Tagebuch Ende Februar, Anfang März 2022 – Very mixed bag

Ich weiß nicht, wie ich diesen Eintrag anfangen soll und vermutlich weiß ich auch nicht, wie er aufhören wird. Es fühlt sich falsch, fast frivol an, auf Insta Mahlzeiten zu posten und auf Twitter die Artbots zu retweeten, während nicht wirklich weit von mir weg Menschen in einem Krieg sterben. Ich hatte in meinem Leben bisher das Glück, noch nicht persönlich von einer derartigen Katastrophe betroffen zu sein bzw. kenne persönlich keine Menschen, die fliehen mussten, höchstens den Mann aus dem damals noch existierenden Jugoslawien, mit dem ich ein Einstellungsgespräch führte, als ich in den 1990er Jahren ein Kino in Hannover leitete. Dieser Krieg war entfernungsmäßig sogar noch näher an mir dran, fühlte sich aber bescheuerterweise wie ein lokaler Konflikt an, den ich schön ignorieren konnte. Dass es das Internet noch nicht in der heutigen Form gab, half vermutlich auch. Aber heute habe ich halt Twitter, das ich zwischendurch immer wieder vom Handy werfe, um es drei Stunden später wieder zu installieren. Auch um Artbots zu retweeten, um dem Strom aus Katastrophennachrichten etwas entgegenzusetzen, aber ich weiß selbst nicht, ob das albern ist oder irgendjemandem außer mir hilft.

Einige Menschen habe ich stumm geschaltet oder bin ihnen entfolgt, weil sie minütlich Dinge aus dem Krieg posten und ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll, kann, muss, müsste.

(Edit, halbe Stunde nach Veröffentlichung:

Klar kenne ich Flüchtende, nämlich meine Mutter und meine Omi. Meine Omi hat nie über Ostpreußen gesprochen und ist auch nie nach Polen gefahren, während ihre Schwester sich das in den 1980er Jahren nochmal angeschaut hat. Mit meiner Mutter. Muss mal die Fotoalben anschauen, wenn ich wieder im Norden bin. Meine Mutter hat selten über ihre Fluchterfahrungen gesprochen, sie verarbeitet die Zeit anders. Sie kann zum Beispiel kein Essen wegwerfen, nie. Sie friert den Saft einer viertel Zitrone ein und isst steinhartes Brot. Und sie ist vor Jahren mal nicht mit nach Bayreuth mit mir gefahren, als wir Karten für den „Lohengrin“ hatten, in dem Menschen als Ratten auftreten. Ratten gehen gar nicht. Auch hier ist sie nicht in Detail gegangen, sondern erwähnte nur ungern Leichen am Weg, als sie flohen. Und eben Ratten.)

Ich lenke mich ab, indem ich über Kunstgeschichte oder Werbung nachdenke, beides ist gerade sehr willkommen. Außerdem hat mein Kopf mal wieder Zeit, über meine Wohnung nachzudenken, Wandfarben, neue Möbelanordnungen, was sich genauso frivol anfühlt, weil nicht wirklich weit von mir weg Menschen keine Wohnungen mehr haben, weil sie von sinnlosen Gefechten zerstört wurden.

Letzte Woche räumte ich meine Küche mal wieder um, was ich seit meinem Einzug turnusmäßig mache, weil ich nie glücklich mit ihr war. 2019 strich ich eine Wand, was kurz half, dann schob ich ständig Regale hin und her, zog den Tisch ein oder aus, überlegte Farbkonzepte und Ordnungsstrukturen, aber irgendwie sah die Küche immer aus, als ob jemand vor fünf Minuten eingezogen war und irgendwo Möbel hingeräumt hätte. Jetzt zum ersten Mal nicht. Links von der Tür ist die eingebaute Küchenzeile, an deren Anordnung ich nichts ändern kann und über die ich mich weiterhin aufregen werde, weil die einzige Besteckschublade ganz links ist und die einzige größere Arbeitsfläche vier Meter weiter rechts. Alles andere – freistehender Kühlschrank, komisches Ikea-Küchenmöbel aus Edelstahl (2012), Kallax (2018?) – steht jetzt rechts von der Tür und in der Mitte der komplett ausgezogene Tisch. Den Tipp hatte ich in Hamburg mal von einer Innenausstatterin bekommen, als ich mit dem Tisch im Esszimmer haderte, der irgendwie verloren rumstand: Tische so groß wie möglich, dann sieht der Raum auch größer aus. Wenn alle ausziehbaren Platten drin sind, passiert genau das, was mein Problem war: Der Tisch steht verloren in der Mitte, und um ihn rum ist sinnloser Platz, der nur nervös macht. Jetzt muss ich zwar beim Kochen noch längere Wege zurücklegen als vorher, weil ich halt um den Tisch muss, um an meine Pfannen und Töpfe zu kommen, aber mir gefällt der Raum jetzt erstmals wirklich. Mal sehen, wie lange das hält.

