte Papa, gab ihm etwas zu trinken, deckte ihn nochmal zu, während ich lüftete, machte mich für den Tag fertig, die Pflege kam, kümmerte sich um seine körperlichen Belange und hob ihn vom Bett in seinen Pflegerollstuhl, in dem er wochentags zur Tagespflege abgeholt wird. Während wir auf den Fahrer warten, gibt’s immer einen Liter Tee in Etappen, die Kanne steht in der Küche, der Rollstuhl im Wohnzimmer, damit Papa in den Garten gucken kann, und dieses Mal heulte ich bei jedem Gang kurz in der Küche, riss mich wieder zusammen, ging zu ihm, gab ihm den Tee bzw. half bei der Tätigkeit des Trinkens, ging wieder heulen und Tee nachfüllen und so weiter.

Ich schob ihn um kurz vor 8 in die Diele, von wo er nach draußen gucken kann, um das Fahrzeug zu sehen, und als es kam, nahm ich ihn in den Arm und sagte: „Ich hab dich lieb, Papa.“ Und er sagte: „Ich hab dich auch lieb, Anke.“ Selbst wenn er mich demnächst nicht mehr erkennen wird – das kann ich noch mitnehmen.

Auf der Zugfahrt war ich körperlich und emotional platt, ich hörte fünf Stunden Popmusik aus den 80ern und dachte an möglichst gar nichts.

Donnerstag mittag brachten ihn dann Schwester und Schwager ins Heim. Freitag früh telefonierte Schwesterchen mit dem Heim und ihm, er hatte schon gefrühstückt und klang gut. Das wurde mir sofort weiterberichtet und ich war deutlich beruhigter.

Auch das Mütterchen ist seit Donnerstag nachmittag wieder zuhause, hier hilft Schwesterchen noch bei größeren Dingen, weil sie sich noch nicht so anstrengen soll. Ich ahne, dass ich nächste Woche noch einmal mindestens für ein längeres Wochenende hochfahren werde, damit nicht alles an meiner Schwester hängenbleibt, aber sie meinte, das geht schon. Auch Mama rief gestern an und meinte, es sei nicht so schlimm gewesen wie sie es sich vorgestellt hätte, in ein leeres Haus ohne Papa zu kommen, und sie klang deutlich besser als erwartet.

Mir fiel in den letzten Wochen auf, wie hilfreich es ist, das nicht alles alleine durchstehen zu müssen. Auch wenn Schwester und Schwager im Prinzip den selben Job hatten wie ich, konnten sie doch kurz zwischendurch nach Hause, in ihren Garten, in ihre eigene Umgebung. Ich saß im alten Kinderzimmer, das inzwischen einfach nicht mehr mein Zimmer ist, sondern nur noch irgendeins im alten Elternhaus und hatte nur die DMs von F., der sich nach Kräften bemühte, für mich da zu sein. Die beiden konnten sich aber abwechseln, damit einer kurz heulen oder die Welt anschreien konnte, während ich allein war.

Ich weiß, dass die Beziehung von Ehefrau und Ehemann eine andere ist als die zwischen Eltern und Kindern; ich ahne, dass es daher Mama etwas leichter gefallen ist, sich so komplett einem anderen Leben unterzuordnen, aber ich bin jetzt noch erstaunter als früher, wie lange sie es durchgehalten hat. Ich kann auch nicht wirklich erklären, warum es so unfassbar anstrengt, sich um seinen dementen Vater zu kümmern, selbst wenn er im Bett liegt und man nicht, wie viele andere Kinder und Partner, aufpassen muss, dass er nicht den Herd anlässt oder auf Hauptstraßen rennt.

Ich habe noch keine endgültige Meinung zu irgendwas, ich weiß immer noch nicht, ob es das Richtige ist, was wir tun oder taten oder noch tun werden. Die letzten zehn, vierzehn Tage waren wildes Reagieren, was deutlich anstrengender für mich ist als eine geplante Aktion, und daher fühle ich mich immer noch wie mitten drin. Ich kann meinen Kopf noch nicht ausmachen, ich denke abends immer noch darüber nach, ob ich alle Klamotten rausgelegt habe und der Personenlifter aufgeladen ist, und ich wache immer noch morgens um 5 auf. Mal sehen, wann das aufhört.

