Tagebuch, Sonntag, 13. bis Samstag, 19. Oktober 2019 – Pflegedienst

Auf der frühen Zugfahrt von München nach Hannover fast komplett im Halbschlaf unter den Noise-Cancelling-Kopfhörern verschwunden; diese Folge über Kunst in Ost- und Westdeutschland vom Monopol-Podcast gerne gehört, diese hier über DDR-Sprech vom Staatsbürgerkunde-Podcast nur so halb, weil mir das Gespräch fast durchgehend zu weit abschweifte. War vielleicht nicht die beste Reinkommerfolge, keine Ahnung. Hätte ich mir etwas konzentrierter aufs Thema gewünscht.

Papa hat mich die ganze Woche lang erkannt.

Ich bin seit Jahren kein Auto mehr gefahren. In dieser Woche war das ab und zu nötig weil Dorf und keine Öffis und kein passendes Fahrrad für mich und ich mies zu Fuß auf längeren Strecken mit schwerem Einkaufskorb. Die ersten 100 Meter im elterlichen Golf fragte ich mich hysterisch OMG WAS TUE ICH HIER, AUTOFAHREN WAAHH, aber dann war es, Achtung, Super-Kalauer, wie Fahrradfahren – das verlernt man anscheinend nicht. Ba-dumm-tsss. Schön den Arm aus dem Fenster hängengelassen bei Tempo 30 durchs Wohngebiet. Queen of the road!

Ich hatte allerdings überhaupt kein Gefühl für die gefahrene Geschwindigkeit, was natürlich auch am Auto gelegen haben könnte, das neuer ist als alle Karren, die ich jemals besessen habe. Ich wusste nie, ob ich 30 oder 50 fahre und musste alle 20 Sekunden auf den Tacho gucken. (Habe Rocky ein bisschen vermisst, den konnte ich ohne Tacho fahren. Brrmmbrrrm.)

Nach einem Einkaufstrip wollte ich vom Supermarktparkplatz runterfahren und wartete auf eine Lücke im Straßenverkehr. „Oh, ein blauer Karmann Ghia! … Oh, der sieht aus wie der von meiner Schwester! … Oh, das IST meine Schwester!“ Hektisch gewunken, weil ich die Hupe nicht instinktiv fand, Schwesterchen sah mich, winkte hektisch und breit grinsend zurück. Schwester im Dorf treffen habe ich auch seit 30 Jahren nicht mehr gemacht.

Meine Schwester liest mein Blog nicht, aber ich bin mir sicher, sie würde euch darauf hinweisen wollen, dass die Karre Gia ausgesprochen wird und nicht Dschia.

Das Frikadellenrezept von meiner Mama ist von meiner Omi und viel besser als meins. Wird in den eigenen Vorrat übernommen. Das Geheimnis: ZWEI Eier auf ein Pfund Thüringer Mett, nicht nur eins. So fluffig!

Die Abläufe mit den Pflegekräften haben sich automatisiert, alles geht deutlich besser und runder als beim ersten Mal, als ich da war, um meine Mutter zu unterstützen. Es ist trotzdem irre, wie fremdbestimmt man rumrennt. Keine einzige Buchseite gelesen, mal kurz in die Diss geguckt, aber nicht so wirklich, immerhin den Spiegel durchgekriegt, den ich auf der Zugfahrt begonnen hatte.

Fünfmal Hallo Niedersachsen gesehen und diverse Dokumentationen über den Norden, weil Papa das gerne sieht. Totales Heimweh bekommen. Ja, Laugenbrezn, ja, Leberkäs, aber: Wir haben trotzdem den schöneren Dialekt. Und die schöneren Fachwerkhäuser. Außerdem gelernt, dass die Profis einen A320 in 14 Minuten reinigen. Alter!

Jeden Morgen für Papa Thiele-Tee gekocht. Als beinharte Bünting-Trinkerin kann ich das natürlich nur als fiese Plörre bezeichnen. Der Riss geht durch die Familie! Habe trotzdem jeden Morgen zwei Tassen davon genossen. (Schöner taz-Artikel zum Ostfriesentee.)

Am dritten Tag Auto gefahren als hätte ich nie Pause gemacht. Das ist schon schön, dieses einsame Rumgurken. Zumindest auf dem Dorf. Autobahn muss ich nicht wieder haben, ICE ist netter. Fürs Protokoll: Beide Zugfahrten waren ereignislos und pünktlich.

Abends zum Runterkommen das tägliche 24-Stunden-Unbegrenztes-Internet-Paket meines Handyproviders zum Tethern genutzt und eine Serienfolge auf dem Laptop geguckt. Man kann also auch mit LTE-Geschwindigkeit streamen! Nein, meine Eltern haben immer noch kein Internet.

Meiner Mutter den Anfang unserer letzten Podcast-Folge auf dem Handy vorgespielt (ich hatte ihr den Artikel aus der SZ ausgeschnitten und zugeschickt). Ich rede wirklich zu schnell! Fällt mir beim Hören am Rechner nie auf, mit den miesen iPhone-Lautsprechern aber schon; da habe ich mich selbst manchmal nicht verstanden. Mist.

Der Dorf-Supermarkt hat Desinfektionstücher aus einem riesigen Spender für die Einkaufswagengriffe. Will ich auch in München haben! Erste Assoziation war natürlich nicht Grippe, sondern Schweinepest und Maul- und Klauenseuche. (Eben zuerst Mail- und Klauenseuche getippt.)

Musste mich immer zusammenreißen, nicht „Servus“ an der Supermarktkasse zu sagen. Das „Wiederschaun“ ist mir dann aber doch rausgerutscht. Bei Hallo Niedersachsen wird man mit „Moin und Guten Abend“ begrüßt and I think that’s beautiful.

Habe Papa zu einer Partie Bauernskat überreden können. Früher hat er fast wöchentlich mit meiner Schwester Preisskat gespielt. Er wusste noch, was Trumpf bedeutet und kannte die Farben, aber ich musste ihm quasi soufflieren, welche Karte er aufnehmen und wie herum er sie wieder ablegen muss. Aber als ich beim Zählen seiner Stiche „62“ sagte, wusste er, dass er gewonnen hatte. Ich habe mich quasi selbst geschlagen.

Nicht ganz so geschlaucht und geistig fertig gewesen wie beim ersten Mal, weil ich schon wusste, was mich ungefähr erwartet. Trotzdem war die Woche anstrengender als jeder Werbejob und jeder Archivtag, nach denen ich auch immer hirntot bin.

Werde jetzt öfter hochfahren, um meiner Mutter zu helfen.

Auf der Heimfahrt lauschte ich wieder der Jahresklassikliste und fand Danzón No. 2 von Arturo Márquez besonders spannend.

Und kaum bin ich nicht im Stadion, spielt Augsburg gegen Bayern unentschieden.

Nachtrag: Was schön war, 8./9. Oktober 2019 – Franzbrötchen und Staatsarchiv

Im Nachlass von Herrn Protzen befindet sich ein Brief, der mich darauf hinwies, dass zwei seiner Bilder 1935 an Bord der Aviso „Grille“ gelandet waren. Das Schiff wurde in Hamburg bei Blohm + Voss gebaut, deren alte Unterlagen inzwischen im Hamburger Staatsarchiv liegen. Ich besorgte mir eine Erlaubnis der Firma, ein bisschen in den 113 Regalmetern wühlen zu dürfen, suchte drei Stücke aus und bat das Staatsarchiv um Aushebung zum 8. Oktober.

Sorry, Greta, aber ich bin geflogen, die Zeit in Hamburg wäre sonst zu knapp geworden. (Aka ich wollte nicht um 4 Uhr morgens im Zug sitzen.) Ich landete pünktlich, stieg ausnahmsweise nicht aus der Flughafen-S-Bahn schon in Ohlsdorf um, sondern erst an der Wandsbeker Chaussee, um von dort ins Hotel zu kommen, und rollkofferte an die Rezeption. Mein Zimmer war natürlich noch nicht fertig, ich stellte das Köfferchen ab und nahm die U-Bahn wieder zurück in Richtung Staatsarchiv. Schon am U-Bahn-Bahnhof musste dringend das erste Franzbrötchen erworben werden, das ich im Rucksack, wo schon Rechner und Notizbuch lagen, zum Archiv transportierte. Natürlich hatte ich Profi einen Euro in der Hosentasche für zu erwartende Schließfächer, genau den brauchte ich auch, schloss alles ein, nahm ein paar Bissen Franzbrötchen OMG so gut und ging in den brav ausgeschilderten Lesesaal.

Am 7. Oktober hatte ich noch überlegt, rufste beim Archiv an und erinnerst nochmal an die Aushebung, dann dachte ich aber, nee, Quatsch, bis jetzt hatten alle Archive immer alles für dich da, wenn du vorher danach gefragt hast, lass es. Ich dann so am 8. Oktober im Lesesaal mein Sprüchlein aufgesagt, wer ich bin und dass hier was für mich liegt.

Archivmitarbeiter so: „Öhm.“
Ich so: *überschlägt im Geist Flug- und Hotelkosten, die eigentlich so gar nicht drin wären im Finanzplan* „Und nu?“
Archivmitarbeiter: „Ich hol mal ne Kollegin.“
Ich so: *klappt Rechner auf, sucht Bestätigungsmail vom Archiv, holt ausgedruckte, ich bin ja nicht doof, Erlaubnis von Blohm + Voss für die Akteneinsicht aus der Sichthülle, TEAM SICHTHÜLLE*
Archivmitarbeiterin: „Ich hab hier nichts im System … aber okay, Sie haben ja unsere Mail … hm … dann müssen die das halt jetzt ausheben.“

Ich sah mich schon eine längere Mittagspause mit Franzbrötchen und Frust in der Archivgarderobe zubringen, aber sie meinte, ich solle mir schon mal einen Platz suchen, sie würde mir die Akten dann bringen. Ich fand eine Steckdose, setzte mich an den ansprechend großen Tisch mit der Artemide Tolomeo drauf (Hamburg hat’s anscheinend), klappte den Rechner auf … und da war der Mitarbeiter mit den Akten. Yeah! So kann ich arbeiten. Die übliche Erklärung ausgefüllt und dann die Akten strategisch auf dem Tisch verteilt.

Das Goodie „Frauen im Flugzeugbau 1944“ legte ich nach ganz unten, das hatte ich mir aus purem Interesse ausheben lassen und nicht, weil ich es für die Diss brauche – es war halt da und klang spannend. Wozu sind Archive sonst da? Die „Regelung von Einzelfragen bei Marineaufträgen“ legte ich darauf, da wusste ich nicht, ob was für mich dabei war, das war ein Versuchsballon. Und direkt vor mir lagen nun zwei Stapel mit jeweils mindestens 500 Seiten Papier und Durchschlagpapier: „Bau der Aviso ‚Grille‘, 1934–1938, 2 Bände“.