Halten werden nun auch die beiden schwarzen Regalbretter, die ich mit meiner eigentlich guten Bosch nicht angedübelt bekommen habe, im Gegensatz zur kleineren Wohnung einen Stock über mir, wo ich beide alleine und sogar halbwegs gerade an die Wand dengelte. Dieses Mal musste der Mann mit der Hilti vorbeikommen, was aber auch nett ist.


Die beiden Tabletts hat Papa vor Jahrzehnten von den Philippinen mitgebracht, als der geschäftlich dort war. Als ob er geahnt hätte, dass ich heute einen Halb-Filipino an meiner Seite habe. Die Schüssel davor ist auch von ihm, ich finde den Blogeintrag dazu nicht mehr (falls ich ihn je geschrieben habe): Er hat mal Holz zur Kirche im Dorf gebracht, die von diesen Spenden Schalen hat herstellen lassen. Das ist eine davon.

Es gab gutes Essen in den letzten Tagen, aber auch viel Schokolade.

Bibimbap mit Zucchini, Spinat, Tempeh, eingelegter Möhre und Ei drüber, das all das schöne Zeug darunter verdeckt. Dazu Gochujang und Korianderöl, im Prinzip wie Schnittlauchöl.

Rote Bete im Päckchen mit Linsen und Mozzarella.

Spaghetti mit Tomatensauce, nach Frau Hazan, natürlich.

Baked Beans mit Salat.

Gestern und vorgestern lief ich zum ersten Mal mit einem Audiobook auf den Ohren durch die Gegend anstatt mit der hundertsten 80er-Jahre-Playlist auf Spotify. Es ist ein Sachbuch, über das beim Videokurs öfter gesprochen wurde, ich hätte mich sonst nicht damit beschäftigt. Der Autor liest selbst, das ist nett, ich höre ihm auch gerne zu und bin erstaunt darüber, wie wenig mir das Rumlaufen ausmacht, weil ich mich auf die Inhalte konzentriere, die ich auf die Ohren bekomme, aber ob wirklich viel hängenbleibt, wage ich noch zu bezweifeln. Bei einem Punkt, der vorkam, dachte ich sofort an mein verändertes Essverhalten in den letzten gut zehn Jahren im Vergleich zum Leben davor und ich dachte, ach, guck, könnteste bloggen, aber jetzt weiß ich schon nicht mehr, welcher Satz mich genau angesprochen hatte und da es kein Papierbuch ist, kann ich nicht nachschlagen. Hm. Vielleicht für mich doch eher ein halbgares Konzept.

Ich habe die ganzen Belegexemplare an Museen und Archive verschickt, damit diese mir Rechnungen für ihre abgebildeten Gemälde schicken können, für die ich schon Nutzungsgebühren bezahlt habe.

Meine Omi hätte heute Geburtstag. Ich denke immer an sie, wenn ich Tee aus ihrem Service trinke.

Ich habe meinen Schreibtisch um 90 Grad gedreht und gucke nun nicht mehr auf Sofa und blaue Wand, sondern auf Luise. Und seit gestern auch noch auf Tulpen. Jede Kleinigkeit hilft (mir).

Bolani mit scharfem Chutney

Seit dem Videokurs von Casey Neistat lungere ich deutlich öfter auf YouTube rum. Dabei interessieren mich weniger die ganzen Jungs-Vlogs, die Neistat imitieren möchten, sondern so ziemlich alles, was Frauen mir erzählen. Ich folge derzeit einer Tänzerin aus Wien, die viel näht, einer Frau aus Singapur, die mit ihrem Mann in München lebt und gerne ihre Wohnung um- und aufräumt, wobei ich interessiert zuschaue, und einer Frau aus Kanada, deren Eltern aus Afghanistan stammen. Bei den beiden letzten ist mir am meisten der Unterschied zu den Tipps von Neistat aufgefallen. Da gibt es keine Anweisungen à la „Du hast nur fünf Sekunden, um die Leute ins Video zu ziehen“ und „Nimm alles aus drei Perspektiven auf, damit du ständig neue Ansichten bieten kannst.“ Nö, es geht auch langsam und ruhig und mit vermutlich nur einer Kamera. Cloudyhills nahm zum Beispiel ein Q&A auf, bei dem ihr Mann die Fragen stellte und sie antwortete. Im Bild war dabei 20 Minuten lang zu sehen, wie sie Omelettes mit verschiedenen Füllungen herstellt, die ihr Mann und sie dann bei einem Picknick verspeisen. Sowas ist für mich inzwischen Meditation. Gefällt garantiert nicht jeder, aber mir zur Zeit sehr.