KW 30 – Manuskriptabgabe und keine Party

Ich hatte gehofft, dass vor meiner zweiten Schicht im Norden – die letzten 10 Tage der Reha meiner Mutter – noch eine CD aus dem Kunstarchiv in Nürnberg in meinem Briefkasten landen würde. Ich war Anfang Juni dort gewesen, hatte 54 Fotos im Nachlass von Protzen per Einlegeblatt markiert und um Einscannen derselben gebeten. Seitdem wartete ich auf eine CD oder einen Download-Link, denn diese 54 Bilder fehlten mir noch für die Manuskriptabgabe meines Protzen-Buchs Ende Juli. Ich versuche gerade, mir das Wort „Diss“ abzugewöhnen, denn gefühlt ist sie das nicht mehr. Promotionsordungstechnisch schon, aber buchmarktmäßig halt nur noch so halb.

Es kamen weder CD noch Link, und so fragte ich am Anfang Juli mal vorsichtig nach; ich bekam netterweise statt einer Mail gleich einen Anruf, dass die Rechnung schon längst bei mir hätte sein sollen, denn 54 Scans kosten mich 540 Euro, und die hätte das Archiv gerne vorab. Kein Problem, aber dann bräuchte ich halt eine Rechnung. Die Dame aus dem Archiv fragte nochmal in der Rechnungsabteilung nach, dort entdeckte man einen Zahlendreher in der Adresse, weswegen das Schreiben auch wieder nach Nürnberg zurückgegangen war, ich bat um die Rechnung per Mail, die kam auch sofort, ich überwies sofort und vermeldete das per Mail sofort – aber es kam keine CD, bis ich am 11. Juli wieder in den Norden musste.

Wir hatten den total unkomplizierten Plan, dass F. alle zwei Tage in meinen Briefkasten schaut, sich die CD auf seinen Rechner zieht, die Daten per WeTransfer an meine Schwester schickt, ich zu ihr fahre, denn dort gibt es INTERNET, alles runterlade und gemütlich bearbeite, um am 29. Juli entspannt mein komplettes Manuskript mit allen Bildern abzugeben.

Dieser tolle Plan klappte leider nicht, weil keine CD kam, die war wirklich erst da, als auch ich mit dem Köfferchen ins Haus rollte und den Briefkasten öffnete. Am 22., meinem Ankunftstag zuhause in München, brauchte ich erstmal Pause, nachdem ich überprüft hatte, dass ich die CD öffnen konnte und alle Bilder da waren. Waren sie, und sogar noch ein Bonusbild von einer Fotorückseite. Die sagte mir nichts, was ich nicht schon wusste, aber das fand ich trotzdem sehr nett, dass die kostenlos mitgescannt wurde, denn ich hatte die Fotos natürlich nicht aus den Alben gepult, als ich sie damals vor 100 Jahren per iPhone bzw. Spiegelreflex ablichtete, um mit ihnen arbeiten zu können, ohne ständig nach Nemberch zu müssen.

Am 23. war Date Night, da gönnte ich mir auch noch Pause, aber ab Samstag war ich dann hibbelig und arbeitete das Wochenende durch. Montag guckte ich nochmal über alles rüber und war zufrieden. Dienstag morgen guckte ich nochmal rüber, fand noch einen Fehler, korrigierte und war zufrieden.

Normalerweise lasse ich nach Korrekturen alles noch eine weitere Nacht liegen, schadet nie, aber irgendwie war mir danach, jetzt endlich einen Haken an das Ding zu machen. Den Text hatte ich geschätzt 180 Mal Korrektur gelesen, da sollte jetzt wirklich nichts mehr dran sein. Die Bilder waren nun auch alle da, bearbeitet und korrekt benannt, ich hatte alle Markierungen aus dem Dokument entfernt, die mal drin waren – los, Hase, jag es raus. Also schickte ich ein Word-Dokument und ein PDF mit jeweils 390 DIN-A4-Seiten an den Verlag und lud 1,6 GB Bilddaten auf die WeTransfer-Server. Dann twitterte ich, wie man das halt heutzutage macht nach großen Sachen, lehnte mich zurück und dachte vergnügt: Jetzt hast du ein paar Tage frei, dann kümmerst du dich um alles, was in den letzten vier Wochen liegen geblieben ist, Freitag gehst du auf eine Hochzeit im kleinen Kreis, das erste Mal seit … weiß ich nicht … dass ich mit mehr als vier Leuten irgendwo bin, und überhaupt musst du erst im September wieder in den Norden.