Ich begann zu blättern und notierte quasi von Anfang an Zeug: Wie waren die Vertragsbestimmungen, wie groß war das Schiff überhaupt, wie ausgestattet, bis wann sollte was fertig werden und so weiter. Fand ich alles spannend, weil ich noch nie darüber nachgedacht hatte, wie man wohl ein Schiff baut. Ich merkte allerdings recht schnell, dass die vielen, vielen Seiten nicht chronologisch geordnet waren, weswegen ich aufhörte, Dinge zu notieren, weil die manchmal drei Seiten später wieder hinfällig waren – obwohl es schon lustig war zu lesen, wie die Marineleitung den Preis drücken konnte: „Naja, Sie haben ja auch schon angefangen, bauen Sie doch einfach zu diesem neuen Preis zuende, Bussi!“ So blätterte ich einfach. Und blätterte. Und blätterte some more. Und nach 400 Seiten stieß ich auf eine dreiseitige Verfügung, die mit „Ausstattung mit Bildern“ überschrieben war, grinste von einem Ohr zum anderen und machte die Beckerfaust. Wirklich. Ich ahne, dass Archivmitarbeiter*innen mich ziemlich seltsam finden, weil ich die quasi in jedem Archiv mache.

Ich erspare euch die für mich sehr aufschlussreichen Dinge, die ich in den drei Seiten fand und auch die, die ich im Schreiben zur Verfügung las und auch die, die ich noch einem weiteren Schreiben fand, das ernsthaft die allerletzten beiden Seiten des ersten Papierstapels waren. Die könnt ihr aber in aller Ausführlichkeit in der Diss lesen. Zwischen den ganzen Beckerfäusten tippte ich nämlich noch und machte um halb sechs Feierabend; den zweiten Stapel und den Rest wollte ich am nächsten Tag durchsehen.

Ab ins Hotel, Zimmer war fertig, kurz frischgemacht, sehr hirntot mit dem Mütterchen telefoniert, dann abgewürgt, weil ich los musste, die beiden Hamburger Lieblingsdamen treffen. Ich überlegte mir mit meinen 15 Jahren Hamburgleben eine Fahrtstrecke mit den Öffis zum Lokal, wo wir eine kleine Apfelschorle einnehmen wollten, dachte mir dann aber, ach guckste doch mal, ob die HVV-App eine andere Strecke vorschlägt. Schlug sie, und auch hier erspare ich euch Einzelheiten, aber ich habe mich ernsthaft in einer Stadt verlaufen, in der ich doch einige Zeit zugebracht habe und ich möchte nicht mehr darüber reden. (Weinende Lachsmileys in der WhatsApp-Gruppe der Damen, denen ich meine Verspätung ankündigte.)

Dann saßen wir zu dritt in einem sehr netten Laden, hatten gutes Essen, die Damen bestellten unter meinen Blicken voller Verachtung, und ich meine VOLLER VERACHTUNG, zwei KLEINE Helle, ich ein großes, später gab’s noch Cocktails, dann landeten wir auf der Couch einer der Damen und es gab Whisky, zwei von uns mussten am nächsten Morgen arbeiten, aber egal, so jung kommen wir nie wieder zusammen, schenk nochmal nach, büdde.

Das war schön. Das war richtig schön, scheiß auf Flug- und Hotelkosten. (In diesem Satz versteckt sich eine Moral fürs ganze Leben.)

Den Wecker am nächsten Morgen konnte ich gar nicht richtig hassen, weil ich mich so aufs Archiv freute. Köfferchen gepackt und im Hotel gelassen, gegenüber vom Hotel kurz die Apotheke für Kopfschmerztabletten aufgesucht (hier wäre noch eine Moral fürs Leben), an einer anderen U-Bahn-Station Franzbrötchen gekauft WEIL SIE HALT DA SIND, HIER SIND ÜBERALL FRANZBRÖTCHEN, DIE SCHMECKEN NIRGENDS SO GUT WIE HIER DON’T @ ME, Rucksack ins Schließfach, ab in den Lesesaal.

Ich blätterte den ganzen ersten Stapel nochmal durch und korrigierte ein paar flüchtige Formulierungen vom Vortag, dann blätterte ich den zweiten Stapel durch, aber in dem fand ich zu meinem Maler nichts mehr und auch nicht zu anderen. Dafür aber irre viele Rechnungen, die anscheinend noch auf den nicht eben günstigen Grundpreis des Schiffchens draufkamen. Der Grundpreis waren ungefähr sechs Autobahnkilometer, wie ich inzwischen durch ein anderes Kapitel in der Diss weiß. Die Rechnungen gingen um Spinde, Küchenausstattungen, Hoheitszeichen, die angebracht werden mussten, Hoheitszeichen, die noch vergoldet werden mussten, Abortpapier (500 Rollen zu 44 RM, Juli 1936) oder auch: „10 Stück Führerbilder in den Decks nach Angabe des Kommandos“, deren Anbringung mit 95,26 RM berechnet wurde. (Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 621-1/72_884, Bau der Aviso Grille 1934–1938, 2 Bände, hier Bd. 2, Rechnung von Blohm & Voss an das Oberkommando der Kriegsmarine, 37 Seiten, hier S. 29, 31.5.1937. Auf meine Frage an den Lesesaaldienst, wie man das Staatsarchiv Hamburg denn abkürzen dürfe für die Quellenangaben, kam die sehr hanseatische Antwort: „Wir möchten eigentlich nicht, dass das Archiv abgekürzt wird.“)

Die anderen beiden Archivalien brachten mir nichts, auch nicht wirklich Unterhaltung, denn irgendwie machte es so gar keinen Spaß, über Frauenarbeit im November 1944 im ausgebombten Hamburg zu lesen. Um 16 Uhr war ich mit allem durch und vor allem sehr zufrieden über meine Ausbeute, klappte den Rechner zu und schaffte sogar noch ein Treffen mit Kai, dem Ex-Kerl, in Ohlsdorf. „Wir hätten auch das Café direkt über dem Krematorium nehmen können!“ (Nein, das ist nicht der Grund, warum er der Ex-Kerl ist. Eher der, warum er überhaupt der Kerl wurde.)

Ereignisloser, sehr leerer Flug zurück nach München – „Wir haben heute nur 50 Gäste an Bord, wir müssen Sie etwas umverteilen“ –, wie immer die nervige S-Bahn-Fahrt zurück, die fast genauso lang dauert wie der Flug von Hamburg aus, aber beides ist inzwischen dank der Noise-Cancelling-Kopfhörer deutlich besser erträglich.

Erst am Flughafen in Hamburg bekam ich den Terroranschlag in Halle mit und mir fiel nichts Sinnvolleres ein, als tröstende Musik zu twittern.

Fehlfarben 23: ZERO GRAVITY // Nachts. Zwischen Traum und Wirklichkeit

Dieses Mal ist mir mittendrin eingefallen, ein Foto zu machen, weil wir es vorher wieder vergessen hatten. Falls ihr also irgendwann ein Stühlerücken hört – das war ich.


Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 78 MB, 97 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung und Vorstellung.

00.00:42. Blindverkostung Wein 1. Wir trinken aus mir inzwischen nicht mehr nachvollziehbaren Gründen deutschen Chardonnay.

00.03:22. Unsere erste Ausstellung: ZERO GRAVITY – Apollo 11 and the new notion of space in der Eres-Stiftung. Wir stellen mitten im Reden fest, dass wir viel zu viel quengeln, denn eigentlich mochten wir die Ausstellung. Von Felix gibt’s Interessantes zu Wernher von Braun, Flo entpuppt sich als totaler Mondfahrtfan und weist auf ein Interview mit Charles Moss Duke hin, und ich will schwebende Kissen von Warhol fürs Arbeitszimmer haben.

Drei Daumen hoch, und ihr könnt noch bis zum 1. Februar für lau in der Ausstellung vorbeischauen.

00.29:20. Blindverkostung Wein 2.

00.49:40. Blindverkostung Wein 3.

00.51:20: Die zweite Ausstellung: Nachts. Zwischen Traum und Wirklichkeit in der Sammlung Goetz im Haus der Kunst. Viele Videos, von denen wir einige erzählen und toll fanden, aber eigentlich hat nur jeder darauf gewartet, endlich über unseren totalen Liebling Hans op de Beeck sprechen zu können, in den wir uns schon 2014 verknallt hatten.

Ihr könnt euch The Thread aus der Ausstellung auf seiner Website anschauen, aber hey, geht doch einfach im Haus der Kunst vorbei und guckt es in groß in einem dunklen Raum. Dann habt ihr auch seinen Copyright-Rahmen nicht dauernd im Bild.

Auch für diese Ausstellung alle Daumen hoch. Läuft noch bis zum 6. Januar 2020 im ehemaligen Luftschutzbunker auf der Rückseite des Gebäudes und kostet nur fünf Euro.

01.31:30. Auflösung der Weine. Wir verzichten dieses Mal auf ein Ranking, denn irgendwie wollen wir alle nicht nochmal trinken. Sorry, Chardy!

Wein 1 von Felix: „Pastorenstück“ vom Weingut Metzger, Pfalz, 2018, 12,5%, bei wirwinzer.de für 7,95 Euro.

Wein 2 von mir: „Vom Korallenriff“ vom Weingut Hofmann, Rheinhessen, 2018, 13%, bei vinexus.de für 9,95 Euro.

Wein 3 von Flo: „Vom Kalkmergel“ vom Weingut Fogt, Rheinhessen, 2018, 13,5%, bei weinfreunde.de für 9,80 Euro.

Outtake nach der Aufnahme, wo wir trotzdem alle Flaschen leertrinken, aber mit Chips Krach machen können.

Was schön war, Montag, 7. Oktober 2019 – Flow

Nach gefühlt wochenlangem Rumhadern endlich den Teil des Autobahnkapitels beendet, der nie so recht zusammenkommen wollte. Das war der Teil, in dem ich alles aufschreiben wollte, was ich mir in den letzten zwei Jahren angelesen hatte, von dem ich also dachte, das weißt du alles, das kannst du an einem Nachmittag runterschreiben. Und genau in dem Augenblick, in dem ich anfange, Dinge runterzuschreiben, werden sie fusselig, unklar, halbgar und doof. Deswegen habe ich in den letzten Wochen gefühlt drei Sätze pro Tag produziert, wenn überhaupt. Aber gestern lief es endlich wieder, ich saß von morgens bis abends am Schreibtisch, nicht eingekauft, nicht mal die Zeitung hochgeholt, immerhin eine halbe Stunde Mittagspause bei der neuen Folge Bob’s Burgers gemacht, aber ansonsten konzentriert und zufrieden vor mich hingelesen und getippt.

Guter Tag, gerne wieder. Vielleicht dann ohne Det zuzustapeln.

Tagebuch Donnerstag, 3. Oktober 2019 – Levelkochen

Seit Tagen nicht mehr gebloggt, kein Mitteilungsbedürfnis gehabt. Fußball in Augsburg am Samstag, danach Wiesn, schöne Abende mit F., für Geld gearbeitet, an der Diss gesessen, Zeug gekocht. Wie immer halt.