Und natürlich musste ich sofort was nachkochen, auch wenn es bei Pick up Limes hübscher und grüner geworden ist. Ihr könnt das Rezept auch nachlesen statt ihr zuzuschauen.

Wir fangen mit dem Teig an. Während der ruht, machen wir die Füllung und kümmern uns um das Chutney.

In einer Schüssel
1 Cup (240 ml) lauwarmes Wasser mit
1 1/2 EL (22 ml) pflanzlichem Öl (bei mir Sonnenblume),
1 1/2 TL (9 g) Salz und
1/2 TL Trockenhefe mischen. Alles verrühren, dann
3 Cups + 1 EL (423 g) Mehl, Type 550, dazugeben. 405er geht angeblich auch. Alles vermischen und mehrere Minuten kneten, bis ein dehnbarer, gleichmäßiger Teig entstanden ist. Zu einer Kugel formen und in einer abgedeckten Schüssel 30 Minuten lang gehen lassen.

Für die Füllung der Bolani, also der Teigtaschen, wir ihr vermutlich geahnt habt,
2 große Kartoffeln schälen, würfeln und kochen. Was „groß“ hier bedeutet, weiß ich nicht, bei mir haben für die Hälfte des Rezepts ca. 100 g gereicht, es hätte aber auch mehr sein können. Ich sag mal so: Was ihr von der Füllung nicht in die Taschen bekommt, schmeckt auch einfach so. Und wenn die Füllung nicht reicht, sind reine Teigfladen mit Chutney auch super.

1 Cup (52 g) Frühlingszwiebeln in feine Ringe schneiden.
1 Cup (16 g) frischen Koriander hacken.
1 grüne Chili in feine Ringe schneiden oder hacken, Kerne drinlassen, wer’s mag.

Die gekochten Kartoffeln mit einer Gabel oder einem Kartoffelstampfer zu Püree verarbeiten, das eben geschnittene Gemüse dazugeben und zusätzlich noch
1 TL gemahlenen Koriander,
1 TL Salz,
1/2 TL Kurkuma und
1/2 TL schwarzen Pfeffer. Alles erneut mischen bzw. zerstampfen.

Jetzt das Chutney, das geht am schnellsten, weil nichts groß geschnitten werden muss. In einem Zerkleinerer

3 dicht gepackte Cups (48 g) glatte Petersilie,
3 dicht gepackte Cups (48 g) frischen Koriander, mit Stielen und allem,
5 Knoblauchzehen,
1/2 Cup (58 g) Walnüsse,
3 grüne Chilis (entkernt, wer es nicht ganz so scharf mag),
1 TL Salz und
1/4 TL schwarzen Pfeffer kurz mixen, nicht zu flüssig werden lassen. Alles mit
1 Cup (240 ml) Weißweinessig aufgießen. Nicht alles auf einmal, eher nach und nach, bis euch die Konsistenz gefällt. Bei mir waren es vermutlich eher 200 ml. Das Chutney in ein Glas füllen und nicht fest verschließen, angeblich rülpst es noch einen Tag lang. Erst nach diesem einen Tag im Kühlschrank den Deckel aufschrauben. Hält sich monatelang, aber come on, das Zeug ist doch nach zwei Tagen aufgegessen.

Zurück zu den Bolani. Den Teig auf einer bemehlten Arbeitsfläche in acht Teile teilen, diese zu Kugeln formen und möglichst dünn ausrollen. (Tipp: Wer keine Lust auf Teigherstellung hat, kauft fertige Tortillas.) Auf die eine Hälfte eines Teigkreises nun 1/3 Cup der Füllung geben (oder wie ich: frei Schnauze). Die Ränder mit in Wasser gestippten Fingern anfeuchten, die andere Hälfte drüberklappen. Von der Mitte her vorsichtig die Luft zu den Rändern hin herausdrücken und die Ränder verschließen.

Eine Pfanne mit
2 1/2 EL Pflanzenöl auf mittlere bis höhere Hitze erhitzen und jeweils zwei der Bolani in ihr anbraten, bis sie goldig-braun sind, das dauert nur zwei, drei Minütchen. Die Oberfläche mit Öl bestreichen, wenden, fertig braten. Die Halbkreise dritteln und mit dem Chutney servieren. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten: Die schmecken sogar kalt.

Termin im Prüfungsamt

Die letzte Amtshandlung der Promotion stand an: Gestern radelte ich in der vorgezogenen Mittagspause, weil das Prüfungsamt natürlich nur bis 12 geöffnet ist, in eben dieses und überreichte dem Sachbearbeiter, der seit vier Jahren meine verwirrten Mails beantwortet, drei Exemplare meiner gedruckten Dissertation sowie die vom Doktorvater unterzeichnete Druckgenehmigung. Ich verstehe nicht, warum ich die jetzt noch einreichen muss, schließlich liegt das Ding da gedruckt rum, aber wie ich vor wenigen Tagen schon twitterte: Ich hinterfrage meine Promotionsordnung nicht mehr, ich arbeite sie ab. Und das war gestern das letzte, was noch abgearbeitet werden musste.