Dieses wohlige Gefühl konnte ich genau zwei Stunden lang genießen, bis mein Handy klingelte und mein Mütterchen mir sagte, dass sie ins Krankenhaus muss.

Schwester und Schwager waren im Süden, um die letzten Handgriffe für eine Wohnungsübergabe zu erledigen, die sie eh nur Etappen hatten erledigen können, weil wir uns ja die Pflege von Papa geteilt hatten, die waren unabkömmlich. Also packte ich meinen gerade ausgepackten Koffer wieder ein, buchte den nächstmöglichen Zug und fuhr wieder in den Norden, sehr müde und traurig.

Wir fällen hier gerade größere Entscheidungen, dem Mütterchen geht es den Umständen entsprechend, uns auch, aber das gehört alles nicht ins Blog. Überhaupt habe ich seit Längerem das Gefühl, dass vieles nicht mehr in mein Blog gehört. Ich lese kaum noch andere Blogs, schaue derzeit auch auf Twitter nur sporadisch in der Gegend rum und nicht mehr alle fünf Minuten. Vielleicht ändert sich das wieder, ich weiß es nicht. Jetzt gerade ist alles zu viel. Vielleicht erwischt mich auch mit Verzögerung nun die Lockdown- und Einschränkungsmüdigkeit, von der ich mich halbwegs gut ablenken konnte, weil ich an der Diss (der zukünftigen Ex-Diss) rumpuzzeln musste.

Was schön war. Seufz.

– Die Hochzeit habe ich leider verpasst, aber F. sah todschick aus in seiner Tracht, von der er mir ein Foto schickte. Meine neu angeschafften Plünnen müssen auf die nächste Hochzeit warten. (Keine Tracht.)

– Gestern war Papa um 20 Uhr schon so müde, dass man ihm Gute Nacht sagen konnte. Deswegen konnte ich ab viertel nach den „Fliegenden Holländer“ aus Bayreuth gucken. Die Kleinstadt-Inszenierung fand ich nervig bis doof, die Kostüme teilweise toll, größtenteils sozialistisches Elend und damit ebenfalls doof, die Idee, Senta durch zwei bunte Haarsträhnen und einen Hoodie als die totale Außenseiterin auszuweisen, lächerlich, jede Bankangestellte hat eine auffälligere Frisur, aber Asmik Grigorian als Senta war großartig. Das hat sehr gut getan, ihr in Ruhe zuhören zu können. Was mir auch gefiel und was, soweit ich weiß, eher den Hygiene-Vorschriften geschuldet war: die Inszenierung der Chöre. Auf der Bühne stand die Hälfte des Chores (oder Statisten, das weiß ich nicht), die nur die Lippen bewegten; die singenden Chöre waren geimpft und getestet auf Proberäume verteilt, schmetterten von dort und wurden auf die Bühne übertragen. Da eben eh nicht „vor Ort“ gesungen wurde, entschied sich Regisseur Dmitri Tcherniakov dafür, den Chor der Holländer nicht mal die Lippen bewegen zu lassen. Die saßen im 3. Akt beim Showdown einfach nur stoisch und bedrohlich da und fixierten den Chor der Norweger, um irgendwann, als ihre Einsätze lauter und dramatischer wurden, aufzustehen und mit wenigen Ausnahmen weiter eine unbewegliche Drohkulisse zu sein. Das war’s. Fand ich großartig.

