Dienstag, 30. Januar 2024 – Anselm und Jeff

Den Vormittag verbrachte ich im Bällebad des ZI, wo ich mir aus jedem der fünf Stockwerke Bücher zusammensuchte und über mehrere Künstler nachdachte, unter anderem Anselm Kiefer, mit dem ich anscheinend immer noch nicht durch bin. Dass ich auf allen fünf Stockwerken war, ist eher ungewöhnlich, daher fiel es mir gestern auf. Was mir mal wieder nicht aufgefallen ist: wie lange ich an den Büchern sitze – und welche Wege ich für sie zurücklege. Mein Schrittzähler nach dem ZI zeigte 4000 Schritte an, und es war fast 14 Uhr, als ich vor Hunger nicht mehr denken konnte und den Heimweg antrat.

Beim Preppen der Meal Plans am Sonntag dachte ich noch, echt, Kartoffeln vorkochen wie meine Mutter? Die kann ich doch auch frisch kochen am Tag, an dem ich sie essen will. Gestern war ich sehr dankbar fürs Vorkochen, denn die Dinger mussten noch eine halbe Stunde in den Ofen und ich war sehr, sehr hungrig.

Zu den Smashed Potatoes gab’s eine Tahinisauce und geröstete Erdnüsse (habe ich einfach die letzten fünf Minuten zu den Kartoffeln geworfen anstatt noch ein Pfännchen rauszuholen), dazu einen Salat aus geschreddertem Brokkoli und weißen Bohnen. Als ich das Rezept las, war ich eher skeptisch, aber wie bei so ziemlich allen Rezepten war er dann überraschend gut. Und ich danach sehr, sehr satt.

Abends stand ich im Lenbachhaus und lauschte Jeff Wall. Ich hätte gerne gesessen, aber es war so richtig schön voll im Atrium, weswegen um kurz nach halb sieben schon keine Sitzgelegenheiten mehr da waren, als ich ankam. F. und standen fast auf der obersten Stufe des zweistöckigen Treppenhauses, wo man sich immerhin zwischendurch mal auf die Stufen setzen konnte.

Jeff Wall dürfte mit einer der ersten Künstler sein, von dem ich mir einen Katalog gekauft habe, damals, als ich noch mit Kunstgeschichte überhaupt nichts am Hut hatte. Ich zog ihn gerade aus dem Regal: Er ist von 2005 und ich nahm ihn aus der Tate mit, wo mich Walls Werk „A Sudden Gust of Wind (After Hokusai)“ (1993) faszinierte. Ein weiteres meiner Lieblinge ist netterweise hier in München, leider nicht ständig in der Sammlung Goetz zu sehen, aber die „Zeit“ hat es in einer Ausstellungsbesprechung (Bild 3, „Jell-o“, 1995).

Ich habe Wall gerne zugehört und fand die Einblicke in seine Arbeitsweise sehr interessant. Noch interessanter fand ich, dass er keine einzig richtige Interpretation seiner Werke vorgibt, ja sie nicht einmal selbst hat. Jede*r Betrachter*in nimmt andere Dinge mit und genau so soll das sein. War auch mal schön, das zu hören.

Jeff Wall ist gerade in Basel zu sehen.

Montag, 29. Januar 2024 – Tagebuch und Diss

Die ersten Briefe und Tagebücher von Maxie Wander durchgelesen. Es gibt noch einen weiteren Band, den werde ich mir auf jeden Fall leihen.

Ich spazierte beim Lesen im Zeitraffer durch ein fremdes Leben, musste unwillkürlich vergleichen oder wurde an Dinge, Ereignisse oder Worte erinnert, die ich entweder aus westlicher Perspektive anders wahrgenommen oder bereits vergessen hatte. Den Begriff „Westfernsehen“ habe ich zum Beispiel schon ewig nicht mehr gehört, ob ich ihn selbst benutzt habe, weiß ich gar nicht mehr. Dass Wander von ihrem Häuschen in Kleinmachnow manchmal Schüsse an der Grenze hörte und an Krieg dachte, hat mich völlig überrascht; in meinem Kopf war die Mauer immer ein komplett abgeriegeltes Gebiet, fast klinisch exakt aus der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt. Ich war in der Mitte von Niedersachsen anscheinend weit genug weg von allem, obwohl mein Vater bei einer Firma arbeitete, die die sogenannte Zonenrandförderung erhielt. Mit der Wiedervereinigung wurde der Zweig in Hannover geschlossen, weswegen mein Vater noch kurze Zeit am Hauptsitz in Berlin arbeiten musste, bevor er in einen frühen Ruhestand ging. Berlin war so gar nicht seins, da bin ich ganz Tochter meines Vaters.

Wander erlebt noch die Veröffentlichung ihres ersten Buchs kurz vor ihrem Tod. Ich musste erneut an Papa denken; ich bin immer noch traurig darüber, dass er geistig schon nicht mehr in der Lage war, meinen eigenen größten Erfolg, die Abgabe und die erfolgreiche Verteidigung meiner Dissertation, zu verstehen. Auch mit meinem Buch konnte er natürlich nichts mehr anfangen.

Dann dachte ich aber daran, dass ich Teile der Diss in der alten Heimat geschrieben habe, wenn ich wieder für ihn zuständig war, als er noch zu Hause gelebt hat. Ich weiß noch, dass ich am elterlichen Wohnzimmertisch die Einkünfte von Protzen zusammengerechnet habe, die er im Werkverzeichnis notiert hatte. Diese verglich ich mit seinen Angaben im Spruchkammerbogen. Papas Krankenbett war im Esszimmer, das direkt ins Wohnzimmer übergeht, ich guckte also ab und zu zu ihm rüber, während ich Dinge durchblätterte und am Handy Summen zusammenzählte. Er freute sich immer, wenn irgendjemand da war, also tippte ich gerne im Wohnzimmer, wenn der Fernseher gerade nicht lief.

Ich erinnere mich auch, von irgendjemand Wildfremden im Internet digitale Quellen zugeschickt bekommen zu haben, die ich auf Papier nicht finden konnte und über die ich teilweise beim Googeln gestolpert war. Auch diese öffnete ich erstmals, als ich gerade im Wohnzimmer saß. Und ich weiß noch, dass ich mich am elterlichen Küchentisch erstmals mit den ehemaligen Ostgebieten befasste bzw. die ersten Absätze zu diesem Thema schrieb. Das hatte ich völlig vergessen, dass Teile meiner Diss in Niedersachsen entstanden sind und dass Papa noch ein bisschen mitbekommen hat, an was ich arbeite. Das war schön, daran zu denken, auch wenn es mich traurig gemacht hat.

Sonntag, 28. Januar 2024 – Schlafen und lesen

Ich war um kurz vor sechs wach, stellte hochmotiviert die Espessomaschine an, zog alle Jalousien hoch, bewunderte den Fast-noch-Vollmond, der satt zu sehen war, las ein bisschen, daddelte am Handy, es wurde hell, ich war immer noch im Bett, zog noch einmal die Bettdecke über die kühl gewordenen Ärmchen … und wachte um halb elf wieder auf. Hach, Sonntag!

Den Meal Prep für die nächste Woche gemacht, zwei Saucen bzw. Dressings angerührt, Kartoffeln vorgekocht, Brokkoli zerkleinert. Ich werde demnächst etwas ausführlicher zu den abonnierten Meal Plans was sagen, aber bisher bin ich absolut begeistert – und habe so eher zufällig fast einen Veganuary hingelegt. Zwischendurch musste ein bisschen Fenchelsalami sein, die liebe ich sehr.