Beim Rückweg zum Fahrrad schlenderte ich noch ein wenig durchs Hauptgebäude. Der erste Weg ging natürlich zum Lieblingshörsaal, wo ich meine allererste Vorlesung hatte, wo auf der ersten Folie der Aachener Dom zu sehen gewesen war und ich innerlich dachte, oh, stimmt, Architektur, das gehört dann ja wohl auch zur Kunstgeschichte. Toll. In diesem Hörsaal hörte ich Spannendes über stilbildende Ausstellungen seit den 1950er Jahren, lernte die französische Romanik kennen und die altniederländische Malerei, erfuhr Wissenswertes über Klöster, Schlösser und Salzspeicher, bewunderte US-amerikanische und feministische Kunst des 20. Jahrhunderts, schwitzte im Sommer und fror dann, als es eine Klimaanlage gab oder sie mal benutzt wurde, drängelte mich durch Reihen von Senior*innen, die stets früher da waren als ich und überall die „Süddeutsche“ ausgebreitet hatten, und freute mich immer, wenn ich einen Klappsitz erwischte, der nicht nach unten durchhing. Irgendwann weiß man ja auch, in welchen Reihen die sind. Ich lernte, mich nicht hinter Leute zu sitzen, die sich Notizen auf dem Laptop machen anstatt per Hand, denn irgendwann checken sie Facebook und ich muss dann mitlesen, weil ich halt neugierig bin. Ich lernte, mich nicht hinter Grüppchen zu setzen, weil die gerne quatschen, und ich lernte, von wo man die Folien vernünftig lesen konnte und wo eher nur mit Interpretationsfähigkeiten. Das hört sich jetzt an, als wäre der Saal fürchterlich gewesen, aber warum auch immer war er mein liebster, vielleicht weil er der erste war. Die Sitze stammen gefühlt aus den 1960er Jahren, und ich mochte das „Rauchen verboten“-Schild an der Stirnseite, das mir sagte, dass das wohl irgendwann mal erlaubt gewesen war. Gestern wurde ausgerechnet in diesem Hörsaal eine Klausur geschrieben, die Türen standen offen, die wenigen Studis saßen Corona-gerecht verteilt, aber ich konnte natürlich kein Foto machen.

Dann eben vom anderen Hörsaal, in dem ich vermutlich ebenso viele Vorlesungen hörte wie im Liebling. Hier lernte ich unter anderem Cézanne kennen und schätzen, verstand, wie toll Fotografie sein kann und wie viele Kirchen in Rom rumstehen. Wenn ich mich richtig erinnere, schrieb ich hier meine letzte Klausur.

Über die große Treppe an der Rückseite des Gebäudes gelangt man ins Innere, wo sich der bekannte Lichthof befindet. Unten ist ein kleines Denkmal für die Weiße Rose, direkt vor der Denkstätte (kein Schreibfehler). Ich war in neuneinhalb Jahren nicht ein einziges Mal drin und auch gestern wollte ich nicht.



Der letzte Blick galt dem Speerträger, an dem man als LMU-Absolventin traditionell das Foto mit der Promotionsurkunde macht. Die liegt in vier bis sechs Wochen in meinem Briefkasten, und dann komme ich nochmal vorbei.

Ein bisschen musste ich weinen, war klar, ich wohne quasi am Wasser. Ich habe so irrsinnig gern studiert und ich bin sehr stolz auf den Titel, der sofort in den Perso kommt, sobald die Urkunde da ist.

Es fühlt sich etwas irreal an, weil die Welt bzw. zwei Staaten, die nicht wirklich weit von mir weg sind, gerade mit sehr anderen Dingen beschäftigt sind. Es fällt mir ein bisschen schwer, mich so richtig zu freuen, aber das ist eh nicht das Hauptgefühl, was ich gerade spüre. Es fühlt sich anders an als direkt nach der Abgabe der im Copyshop gebundenen Diss an die Prüfenden. Das war der dicke Brocken. Das hier ist quasi nur noch Pflichterfüllung. Aber es ist jetzt trotzdem die Ziellinie, auf die ich seit der Verteidigung im November 2020 zugelaufen bin. Der Schlusspunkt. Das war’s.

Ich werde noch ein bisschen vor mich hinwimmern und, wenn ich ehrlich sein darf, den Rest der Welt soweit wie möglich ignorieren, weil mich schlicht alles überfordert. Ich dachte, die Pandemie wäre das Schlimmste, was uns passieren kann, aber hey, nein, da kann man noch ein Schippchen draufpacken. Auch deswegen fühlt sich diese Ziellinie so seltsam und klein und unbedeutend an. Und ich ahne, dass dieser Blogeintrag auch eher für mich ist, um mir zu sagen, dass meine Leistung in den letzten gut vier Jahren alles andere als klein und unbedeutend ist.