– Diese seltsame Blume auf der Fensterbank in Papas Zimmer, von der ich wegen ihrer spitzgezackten Blätter immer dachte, sie sei ein Kaktus. Flora Incognita behauptete, es sei eine Ananas, aber Herr Doppelhorn konnte korrigieren: Es ist eine Aechmea oder schnöde: eine Lanzenrosette. So werde ich das Ding aber nie nennen, weil doof. Überlege zum ersten Mal, mir eine Zimmerpflanze anzuschaffen, die über Ficus oder Ikea-Grünzeug hinausgeht. Ihre Blüte betrachte ich jeden Tag, und beim, wie ich dachte, vorerst letzten Pflegeaufenthalt für mindestens vier Wochen, war ich ein bisschen traurig, dass ich nun die weiteren Entwicklungsschritte der Blüte von schlicht pink über pink mit roten Punkten zu pink mit roten und blauen Blüten nicht mehr beobachten konnte. Kann ich ja jetzt. Danke auch, Universum, du Nervensäge.

Tagebuch KW 29 – There and back again

Die letzte Etappe in der alten Heimat umfasste für mich 12 Tage, am vorletzten Tag kam das Mütterchen aus der Reha wieder zurück – ihre Kur war um eine Woche verlängert worden –, und am letzten Tag reiste ich nachmittags wieder nach München. Ich musste in Würzburg umsteigen, hörte das „Rheingold“ einmal komplett durch und las endlich das dicke Wagner-Buch und empfehle es euch nach 100 Seiten schon allerwärmstens weiter.

(Einschub: Ich erzählte gestern morgen im Bett F. die auch für mich neue Story, dass Wagner das Bayreuther Festspielhaus nur aus günstigen Materialien für eine einzige Spielzeit errichten und dann wieder abreißen wollte. F. nur so schnaubend: „Ein fürchterlicher Mensch!“ Ich mag es sehr, wenn ich F. dazu kriege, mit den Augen zu rollen und sich über irgendwas zu entrüsten. Also wenn ich es nicht bin, über die sich entrüstet werden muss. Wagner geht immer, wie ich inzwischen weiß. Zurück zur Bahnfahrt, wagalaweia:)

In Hannover war ich noch ganz vorne in den ICE gestiegen, was mich immer freut, denn dann komme ich auch in München ganz vorne an, und der Weg zur U-Bahn ist nur ungefähr 300 Meter lang. Durch den Umstieg landete ich aber nun für die letzten zwei Stunden ganz am hinteren Ende zweier miteinander gekoppelter ICEs und stieg so in München gefühlt an der Hackerbrücke aus. Weg zur U-Bahn: MINDESTENS ein Kilometer. Bauchgefühl siegt über Schrittzähler.

Apropos Schrittzähler: Ich stellte äußerst erstaunt fest, dass ich im Norden täglich um die 10.000 Schritte erreichte, ohne je das Haus zu verlassen. Es ist offensichtlich zu groß bzw. verfügt über viel zu viele Treppen.

Die zweite Etappe fühlte sich deutlich anders an als die erste. Wo ich beim ersten Mal vom Dasein als Alleinversorgerin für Vaddern mindestens drei, vier Tage völlig überfordert und panisch war, wusste ich dieses Mal, was auf mich zukommt. Daher habe ich auch nur noch zweimal weinen müssen, einmal, weil Papa Dinge (zeitweilig) nicht mehr konnte, die er sonst seit zwei Jahren täglich macht und ich schlicht nicht wusste, wie ich ihm erklären sollte, wie die Tätigkeit „Trinken“ funktioniert, das andere Mal, als eine Pflegerin noch da war und ich das Gefühl hatte, ihr die Arbeit eher zu erschweren als zu erleichtern. (War nicht so.) Es bleibt weiterhin kompliziert, aber das Grundgefühl meiner Schwester und mir vor vier Wochen – ACH DU HEILIGE GROSSE SCHEISSE – wich irgendwann einem halb resignierten, halb aktionistischen „Wird schon, geht doch“. Wir versicherten uns gegenseitig, das alles sehr ordentlich gewuppt bekommen zu haben, ich mit fast finalem Verlagsdokument in Arbeit, sie und ihr Mann mit Vollzeitjobs und einem eigenen Haushalt. Meine Balkonkräuter haben es nicht überlebt, aber ich fand es wirklich albern, F. zu bitten, zweimal am Tag vier 2,50-Euro-Pflänzchen zu gießen.

Auch Papa habe ich gefragt, ob wir uns denn gut um ihn gekümmert hätten, woraufhin er meinte: „Ich habe nichts zu beanstanden.“ Da kam dann wieder eine alte Floskel aus dem Berufsleben durch, die hat er inzwischen auch fast alle vergessen.