F. überraschte mich Freitag mit einem Spontangeschenk: On DSCH von Igor Levit auf CD. Das war eine ganz hervorragende Idee, mir von Schwester und Schwager irgendwann mal die Umzugskartons mit der Anlage nach München fahren zu lassen und bei einem weiteren Besuch auch die Boxen in einer blauen Ikeatüte in den Zug zu schleppen. Beim Weg vom Bahnhof nach Hause habe ich mit dem Gewicht zwar meinen ausgezogenen Koffergriff ruiniert, aber dadurch hatte ich endlich eine gute Ausrede, das schwere, alte Ding durch einem wundervoll leichten Rimowa zu ersetzen, der mich bei jeder Fahrt seither sehr glücklich macht.

Am Samstag hörte ich den Schostakowitsch-Teil, gestern dann den Stevenson-Teil; beide hatten wir live gehört, und es war sehr schön, diese beiden Konzerte nochmal Revue passieren zu lassen, nicht mit dem schraddeligen Klang aus dem Macbook, sondern aus halbwegs vernünftigen Boxen. Ich bin wirklich beeindruckt davon, dass diese 40 Jahre alte Anlage noch so gut funktioniert. (Hier die üblichen Boomer-Dinge wie „JA, DAMALS, ALS MAN SACHEN NOCH FÜR DIE EWIGKEIT GEBAUT HAT ETC.“ einfügen.)

Abends lernte ich mal wieder vernünftig Vokabeln und nicht nur so huschig, um den Duolingo-Streak nicht zu versauen. Ich schaltete den Geschirrspüler an, wusch den Kleinkram von Hand ab und räumte wie jeden Abend die Küche auf, weil ich die morgens gerne sauber habe, wenn ich hochmotiviert die Espressomaschine anschalte. Während ich diesen Blogeintrag tippte, hörte ich interessante Musik und ging schließlich zum Lesen ins Bett.

Liebes Tagebuch, das war ein sehr unaufregender, aber sehr schöner Tag.

„Wie gut es uns geht, wir sind so an die schönen, einfachen Dinge gewöhnt, daß wir sie nicht mehr sehen und soviel Fragwürdiges fordern, wünschen, erstreben … Weil ich über keine Dramen, keine großartigen Begegnungen und Erlebnisse zu erzählen hatte, fand ich es nicht der Mühe wert, ein Tagebuch zu führen. Schade. Unser Nachbar, der über die Hecke schaut, sagt, daß die Apfelblüten duften. Das haben wir nicht gewußt.“

Maxie Wander: Tagebucheintrag vom 30. April 1968, in: Leben wär’ eine prima Alternative, Berlin 2023 (Erstausgabe 1979), S. 142.

Samstag, 27. Januar 2024 – Maxie, Brigitte und Christa

Das Buch „Drei Frauen träumten vom Sozialismus. Maxie Wander, Brigitte Reimann, Christa Wolf“ durchgelesen – und mir gleich mehrere Titel für die Leihbücherei vorgemerkt. Neben mir liegt schon Wanders „Leben wär’ eine prima Alternative“, womit ich bereits halb durch bin. Zusätzlich besitze ich (dankeschön!) noch ihren Klassiker „Guten Morgen, du Schöne“, was ich erstens sofort als Grußformel übernehmen werde und auf das ich zweitens sehr gespannt bin.

Von Wander und Reimann hatte ich noch nie etwas gelesen, ehrlich gesagt, kannte ich die beiden Autorinnen nicht. Jetzt liegt auch „Franziska Linkerhand“ in der Warteschleife. Von Wolf lasen wir in der Schule „Der geteilte Himmel“, das ging anscheinend auch im Westen als Literatur durch.

Ich denke seit gestern nicht nur über das Buch, sondern auch über das Nachwort der Verfasserin Carolin Würfel nach, die zu Recht beklagt, dass direkt nach der Wende die komplette DDR-Kunst als wertlos ignoriert oder bewusst verdrängt wurde. Das ändert sich netterweise, aber ja, da liegt noch einiges im Argen.

Mein Hebräisch-Selbststudium ist in die Phase der Vokabelkarten eingetreten. Ich lerne weiter mit Duolingo, weil es da abwechslungsreich ist; ich kann zum Beispiel anklicken, was ich höre, hebräisch aufschreiben, was ich auf Englisch lese – der Kurs ist nicht in der deutschen Duolingo-Variante enthalten, egal – oder ganz simpel Vokabeln anklicken. Wobei mir da fehlt, dass sie mir vorgelesen werden wie in dem Teil der Lektionen, wo man nur die Buchstaben lernt, die zu totalen Fantasieworten zusammengesetzt wurden. Die konnte ich hören, die jetzigen Vokabeln nicht, was ziemlich doof ist, weil mir die Vokalauszeichnungen fehlen.

Daher habe ich inzwischen ein Lehrbuch erworben und meine alten Vokabelkarten wieder rausgekramt, die ich in der Uni für Französisch und einen einzigen Italienischkurs hatte; ich spreche beide Sprachen heute nicht, mal sehen, was hier passiert. Vielleicht bleibt es auch einfach bei meiner Zweisprachigkeit, das ist auch eine ordentliche Leistung. (Durch die Tagebücher und Briefe von Maxie Wander, die ich jetzt lese, denke ich viel über mich nach. Weiß noch nicht, wie gut das ist.)

Im Lehrbuch sind die hebräischen Worte gleich ohne Vokalauszeichnungen abgedruckt, passt, und lustigerweise stehen sie nicht nur auf Deutsch dort, sondern auch mit hingedengelter Aussprache. Passt mir auch. Mein total umständliches Vorgehen ist nun, auf Duolingo neue Worte zu lernen, sie meist neben der geöffneten App irgendwo im Internet als Aussprache zu finden, und mir dann im Lehrbuch die Grammatik dazu rauszusuchen. Denn natürlich kommen im Buch andere Vokabeln für die ersten Lektionen vor als in der App. Es ist alles etwas wild, aber vielleicht bleibt durch diese Umstände ja mehr hängen als sonst. Und wenn nicht, hatte ich Spaß mit einer neuen Sprache. Und vor allem mit dem total ungelenken Malen der Buchstaben, wie man auch auf dem Foto gut sehen kann.

Freitag, 26. Januar 2024 – Lotto und Orwell

F. und ich schafften es endlich in die Ausstellung zur venezianischen Malerei, die noch eine Woche in der Alten Pinakothek zu bewundern ist. Ich freute mich vor allem über ein Wiedersehen mit meinem Lieblings-Lotto, der seit einiger Zeit nicht mehr in der ständigen Sammlung zu sehen ist (WIESO NICHT?). Und sobald ich vor dem Werk stand, fiel ich wieder in den grünen Samtvorhang, der die Szene umschirmt und war mit der Welt versöhnt.

Lorenzo Lotto: „Die mystische Vermählung der hl. Katharina“, um 1506, Holz, 71.3 x 91,2, Bayerische Staatsgemäldesammlungen.

Unter den Links verbergen sich deutlich bessere Abbildungen als meine schnellen Handyfotos, die ich nur gemacht habe, damit ich mir merken konnte, zu welchen Werken ich etwas erzählen möchte.

Von Lotto hingen mehrere Werke in der Ausstellung, was mich sehr gefreut hat. Diese Dame hatte es mir angetan:

Lorenzo Lotto: „Bildnis einer Frau“, um 1505, Holz, 36 x 28 cm, Musée des Beaux-Arts, Dijon. (Ich muss nach Dijon.)

Erstens: Auch hier ein grüner Vorhang. Zweitens: Ich fühlte mich gesehen. Die Frau ist nicht besonders hübsch oder besonders schlank, aber hey, sie wurde für würdig gehalten, gemalt zu werden. Eat this, überirdisch schöne Allegorien und griechische Göttinnen, die überall rumhängen und -stehen. Ich mochte das Bild einfach, es war so, Vorsicht, doofes Wort, normal.