Momentan beschäftigen mich Dinge, die nicht ins Blog gehören und sie nehmen mehr Platz in Anspruch als ich gedacht hatte. Daher wusele ich mich derzeit nur irgendwie durch den Tag, hoffe, dass die nächsten beiden Wochen schnell rumgehen und dass ich dann wieder in sturzlangweilige, ruhigere Gewässer komme. Ab und zu tauche ich auf, lungere auf Twitter rum und retweete fünf Minuten lang alles, poste Zeug auf Insta – oder ich stolpere über irgendwas auf YouTube. So wie gestern abend.

Keine Ahnung, wie ich dort hingekommen bin, aber ich sah eine Folge einer Videoreihe von Epicurious, die ich ab und zu schon gelesen habe, allerdings nicht regelmäßig. Daher ist die Reihe „4 Levels“ auch seit Monaten an mir vorbeigegangen. Spätestens heute sollte ich aber alle, leider nur 13 Folgen durchgeguckt haben.

Die Grundidee ist simpel: Drei Köch*innen auf drei Fähigkeitsstufen bereiten das gleiche Gericht zu, und zum Schluss erklärt eine Wissenschaftlerin – bei der ich nicht weiß, ob sie wirklich eine ist oder eine Schauspielerin –, warum beim Kochen was passiert, zum Beispiel, wieso das Omelett bei Köchin 3 fluffig wird oder das Hähnchen bei Koch 1 zäh. Die Sendungen dauern nur eine Viertelstunde, sind clever geschnitten und, deswegen mochte ich das gestern sehr, man lernt ernsthaft was dabei. Während ich bei Shows wie Masterchef oder meinem neuen Liebling The Chef Show auf Netflix meist nur mitsabbere und eher selten etwas nachkoche, sehe ich hier Dinge, die ich alle selbst schon einmal gemacht habe, und kann nun nachvollziehen, warum irgendwas gut oder nicht ganz so gut war.

Ich würde mich als Köchin zwischen Level 1 und 2 einordnen; ich mache durchaus schon Nudelteig selber und haue nicht auf alles Ketchup, aber meist folge ich blind Rezepten, ohne zu wissen warum. Gerade erst vor ein paar Tagen unterhielt ich mich mit einem Bekannten über dessen Pizzateig. Er meinte, der Teig würde nie in der Form bleiben, in die er ihn hochwerfend und rumzerrend geformt habe, er würde sich immer wieder zu sehr zusammenziehen. Und wir konnten nur wild rumraten, an was das gelegen haben könnte, ohne es wirklich zu wissen. Derzeit lenke ich mich mit zeitaufwendigen Versuchsreihen Bagelbacken vom Kopfkino ab, und auch dort weiß ich nicht wirklich, warum sich Dinge ändern, wenn ich Vorteige ansetze, Dinge länger oder kürzer gehen lasse, den Ofen auf volle Pulle heize oder nur einfach heiß. Mein Kochlevel ist „Ich probiere rum, bis es schmeckt, aber ich weiß nicht, warum es das im Endeffekt tut“. Daher fand ich die Videos, die ich gestern gesehen hatte, alle auf irgendeine Weise hilfreich.

So sah ich beim Fried Chicken, dass man es nicht unbedingt ewig in Buttermilch baden muss, weiß aber aus Erfahrung, dass das bisher mein bestes frittiertes Hühnchen war. Ich sah beim Thema Hamburger, wie das Rindfleisch ausgestattet sein sollte, um wirklich gut zu sein und ahne, dass ich wohl doch mal beim Metzger eine Spezialmischung frisch durchwolfen lassen sollte anstatt abgepacktes Zeug zu erstehen. Und bei der Folge zu Lasagne hatte ich dauernd Vinoroma im Ohr, die bei Carbonara-Sauce sehr streng mit den Zutaten ist (ich übersetze: KEINE VERDAMMTE SAHNE! KEINE ERBSEN! SEID IHR IRRE?), weswegen ich der zweiten Lasagne-Köchin innerlich zumurmelte: DAS IST KEINE LASAGNE, DAS IST IRGENDEIN NUDELAUFLAUF!

Was mir am besten gefallen hat, weil ich inzwischen weiß, dass es stimmt: Alle drei Köch*innen probieren nach dem Kochen ihre Gerichte – und allen schmeckt es. Ich weiß inzwischen, dass das vom Profi zubereitete Gericht eine andere Dimension hat als das des Hobbykochs, und dass eine erfahrene Laienköchin immer dazwischen liegt, aber ich weiß auch, dass mir selbstgekochtes Essen eigentlich immer irgendwie geschmeckt hat, einfach weil ich mir Mühe gegeben habe. Ich weiß inzwischen auch, dass Erfahrung dafür sorgt, dass Gerichte, die ich seit zehn Jahren koche, immer besser werden, und ich weiß auch, dass ich manchmal Anstupser von außen brauche wie Salz, Fett, Dings, damit ich endlich mal anständig Gewürze an alles werfe. Ich lerne immer noch jeden Tag dazu, und in Zeiten, in denen ich mal wieder mit vielem hadere, ist das eine wirklich tolle Sache, wenn deine Hefeteige (meistens) aufgehen, deine Carbonara schmeckt und du hervorragenden Espresso zubereiten kannst.

Bagels

(Hey, Googler:innen, nehmt lieber dieses Rezept!)

Ich hatte eigentlich schon ein Bagelrezept in meiner langen Liste, aber das hat quasi nur einmal richtig funktioniert und seitdem habe ich meist fiese Klötze statt leckerem Gebäck produziert. Daher nahm ich mir am Sonntag Stevan Pauls Auf die Hand – Sandwiches, Burger & Toasts, Fingerfood & Abendbrote vor und probierte das dortige Rezept. Das Endprodukt war noch nicht so hübsch prall, wie ich es gerne habe, sondern eher flach und unförmig, aber es hat diese herrliche Zähigkeit, die ich bei Bagels so gerne mag. Ich arbeite noch an der Optik, reiche das Rezept aber schon mal weiter. Und irgendwann probiere ich mal das 24-Stunden-Rezept bei der Kaltmamsell, das klingt auch so, als würde es schmecken.

Für acht Bagels

1/2 Würfel Hefe (ca. 20 g) mit
250 ml lauwarmen Wasser und
1 EL Zucker anrühren.

450 g Mehl, Type 405, in eine Schüssel sieben und eine Mulde in der Mitte formen. Die Hefemischung vorsichtig hineingießen, ein bisschen Mehl von den Rändern in die Flüssigkeit schubsen und alles abgedeckt für eine halbe Stunde an einem warmen Ort gehen lassen. Ich nehme dazu immer mein Bett und hülle die Schüssel in meine Bettdecke. Seitdem ich das tue, behaupte ich, dass meine Hefeteige immer und perfekt aufgehen.

Den ausgeruhten Vorteig mit
2 EL Olivenöl und
Salz (im Buch steht keine Mengenangabe, ich habe einen halben Teelöffel genommen) mit dem Mixer oder der Küchenmaschine zu einem glatten Teig kneten. Er sollte nicht zu klebig sein und sich zu einer Kugel formen lassen. Diese in der Schüssel lassen und nochmal abgedeckt 30 Minuten gehen lassen. (Ab ins Bett, du glücklicher Teig.)

Den aufgegangenen Teig in acht Teile teilen, diese zu Kugeln formen und in die ein ca. zwei Zentimeter großes Loch bohren. Also mit dem Löffelstiel, unfeierlich mit dem Finger, was auch immer ihr tut. Bei mir sind die Löcher alle wieder kleiner geworden, aber hey, ich hab’s versucht.

Die so geformten Bagel auf ein Backblech legen und, genau, nochmal 30 Minuten abgedeckt gehen lassen. (Ja, ich lege auch Backbleche in mein Bett.)

Einen Topf mit Salzwasser zum Kochen bringen. Mein Topf war nur groß genug für jeweils einen Bagel, das hat prima funktioniert, ihr könnt natürlich auch einen Bottich nehmen, in den alle acht auf einmal passen. Die Bagels für jeweils 30 Sekunden von jeder Seite kochen und abtropfen lassen.

1 Eigelb mit
1 EL Sahne (bei mir Vollmilch) verquirlen, die Bagels damit bestreichen und noch mit
Sesam bewerfen.

Im auf 200 Grad vorgeheizten Ofen auf der 2. Schiene von unten für 25 Minuten backen.

Tagebuch Donnerstag, 26. September 2019 – Schlechte Laune

Gemeinsam aufgewacht, das war noch schön. Danach wurde ich langsam zu Grumpy Gröner. Okay, erst gab’s noch guten Kaffee und die kurze Radfahrt in die Stabi, das war auch noch schön. Aber dann!

Ich hatte mir mal wieder ein bisschen NS-Lektüre in einen der kleinen Lesesäle zurücklegen lassen. Das Buch Deutschlands Autobahnen, Adolf Hitlers Straßen von Otto Reismann kannte ich schon, das hatte ich vor ungefähr zwei Jahren schon einmal in der Hand, die beiden Bände vom Bauen im Neuen Reich von Gerdy Troost (Erstauflage 1938, Neuauflage bzw. 2. Band 1942 und 1943) kannte ich noch nicht. Auch die Bedeutung von Troost war mir noch nicht so klar, ich kannte bisher nur ihren Ehemann, weil ich sehr oft in einem seiner Gebäude sitze.

Für das Reismann-Buch musste ich wieder den üblichen Zettel ausfüllen, auf dem mein Name steht, meine Bibliotheksnummer und der Grund für die Verwendung dieses Buches sowie meine brave Versicherung, den Kram nicht abzufotografieren und auf Insta zu stellen und generell nichts Böses mit ihm zu machen. Die beiden Troost-Bände konnte ich einfach so aus meinem Abholfach nehmen. Mir ist immer noch nicht klar, welche Quellentexte anscheinend aus dem Giftschrank kommen und welche nicht, aber ich vergesse auch immer, einfach mal danach zu fragen.

Ich blätterte zunächst bei Frau Troost rum und fand sehr viele gute Abbildungen von diversen Bauwerken im ganzen Reich, darunter natürlich auch ein paar Autobahnen bzw. Brücken, Rasthäuser, Straßenmeistereien, Tankstellen oder Entwürfe zu diesen. Die verglich ich mit den Werken von Protzen, weil mich interessiert, welche seiner Motive vielleicht auch in offiziellen Veröffentlichungen zu sehen waren – also: Hat er einfach irgendwelche Baustellen gemalt oder die, von denen er wusste, dass die von den Machthabern als beispielhaft angesehen wurden? Außerdem interessierte mich einfach, wie dokumentarisch sein Blick gewesen ist bzw. wie sehr er Motive verkünstelt hatte.