Was sich auch anders angefühlt hat: das Wohnen im alten Elternhaus. Nach zwei Tagen zog ich aus meinem blöden Kinderzimmer (Südseite) in Papas altes Schlafzimmer (Nordseite), hatte nun kühlere Temperaturen, eine härtere Matratze und das Gefühl, erwachsen zu sein. Ich war zum ersten Mal nicht Tochter, sondern Hausherrin, was ziemlich schnafte war.

Wie schon beim ersten Mal genoss ich den Morgenkaffee und den Feierabendsekt auf der Terrasse im Grünen sehr, den Morgenkaffee vielleicht sogar noch mehr, auch wenn er für die innere Uhr viel zu früh gekocht werden musste. Aber auch daran gewöhnte ich mich, wobei mir das im Winter vermutlich deutlich schwerer gefallen wäre, um 5.45 Uhr aufzustehen. Dafür war ich abends immer um 21.30 Uhr im Bett, und weil es immer noch kein Internet gibt, konnte ich auch keine Zeit in ihm verdaddeln oder vor Netflix versinken. Insgesamt drei Bücher durchgelesen, das obige Wagner-Ding immerhin angefangen. Weiterhin in Etappen lese ich das Buch über philippinische Esskultur; nur den (gekürzten) Klassiker von Friedländer habe ich in vier Wochen nicht angefasst.

Um den Garten kümmerten sich eher Schwester und Schwager, die dort vor allem Dinge erledigten, die nicht gehen, wenn das Mütterchen da ist. Nun gibt es an einer Stelle des Gartens endlich einen gepflasterten Weg, wo vorher nur ein huckeliger Trampelpfad war, auf dem wir das Mütterlein innerlich ewig hatten stürzen sehen. Außerdem muss sie nun nicht mehr drei uralte Sprenger und tonnenschwere Schläuche quer über das Grundstück zerren und mit gefühlt 17 Weichen in unterschiedlichen Durchmessern miteinander verbinden. Der tolle Schwager verlegte ein neues System; nun muss man nur noch den Wasserhahn aufdrehen und an einigen leicht zu bedienenden Wippen den jeweiligen Sprenger anwählen, der gerade arbeiten soll. Das kapierte sogar ich und ließ es am vorletzten Abend ordentlich regnen. (Beim Sekt.)

Im Haus sorgte ich hingegen für Ordnung und warf behutsam weg; es wird dem Mütterchen vermutlich nicht auffallen, dass von den 20 aufgehobenen leeren Kartons fünf fehlen, ein paar fledderige Kinderbücher oder dass das Programm der hannöverschen Theater von 2006 jetzt auch im Altpapier liegt. Außerdem ordnete ich Dinge hübsch rechtwinklig an, staubte ab, saugte Staub und jetzt sieht das Haus wieder sehr ordentlich aus. Womit ich nicht sagen will, dass es vorher nicht ordentlich war, aber wenn man 80 ist und sich alleine um einen Patienten kümmert, inklusive sehr, sehr, sehr viel Briefverkehr mit Krankenkassen, Pflegemittelversendern und KTW-Anbietern, haben Staubwischen und Dinge rechtwinklig anzuordnen logischerweise nicht unbedingt Prio 1. Völlig zu recht. Ich hatte beim zweiten Durchgang inzwischen eine gewisse Routine, ließ den Papierkram auch wie besprochen links liegen und konnte daher ein bisschen was erledigen, wofür das Mütterlein schlicht keine Zeit hat.

Bevor sie wiederkam, wurde die Bodenvase in der Diele mit einem neuen Strauß aus dem Garten bestückt, im Wohnzimmer stand ein kleiner Strauß, auch die winzige Vase, die vor dem Foto der verstorbenen Oma, Opa und Omi steht, bekam ein paar Blümchenchen (kein Schreibfehler, die Vase ist größenmäßig eher ein Schnapsglas). Zusätzlich bekam ihr Schlafzimmer eine Blume sowie eine Schachtel meiner Lieblingspralinen, gleich mit einem Tellerchen aus ihrem Lieblingsservice dazu, damit sie sich ein paar herausnehmen und den Rest in den Vorratskeller tragen konnte. Das hat sie alles sehr gefreut.