Kentucky Butter Cake

Im Prinzip ein simpler Rührkuchen, aber ich mochte den leichten Whisky-Hauch in der Buttersauce gerne, die kein Guss ist, aber den Kuchen saftig hält und außen ein winziges bisschen knusprig macht. Im Rezept der NYT wird eine irrsinnige Menge von Zucker verlangt, die habe ich sowohl im Kuchen als auch in der Sauce halbiert. Aber mach bitte mit deinem Kuchen, was du möchtest.

Für eine Gugelhupf- oder Springform mit 24 cm Durchmesser. Diese ordentlich buttern und bemehlen, überschüssiges Mehl ausklopfen.

Den Ofen auf 160° Ober- und Unterhitze vorheizen.

Im Rezept wird Buttermilch verlangt; wer die gerade nicht da hat (wie ich), gibt einen Esslöffel Weißweinessig (bei mir der gute philippinische destillierte Essig) in ein Gefäß und gießt es mit simpler Vollmilch bis zur Gesamtmenge von 240 ml auf. Zehn Minuten stehen lassen: Buttermilch.

Jetzt haben wir alles. Los geht’s.

225 g zimmerwarme Butter mit
400 g Zucker (bei mir 200) schaumig rühren. Nach und nach
4 Eier sowie
240 ml Buttermilch unterrühren. Anschließend
385 g Mehl, Type 405,
2 TL Vanilleextrakt (weggelassen),
1 TL Backpulver,
1 TL Salz sowie
1/2 TL Natron unterrühren. Alles in die Form füllen, glattstreichen und für ca. 60 bis 70 Minuten backen. Stäbchenprobe durchführen.

Zehn Minuten, bevor der Kuchen aus dem Ofen muss, die Buttersauce ansetzen.

In einem kleinen Topf
75 g Butter,
150 g Zucker (bei mir 75),
3 EL Wasser und
3 EL Bourbon erwärmen. Die Butter soll schmelzen, die Mischung sollte aber nicht kochen, damit sich der Zucker nicht auflöst. Sonst knackt nachher nix an der Kruste. Aus den drei Esslöffel Bourbon werde ich nächstes Mal fünf machen. Im Originalrezept stehen zwei TL Vanilleextrakt statt Schnaps. Die NYT bzw. die dortigen Kommentierenden meinen, auch Rum oder Sherry wären super. Ich mag Bourbon.

Sobald der Kuchen aus dem Ofen kommt, mit einem Schaschlikspieß oder ähnlichem 15 bis 20 Löcher in den Kuchen bohren, der brav weiter in seiner Form bleibt. Nun langsam alles mit der Buttersauce übergießen, die total malerisch vom Kuchen aufgesogen wird. Den Kuchen mindestens drei Stunden lang in der Form auskühlen lassen, dann vorsichtig stürzen. Mit Puderzucker bestreut servieren. Ein Klecks Jogurt oder säuerliches Beerenobst passt dazu prima. Oder halt Bourbon.

Tagebuch und Links der letzten Tage: Der große Brocken

Am Montag erschien die überarbeitete Fassung meiner Dissertation in Buchform. An diesem Tag hatte ich Zugang auf mein Autoren-PDF, das stark gekürzt, nämlich nur in Form der Einleitung, hier zu finden ist. Am Dienstag kam dann die schwere Kiste mit den 15 Belegexemplaren, die ich jetzt an diverse Museen und Archive verteilen muss, von denen ich Bildmaterial veröffentlichen durfte. Hier große Vorfreude auf die noch ausstehenden Rechnungen dafür vorstellen. (Nicht.) Hier außerdem Belustigung darüber vorstellen, wieviel ich aus dem Videokurs im Januar mitgenommen habe und so in drei Minuten Musik aussuchen, iMovie öffnen und das mitgefilmte Unboxing auf den Beat schneiden konnte. (Jetzt echt. Man sieht den einzigen Schnitt, den ich machen musste, nicht mal.)

Natürlich rumoren die beiden Ideen, die ich für den zweiten Film im Kurs hatte (Bücher, Essen) noch im Hinterkopf rum. Ich filme mich derzeit bei der Essenszubereitung, habe aber noch keine Ahnung, was ich damit anfangen werde. Außerdem freue ich mich über das Licht in der Bibliothek, mit dem so simple Dinge wie Bratreis großartig aussehen. Ach ja, neuer Teller, von hier, wie alle Lieblingsteller.