Und dann liest man solche Sätze: „Über Weichsel, Warthe und Rhein greifen die Reichsautobahnen hinüber in alte deutsche Kulturlandschaften, die von den Kriegsentscheidungen ins Reich zurückgeführt wurden. Der Gedanke, Tore nach Osten und Westen, Tore in die große deutsche Heimat öffnen, hat in den Entwürfen für die großen Strombrücken sinnvoll Gestalt gewonnen. Mit symbolischer Macht sprechen diese Brücken von der glückhaften Vollendung Deutschlands, dessen Lebensadern sie hinüberleiten in das heimgekehrte Land.“ Reismann zieht den Weg auf „uralten Verkehrsadern“ noch weiter: „… bis Indien und in den fernen Osten. Immer hat ja der nordische Mensch in der Geschichte den Weg nach Indien beschritten. Alexander der Große hat ihn begangen, zahlreiche Kulturdenkmäler der nordischen Rasse finden wir auf diesem Wege.“ Spätestens dann möchte man alles anzünden.

(Erstes Zitat: Gerdy Troost (Hrsg.): Das Bauen im Neuen Reich, Bd. 2, Bayreuth 1943, S. 6; zweites Zitat: Otto Reismann: Deutschlands Autobahnen, Adolf Hitlers Straßen, Bayreuth 1937, S. 12.)

Bei Troost finden sich gleich in der Einleitung Gedanken zum nationalsozialistischen Bauen. Die kenne ich natürlich, genau wie ich schon oft genug in anderen Quellen Überlegungen zur angeblich neuen deutschen Kunst gelesen habe, aber gestern erwischte mich mal wieder alles auf dem falschen Fuß. Ich muss dauernd an Bemerkungen aus der AfD-Ecke denken, Begriffe wie „völkisch“ wieder salonfähig zu machen, und an normalen Tagen rolle ich knurrend mit den Augen und denke, Fresse, Penner, aber gestern wollte ich einfach nur schreien und mit Dingen werfen. Es ist mir ein Rätsel, wie man derartige Texte irgendwie okay finden kann bzw. warum einige Arschlöcher mit dem Wissen der Funktionsweise des „Dritten Reichs“ noch irgendwas aus dieser Richtung wieder salonfähig machen möchten. Ja, mir ist schon klar, dass derartige Texte bei diesen Pissern (und Pisserinnen) ganz anders ankommen als bei mir, aber HERRGOTTFUCKINGDRECKNOCHMAL.

Ich möchte anscheinend immer noch rumschreien, weil mir keine Argumente gegen diese Idiotie mehr einfallen außer WAS IST BEI EUCH SCHIEFGELAUFEN? Nee, ist auch kein Argument.

Heute morgen im Radio einen Buchtipp mitbekommen, macht auch nichts besser.

Sehr unkonzentriert am Schreibtisch gesessen, eigentlich nur schlechte Laune gehabt. Die nächste Diss mach ich über van Gogh.

What’s the Point?

Damit ihr nicht auch schlechte Laune kriegt. Vielleicht kann uns Kunst retten? Vermutlich nicht, aber: Sie macht alles erträglicher. Michael Chabon tritt von einem Posten der MacDowell Colony zurück und gibt uns zum Abschied etwas mit auf den Weg. Fettungen von mir.

„These feel like such dire times, times of violence and dislocation, schism, paranoia, and the earth-scorching politics of fear. Babies have iPads, the ice caps are melting, and your smart refrigerator is eavesdropping on your lovemaking (and, frankly, it’s not impressed).

Fascists, bigots, and guys who plan to name their sons Adolf wake up every day with a hateful leer on their faces and the Horst Wessel Song in their hearts—if you’re an ignorant, misogynist, xenophobic, racist against science, I guess times have never felt better. But for the vast rest of us—and please know, please believe, you and I greatly outnumber them—for the rest of us, things can seem so much worse than they did back in 2010, when a decent, thoughtful, level-headed, rational, and humane black man was living in the White House.

It has all seemed to fall apart so quickly. Looking around, it’s hard not to wonder who or what is to blame. I think it might be me. No, hear me out. […]

I stepped into this position nine years ago so full of fire and fervor and belief in the power of art, and hence the MacDowell Colony, to change the world. I meant for the better. I even came up with a catchy slogan for us that reflected this belief. It went like this: MacDowell makes a place in the world for artists, because art makes the world a better place. It turned out to be one of those catchy slogans that’s so catchy no one can actually remember it, and it never really caught on, but I meant every strangely forgettable word of it. […]

And yet here we are, nine years into my tenure, and not only is the world not a better place—it has, in so many ways, gotten so much worse. I mean, really, what other conclusion is there? I’m sorry. Don’t hate me. I tried.

Or, I wonder if it’s possible that I was wrong, that I’ve always been wrong, that art has no power at all over the world and its brutalities, over the minds that conceive them and the systems that institutionalize them. Those folks I cited earlier, the ones who offer their grim reassurances that the world has always sucked as much as it does now, in particular for women, the poor, the disenfranchised, the enslaved, the downtrodden, and the exploited, these folks might point out that art and misery have coexisted for the whole span of human existence on earth, and suggest that perhaps the time to abandon hope for the redemptive power of art is long overdue.

Maybe the world in its violent turning is too strong for art. […]

Or maybe the purpose of art, the blessing of art, has nothing to do with improvement, with amelioration, with making this heartbreaking world, this savage and dopey nation, a better place.

Maybe art just makes the whole depressing thing more bearable.“

Was schön war, Mittwoch, 25. September 2019 – Über die Diss sprechen

Vormittags war ich mit einer Doktorandin verabredet, mit der mich mein Doktorvater per Mail verkuppelt hatte. Eigentlich wollten wir uns schon früher treffen, aber das hatte sich aus Gründen immer verzögert – die Dame wohnt nicht in München –, und gestern klappte es endlich. Wir saßen bei Hildegard, ich frühstückte ein bisschen Vanillecremetorte, ein, wie ich jetzt weiß, äußerst sättigendes Backwerk, wir tranken Milchkaffee und Cappuccino und sprachen, von den Umsitzenden vermutlich etwas argwöhnisch beäugt, über Kunst im NS, Hitlerreden, Goebbels’ Tagebücher, ob Protzen ambitioniert war oder nicht, ob man das seinen Bildern ansieht und wo man noch schöne Archivalien finden könne, um unsere Thesen und Ideen zu belegen. Das tat wie auch schon beim Kolloquium sehr gut, mit jemandem zu sprechen, der einen ähnlichen Wissenshintergrund hat. Wir konnten uns beide noch Neues erzählen, ich bekam wichtige Denkanstöße und hatte generell eine sehr gute Zeit.

Und bis abends keinen Hunger mehr. (Muss – diesen – fluffigen – Biskuit – nachbacken!)

Abends saß ich mal wieder mit F. am Küchentisch und wir kamen generell auf das Thema Promotion. Meine Gesprächspartnerin ist wie ich Einzelkämpferin, nicht in einer Forschungsgruppe eingebunden und vermutlich wird ihr der zu erlangende Titel auch nicht mehr viel in der Karriere bringen. Sie ist auch schon etwas länger als ich dabei und will dringend fertigwerden; sie erzählte, dass sie Fragen von anderen, ob man promovieren sollte oder nicht, inzwischen mit „Nur wenn du dich quälen willst“ beantwortet. Und F., der ja auch ein „Dr.“ vor dem Namen tragen darf, meinte ähnlich: „Was Forschung wirklich bedeutet, merkst du erst, wenn du richtig forschst. Und bei aller Liebe: Eine Masterarbeit ist keine richtige Forschung.“ Womit niemand den Titel des MA schlecht machen will, aber ich neige inzwischen dazu, ihm zuzustimmen: Das Ausmaß an Suchen, Denken und Schreiben, das eine Dissertation erfordert, geht über das Maß einer MA-Arbeit deutlich hinaus, und das verstehe ich auch erst so langsam.

Vor wenigen Tagen bekam ich eine Mail, die sich auf einen meiner alten Blogeinträge zur BA-Arbeit bezog, weswegen ich in den Einträgen noch einmal rumlas und mich an meine damalige Situation erinnerte, in der ich nicht recht zum Ziel kommen konnte und alles fürchterlich fand. Mir fielen auch meine Screenshots wieder ein, die ich von den erreichten Seiten- und Zeichenzahlen machte und die mir wie eine irre Errungenschaft vorkamen. Das waren sie zum damaligen Zeitpunkt auch, aber heute weiß ich: Eine BA-Arbeit ist nicht mal ein lausiges Kurzkapitel in einer Diss. Die Menge an Stoff, die man sich dafür anliest oder erarbeitet, hat eine völlig andere Dimension, die Tiefen, in die man gedanklich vordringt, kann man vorher gar nicht erreichen, weil man immer eine Deadline und eine nicht zu überschreitende Textmenge vorgegeben bekommen hat. Und das ist auch der Grund, warum sowohl meine Gesprächspartnerin und F. und ich weitermachen bzw. abgeschlossen haben: weil man diese Gelegenheit eben nie wieder bekommt, sich so tief und so lange in ein Thema hineinzufressen, wie man will. Der Fluch des Ganzen ist gleichzeitig sein Segen.

Ich erinnerte mich auch an die vielen Mails, die ich bekam, als ich als Doktorandin angenommen wurde; da waren viele dabei, die mir sagten, ich habe promoviert, ich weiß, wie’s dir geht und hey, wenn du irgendwann feststeckst, noch kein Ende siehst und den Anfang schon nicht mehr, sag Bescheid, das kennen wir alle. Das habe ich damals natürlich nicht geglaubt, dass wir das alle kennen, aber auch dazu kann ich inzwischen sagen: Ja, das scheint auch normal zu sein, dass man irgendwann an den Punkt kommt, an dem man sich fragt, was das alles soll und ob in den 100 Seiten, die man schon hat, überhaupt eine einzige gute ist. Den hatte ich vor einiger Zeit schon mal, der kommt auch anscheinend gerne nochmal um die Ecke, aber auch das habe ich inzwischen kapiert: mit anderen darüber reden, die das kennen, hilft wirklich.

Insofern, an alle Promovierenden da draußen: Ich sehe euch. Sagt Bescheid, wenn ihr einen Ghost Hug braucht oder eine Entschuldigung dafür, mal eben eine Serie wegzubingen, weil der Kopf nicht mehr weiß, was er eigentlich machen soll.

Lustige sechsminütige Filme über amerikanische Maskottchen helfen übrigens auch: Happy First Birthday, Gritty, the Antifa Hero.

Was schön war, aber jetzt beim Aufstehen anstrengend ist, Dienstag, 24. September 2019 – „Herkunft“

Acht Stunden am Schreibtisch gesessen, drei Seiten geschrieben.