Noch etwas normales. Der normalste Jesus, den ich je gesehen habe.

Venezianisch: „Kreuztragender Christus“, um 1515, Holz, 63 x 46,3 cm, Kunsthistorisches Museum Wien.

Ich frage mich, ob wir an dem Jesus in Wien immer vorbeigelaufen sind, weil dort sehr, sehr, sehr viele Jesusse hängen oder ob der im Depot war; in der Online-Sammlung scheint er nicht zu sein Edit: danke für den Hinweis, er ist doch online). Hier, in einer deutlich kleineren Ansammlung, fiel er total auf und hat es auch aufs Ausstellungsplakat geschafft.

Mich faszinierte der Blick über die Schulter, auf der gerade nicht das schwere Kreuz liegt, das der Mann zu seiner eigenen Hinrichtung schleift. Und dieser Blick passt so gar nicht zu der abgebildeten Tätigkeit. Ich fand ihn, wie eben erwähnt, so normal, was für mich zunächst nicht stimmig war, aber dann genau doch.

Ich musste an die Kurzgeschichte „A Hanging“ von George Orwell denken, die ich seit über 20 Jahren im Hinterkopf habe. Hier der entscheidende Ausschnitt, in dem Orwell einen Gefangenen beschreibt, der auf dem Weg zum Galgen ist:

„It was about forty yards to the gallows. I watched the bare brown back of the prisoner marching in front of me. He walked clumsily with his bound arms, but quite steadily, with that bobbing gait of the Indian who never straightens his knees. At each step his muscles slid neatly into place, the lock of hair on his scalp danced up and down, his feet printed themselves on the wet gravel. And once, in spite of the men who gripped him by each shoulder, he stepped slightly aside to avoid a puddle on the path.

It is curious, but till that moment I had never realized what it means to destroy a healthy, conscious man. When I saw the prisoner step aside to avoid the puddle, I saw the mystery, the unspeakable wrongness, of cutting a life short when it is in full tide. This man was not dying, he was alive just as we were alive. All the organs of his body were working –bowels digesting food, skin renewing itself, nails growing, tissues forming–all toiling away in solemn foolery. His nails would still be growing when he stood on the drop, when he was falling through the air with a tenth of a second to live. His eyes saw the yellow gravel and the grey walls, and his brain still remembered, foresaw, reasoned – reasoned even about puddles. He and we were a party of men walking together, seeing, hearing, feeling, understanding the same world; and in two minutes, with a sudden snap, one of us would be gone – one mind less, one world less.“

So schaut für mich Jesus. Er weicht hier keiner Pfütze aus, aber vielleicht hat jemand in der Menge nach ihm gerufen und er dreht sich nach dorthin um, wie man sich eben sein ganzes Leben lang jemandem zuwendet, der den eigenen Namen ruft. Er sieht für mich nicht so aus, als würde er in diesem Moment an seine Aufgabe denken, die vor ihm liegt, der fürchterliche Tod, das lange Leiden. Er lebt, er ist mitten im Leben und er hat kurz vergessen, dass dieses in nicht allzulanger Zeit vorbei ist.

(Ich muss immer eine kurze Pause machen, wenn ich an diese Short Story denke. Deswegen hier ein schönes Frauenporträt, zu dem ich nichts zu sagen habe, aber ich mochte es sehr gern.)

Sebastian del Piombo: „Bildnis einer jungen Frau“, um 1506/07, Holz, 33,6 x 28,6 cm, The Faringdon Collection, Buscot Park. Die Website ist fürchterlich, bitte selbst nach der Dame suchen (Katalognummer 48). Wobei hier mein Handyfoto echt besser ist als das auf der Website. Seufz.

Lorenzo Lotto: „Bildnis eines Mannes (Mercurio Bua?)“, um 1535, Leinwand, 118 x 105 cm, Galleria Borghese, Rom.

Diesen Lotto mochte ich auch sehr gern, auch wenn das Licht etwas genervt hat. Die dunkle Kleidung vor dunklem Hintergrund ist auch äußerst foto-unfreundlich, als ob Herr Lotto das vor 500 Jahren geahnt hat und er uns sagen möchte, da müsst ihr schon selbst vorbeikommen und gucken, das bringt online nix, stellt euch selbst vors Bild, ihr Nasen. Hab ich gemacht, recht lange sogar. Ich konnte mich vom Detail der rechten Hand nicht losreißen, die nicht nur Blütenblätter zerquetscht, sondern unter der sich auch ein winziger Totenschädel verbirgt.

Die italienische Malerei ist so gar nicht mein Fachgebiet, ich versuche in solchen Ausstellungen zwar immer das wenige zusammenzukratzen, was ich im Bachelor dazu mitbekommen habe, aber meist bin ich hier totale Laiin und denk mir nur, ach schön, ach spannend, ach, hier bleib ich einfach länger stehen und gucke. Dass der Totenkopf ein Hinweis auf unsere Sterblichkeit ist, habe ich mir immerhin gemerkt, und ich ahne, dass auch die Blütenblätter in diese Richtung gehen, aber eigentlich war es mir egal – ich fand das Detail einfach spannend. Hatte ich in dieser Kombi noch nie gesehen.

Woran ich mich aber gut erinnere, ist Hans Memling, den ich im allerersten Semester kennengelernt habe, aww, ich war so klein.

Hans Memling: „Bildnis des Bernado Bembo“, um 1480/1510, Holz, 35,7 x 22 cm, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen. (Ich muss nach Antwerpen.)

Über den Herrn und seine Diptychen habe ich eins meiner ersten Referate gehalten. Die Porträts Memlings mag ich sehr gern; das hier kannte ich noch nicht im Original und habe mich sehr gefreut, dass die Ausstellung damit begann. Der Herr war Botschafter in Venedig, wie mir die Antwerpener Website verrät. Das wäre vielleicht auch in interessantes Detail für den nicht vorhandenen Wandtext am Bild gewesen.

Bernadino Licinio: „Das Konzert“, 1518/20, Leinwand, 114 x 172 cm, Privatsammlung. (Privatsammlung!)

Als Rausschmeißer das Werk, vor dem ich am längsten gestanden habe und über das ich dringend Dinge im ZI nachlesen möchte. Sind das vier Stände oder Berufe, die dort abgebildet sind? Soldat, Student (?), Musikant(in?), Kaufmann? Warum hängen über allen vier verschiedene Blumen und Früchte? Was bedeuten sie? Für wen ist dieses Konzert? Für wen wurde das Werk gemalt? Ich hatte viele Fragen. Auch die nach einem Wandtext, wie überall. Es gab Einleitungstexte für Werkgruppen, die ich manchmal arg beliebig fand, aber an den einzelnen Werken stand bis auf Künstler, Werktitel und Entstehungsdatum nichts. Nicht mal das Material, was ich bei den Arbeiten auf Papier doch gerne gewusst hätte. Reines Interesse. Die Basics der Kunstgeschichte halt.

Ich hadere ein bisschen mit der Ausstellung, weil sie ihr Versprechen im Titel „Die sanfte Revolution“ nicht so recht einlöst – was genau war denn nun diese Revolution? Die Farbigkeit? Die lyrischen Männerporträts? Wobei mir das erst beim Rausgehen auffiel, das mir das nicht so recht klargeworden war. Könnte auch daran liegen, dass ich den einleitenden Wandtext nicht gelesen habe, dort stand gerade eine Führung, wie gestern fast durchgängig irgendwo. Freut mich, dass so viele Besucher*innen kommen, aber wenn man dann nicht mehr zu den anderen Räumen gelangt, weil alles vollsteht und die Aufseher einen nicht zu nahe an die Werke kommen lassen (völlig zu Recht!), um an den Gruppen vorbeizukommen, dann hinterfrage ich doch etwas die Planung.