Ich habe die Kiste nach dem Auspacken und dem Reinlesen ins eigene Werk erstmal liegen gelassen. Erst gestern griff ich zu Papas Füller, um einige Exemplare mit Widmungen zu versehen. Mein eigenes Exemplar hat meinen guten, alten „Meins“-Stempel bekommen.


Ich bin die ganze Woche über schon komisch drauf, vermutlich weil der große Brocken, der die letzten viereinhalb Jahre mein Denken bestimmt hat, jetzt endlich abgearbeitet ist. Das Buch ist raus, jetzt hoffe ich auf freundliche Rezensionen. Währenddessen sitze ich an einem Aufsatz aus Spaß, weil ich auch dieses Thema endlich mal zuende denken will. Aber es schwingt noch etwas anderes im komischen Bauchgefühl mit.

Einen weiteren Aufsatz habe ich letzte Woche abgegeben. Der musste auf Englisch eingereicht werden, wofür mir netterweise F. seine Hilfe angeboten hatte. Der Mann hat in den USA promoviert und seine Diss dementsprechend auf Englisch geschrieben, daher traue ich seinen akademischen Formulierungskünsten in dieser Sprache weitaus mehr als meinen. Aber, und das ist das Bauchgefühl, F. hatte arg mit dem Text zu kämpfen. Nicht wegen der Übersetzungstätigkeit an sich, sondern weil im Text diverse Zitate von NS-Größen auftauchten. Ich wunderte mich, dass ihn einige der Sätze so schmissen, aber er – und Hamburg – meinten, dass es etwas ganz anderes ist, wenn ich von meiner Forschung erzähle, gerne in meinem üblichen Blogplauderton, als wenn man diesen fürchterlichen, rassistischen, wahnwitzigen und gleichzeitig kühl durchdachten Rotz im Original liest. Ich erwähnte im Blog öfter, dass ich während des Schreibens sehr oft sehr schlechte Laune hatte. Die hatte F. jetzt auch, aber ich war darauf gar nicht vorbereitet. Eben weil ich dachte, ich hätte das doch alles schon tausendmal erzählt. Es ist aber anscheinend doch eine andere Nummer, sich selbst damit direkt befassen zu müssen. Ich fühle mich nachträglich in meiner schlechten Laune und dem „Alles anzünden“-Gefühl bestätigt.

(Edit: Eintrag teilweise gelöscht, weil schlechte Laune erzeugend.)

Auch wegen des vor dem genervten Edit angesprochenen Themas verlinke ich einen Film aus der ARD-Mediathek, den ich gestern sah. Das Thema ist mir leider aus meiner Forschung bzw. aus den Doktorandenseminaren nicht unbekannt, aber vielleicht hilft es auch hier, sich direkt damit zu befassen und nicht nur im Blog darüber zu lesen: „Die Versteigerer – Profiteure des Holocaust.“ Sehr sehenswert. (Via Twitter-Account der Niedersächsischen Gedenkstätten.)

Für einen versöhnlichen Abschluss: F. und ich haben uns nach November das erste Mal wieder in die Innengastronomie gewagt. Am vergangenen Freitag genossen wir das Menü bei Tohru Nakamura und waren danach den halben Samstag noch damit beschäftigt. Wie damals beim ersten Tantris-Besuch konnten wir uns nicht sattreden an den Herrlichkeiten, die wir serviert bekommen hatten. Das war das dritte Mal bei diesem Koch; das erste Mal saßen wir 2019 im Werneckhof, der 2020 wegen Corona schloss. Nakamura eröffnete daraufhin einen Streetfood-Laden, machte hochwertiges Hähnchen-Fast-Food und Burger, bot Sterne-Menüs zum Mitnehmen an und hatte im letzten Jahr für mehrere Monate ein Pop-up, wo wir auch waren. Jetzt hat der Mann endlich ein eigenes Restaurant, und man sieht und schmeckt die Entwicklung. Alles war fokussierter, präziser und selbstbewusster. F. hat uns für sein Geburtstagswochenende bereits erneut einen Tisch reserviert und ich kann es kaum erwarten.

„‚Ziehet die Bahn durch deutsches Land.‘ Gemälde zur Reichsautobahn von Carl Theodor Protzen (1887–1956)“

Heute ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation erschienen. Auf der Verlagsseite können Sie das wunderbare Werk als formschönes Buch oder handtaschenkompatibles PDF bestellen. Ich warte noch auf meine Belegexemplare, von denen ich drei in die Uni-Bibliothek schleppen muss, damit ich endlich meine Promotionsurkunde bekomme. Denn erst wenn ich die habe, darf ich den „Dr.“ auf meine Visitenkarten drucken lassen, was ich total tun werde.

Der Verlag bietet leider keine Leseprobe an, also erledige ich das mal händisch. Hier steht die Einleitung minus die Danksagung. Enjoy.