Ich lese gerade den ganzen Autobahnkram nochmal durch, den ich vor zwei Jahren schon einmal gelesen und seitdem im Hinterkopf habe. Deswegen lese ich nur oberflächlich, weil ich die ganze Zeit denke, kennste, kennste, kennste, weißt du alles, und ich muss mir dann selbst dauernd sagen, ja, aber lies es trotzdem nochmal, du Huhn, und überprüf, ob du irgendwelche Infos findest, von denen du bisher dachtest, dass sie für deine Arbeit nicht wichtig wären, die es jetzt aber geworden sind, weil sich der Fokus der Diss etwas verschoben hat. (Jajaja.)

Immerhin entdeckte ich eine Zeitschrift, die ich noch nicht kannte – Technikgeschichte – und dass sie zu großen Teilen online ist, also jedenfalls für Menschen mit Bibliothekszugang, und dort las ich interessiert, dass die Idee der elektrifizierten Autobahn, die seit ein paar Monaten als Pilotprojekt läuft, auch schon von 1936 ist: Thread.

In der Mittagspause eingekauft, viel Tee getrunken, Sandwich gegessen und eine Packung Schokoladenspekulatius weil sie da sind die Guten.

Nicht auf dem Oktoberfest gewesen.

Abends Zeitung gelesen, eine neue Serie angeschaut, die gestern Premiere hatte (All Rise, da fand ich den Titel nett), eine alte, die ich glaube ich mal zu den Akten legen sollte, so irre, wie die wird (9-1-1). Ein bisschen im Haushalt rumgepuschelt, brav um 23 Uhr im Bett gewesen, Candy Crush gedaddelt, mich noch über IMPEACH THE MOTHERFUCKER ALREADY informiert und dann das derzeitige Buch zur Hand genommen, Herkunft von Saša Stanišić, weil ich noch zwei, drei Seiten auf Papier lesen wollte, um nicht den ollen Bildschirm als letztes zu sehen, bevor ich einschlafe.

Um halb zwei war ich auf Seite 200 und wollte das Buch jetzt erst recht nicht mehr weglegen, wo ich schon so weit war, und dann war es, laut Twitter, 2 Uhr 47, als das Wort ENDE auftauchte, und ich war sehr zufrieden und glücklich und traurig gleichzeitig. Glücklich, mal wieder ein Buch gefunden zu haben, das mich so fesselt, dass ich es jetzt lesen muss, ganz egal wie früh der Wecker klingeln wird. Und traurig, weil die Geschichte von Flucht und Vertreibung, aufflammenden nationalen Konflikten, überhaupt die Idee der Nation, des Eigenen, des Wir gegen die Anderen, wieder da ist, obwohl sie natürlich nie weg war, wie wir uns das alle schön eingeredet haben.

Anfangs stolperte ich über die Erwähnungen von AfD-Hochrechnungen in einem Buch, in dem der Autor hauptsächlich über den Balkankrieg und seine Folgen für ihn persönlich schreibt, aber als dann auch noch Rostock-Lichtenhagen und Mölln auftauchten, war das alles genau richtig so mit den Erwähnungen. Bloß nicht wieder darauf reinfallen, dass es die Rechte angeblich nicht mehr gibt und wir inzwischen klug geworden sind und nett zueinander.

Große Leseempfehlung. Vielleicht nicht unbedingt dann, wenn man um 7 aufstehen muss. Oder gerade dann, was weiß ich denn.

Ach, Bücher!

Tagebuch Montag, 23. September 2019 – Zwei Filme und viel Flüssigkeit

Viel Wasser getrunken. Sehr viel Wasser getrunken.

Abends meinem derzeitigen Celebrity Crush nachgegeben und zwei Filme von Josh Radnor geguckt, die er selbst geschrieben und gedreht hat.

Ich fing netterweise mit dem etwas jüngeren an, Liberal Arts von 2012. Darin kehrt ein Mittdreißiger (Radnor) an seine alte Uni zurück, um auf einem Abschied für einen seiner Professoren eine Laudatio zu halten. Er merkt, wie sehr ihm die gelehrte Atmosphäre gefehlt hat (großes Hach bei mir auf dem Sofa). Er lernt eine 19-Jährige kennen und beginnt eine Art Fernbeziehung mit ihr, indem die beiden sich Briefe schreiben und sie ihn mit Opernmusik auf selbstgebrannten CD versorgt (Tannhäuser-Ouvertüre und Cosi fan tutte auf einer CD? Stirnrunzeln, aber okay, Soave sia il vento mochte ich auch), was ihre Idee war (erstes Augenrollen wegen 19, amüsiert wegen Briefe und Musik). Zu mehr als einem Kuss kommt es nicht, was mich sehr erleichtert hat, das fühlte sich alles eher doof an. Weniger doof fühlte es sich an, als sich Allison Janney als eine ehemalige Dozentin ihren Fanboy ins Bett holt und ihn danach unelegant rausschmeißt und ihm mitgibt, endlich erwachsen zu werden. Hervorragender Dialog beim Rausschmiss: Jesse Fisher: “You *are* the same Judith Fairfield I took British Romantic literature from?” — Prof. Judith Fairfield: “*From whom* I took British Romantic literature.”

Ich mochte die kurze Rede Radnors, der einem zweifelnden Studi mitgibt, die Uni zu genießen, weil sie die einzige im Leben ist, in der man ewig in Büchern rumlesen und sie wild diskutieren kann, ohne seltsam angeguckt zu werden. Und natürlich mochte ich eine weibliche Hauptfigur, die lieber alleine im Bett liest als auf schlimme Partys zu gehen. Insofern fand ich den Film nicht fürchterlich, aber ein bisschen faul, vor allem die irgendwie noch reingedengelte, altersgerechte Beziehung zu einer, genau, Buchhändlerin, damit auch ja alles irgendwie ein Happy End kriegt.

Derart überzeugt von Radnors Talent schaute ich noch Happy Thank You More Please von 2010, und der war so richtig mies. Hauptfigur ist wieder Radnor, der dieses Mal einen Schriftsteller spielt, dessen Short Storys anscheinend okay sind, der aber keinen Roman gebacken bekommt (was immerhin zu einer der wenigen guten Dialogzeilen führt). Er bemerkt eines Morgens in der U-Bahn in New York, wie ein kleiner schwarzer Junge beim Aussteigen, während sich andere Fahrgäste in die Bahn drängeln, von seiner Familie getrennt wird, woraufhin er ihn, total logisch, mit nach Hause nimmt (AAAAAHH!) anstatt sich an irgendeine Behörde zu wenden, die eventuell für ihn zuständig sein könnte. Dann gibt es noch eine beruflich erfolgreiche, wunderschöne Freundin von ihm, die 50 weitere Freunde hat, die zu ihren Partys kommen, die aber, ganz schlimm, Alopezie hat und daran anscheinend so leidet, dass sie sich nicht liebenswert fühlt, weswegen ihr erst ein nerviger Kerl, der ständig Fotos von ihr macht (AAAAAHH, aber immerhin Tony Hale), erzählen muss, dass sie echt in Ordnung ist, und zack, glaubt sie das und findet ihn und sich toll (AAAAAHH!). Eine andere Freundin hat keine weitere Funktion in dem Film außer schwanger zu werden, damit ihr Kerl seinen Traum aufgibt, nach Los Angeles zu ziehen und damit zeigen kann, wie nett Kerle sind (AAAAAHH!). Und die Geschichte von Kate Mara, die trotz der offensichtlichen Idiotie des Hauptdarstellers UND DES KLEINEN JUNGEN IN DER WOHNUNG für drei Tage zu ihm zieht, obwohl er nur mit ihr schlafen wollte, lasse ich mal aus weil AAAAAHH! Selten so viele herablassende Sätze von Männern gehört, die zweifelnde Frauen auf den richtigen Weg bringen wollten, und auf die Figur des weißen Retters gehe ich nicht mal mehr ein. Was für ein Scheiß. Crush durch.

Normalerweise reicht es schon, Promis auf Twitter zu folgen, damit meine Verknalltheiten sich erledigen, denn meistens twittern sie den gleichen Quatsch wie wir Nicht-Promis, machen dabei aber viele Rechtschreibfehler. Das kuriert mich jedenfalls meist recht schnell, wie ich mir oberflächlichem Hascherl leider eingestehen muss.

Was schön war, Sonntag, 22. September 2019 – Oktoberfest, erste Runde

Seit Samstag gab es in meiner Twitter-Timeline das übliche Battle Ende September: Der eine Teil freut sich wie blöde auf eine hoffentlich friedliche Wiesn, die erste Maß, die ersten Tischreservierungen, den ersten Bummel über das Gelände und die traditionell zu erstehenden gebrannten Mandeln. Der andere Teil findet das alles ganz fürchterlich und meckert über Trachtenstrenge und/oder Trachtenfasching, Schnapsleichen und eine vollgekotzte Theresienwiese. Mir sind dieses Jahr Trachten sehr egal, dachte ich jedenfalls, bis ich mich gestern gegen 16 Uhr auf den Weg zu unserer Reservierung auf der Oidn Wiesn machte – und es dann doch sehr hübsch fand, wie sich alle rausgeputzt hatten. Neuer Trend: Man Bun zur Lederhose. Geht!

Ich selbst war in Stoffhose und Shirt unterwegs, weil ich keine Lust aufs Dirndl hatte. Die Jüdische Allgemeine vertwitterte mal wieder den üblichen Artikel zum Arbeitsgewand, das erst die Nazis salonfähig gemacht hatten. Im Text wurden auch die „Straßen des Führers“ erwähnt, mit denen ich mich ja bekanntlich seit Längerem auseinandersetze, woraufhin ich einen kleinen Thread als Ergänzung schrieb. Hier in Textform, weil das Einbetten von allen Tweets irgendwie nicht klappt: „Die Reichsautobahn sollte Menschen nicht unbedingt am schnellsten von A nach B bringen, sondern durch eine reizvolle Landschaft führen: Die Fahrer*innen sollten ihr Deutschland besser kennen und schätzen lernen. Dazu gehörte auch eine lokal unterschiedliche Gestaltung von Brücken und Rasthäusern. Jedenfalls war das die Idee: Viele Brücken sahen trotzdem eher funktional als hessisch, thüringisch oder bayerisch aus. Genauso die Grundidee für Raststätten mit ihren Gasthäusern. Diese sollten, laut Fritz Todt, „bodenständig gestaltet sein, regionale Gerichte anbieten, das Personal regionale Trachten tragen.“ Allerdings nur im ursprünglichen Reichsgebiet. Der Architektur in den eroberten Ostgebieten wurde kein wesentlicher Wert beigemessen. Quelle: Michael Kriest: „Die Reichsautobahn. Konzeption, räumliche Struktur und Denkmaleigenschaft eines historischen Verkehrsnetzes“, Petersberg 2016. Zitat aus dem vorletzten Tweet: S. 216.“

Wir trafen uns am Eingang zur Oidn Wiesn, suchten ein wenig unseren Tisch und fanden ihn dann im Bereich „Franz Xaver Krenkl“, von dem ich inzwischen weiß, dass er für das geflügelte Wort „Wer ko, der ko“ zuständig gewesen war. Und dann saßen wir stundenlang beeinander, tauschten die Plätze am Tisch stets durch, genossen Augustiner, Rohrnudeln, ich ein Hendl, auf das ich mich schon den ganzen Tag lang gefreut hatte, wünschten alle zehn Minuten der Gemütlichkeit ein Prosit und fanden alles ganz wunderbar.