Das habe ich der Ausstellung aber trotzdem verziehen, weil ich einige spannende Werke kennengelernt habe. Und halt meinen geliebten Lotto wieder anschauen konnte. Ich hoffe sehr, dass er bald wieder nach oben in die Dauerausstellung darf. Er hängt zwar als Druck in meiner Küche, aber es war so schön, wieder vor dem Original zu stehen und sich in den Vorhang fallenlassen zu können. Das Werk hat eine derart beruhigende Wirkung auf mich, die mich immer wieder erstaunt.

Donnerstag, 25. Januar 2024 – Impfung und Smartes

Die freundliche Ärztin, die mich gestern impfte, klärte mich vorher auf, dass die Covid-Impfung derzeit nur für über 60-Jährige jährlich empfohlen wird, was irgendwie an mir vorbeigegangen ist. Aber aufgrund meiner Vorerkrankungen fand sie die Idee auch gut, mich zu impfen. „Hauptsächlich, damit Sie es nicht nochmal kriegen.“ – „Ich hab’s noch nicht gehabt.“ – „Oh, das ist gut!“ Finde ich auch.

Einziger Wermutstropfen, haha, Wermut: Ich soll drei Tage keinen Alkohol trinken? War das sonst nicht immer nur ein Tag? Hmpf. Damit fällt der Burgunder bei der heutigen Date Night flach, aber ich denke, wir werden uns auch bei Pepsi Zero (Lieferservice hatte keine Coke) was zu sagen haben. Und die gieße ich gnadenlos in die guten Gläser!

Da ich mich gestern schonen sollte, habe ich das total brav gemacht, den Schreibtisch mal ignoriert und versackte mit Büchern und Handy auf dem Sofa. Dass ich älter werde und interessante neue Anforderungen an mein Smartphone stelle, merkte ich, als ich mir vor einigen Wochen wie in Trance eine Malen-nach-Zahlen-App runterlud, die ich sogar ernsthaft benutze. Nicht jeden Tag und ich muss auch keine knuffigen Hunde oder Villen in italienischer Landschaft malen, aber so ab und zu erwische ich mich dabei, beim Ausklicken eines bunten Blumenstraußes geistig 20 Minuten abzuschalten.

Blöderweise hat die App nach jedem Bild Werbung für andere Apps, weswegen ich jetzt auch ein Spiel habe, bei dem man 3D-Gegenstände aus einem Berg anderer, sinnloser 3D-Gegenstände herausfischen muss. Es macht total hibbelig und hektisch und ruiniert total das Zen-Erlebnis, das ich mit den Blümchen habe.

Ich habe einen kleinen Ersatz für die schmerzlich vermissten Artbots auf Twitter gefunden: Ich reposte viele Werke in meine Storys, die mir die ganzen Museen, denen ich folge, in die Insta-Timeline werfen. Vorgestern posteten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden einen Kanoldt, der natürlich sofort weiterverwendet wird. #KanoldtUltras #NeueSachlichkeitForever

Bobby Berk Explains Why He’s Really Leaving Queer Eye

Ich mochte Bobby sehr gerne in QE, er war neben Tan und Jonathan, deren Verwandlungskünste mich so gut wie immer sprachlos machten, mein Liebling. Dass er die Show verlässt, machte mich in den letzten Tagen trauriger als erwartet, aber ich hoffe einfach auf eine eigene Sendung, bei der ich stundenlang Innendesign anschmachten kann.

„Queer Eye’s breezy nature belies what a beast it can be to film. “It’s beautiful and amazing and heartfelt, but behind the scenes, it’s an emotionally hard show to make,” Berk says. “Queer Eye has opened up a lot of wounds—not just for me, but for my castmates too. We’ve had to open up wounds that we thought we had forgotten about and healed from, from our childhood and our past. That takes a lot out of you, to revisit those again in front of the world.“

The 42-year-old Berk has alluded to a few of those wounds onscreen. He grew up on a farm in the small, conservative city of Mount Vernon, Missouri, and left home at 15. His religious family and community were incredibly hostile to queer people: “Some person came out and they literally tried to kill him. Some guys ran him off the road one night. So I couldn’t live with this mask anymore,” says Berk. “I had to leave.” […]

Berk’s charisma and design skills got him the job—but his ability to connect with makeover subjects, particularly religious ones, has been his superpower. Berk says he received an email from an Assemblies of God pastor who told him that he’d spent his life preaching “that anybody who is gay is a sinner and they need to repent,” noting that he’d “always thought it was a choice.” However, the pastor told him that watching the series had made him “realize that it’s not a choice and that you were born that way,” Berk says; he said he would “never preach that hate” in his church again. Receiving the message, Berk says, “was one of the most amazing moments in my life. [By] allowing myself to be vulnerable and allowing myself to relive that trauma, I may have had a hand in preventing that trauma for future generations.”

(Archive-Link, falls ihr euren einzigen Vanity-Fair-Artikel in diesem Monat schon verballert habt.)

Mittwoch, 24. Januar 2024 – Wind und Hund

Gestern windete es in München ziemlich schön, weswegen ich meine Einkäufe zu Fuß erledigte, um mich mal wieder durchpusten zu lassen. Ich war die ganze Zeit damit beschäftigt, mir die Haare aus dem Gesicht zu streichen, wenn ich die Hände nicht gerade ausgestreckt neben mir in den Wind hielt, um den Widerstand zu erhöhen und sich wie auf See zu fühlen. Das war sehr norddeutsch und hat sehr gut getan.

Bis auf den letzten Abschnitt, den ich dann doch, inzwischen schwer bepackt, mit dem Bus zurücklegen wollte. Ich sah an der Tür, in die ich einsteigen wollte, eine Dame mit zotteligem Hund, weswegen ich flugs zur nächsten Tür schritt – meine Tierhaarallergie weiß nie so genau, auf was sie allergisch reagiert, daher bin ich vorsichtig. Fünf Meter Abstand schienen zu reichen, aber an der nächsten Station stieg eine weitere Hundedame ein, und da merkte ich schon nach wenigen Sekunden, dass die Nase zu jucken begann. Daher stieg ich nur zwei Stationen nach dem Einstieg wieder aus, weil ich ebenfalls merkte, dass das Atmen schwerer fiel, nahm kurz einen Hub Spray und ging dann doch lieber weiter zu Fuß.

Ich ahne, dass das Leser*innen kostet, aber: Könnt ihr eure vierbeinigen Freunde bitte einfach zuhause lassen, wo ich ihnen weiträumig ausweichen kann? Bringt Schildkröten in öffentliche Räume oder Goldfische, aber nichts, was haart. Übrigens auch ein gutes Argument fürs Home Office: Bürohunde. Wann hat dieser Quatsch eigentlich so überhand genommen? Oder sind das nur Werbeagenturen und Start-ups?

Leseempfehlung 1:

Umarmung und Abwehr. Wie nach 1945 eine rechte Sammlungspartei verhindert wurde – und was wir daraus lernen sollten

Ich fand den Artikel sehr lesenswert, auch wenn er sich ziemlich um eine Gruppe von Menschen herumdrückt: die Opfer des NS-Regimes. Ja, durch die Einbindung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und weiteren Nazis in die staatlichen Stellen hat man ihre (imaginierte oder tatsächliche) Gefahr mindern können, aber zu welchem Preis? Dem, dass Opfer weiterhin davon ausgehen mussten, sich bei möglichen Ansprüchen an den neuen Staat den alten Kadern gegenüberzusehen.

Das bewusste Beschweigen der NS-Zeit, die schon frühe Schlussstrich-Debatte haben nicht nur dafür gesorgt, dass Nationalsozialisten sich ganz eventuell doch mit einer demokratischen Staatsform anfreunden konnten und vor allem Wirtschaft und Zeug wieder liefen, aber auch dafür, dass Opfer mitschweigen mussten, um den brüchigen Frieden nicht zu gefährden.