Filmschule mit Casey Neistat, Teil 2

Nach den ersten zwei Wochen Filmschule per vorgefertigten Videos von Neistat ging es an den zweiten Film. Wo der erste noch „spontaneous“ sein sollte, bezeichnete Neistat den zweiten nun als „pre-meditated“. Also: Überleg dir vorher eine Geschichte und geh nicht einfach so mit der Kamera oder dem Handy raus. Drehe vielleicht an mehr als nur einer Location. Nutze, wenn du hast, mehr als nur dein Handy, sondern vielleicht eine bessere Kamera. Versuche, filmischer zu denken, weniger vloggig. Überleg dir vorher, was du aufnehmen willst anstatt das Geschehen um dich herum zu beobachten und spontan zu entscheiden, was wichtig ist. Oder wie die Kurswebsite es ausdrückte:

„In this part of the class, you’ll create a second film, this time a more ambitious and cinematic movie. Instead of choosing a story spontaneously, you’ll try to create a movie based on something meaningful and important to you, and you’ll elevate your story with more sophisticated filmmaking techniques. […] You can make a movie about one of your hobbies or interests, a relationship, a personal struggle, an issue you care deeply about, or anything else that comes to mind while brainstorming.”

Die erste Idee, die ich hatte, war, etwas über meine Beziehung zu Büchern zu machen. Dass sie mehr sind als Zeitvertreib oder Tapete und dass ich sie im Laufe des Studiums immer mehr und neu schätzen gelernt habe. Dafür fielen mir aber nicht wirklich spannende filmische Perspektiven ein, also weg damit. Die zweite Idee war, fast klar, etwas über Essen zu machen, Kochen, meine persönliche Reise zum Genuss. Die Idee scheiterte daran, dass ich mit meinen derzeitigen filmischen Möglichkeiten nicht mal annähernd in der Lage bin, die Bilder zu reproduzieren, die ich in 1000 Kochshows, Werbespots und Netflix-Specials gesehen habe. Das fängt schon mit meiner unfassbar hässlichen Mietwohnungsarbeitsplatte an, die ich auf Insta immer verdecke, außer ich vergesse es. Und das hört damit auf, dass ich zwar von oben auf meine Hände filmen kann, wie ich ausprobierte, aber alle seitlichen Shots meinen Bauch und meine Küche zeigen und das ist beides eher langweilig, wenn’s länger als zehn Sekunden dauert.

Also kam ich auf eine Idee zurück, die ich schon für den ersten Film hatte – die Rekonstruktion der Alten Pinakothek nach Bombentreffern im Zweiten Weltkrieg – und die Hamburg mir für den Erstling ausgeredet hatte. Zum Glück, denn wie ambitioniert das Projekt war, merkte ich in den letzten Tagen. Ehrlich gesagt, erst beim Schneiden. Aber zu allem, woran ich haderte, hatte Casey in seinen Videos etwas zu sagen: “If you manage you get through your edit without getting frustrated – why didn’t I shoot it some other way –, you’re probably doing it wrong.” Die Sätze, die ich in den letzten Tagen dauernd vor mich hinquengelte, waren erstens: „HALT DOCH MAL DIE KAMERA RUHIG!“ Und zweitens: „BLEIB DOCH MAL DRAUF!“ Weil ich es dauernd schaffte, Handy oder Kamera oder Kamera auf einem Stativ, verdammt, erstens nicht ruhig zu halten und zweitens die Aufnahme immer zu früh abzubrechen anstatt das Schlussbild einfach mal fett fünf Sekunden stehen zu lassen, wer weiß, wozu man es noch mal brauchen kann. Zum Beispiel für ruhige Anschlüsse bzw. Überblendungen oder weniger hektische Voice-Overs, wie ich jetzt weiß.

Ich schrieb drei bis vier Textfassungen runter, bis ich auf Papier hatte, was ich sagen wollte. Dann schaute F., dessen amerikanisches und wissenschaftliches Englisch besser ist als meins, über den Text und verbesserte an einigen Stellen. Ein paar Verbesserungen ignorierte ich, weil sie nicht mehr nach mir klangen, aber das meiste wurde freudig übernommen. Mit diesem Script begann ich, mir Bilder zu überlegen. Alte Pinakothek außen – logisch. Weitere Außenaufnahmen: Haus der Kunst, Front und Rückseite (weil da ein Kunstwerk steht, das ich brauchte), Universitätsbibliothek außen, Zentralinstitut für Kunstgeschichte innen bzw. die Bibliothek, weil ich da in mindestens einem Buch blättern wollte. Dann noch ein paar Dinge, die ich am heimischen Schreibtisch machen konnte. Und den Vorspann, der mir fast als erstes einfiel. Ich hatte schließlich noch Casey im Ohr: Grab them. Hol die Leute irgendwie ins Video rein. Und da ich als Werberin ahnte, dass alle wegklicken, wenn ich das Video mit einer Aufnahme der Pinakothek beginne und total wissenswerte Fakten drüberspreche, überlegte ich mir etwas anderes. Der Anfang ist mit mein Favorit im Video, weil der ungefähr so aussieht, wie ich ihn haben wollte. Mit dem Rest hadere ich, aber nach mehreren Tagen draufgucken immer weniger. Besser kann ich es halt noch nicht und dann ist das eben so. (Bitte stellen Sie sich hier vor, wie ich verzerrt grinse und so tue, als würde ich souverän über allem stehen.)