Auf dem Heimweg erstand ich meine geliebte Tüte gebrannte Mandeln, an denen ich gerade beim Tippen rumknabbere.


The Felix

Aus Gründen habe ich F., dessen Name einigen von euch eh schon bekannt ist, daher steht er jetzt auch in der Überschrift, ein Burgerrezept zum Geburtstag geschenkt. Es richtete sich nach den Geschmacksvorlieben des Herrn, was Alkoholika angeht. Warum ich ihm dann nicht einen Cocktail zusammengerührt habe, weiß ich nicht mehr, aber im Nachhinein bin ich froh über diese Entscheidung, denn durch das Googeln nach den Einzelteilen habe ich viel Schmackhaftes entdeckt, und nebenbei wurde mir das beste Burger-Bun-Rezept empfohlen, das ich hiermit weiterreiche.


Entwurf und Umsetzung. Falls jemand meine hektische Gutscheinschrift nicht lesen kann: Wir brauchen Brioche-Buns, Whisky-Bacon-Jam, Balsamico-Zwiebeln, Whisky-Ketchup, in Gin marinierte Gürkchen sowie Rinderhack und Käse. Für das Hack brauchen wir auch Whisky. Ich habe für alles den guten zwölfjährigen Bunnahabhain geopfert, der ein winziges Raucharoma mitbringt. Beim ersten Probekochen hatte ich den irischen Jameson benutzt, einen Blend, der aber irgendwie nicht mit den Gin-Gurken zusammenging. Daher: Ich würde auf Islay-Whiskys zurückgreifen, die ein bisschen Zickigkeit mitbringen. Auch wenn’s weh tut, Hackfleisch darin zu baden. (Ich bin ja eher die Highlands-Trinkerin, aber den Bunnahabhain mag ich auch.)

Wir fangen mit den Brötchen an. Wenn ich jemals in diesem Blog eine Nachbackempfehlung gegeben habe, dann die hier: Die Buns sind weich, aber nicht zu fluffig, halten auch meinem üblichen Burgerzusammenpressen stand, damit ich sie in den Mund kriege, bröseln nicht, weichen nicht durch und schmecken nebenbei auch prima mit Marmelade, wenn man sich nach einer Woche Probekochen an Whiskyhack überfressen hat.

Für zehn bis zwölf Buns:

1 Würfel (42 g) frische Hefe mit
200 ml warmen Wasser,
4 EL Milch und
35 g Zucker verrühren und ein paar Minütchen stehen lassen.

500 g Mehl, Type 550, mit
8 g Salz,
80 g weicher Butter und
1 Ei vermischen. Die Hefemischung dazugeben und mit dem Mixer oder der Küchenmaschine zu einem seidigglänzenden Teig rühren. Er sollte nicht sehr klebrig sein und sich vollständig vom Schüsselrand lösen. Abdecken und für eine Stunde gehen lassen.

Danach zehn bis zwölf Buns formen. Dazu 80 bis 90 Gramm Teig nehmen, zu einer Kugel formen, plattpatschen und nochmal eine Stunde abgedeckt gehen lassen. Bei mir waren es fast immer 85 Gramm und ich habe elf Buns herausbekommen; nächstes Mal gehe ich auf 90 Gramm.

Nach dem zweiten Gehvorgang die Oberflächen der Buns vorsichtig mit einer Mischung aus
1 verquirlten Ei,
2 EL Wasser und
2 EL Milch bestreichen. Ich werde nächstes Mal nur das Eigelb nehmen und die Flüssigkeiten halbieren, das sollte auch reichen. Laut Originalrezept sollten die Zutaten Zimmertemperatur haben, sonst erschrickt sich die Hefe noch. Die bestrichenen Buns mit
Sesam bestreuen.

Im auf 200 Grad vorgeheizten Ofen bei Ober- und Unterhitze für 16 bis 20 Minuten backen; bei mir reichten meist schon 16. Auskühlen lassen, halbieren, auf den Schnittseiten toasten (habe ich gleich in der Pfanne gemacht, in die auch das Hackfleisch kam) und dann kann’s losgehen mit dem Belegen: Ketchup, Whisky Bacon Jam und Balsamicozwiebeln.

Für das Whisky-Ketchup total simpel
8 EL Ketchup mit
4 EL Islay-Whisky und
2 EL Cola vermischen. Klingt eklig, ist aber super.

Das Rezept für die Balsamicozwiebeln steht hier. Ich hatte keine roten Zwiebeln im Haus, aber einen Berg weiße: geht auch hervorragend. Hat mir für den Burger sogar besser gefallen, dass sie nicht ganz so süß sind, denn in der Bacon Jam und im Ketchup ist genug Zucker.

Ich habe das Rezept für die Bacon Jam geviertelt, dabei kommt ein kleines Glas raus, das reicht für eine sehr ordentliche Burgerschlacht zu zweit. Die Originalmengen stehen im Link.

200 g Bacon in Streifen schneiden und in einer beschichteten Pfanne bei geringer Hitze ohne Fettzugabe auslassen. Das dauert eine knappe halbe Stunde. Keine Hektik. Der Bacon sollte gut gebräunt sein.

Den Bacon abschöpfen, das Fett in der Pfanne lassen und darin
80 bis 100 g Zwiebeln oder Schalotten bei mittlerer Hitze goldbraun anbraten (das waren bei mir eine kleine Zwiebel und vier Schalotten, kommt nicht aufs Gramm an). Wenn die Zwiebeln gebräunt sind,
1 gehackte oder gepresste Knoblauchzehe dazugeben. Alles mit einer Mischung aus
1 EL Chilisauce (bei mir Tabasco),
30 ml Ahornsirup,
30 ml Islay-Whisky,
1/2 TL scharfes Paprikapulver und
1/2 TL Pfeffer (bei mir Cayenne) ablöschen. Die Hitze erhöhen, alles etwas einkochen lassen. Dann
15 ml Balsamico und
25 g Zucker dazugeben. Im Originalrezept ist es weitaus mehr Zucker, braucht kein Mensch. Ich habe das alles erst zweimal gemacht, ich glaube, man kann die Zuckermenge sogar noch mehr reduzieren als ich es hier schon gemacht habe. Wieder alles einkochen lassen, den Bacon zurück in die Pfanne geben, einmal gut umrühren und ab ins Gläschen damit. Hält sich auch bei Zimmertemperatur für ein paar Tage. Länger habe ich es noch nie ausgehalten, nicht alles aufzuessen.

Fehlen nur noch die Gin-Gurken. Auch hier steht im Originalrezept die vierfache Menge, ich schreibe die für ein Glas auf.

125 ml gutes Weißweinessig (meine Lieblingsmarke) in einen kleinen Topf geben. Dazu
1/2 rote Chili, fein gehackt,
1/2 TL Zucker,
1/2 TL Salz,
3 bis 5 Wacholderbeeren,
Saft und Schale einer viertel Limette. Ja, das klingt seltsam: Im Originalrezept ist es natürlich eine ganze Limette. Ich habe das Rezept bisher zweimal gemacht: Je mehr Limettensaft drin ist, desto weniger schmeckt man den Gin, also mach, wie’s dir am besten schmeckt. Ich mochte die frische Säure ehrlich gesagt lieber als den Gin, der dann nur noch als Grundton irgendwo rumwabert, daher gebe ich in mein Gläschen den Saft von fast einer halben Limette und dazu die Schale einer viertel.

Alles kurz aufkochen, für fünf Minuten simmern lassen und beiseite stellen.

1/2 Salatgurke in feine Scheiben schneiden oder hobeln. Bei mir war es der gute alte Gemüsehobel, der alles fein in 1-mm-Scheibchen verwandelt hat. Das machte das ganze schön stapelbar für den Burger. Damit kann man auch gleich noch
2 Schalotten in feine Ringe hobeln.
1 Zweig Minze abzupfen.

Und schon kann man stapeln: Erst eine Runde Gurken ins Glas, dann Schalotten, dann ein paar Blätter Minze. Weiterstapeln, bis das Glas halb voll ist, dann
25 ml Gin dazugeben, weiterstapeln. Zwischendurch alles ein bisschen zusammendrücken, weiterstapeln. Zum Schluss die Essigmischung dazugeben, bis möglichst alles Gemüse bedeckt ist. Das hat bei mir beim ersten Versuch nicht geklappt, beim zweiten dann schon, obwohl ich mit denselben Mengen gearbeitet habe, keine Ahnung. Hält sich laut Rezept verschlossen bis zu sechs Monaten, geöffnet bis zu vier Wochen, das hat hier aber auch noch nie so lange gedauert, bis alles weg war.

Fehlt nur noch das marinierte Hack: Ich habe pro Patty 100 g reines Rinderhack genommen. Das geformte Patty legt man für eine halbe Stunde in den guten Whisky und dreht es dann um, damit es nochmal eine halbe Stunde rumliegen kann. Im Originalrezept kommt noch Knoblauch zum Whisky, das wollte ich nicht. Dafür habe ich es schon ordentlich gesalzen.

Ich habe das Patty bei mittlerer Temperatur von jeder Seite drei Minuten gebraten, jedenfalls vorgestern beim gemeinsamen Mahl, wo ich nicht fotografieren, sondern essen wollte, und das war etwas über medium. Der hier nachgebaute Burger von gestern war von jeder Seite zweieinhalb Minuten in der Pfanne und ist etwas unter medium geworden. Wie dem auch sei: 30 Sekunden vor dem Ende der Bratzeit auf jedes Patty eine Scheibe Käse werfen (hier nur Cheddar und kein guter Allgäuer Käse, sorry) und dann das Fleisch auf jeden Fall nochmal ein paar Minuten ruhen lassen. Dann suppt es nämlich nicht rum und ihr habt keinen See auf dem Teller.

Ich mag normalerweise Eisbergsalat für den Crunch und auch als Bollwerk zwischen Fleisch und Brot, aber der Burger hier schmeckt eindeutig besser ohne Salat. Man schmeckt den Whisky gut durch, aber er überlagert nicht alles, der Gin passt wie erwähnt zum Islay gut, zu süßlichen Blends so gar nicht, und alles ist mild-würzig. Daher: nächstes Mal auf jeden Fall Bergkäse oder was ähnlich kräftiges, der Cheddar ging nämlich sehr unter.

Dieser Blogeintrag wird auf meiner Rezeptseite dreimal verlinkt werden: unter Buns, Jam und Gingurken. Das Ketchup kann ich mir so gerade merken. Und das letzte Bild steht hier nur, damit ihr die Superkonsistenz der Buns bewundern könnt, auch nachdem ich sie fies zusammengequetscht habe. So ein tolles Zeug! Danke an @hirngabel für den Tipp. Und nun geht hin und backt, Kinners!