„Zur Erinnerung: Auch wenn wir es heute in Teilen der Polizei, aber auch des Militärs wieder mit rechten Netzwerken, unter anderem von selbsterklärten „Reichsbürgern“, zu tun haben, stellte sich seinerzeit die Frage nach der Zuverlässigkeit der Bürokratie in einem ungleich größeren Ausmaß. Die Alliierten hatten 1945 nicht weniger als 200 000 Personen, die sie als rechte Gefährder einstuften, in Sicherheitsverwahrung genommen: NSDAP-Funktionäre, Angehörige des Sicherheitsapparates, Berufssoldaten, höhere Beamte, Topmanager. Noch einmal so viele wurden entlassen – als „Nazis“, aber auch als „Militaristen“, wenn sie aus dem Sicherheits- und Militärapparat oder der Rüstungsindustrie des Reiches kamen.

Teile der SPD und der Gewerkschaften setzten angesichts dieser riesigen Herausforderung auf eine Politik, die sie in Anlehnung an das Republikschutzgesetz von 1922 „Schutz der Demokratie“ nannten. Der Demokratieschutz sollte stabilisieren durch soziale Absicherung der potenziellen Gefährder: Die meisten der von der Denazifizierung betroffenen Personen sollten ein Anrecht auf Wiedereinstellung bekommen. Allerdings sollten Spitzenpositionen weiterhin durch Nazigegner besetzt werden.

Praktiziert wurde diese Politik in Ansätzen in Hessen, wo ein einzelner mutiger und gut platzierter Staatsanwalt wie Fritz Bauer wichtige Akzente setzte – übrigens nicht nur bei der Ahndung von NS-Verbrechen, sondern auch im Kampf gegen rechte Paramilitärs. Außerdem war die SPD gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und für eine Entflechtung der Großindustrie. So sollte die Abkehr vom Militarismus sichergestellt werden.

Demgegenüber setzten die bürgerlichen Parteien, zu denen neben der CDU/CSU und der FDP auch die monarchistisch-nationalkonservative Deutsche Partei (DP) zählte, auf eine Politik, die den „Schutz des Staates“ in den Mittelpunkt stellte. Dieser Staatsschutz gab vor, sich nicht sonderlich für etwaige Gefahren von rechts zu interessieren. Mit umso größerem Nachdruck beschwor er die Existenz einer „roten Gefahr“.“

#FritzBauerUltras, wisst ihr ja. Dem Institut kann man folgen.

Leseempfehlung 2:

245,000 Jewish Holocaust survivors are alive today. Where are they now?

Der Artikel aus der Washington Post ist ein „gift article“, wer ihn trotzdem nicht lesen kann, klickt bei archive.

„After the Holocaust, Europe’s heavily diminished Jewish population spread out across the globe. Since most countries do not systematically track survivors, it has not been clear how many were still alive — until now.

The Conference on Jewish Material Claims Against Germany published on Tuesday what is thought to be the first comprehensive, verified estimate of the size of this population, where they live and what their needs are. Known as the Claims Conference, it is an organization that secures compensation payments from the German and Austrian governments for Jewish Holocaust survivors.“

Fast die Hälfte der Überlebenden lebt heute in Israel. Falls noch jemand nach dem 7. Oktober Argumente braucht. Und warum das Ganze? Deswegen:

„When survivors die, a living piece of history dies with them. Leon Weintraub, 98, one of the living Jewish survivors, said it is more crucial than ever to share and preserve the lessons from that history in the face of Holocaust denialism and rising nationalist sentiment across Europe. Despite the troves of evidence of Nazi crimes, “there are still people who deny that this happened,” he said.“

Das im Artikel angesprochene PDF ist hier.

Dienstag, 23. Januar 2024 – Brahms und Brahms

Wir saßen schon wieder in einem Konzert, das ballt sich gerade etwas. Und es gab, genau wie Samstag, Brahms, dieses Mal nicht nur Klavier, sondern Klavier und Orchester vor der Pause (1. Klavierkonzert) und danach nur noch Orchester (4. Sinfonie). Die Münchner Philharmoniker hatten sich Zubin Mehta als Dirigent eingeladen und spielen seit Tagen mit ihm alle Sinfonien durch, wenn ich das richtig gesehen habe. Auch wegen des Dirigenten hatte F. die Karten erworben, denn wer weiß, wie lange man den Herrn noch sehen kann, und Yefim Bronfman hatte ich zumindest auch noch nie live gehört. Jetzt weiß ich: gerne wieder.

Mehta hatten wir gemeinsam in Wien gesehen, als wir noch sehr spontan Karten für den Musikverein bekamen. Wegen dieser Spontaneität saßen wir in der letzten Reihe im seitlichen Rang und überblickten nur ein Drittel der Bühne. War im Prinzip egal, denn der Klang war unglaublich und wunderschön, das Konzert rangiert in meinem Kopf ganz oben bei den besten, aber ich hatte Mehta halt noch nie bei der Arbeit gesehen. Als wir gestern in der Isarphilharmonie Platz nahmen, wo der Flügel mittig auf der Bühne stand, meinte F.: „Heute siehst du ihn auch nicht. Zumindest in der ersten Hälfte.“ Und ja, der aufgeklappte Deckel verdeckte das Dirigentenpult fast. Aber ich sah ihn immerhin ein bisschen: die sich nicht übermäßig bewegenden Hände und ab und zu seinen Kopf. Netterweise sah ich aber Bronfman, dem ich sehr gerne zuschaute und noch lieber zuhörte.

Für mich überraschend mochte ich die erste Hälfte lieber, beim Klavierkonzert von 1859 hatte ich mich seelisch auf was Nettes, Unaufgeregtes eingestellt, bei der Sinfonie, die 1885 uraufgeführt wurde, dann auf gefühlt Neueres, wir sind ja schon auf dem Weg ins 20. Jahrhundert. Es war aber, für mich Laiin, genau umgekehrt. Beim Klavierkonzert entfleuchte mir direkt im Schlussapplaus ein „Wow“, bei der Sinfonie stieg ich geistig irgendwann im dritten Satz etwas aus und ließ den vierten dann eher milde interessiert an mir vorbeiziehen. (Edit 30 Minuten nach dem Posten: Die oben verlinkte Aufnahme läuft gerade, und momentan finde ich den 3. Satz super.) Aber alleine für die ersten beiden Sätze hat es sich, es hat sich wie immer gelohnt, im Konzertsaal zu sitzen. Und wenn diese Abendveranstaltungen noch etwas früher begännen, könnte man danach noch auf einen Cocktail … aber so stiegen wir in unsere U-Bahnen und Trams und waren brav um 23 Uhr im Bett.

Montag, 22. Januar 2024 – Arolsen und Antifa

Ein Schreibtischtag, Zeug erledigen, Ablage, lesen, schreiben. Neu: Vom letzten Besuch in der norddeutschen Heimat hatte ich ein paar alte Kerzenhalter mitgenommen, die nun auf meiner Fensterbank im Arbeitszimmer stehen. Und gestern arbeitete ich nicht nur mit angeschalteter Schreibtischlampe, sondern zusätzlich mit Kerzenlicht. Das war schön.

Fridays for Future München zeigt beeindruckende Drohnenaufnahmen der Menschenmassen vom Sonntag. Das ist mir erst durch einen Kommentar zu einer meiner Storys aufgefallen, dass wir an gewissen historischen Orten unterwegs waren: Angefangen von der Feldherrnhalle, die zwischen 1933 und 1945 ein besonderer Platz für NS-Propaganda war, bis zur Uni am Geschwister-Scholl-Platz. Ich sehe die ganze Vergangeheit der „Hauptstadt der Bewegung“ manchmal gar nicht mehr, weil ich mich dauernd mit ihr befasse. (Ja, der Satz klingt sinnlos, ich weiß.)