Im Wohn- und Esszimmer hängen die üblichen Alte-Leute-Gardinen, schwer, tausend Rüschen und Röschen und Bänderchen. Die wollten wir gar nicht anfassen, aber: Am Montagmorgen ging der elektrische Rolladen nicht mehr hoch. Da Papa inzwischen dort in einer Zimmerhälfte schläft und die Pflegenden auch gerne Licht haben, wollten wir nicht warten, bis das Mütterlein wieder zuhause ist und uns sagen kann, ob wir die Tapete abreißen dürfen, um an den damit verkleideten Kasten zu kommen.

Stattdessen riefen wir den Nachbarn, der mit Papa 40 Jahre lang gemeinsam Dinge repariert hat und nun eine Art Faktotum fürs Mütterchen geworden ist. Er ist gelernter Elektriker, prüfte zunächst, ob die Steuerung eine Macke hatte; hatte sie anscheinend nicht, also mussten wir an den Kasten ran. Schwesterchens Mittagspause war schon rum, sie fuhr wieder ins Home Office, während ich den Part übernahm, die eine Hälfte der 2,50-Meter-langen Abdeckplatte festzuhalten, während der Nachbar die letzten Schrauben auf der anderen Seite löste. Er hatte die Tapete nur eingeschnitten, damit wir die Platte abnehmen könnten und fand per Magnet die Schrauben. Ein guter Mann.

Als wir beide auf Leitern standen und nun die Platte lösen wollen, fragte er in dem Moment, als sie uns entgegenkam: „Hast du eigentlich Angst vor Spinnen?“ Ich konnte nur noch „ÄH BITTE WAS?“ sagen, als ich die Platte in den Händen hatte – und dahinter, 40 Zentimeter vor meinem Gesicht, diverse Langbeine um die schwere Stange wuselten, an der eigentlich der Rolladen hängen sollte, dessen Riemen aber von ihr abgerutscht waren. Klar, der Kasten ist von außen zugänglich, aber darauf war ich nicht ganz so vorbereitet.

Wir legten die Platte ab, Nachbar holte den Industriestaubsauger von drüben, ich beobachtete misstrauisch, ob von den Spinnen ein paar in Richtung Wohnzimmer anstatt in Richtung Draußen wandern wollten, wollten sie aber nicht, da hatten sie Glück, auch wenn ich nur den kleinen fiepsigen Normalstaubsauger als Waffe hatte.

Der Nachbar befestigte die Riemen wieder – „das hatten wir bei euch in der Küche schon mal“ –, wir schraubten die Platte wieder an, und dann warf ich die mehrteilige Monstergardine in die Wäsche. Schwesterchen und ich brauchten ungefähr anderthalb Stunden, bis wir sie wieder in der richtigen Reihenfolge und mit den gleichen Schwüngen wie ihr Pendant auf der anderen Raumseite angebracht hatten und fluchten die ganze Zeit wie die Rohrspatzen.

Dummerweise sah diese Seite nun ein bisschen heller aus als die andere, aber wir brachten es einen Tag vor der Rückkehr des Mütterchens nicht mehr über uns, auch noch das andere Monster abzunehmen, zu waschen und vor allem wieder aufzuhängen. Schwester und Schwager mussten sich nämlich auf den Weg nach Sachsen machen, um das Mütterchen wieder abzuholen, und alleine hätte ich die Dinger nie wieder ans Fenster bekommen. Das ist jedenfalls die offizielle Sprachregelung. UND DIE TOTALE WAHRHEIT!

Ja, das war alles ganz fürchterlich anstrengend, aber es hat sich gut angefühlt, mal was Sinnvolles zu machen. Also bis auf das Rüschenordnen der Gardine.

Den Donnerstagabend verbrachte ich nach der Rückreise stumm und allein und das war dringend nötig.

Freitag zur Date Night gab es Bringdienst-Pizza und Rosé-Champagner und das war ebenfalls dringend nötig.

Ich habe eben einen kleinen Spaziergang über den Lieblingsfriedhof gemacht, weil es mir fehlt, morgens Grün zu sehen. Das kann ja heiter werden.