Was schön war, Donnerstag, 19. September 2019 – Käthe Kollwitz

Was überhaupt nicht schön war: die gesamte erste Tageshälfte. Oder genauer gesagt, alles bis 18 Uhr. Großer Selbstzweifeltag auf allen Baustellen, Selbstgeißelung, Selbstvorwürfe, alles scheiße, deine Elli.

Eigentlich wollte ich mich dann unter die Bettdecke verkriechen und einfach warten, bis der Dreckstag rum war, aber F. und ich hatten Karten für eine performance lecture von Käthe Kollwitz, einem der Gründungsmitglieder der Guerilla Girls, im Haus der Kunst. (Dass die Dame nicht wirklich so heißt, ist klar, gell? Ihr seid ja nicht doof.) Und so diskutierte ich mit mir selbst und F., ob jetzt Bettdecke oder lecture besser wären für mein Seelenheil, bis ich mir selbst sagte: Anke. Kind. Die Guerilla Girls! Du ärgerst dich morgen schwarz, wenn du nicht hingegangen bist.

Also zerrte ich um 18 Uhr mein Fahrrad aus dem Keller und radelte geschwind zum Museum, was schon mal der Anfang einer guten Idee war, denn Radeln macht ja immer glücklich. Und die Abendsonne beschien alles gar gülden.

Die performance lecture war dann schlicht ein einstündiger Vortrag, aber eben stilecht in Gorillamaske. Kollwitz zeigte viele der vergangenen Aktionen, Poster, Ausstellungen, fand es gleichzeitig absurd und großartig, dass sie nun selbst als Künstlerinnen in den Häusern vertreten sind, gegen deren Ausstellungspolitik sie seit über 30 Jahren protestieren. Hier ihr vermutlich bekanntestes Werk von 1989 in der Tate: Do women have to be naked to get into the Met Museum? Das Poster gibt es auch mit aktualisierten Zahlen von 2012: Inzwischen sind nur noch, nur noch, haha, 76 Prozent alle Akte im Met weiblich im Gegensatz zu 85 Prozent, aber dafür ist die Zahl der ausgestellten Künstlerinnen sogar noch gesunken: von lausigen 5 Prozent auf noch lausigere 4.

Ich kannte viele der Aktionen, viele andere nicht, und war unerwarteterweise ein bisschen star struck. Auch die anschließende Fragerunde konnte mich erheitern. Als die Mikrofone rumgereicht wurden, bettelte ich innerlich: Bitte keinen Kerl als ersten Fragenden, bitte keinen Kerl. Es fragte dann überhaupt kein Mann irgendwas – die Herren waren im Publikum zahlenmäßig auch weit unterlegen –, aber stattdessen mehrere Frauen, und oh Wunder, frau konnte sich kurz fassen und nicht erstmal ein Spontanreferat halten. Irre. Geht also!

Ich merkte, wie sehr ich diesen Vortrag an genau diesem Scheißtag gebraucht hatte, als Kollwitz zum Abschied ins Publikum rief: „And good luck for all your work!“ Woraufhin ich fast ein bisschen geheult hätte, weil das eben exakt der Pep Talk war, den ich hören musste.

Nach Hause geradelt, Gin Tonic … und dann eine heiße Zitrone getrunken, gemeinsam eingeschlafen, alles wieder gut. Halbwegs.

Der Satz, den ich am schlauesten fand, steht auf einem ihrer neuesten Poster und fasst gut zusammen, was an der derzeitigen Ausstellungspolitik in Museen und Galerien nervt: „If museums don’t show art as diverse as the cultures they claim to represent, tell them they’re not showing the history of art, they are just preserving the history of wealth and power.“

Die NYT von gestern: Female Artists Made Little Progress in Museums Since 2008, Survey Finds.

Tagebuch Mittwoch, 18. September 2019 – Dachau

Nach dem Schreiben des gestrigen Blogeintrags hatte ich schlechte Laune. Dieser ganze verdammte Nazidreck frisst mich an manchen Tagen mehr an als an anderen; mir ist schon klar, dass ich das Thema meiner Dissertation selbst gewählt habe und damit auch in der Konsequenz eine Beschäftigung mit dem „Dritten Reich“, die weitaus intensiver ist als im bisherigen Studium. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, wie ich auf die nun folgende Tagesgestaltung gekommen bin, um meine schlechte Laune loszuwerden, aber immerhin habe ich damit einen Punkt abhaken können, den ich seit sieben Jahren, seitdem ich in München wohne, vor mir herschiebe: einen Besuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Dabei fiel mir natürlich auch wieder ein, dass ich fünfzehn Jahre lang in Hamburg gewohnt habe und niemals in Neuengamme war. Überhaupt ist es, wer hätte es gedacht, für so ziemlich jede*n Deutsche*n recht einfach, zu NS-Gedenkstätten zu kommen – es gibt, aus Gründen, recht viele davon.

Als Schülerin aus der Nähe von Hannover besuchte ich mit unserer Klasse Bergen-Belsen, und im Rahmen einer Klassenfahrt nach Prag waren wir in Theresienstadt. Im Zuge dreier Fahrten in den Süden der damaligen DDR habe ich dreimal Buchenwald gesehen. Die Ausstellung im Museum hörte damals mit roten Fahnen, einem Honecker-Bild und einer Nachbildung des antifaschistischen Schutzwalls auf, mit dem ja bekanntlich alles gut geworden ist. Das scheint sich glücklicherweise inzwischen geändert zu haben. Um Auschwitz habe ich mich bisher gedrückt bzw. aus diesem Grund vor einer Reise nach Polen, wo ich eigentlich gerne mal hinmöchte (Danzig! Krakau! Breslau! Und nebenan Kaliningrad (Königsberg)! Und das Geburtsörtchen meiner Mutter), aber dann doch nicht hinfahre, denn wenn ich da bin, müsste ich nach Auschwitz. Das sagt mir mein Kopf jedenfalls, mein Bauch will davon nichts hören. Wir diskutieren noch.

Weil ich mich den ganzen Tag mit dem Nazischeiß beschäftige, versuche ich ihn ab und zu von mir wegzuschieben – indem ich zum Beispiel über die Blumenstillleben im Haus der Deutschen Kunst rede und den harmlosen Landschaften wie gestern im Blogeintrag. Indem ich die Harmlosigkeit der Bilder hervorhebe, von denen keine propagandistische Gefahr ausgeht, wenn man sie betrachtet, weswegen man sie meiner Meinung nach ruhig an Museumswände hängen dürfte, wenn auch als schlechtes Beispiel, mache ich sie aber gleichzeitig kleiner als sie sind. Sie sind immer noch Bausteine eines unmenschlichen Systems, und um nicht jeden Tag schlechte Laune zu haben, denke ich bei Autobahnbildern eben an Landschaften mit Straßen drin und nicht an Zwangsarbeiter, die dafür Steine klopfen mussten. Dieses schizophrene Arbeiten vereint übrigens die meisten Doktorand*innen, mit denen ich im Kolloquium gesprochen habe. Einer meinte ganz ehrlich, er wüsste nicht, wie man Holocaustforschung betreiben könnte, ohne wahnsinnig zu werden, denn den kann man nicht so schön von sich wegschieben wie wir unsere Blümchenbilder. Oder ich in meinem Fall Bilder von allen bayerischen Seen und Bergen, die es gibt. Gefühlt hat Protzen das ganze Land einmal abgemalt.

Und so holte ich mich selber wieder aus der Drückebergerecke heraus und setzte mich in einen Regionalzug nach Dachau, der lächerliche elf Minuten brauchte. Mir war wirklich nicht klar, wie nah das Dörfchen an München dran ist. Nebenbei: Ich stolpere immer noch über die Dachauer Straße in meiner Nachbarschaft, weil Dachau für mich eben nicht das Dörfchen ist, sondern das KZ. F. erzählte mir die Story eines FC-Bayern-Fanclubs aus Dachau, die ihr Banner, auf dem der Ortsname stand, nicht bei einem internationalen Spiel über die Brüstung des Sitzranges hängen durften – für andere ist dieser Name nämlich auch eher Synonym für Naziterror anstatt nur eine Ortsbezeichnung.

Vom Bahnhof fährt ein Bus direkt zur Gedenkstätte, der sehr voll war. Um mich herum fast nur englischsprachige Menschen. Im Besucherzentrum holte ich mir einen Lageplan, denn ich wollte vor allem ein Kunstwerk sehen: die Skulptur von Nandor Glid, die 1968 enthüllt wurde und vorne auf dem Flyer abgebildet ist. Leider ist sie gerade zur Sanierung eingerüstet, was ich nicht mitbekommen hatte.

Man betritt das Lager durch das sogenannte Jourhaus, im Lagertor steht „Arbeit macht frei“. Es ist eine Nachbildung, das Original wurde 2014 gestohlen, ist inzwischen aber im Museum zu besichtigen. (Alle irre.) Das Museum befindet sich im ehemaligen Wirtschaftsgebäude am Kopfende des langgestreckten Areals, dahinter ist noch das Lagergefängnis zu besichtigen. Ich ging erstmal auf den Platz vor dem Wirtschaftsgebäude, wo die eingerüstete Skulptur steht. Man geht in eine Art Senke und schaut dann nach oben, was ich in dieser Einfachheit sehr bewegend fand. Selbst wenn man auf eine Bauplane guckt, auf der das Werk abgebildet ist. Man kann es dahinter aber noch erkennen, und ich wusste nicht, wie groß es ist.

Ich schaute mir die Sicherungsanlage mit Wachturm und Außenmauern an, mit den Lampen und dem Stacheldraht, ich ging in eine rekonstruierte Baracke, wo gerade mehrere Schulklassen ihren Führungen lauschten, und dann ging ich das ganze Gelände ab, das nur noch aus Betoneinfassungen besteht, wo früher einmal die anderen 32 Baracken gestanden hatten. Am Fußende des Geländes liegen mehrere Gedenkstätten verschiedener Konfessionen; ich ging nur in die jüdische und die katholische. Am dortigen Ende liegt auch der ehemalige Krematoriumsbereich, den ich ausließ. Nach den Öfen und den Seziertischen in Buchenwald möchte ich derartiges nicht mehr sehen.