Die Arolsen Archives brauchen (wie immer) eure Hilfe: „Neue #everynamecounts-Challenge zum Holocaust-Gedenktag.“

Copypaste:

„Anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags am 27. Januar rufen die Arolsen Archives dazu auf, bei #everynamecounts mitzumachen und starten eine neue Challenge: Ziel ist es, in einer Woche gemeinsam mit Freiwilligen 30.000 Dokumente von Überlebenden der NS-Verfolgung zu digitalisieren. Es geht um Karten aus der sogenannten „Auswandererkartei“ Bremen, die im Staatsarchiv Bremen aufbewahrt wird.“

Das, vorsichtig formuliert, Schöne an dieser Arbeit ist, dass man mal keine KZ-Orte eingeben muss oder Daten von der Ankunft im Lager. Stattdessen gibt man Schiffsnamen ein, die Überlebende aus Europa fuhren. Ist nicht ganz so fürchterlich wie das, was man sonst bei #everynamecounts macht.

Meine Masto-Timeline fühlt sich gerade ein bisschen wie Twitter an: Wir albern rum und machen Quatsch, indem wir Antifa-Sticker basteln.

Das ganze fing am Wochenende an, wo mehrfach auf die kühlen Temperaturen bei den Demos hingewiesen wurde, die aber niemanden davon abhalten sollten zu kommen. Sprüche wie „Scheiße kalt und trotzdem da – winterfeste Antifa“ machten die Runde, schön optisch aufbereitet mit dem Antifa-Logo.

Anderen Gruppen waren andere Dinge als die Kälte wichtig und so las man Sätze wie „Hibbelig, verspätet da – ADHS-Antifa“ oder „Trotz Menschenmassen immer da – introvertierte Antifa“ und ähnliches.

Gestern kippte es in meiner Timeline dann komplett ins Gaga, was dazu führte, dass auch ich zum Logo-Generator griff.

ichichich:

YrlaNor:

Suchen Sie auf Masto mal nach #antifasticker, das macht ziemlich gute Laune.

Sonntag, 21. Januar 2024 – Levit, Teil 2 und Demo

F. und ich saßen am Sonntag morgen um 11 schon wieder im Prinzregententheater, das wir doch erst vor guten zwölf Stunden nach einem Abend mit Igor Levit verlassen hatten. Und auch der Künstler auf der Bühne war derselbe, aber dieses Mal hatte er Verstärkung in Form von Markus Becker mitgebracht. Die beiden Herren nahmen an den zwei Flügeln Platz und erfreuten mich mit den Haydn-Variationen B-Dur op. 56b für zwei Klaviere von Brahms, der Sonate D-Dur KV 448 für zwei Klaviere von Mozart und der Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart für zwei Klaviere op. 132 von Max Reger. Im Programm stand noch ein Beethoven, aber der fiel aus, was mir gar nicht unrecht war. Denn gestern wollte ich nicht nur zu Igor, sondern direkt danach um 14 Uhr zur Demo für Demokratie am Siegestor. (Mir fällt ernsthaft erst jetzt beim Tippen der gleiche Wortanfang auf.)

Ich hatte die halbe Nacht mit Nachdenken über die richtige Kleiderwahl zugebracht, denn ich ging davon aus, dass die Zeit nicht reichen würde, nach dem Konzert nochmal nach Hause zu fahren, um mich demogerecht umzuziehen. Daher stand ich schon in dunklen Jeans, den gefütterten Stadionschuhen und einem Longsleeve unter immerhin einem halbwegs konzertfeinen Blüschen rum, als ich merkte, dass mir das total gegen den Strich ging, so aufzulaufen. Ich hatte vor zwei Jahren begonnen, meine Garderobe etwas aufzuhübschen mit Dingen, in denen ich mich bei eleganteren Anlässen nicht mehr underdressed fühlte, und genau so wollte ich auch aus dem Haus und in einen Konzertsaal gehen. In dem ich vermutlich eh irre geschwitzt hätte mit den Thermotights unter der Jeans.

Also zog ich mich wieder um und verließ das Haus in schwarzem, langen Oberteil (immerhin ein dickeres Top darunter), den nicht allzu dicken Konzerthosen, festen, aber ungefütterten Schuhen und dem schicken Mantel in Teal, dazu auch gnadenlos das kleine Handtäschchen und nicht die praktische Schultertasche, fest entschlossen, dann eben so für Demokratie, Menschenrechte und ein freundliches Miteinander zu demonstrieren. Dann bleibe ich halt nur so lange, bis ich friere, dachte ich.

Im Konzert konnte ich mich dann entspannen und verwundert über den Mozart freuen. Dort schlich sich die Demo nämlich wieder in meinen Kopf. Ich bin bekannterweise nicht die größte Mozart-Freundin, aber der zweite Satz erwischte mich total und ich dachte, wie kann eine Spezies, die so etwas Wundervolles hervorbringt, auch viel zu viele Idioten und Spinnerinnen in ihrer Mitte haben. Hmpf. Das war aber nur ein kurzer Gedanke, dann konnte ich mich wieder auf die Musik konzentrieren und das auch viel besser als am Samstagabend. Wenn ich Ihnen noch den letzten Teil von Reger ans Ohr legen dürfte?

Wie erwähnt, der Beethoven fehlte, das Konzert war schon um 13 Uhr vorbei, woraufhin ich umplante und doch noch nach Hause fuhr bzw. mich fahren ließ, die U4 vom Prinzregentenplatz über Odeonsplatz bis zum Hauptbahnhof, dann in die U2. In der Station Odeonsplatz, wo ich auf dem Rückweg aussteigen wollte, war um kurz nach eins noch nicht viel Demopublikum unterwegs, und ich hatte schon Angst, dass doch lieber alle beim Schweinebraten sitzen anstatt auf die Straße zu gehen.

Zuhause entledigte ich mich des feinen Zwirns und zog Jeans, Longsleeve, Shirt, die gefütterten Schuhe und den Alltagsmantel an, keine Thermotights, es war prima Demowetter, knapp über Null, Sonne, das ging schon. Wieder zurück in die U2, die deutlich voller war als noch vor 15 Minuten, als ich ihr entstiegen war, und spätestens beim Umstieg am Hauptbahnhof war mir klar, dass sich doch ein paar mehr Menschen auf den Weg gemacht hatten. In die U4 kam ich nur mit Schieben und Quetschen rein, das kenne ich von den Bahnfahrten nach Fußballspielen, da steht man dann auch sehr, sehr, sehr eng, aber das muss anscheinend so. Apropos Fußballspiel: Gestern fand auch noch ein Heimspiel des FC Bayern statt, dessen Arena man genau mit der U-Bahn erreicht, die auch über Odeonsplatz, Universität (die Station, die am nächsten zum Siegestor liegt) und Münchner Freiheit fährt. Daher mischten sich auf dem Bahnsteig und in der Bahn Demoplakate mit roten Schals, aber alle waren freundlich und gut gelaunt.

Die Rolltreppen am Odeonsplatz nach oben waren dann eine einzige Menschenmasse, kein Vergleich zum Anblick vor einer knappen Stunde. Man spazierte auch, an der Oberfläche angekommen, direkt in die Menschentrauben rein, die sich vom einen Ende der Ludwigstraße zu ihrem anderen aufmachen wollten, nämlich dem Siegestor. Die Lautsprecher standen bis zum Odeonsplatz, so bekam ich alle Reden in guter Tonqualität mit, jedenfalls meistens, denn irgendwann hatte ich beim Gehen eine Gruppe jüngerer Menschen neben mir, die ein bisschen Stromgitarrenmusike aus dem mitgebrachten Bluetooth-Dingsi liefen ließen. Aber noch war die Masse luftig genug, um von dieser Gruppe wegzugehen.

Unterwegs sah ich aber nicht nur junge Menschen, sondern, was mich sehr freute und mich alte Pesssimistin auch etwas überraschte, viele Menschen, die auch neben uns bei Levit hätten sitzen können, das klassische Bildungsbürgertum, jetzt statt im Anzug mit der Allwetterjacke.

Eine Rede erwischte mich dann sehr auf dem richtigen Fuß und sorgte dafür, dass ich danach in keine Sprechchöre einstimmen wollte, auch nicht die, in denen wir alle die AfD hassen. Was ich tue, ich verachte den Haufen so sehr, aber ich wollte nicht brüllen. Auf der Bühne am Siegestor, in deren Nähe ich nicht mal ansatzweise kam, waren Verwandte der Jugendlichen, die 2016 im Olympia-Einkaufszentrum erschossen wurden. Ich zitiere die SZ, die die Rednerinnen zitiert:

„Wozu rechtsextreme Gesinnung führen kann, zeigt der Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum im Juli 2016. Angehörige der neun Ermordeten kommen auf die Bühne. “Der Anschlag am OEZ war kein Amoklauf”, sagt Sibel Leyla, Mutter von Can. Er war “rechter Terror. Ich werde das so lange wiederholen, bis es in das kollektive Gedächtnis dieser Stadt übergegangen ist.” Zehntausende danken mit lautem Applaus. Yasemin Kılıç, Mutter von Selçuk, erinnert daran, dass der Rechtsterrorist AfD-Anhänger gewesen sei. Gisela Kollmann, Oma von Guiliano, sagt, dass Angehörige im Konzentrationslager vergast, Nachbarskinder 1980 beim Oktoberfestanschlag getötet wurden. “Ich werde so lange für Erinnerung, Gerechtigkeit und Aufklärung kämpfen, wie es mir gesundheitlich möglich ist.”“

Je näher ich dem Siegestor kam – ich war mindestens noch 500 Meter weg –, desto enger wurde es. Und ich merkte, dass ich mich nicht mehr wohlfühlte, auch weil mir die Ausweichmöglichkeiten fehlten. Ich schaffte es, mich bis zur Kreuzung Theresienstraße vorzuwühlen, alle machten brav Platz, als ich meinte, ich würde mich nicht wohlfühlen, danke! und konnte so irgendwann nach einer knappen Stunde vor Ort nach links abbiegen. Ich wäre auch in Konzertklamotten vermutlich nicht ins Frieren gekommen, so voll war es inzwischen. Auch aus der Seitenstraße stömten die Menschen noch auf die Ludwigstraße, aber es lichtete sich dankenswerterweise schon bei der nächsten Querstraße, der Amalienstraße, wo auch wenige Polizei stand und absperrte bzw. durchwinkte. Die Demo musste kurz danach wegen viel zu vieler Menschen abgebrochen worden, das bekam ich aber erst zuhause mit, als ich schon wieder auf dem Sofa saß und auf Masto las, wo noch überall Leute in Deutschland unterwegs gewesen waren. Hier in München sollen es zwischen 100.000 (Polizeiangaben) und 250.000 (Veranstalter*innen) gewesen sein. Auf einem Video, das gestern durch mein Insta ging, sah man Menschen vom Odeonsplatz bis zur Münchner Freiheit stehen. Laut Google Maps sind das gute zweieinhalb Kilometer.

Mir hat es sehr gut getan zu sehen, dass es so viele, viele Menschen gibt, denen unsere Demokratie und die allgemeinen Menschenrechte anscheinend ebenfalls ein Anliegen sind. Dass es die Correctiv-Recherche gebraucht hat, um vielen klarzumachen, dass die AfD ein Fascholaden ist, verwundert mich etwas, aber besser spät als nie. Auch die vielen Demos im Osten machen mir Hoffnung, dass sich auch die Wahlergebnisse nicht ganz so brutal entwickeln wie es die Demoskopinnen dräuend voraussagen. Wobei ich hiermit keinesfalls auf Ostdeutschland rumhacken will, gerade in Bayern wählen die Leute in Massen ja auch gerne seltsame Leute und Parteien.

Mir hat es auch gut getan, mich nicht mehr so alleine zu fühlen. Im Vorfeld hatte ich überlegt, ob ich echt auf eine Demo muss, damit meine antifaschistische Haltung deutlich wird, ich meine, ich blöke das hier ja seit Jahren ins Netz. Aber das mache ich halt alleine vor dem Rechner. Daher wollte ich vor Ort sein, präsent sein, Gesicht zeigen, mitgezählt werden. Ich hoffe ernsthaft, dass diese Massen an Menschen vielleicht einigen Unentschlossenen doch noch den entscheidenden Ruck geben, nicht die Blauen zu wählen. Gerade die AfD behauptet ja gerne, für die schweigende Mehrheit zu sprechen. Das letzte Wochenende sollte diesem Märchen ein Ende bereitet haben. Sie sprechen nicht für die Mehrheit. Und diese schweigt anscheinend nicht länger.

Samstag, 20. Januar 2024 – Levit, Teil 1

Im Prinzregententheater spielte Igor Levit auf, den wir damit zum wiederholten Male sahen; auf der Rückfahrt versuchten wir uns zu erinnern, was wir alles schon von ihm gehört hatten und mussten feststellen, dass wir neben Schostakowitsch und Stevenson ein anderes Solokonzert mit ihm nicht mehr ganz zusammenbekamen. Danke, Blog, du Chronistin: 16. Februar 2023. (Das hat mir während meiner Pause Ende letzten Jahres gefehlt: dass ich nicht mehr nachgucken konnte, was ich eigentlich so erlebt habe.)

Gestern gab’s ausschließlich Brahms, genauer gesagt, die Fantasien für Pianoforte op. 116 sowie drei Intermezzi für Pianoforte op. 117, nach der Pause dann die Klavierstücke op. 118 und op. 119. Ich habe hier ausschließlich Hélène Grimaud verlinkt, weil ich die Dame auch sehr schätze. Gleichzeitig merkte ich gestern aber, leider erst nach einer gewissen Zeit, wie sehr mich Levits Spiel immer wieder kriegt, ganz gleich, wie doof gerade alles ist.

Denn die erste Hälfte zog irgendwie an mir vorbei, der Donnerstag hallte immer noch nach, was mich selbst wahnsinnig machte, ich nervte mich die ganze Zeit damit, mir selbst zu sagen, nicht so genervt zu sein. Half komischerweise nicht. Außerdem war das Publikum wieder äußerst hustig drauf, ich meinte zu F.: „Das ist aber auch risikoreich, ausgerechnet im Winter Stücke mit so vielen Pianostellen zu spielen.“ In die man prima reinhusten kann, logisch, und wenn man sich während des Satzes halbwegs im Griff hat, hustet man halt in den Satzpausen, was fast genauso nervt, alles muss raus, bevor wieder Musik kommt.

Ähnlich empfand das wohl auch Levit, der irgendwann mit einer Handbewegung in Richtung Publikum darum bat, das ganze etwas leiser stattfinden zu lassen. Vor der Zugabe meinte er auch ähnliches, wenn ich es akustisch richtig verstanden habe (Edit, danke): „Ein Konzertabend ist immer eine prima Gelegenheit, eine Erkältung zu bekommen. Die Erkältungssaison ist nicht ideal geeignet, um leise Stücke zu spielen … deswegen spiele ich als Zugabe noch ein leises Stück.“ Es waren dann sogar zwei aus Schumanns „Kinderszenen“, und zusammen mit der zweiten Hälfte, in der ich mich deutlich besser konzentrieren konnte, hat es mich wieder mit der Welt versöhnen können.