Im Museum stand ich sehr lange vor den Stationen mit der Berichterstattung über das Lager. Dass sich diese wilde Ausrede – „wir haben ja nichts gewusst“ – überhaupt so lange halten konnte, macht mich immer fassungsloser, je länger ich mich mit dem Thema beschäftige. An den ausgestellten Zeitungsartikeln war netterweise die Quelle angegeben, und jetzt weiß ich, dass ich mir im Stadtarchiv München eine vermutlich recht umfangreiche Sammlung an Zeitungsausschnitten über das Lager ausheben lassen kann. Auf das KZ bin ich nämlich auch bei Recherchen zu Protzen gestoßen, der angeblich „mit Dachau bedroht“ wurde. Hier der bisherige Ausschnitt aus meiner Diss dazu, von dem ich noch nicht weiß, ob er drin bleibt:

„Das Wissen über Konzentrationslager war, entgegen der Aussagen vieler Deutscher nach 1945, durchaus vorhanden, auch schon 1933. Janosch Steuwer erwähnt in „Ein Drittes Reich, wie ich es auffasse.“ Politik, Gesellschaft und privates Leben in Tagebüchern 1933–1939 diverse Tagebucheinträge von Personen unterschiedlicher sozialer und politischer Hintergründe, die zeigen, dass von Beginn der NS-Herrschaft an Konzentrationslager und mindestens ihre Funktion als Arbeitslager bekannt waren. Ein Gelegenheitsarbeiter besichtigte laut seiner Tagebuchaufzeichnung das Konzentrationslager Dachau „im Rahmen einer Radtour am Ostersonntag [1933]“. [1] Im Jahresbericht 1933 eines Landwirts erwähnt dieser: „Im benachbarten Sachsenburg ist ein derartiges Lager“, wo die Insassen „allerhand Arbeiten unter polizeilicher Bewachung“ erledigen müssten. [2] Am 15. Oktober 1933 notierte ein Schuldirektor in Bezug auf die bevorstehende Reichstagswahl im November: „Die Zeit des Parlamentarismus soll doch endgültig vorbei sein. […] die Führer [der Parteien], soweit sie nicht in Gefängnissen oder Konzentrationslagern sitzen, haben sich zurückgezogen.“ [3]

[1] Steuwer 2017, S. 64.
[2] Ebd., S. 93.
[3] Ebd., S. 356.

Es gibt noch einen Fußweg zum Bahnhof, den sogenannten Weg des Erinnerns, den ich vielleicht beim nächsten Mal abgehen werde. Gestern war ich nach dem Besuch, wer hätte es gedacht, noch schlechter gelaunt als vorher. Könnte auch an den üblichen Schulklassen gelegen haben, die gerade auf der Rückfahrt im Bus lautstark möglichst cool und unbeteiligt wirken wollten. Pubertät ist so eine anstrengende Zeit, und allmählich glaube ich, für die Umstehenden eher als für die hormongeplagten Teenager. Generell fand ich es aber schon interessant zu sehen, dass die Gedenkstätte recht gut besucht war und eben nicht nur von Schulklassen, sondern auch von Einzelpersonen wie mir oder kleineren Gruppen und Paaren. Einige schienen individuelle Führungen gebucht zu haben, ich hörte mehrere Fremdsprachen, aber vor allem Deutsch.

Ich fuhr erneut elf Minuten nach München zurück und gönnte mir vom Lieblingsmetzger eine Leberkässemmel, das Heilmittel für alles, auch für anstrengende Tage. Das ahnt man als Norddeutsche ja gar nicht, wie gut dieses Zeug tut. Den Rest des Tages war ich eher stumm und las dringend Kram, der nichts mit der Diss zu tun hat. Ich brauche mal eine Pause von dem ganzen Rotz, glaube ich.

Tagebuch Dienstag, 17. September 2019 – Au-to-baaaaahn

(Es hilft nix, man hat es immer im Kopf.)

Gestern vertiefte ich mich mal wieder in den Bau der Autobahnen bzw. zunächst dem ersten großen Projekt für eine reine Autostraße, die sogenannte „Hafraba-Straße“, dann der AVUS von 1921 und der ersten auch so bezeichneten Autobahnstrecke zwischen Köln und Bonn 1932, die später nicht ins Reichsautobahnnetz eingegliedert wurde, weil kein trennender Mittelstreifen zwischen den Spuren vorhanden war. Mir geht es gerade ganz simpel um die politischen Vorgaben und die reine Entstehung des Bauwerks bzw. den Plänen für die spätere Reichsautobahn oder noch bzwiger, welche schon vorhandenen Pläne die Nationalsozialisten als ihre eigenen ausgaben.

Damit war ich dann den ganzen Tag beschäftigt. Das von mir angelegte Stoffsammlungsdokument zu diesem Thema stammt übrigens, wie mir gestern wieder auffiel, vom November 2017. Ich werde mich nie wieder fragen, warum Dissertationen so lange dauern.

A Nazi Design Show Draws Criticism. Its Curator’s Comments Didn’t Help.

Die NYT berichtet über die Ausstellung des Design Museum Den Bosch, das sich mit der grafischen und architektonischen Gestaltung des „Dritten Reichs“ auseinandersetzt. Ich habe die Ausstellung selbst nicht gesehen und bin mir auch nicht sicher, ob ich das noch tun werde. Nicht weil ich die Idee doof finde, sondern weil ich nicht weiß, ob sie mir viel Neues zeigen wird.

Kurator de Rijk lehnte sich zunächst mit arg dämlichen Statements zum Wesen des Museums an sich sehr weit aus dem Fenster der Idiotie:

„Controversy has been brewing around the exhibition since February 2018, when Mr. de Rijk gave the interview to De Volkskrant to announce the show. He began by characterizing Dutch design in museums generally as “too feminine.” “Apparently, more women work in the design departments, and homosexuals, by the way,” the Volkskrant quoted Mr. de Rijk as saying. “That is of course a cliché, but the museum world seems to repeat those clichés,” he added.“

Zur Ausstellung selbst hat er allerdings Schlaues zu sagen:

„“All our art history books run from 1890, when modernism started, to 1939 or 1940, and begin again in 1945,” Timo de Rijk, the museum’s director and the curator of the exhibition, said in an interview last week. “We’ve skipped something: A large part of what existed there, which is crucial to understanding what happened afterward — and also what came before — is not understood. I want to change that.”

Das ist genau das Argument, was Menschen, die in meinem Bereich forschen – systemkonforme Kunst des NS – seit Jahren runterleiern. Unser Verständnis einer Zeit wird nicht besser, wenn wir Dinge daraus wegschließen oder vernichten, damit sich bloß niemand mit ihnen konfrontieren muss. Mein liebstes Zitat, dessen Quelle leider nicht frei zugänglich online ist, stammt von Julia Voss in der FAZ, die über die damals (2011) neue Website GDK-Research schrieb, an der mein Doktorvater maßgeblich beteiligt war und ist. Sie meinte zur systemkonformen Kunst, die jahrzehntelang unter Verschluss geblieben war und nun erstmals in ihre gesamten Breite sichtbar gemacht wurde, dass man eben durch diese jahrzehntelange Unkenntnis auf eine Höhle voller Drachen warte – und stattdessen auf Molche und Lurche treffe. Eben die schnarchigen Blumenstillleben und eine banale Landschaft nach der anderen. In diesem Zusammenhang meine ewige Lieblingszahl: Eindeutig ideologische Kunst (Hitlerbüsten, Kriegsszenen, Soldaten etc.) stellten stets nur einen winzigen Teil der Kunst im Haus der Deutschen Kunst dar; ihr höchster prozentualer Anteil betrug nie mehr als vier lausige Prozent (GDK 1941, Quelle: Aufsatz „Die ‚Große Deutsche Kunstausstellung‘ 1938. Relektüre und Neubewertung“ in diesem Buch).

Ich finde es außerdem gerechtfertigt, auf den Designaspekt des „Dritten Reichs“ hinzuweisen und auf seine verführerische Kraft, gerade in diesen Zeiten, in denen die Rechten sich wieder aus ihren Löchern trauen. Denn das war eine Kritik an der Ausstellung, die auch in den Kommentaren zum Artikel zum Ausdruck kommt: Sollte man sowas gerade jetzt eben gerade nicht zeigen? Ich meine: genau jetzt.

Das Ausmaß, mit dem das „Dritte Reich“ die deutsche Bevölkerung umfasste, kann durchaus immer wieder betont werden. Selbst mir war nicht klar, wie sehr die Ideologie jeden noch so kleinen Anteil des persönlichen Lebens betraf, da hat mir die Dauerausstellung im NS-Dokuzentrum hier in München sehr viel beigebracht. Gerade weil sich heute wieder Widerlichkeiten wie „völkisch“ und „entartet“ in den Sprachgebrauch schleichen, man in jedem dritten Facebook-Artikel darüber diskutieren muss, warum „Jedem das Seine“ kein gutes Zitat ist, egal wo es ursprünglich herkommt (wir malen ja auch keine Hakenkreuze mehr irgendwo hin und sagen, guck mal, altindisch) und anscheinend auch niemand mehr darüber stolpert, wenn man sich einen Telefontarif „selektieren“ soll, sollte man daran erinnern, wie diese Dinge und Worte missbraucht, umgedeutet oder erfunden wurden.

Eine Kritik, die jede Ausstellung abkriegt, die Dinge aus der NS-Zeit ausstellt, ist der angeblich fehlende Kontext: Müsste man nicht Fotos aus KZs zeigen, damit niemand vergisst, was das hübsche Design angerichtet hat? Ich halte das, wie in der Ausstellungsbesprechung zu „Artige Kunst“ in Regensburg erwähnt, für Quatsch und Didaktik für Doofe. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass jemand, der sich eine Ausstellung zum Nationalsozialismus anschaut, nicht weiß, was diese Ideologie angerichtet hat. Und ich glaube auch, dass die (meist) Jungs, siehe NPD- und AfD-Wähler und -Mitgliederhäufung, die das alte Design so schick finden und heute wieder rote Fahnen mit schwarzen Fantasiesymbolen auf weißem Grund gestalten, um bewusst eine optische Verwandschaft herzustellen, das ebenfalls genau wissen. Deswegen finden sie den Kram ja so toll: weil sie ihre kleingeistigen, größenwahnsinnigen Fantasien ausleben können. Keiner von denen sagt, hey, der Albert Speer, der hat aber echt schön die klassischen griechischen Vorbilder umgesetzt und konsequent monumentalisiert, gut gemacht, Junge – die sagen, hey, geil, Platz für 200.000 jubelnde Deppen und ich vorne auf der Tribüne. Der Leiter der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die ja bekanntlich im Saal 13 systemkonforme Kunst (und meinen Herrn Protzen) ausstellen, meinte in einem Interview, der Raum sei so gar nicht zur Sammlungsstätte von Alt-Nazis geworden, was im Vorfeld durchaus diskutiert und befürchtet werde. Den Alt- und Neu-Nazis sind Zieglers Vier Elemente oder Protzens Baustelle bei Leipheim nämlich egal, die finden nur die Idee super, dass endlich mal wieder jemand sagt, was Kunst ist und was weg kann.

In diesem Zusammenhang empfehle ich euch erneut Albert Speer: Eine deutsche Karriere von Magnus Brechtken, das ich mit großem Gewinn gelesen habe, vor allem den Teil nach 1945, der sich auch mit dem Umgang der Bundesdeutschen mit ihrer Nazivergangenheit befasst.