Freitag, 19. Januar 2024 – Hope

Im Prinzip ein weiterer Scheißtag, weil das Vorkommnis, das mir den Donnerstag zerschossen hatte, auch gestern noch nachwirkte. Aber dann erinnerte ich mich daran, dass Gemüse super ist und ich es einkaufen und verarbeiten kann, weswegen ich einen längeren Einkaufsfußmarsch einlegte (Wut rauslaufen), schwer beladen wieder heimkam und dann einfach ewig am Herd stand. Beim Kochen und Backen kann ich an nicht viel anderes denken, das war gestern ganz gut.

Beim Einkaufen auch mein Hebräisch-Lehrbuch aus der Packstation geholt. Sorry, Duolingo, aber du bist nicht how I roll. Ich brauche Grammatik, ich will nicht stumpf lernen, wie eine bestimmte Verbform aussieht und klingt, ich will wissen, warum sie so aussieht und klingt. Ich bin keine Intuitivlernerin, ich muss mir alles erarbeiten, ich kann mir kaum irgendetwas einfach so merken, ich brauchte immer Kontext. Ich lerne in (Kunst-)Geschichte ja auch nicht einfach Jahreszahlen auswendig, sondern will und muss wissen, warum da was passiert ist und was vorher und nachher war.

Was mir irgendwann auch aufgefallen ist: Bei vielen Fakten, die ich in der Diss oder sonstwo unterbringe, weiß ich meist, aus welchem Buch ich sie habe und wo das Buch steht, ich merke mir Dinge anscheinend auch, indem ich sie verorte. Deswegen hat es mich auch so irre gemacht, in meiner eigenen wissenschaftlichen Bibliothek keine Ordnung mehr zu haben, weil mir Regale fehlten – mein Kontext war durcheinander.

Tausende von Menschen demonstrieren gegen die Arschlochpartei in blau. Das mitzubekommen, hat überraschenderweise gestern auch sehr gut getan. Herr Buddenbohm berichtet aus Hamburg, und ich hatte spontan etwas Heimweh:

„Die Demo beginnt um 15.30, es ist schon ab 15:00 und schon ab kurz vor unserer Haustür voll auf dem Weg zum Jungfernstieg, die Leute strömen herbei. Eine stark überfüllte U-Bahn voller Menschen mit Pappschildern und Fahnen. Der Rückstau unten in der Station Jungfernstieg dann schon so, dass es für klaustrophobe Menschen sicher zur Umkehr gereicht hat. Oben dann die erstaunlichen Massen, die Sie mittlerweile vermutlich irgendwo auf Bildern gesehen haben.

In welcher Gesamtzahl auch immer die Menschen da erscheinen, es sind verdammt viele, wir sind alle da. Wir sind gefühlt vollzählig angetreten, von den längst ergrauten Demo-Veteraninnen bis zu den frisch aufgebrachten Schülerinnen.“

Sonntag ist hier in München um 14 Uhr Demo am Siegestor – und ich weiß noch nicht, ob ich nach dem Konzert mit Igor Levit im Prinzregententheater, das um 11 beginnt, überhaupt noch nach Hause komme oder schon alles gesperrt ist. Notfalls stakse ich halt im Konzertoutfit über die Leopoldstraße.

Donnerstag, 18. Januar 2024 – Nope

Veritabler Scheißtag. Kein weiterer Kommentar.

Mittwoch, 17. Januar 2024 – Ein sozialistisches Dankeschön

Vorgestern pingte nachmittags mein Handy, als ich gerade in Arbeit vertieft am Schreibtisch saß: Ein Päckchen warte auf mich in der Packstation. Da ich nichts bestellt hatte, sah ich auf meinen Amazon-Wunschzettel und stellte fest, dass von dort etwas geordert wurde. Ich freute mich, hatte aber nicht wirklich Lust, mich aus den Tiefen der wissenschaftlichen Arbeit zu reißen, also dachte ich, holste morgen vormittag, kannste gleich einkaufen.

Aber dann kam die Warnung vor dem schlimmen Blitzeis, das ich gestern natürlich auf keine Fall betreten wollte. Daher raffte ich mich abends noch auf, stapfte dick eingepackt die Treppen hinunter und sah erstaunt, dass auch in meinem Briefkasten ein Buchpaket steckte. Toll!

Beiden Sendungen lag kein Absender bei, daher bedanke ich mich mal wieder bei Unbekannt für gleich drei Bücher. Carolin Würfels Drei Frauen träumten vom Sozialismus. Maxie Wander – Brigitte Reimann – Christa Wolf kam bei der geschätzten Hanna Engelmeier in der SZ zwar nicht ganz so gut weg, aber die Besprechung hatte mich trotzdem neugierig gemacht. Daher landete das Buch auf dem Wunschzettel. Besser besprochen wurde das Buch bei der Literaturkritik.

Was auch mal auf dem Wunschzettel lag, aber irgendwann zugunsten der üblichen NS-Bücher wieder runterflog, waren die beiden Bücher von Maxie Wander, von der ich noch nichts gelesen habe: Guten Morgen, du Schöne, das mich konzeptuell interessierte (Wiki), und Leben wär’ eine prima Alternative. Eigentlich wollte ich gerade wirklich kein Krebs-Tagebuch lesen, aber genau damit fing ich einfach an – und las gleich mal 50 Seiten weg, so unwiderstehlich lesen sich die Tagebucheinträge und Briefe einer mir noch völlig unbekannten Frau.

Vielen Dank für das dicke Geschenk, ich habe mich sehr gefreut!

Dienstag, 16. Januar 2024 – E-Gelb

Mein erstes E-Rezept vom Hausarzt erhalten, sehr aufregend. Man trägt jetzt also keinen Zettel mehr zur Apotheke, sondern zückt die Krankenkassenkarte, die aber, wie vorher auch, natürlich beim Arzt eingelesen werden muss. So ganz überzeugt mich das Konzept von der Bequemlichkeitsseite noch nicht, aber dass nun alle Infos auf der Karte sind, finde ich persönlich praktisch.

In der Apotheke hat das Einlesen dann auch noch etwas länger gedauert als der frühere kurze Blick auf das Papierrezept, aber laut Apothekerin muss sich das halt noch einspielen, sie müsse sich erst selbst an die ganzen neuen Schritte gewöhnen. Sehe ich auch so, aber gestern war es dann doch wieder eher ein Fall für „Digitalisierung in Deutschland (Symbolbild)“. Vor allem, weil vorsichtshalber nochmal nach Name und Medikament laut gefragt wurde, man weiß ja nie, was dieser Computer einem da anzeigt. Das fand ich dann doch eher unschön.

Außerdem stieg ich gestern aus der U-Bahn am Sendlinger Tor aus und konnte nun erstmals das neue Sperrengeschoss bewundern, an dem gefühlt 100 Jahre gebaut wurde. Ich bewunderte weniger Baustellenschilder, weniger Zäune, die im Weg stehen, und gleich zwei Bäckereien, bei denen man sich Zeug holen kann, die übrigens direkt gegenüber voneinander platziert wurden, weiß nicht, wie sinnvoll das ist. Aber generell ist das schon schön. Was mir am besten gefallen hat, waren die Deckenverkleidungen über einer bestimmten Rolltreppe. Dort starrte ich jahrelang auf staubige Kabelage, gucke nun aber wieder auf hübsche, (noch) saubere, alles verdeckende quietschgelbe Paneele. Die innere Prusseliese ist zufrieden. Und ich verrentnere total, denn ich fand das wirklich interessant, mir eine umgebaute U-Bahn-Station genauer anzuschauen. Das nächste Mal nehme ich Karamellbonbons mit.