Ich stellte beim Sichten des ersten Materials fest, dass mein iPhone 12 bessere Bilder macht als meine Sony Alpha 5000, trotz Stativ und vernünftigem Zoom-Objektiv, das ich auch quasi nur in Zeitlupe bediente. Die Sony-Bilder sehen in meinen Augen total matschig aus, fast verpixelt, und haben nicht die tolle Farbigkeit des iPhones. Warum die Bilder trotz Stativ (ich komme da echt nicht drüber weg) auch noch wackeln – keine Ahnung. Erstes Learning – oder eher eine Frage: schwereres, stabileres Stativ kaufen? Die Kamera NOCH ruhiger bewegen? Oder besser gar nicht? Oder einen Gimbal fürs Handy kaufen? Das Wort bzw. das Produkt habe ich im Monthly-Forum kennengelernt, ich wusste nicht mal, dass es sowas gibt, und im Prinzip habe ich mich schon damit abgefunden, dafür Geld auszugeben.

Immerhin nahm ich dieses Mal, trotz mehrerer Drehorte, nicht so irre viel Zeug auf wie beim ersten Video. Ich guckte besser vorher, bevor ich aufnahm, hatte aber natürlich trotzdem noch zu viel Material. Aber blöderweise auch des Öfteren genau das nicht, was ich beim Schneiden gerne haben wollte. Ich erwischte mich beim Dreh dabei, denselben Fehler zu machen wie beim Friedhofsvideo, nämlich eher zu fotografieren als zu filmen. Also zwang ich mich, nach Bewegungen zu suchen oder eben selbst welche zu machen. Wobei die genau für die Wackelbilder sorgten, die mich jetzt im Film so wahnsinnig machen.

Ich habe es immerhin geschafft, mich wirklich ans Skript zu halten. Meine Voice-overs bzw. die Sprachaufnahmen, die ich vor Ort machte, sind genau die, die im Word-Dok stehen. Zweites Learning: Wenn du vor Ort Ton aufnimmst, sorg dafür, dass es in München nicht gerade scheißwindig ist. Oder nimm halt nicht draußen auf. Oder kauf dir ein Richtmikrofon. Ich habe den Rausschmeißertext, also die letzten Zeilen im Film, an mehreren Orten aufgenommen, weil ich sie zusammenschneiden wollte, um eine schöne Location-Schleife um alles zu binden. Es ist dann doch fast nur eine Location geworden, weil alle anderen schlicht zu laut waren. Drittes Learning: Nimm das gesamte Voice-Over, was du am Schreibtisch einsprichst, in einem Rutsch auf. Die Tonspur auseinanderzuschneiden ist kein Problem, aber an 25 Schnipseln den Ton einzeln einzustellen, weil ich am Dienstag die Kopfhörer mit dem Mikrofon anders halte als am Mittwoch, hat schwer genervt. Und es ist immer noch nicht einheitlich, aber besser habe ich es nicht hinbekommen.

Viertes Learning: Ja, das ist super und toll, dass du so ambitioniert bist, nach gerade einem Video von iMovie auf die Trial-Version von Final Cut Pro X umzusteigen. Es ist aber gleichzeitig total bescheuert, weil du das erste Programm wenigstens so halbwegs kapiert hast, während du beim zweiten wieder von Null anfängt. Oder von Drei bis Vier, ein paar Dinge kennst du ja. Final Cut kann so viele Dinge, von denen ich nicht mal weiß, was sie sind; ich habe gefühlt 90 Prozent des Drop-Down-Menüs bzw. der vielen, vielen Buttons und Icons nicht verstanden.

Es hatte aber seinen Grund, warum ich umgestiegen bin. Ich wusste, ich würde an mindestens einer Stelle im Film Texteinblendungen brauchen, und die sind in iMovie fürchterlich umständlich. Ich habe dazu einen Umweg über Keynote genommen, also die Texte auf eine Art Greenscreen geschrieben und die dann in iMovie eingefügt. Die Texte zu schreiben, zu formatieren und dann an beliebige Stellen im Bild (nicht im Film, im Bild) einzufügen, ist in Final Cut ein Kinderspiel. Aber im Nachhinein bin ich mir nicht sicher, ob es nicht auch die hässlichen Untertitel in iMovie getan hätten. Ich musste mir sehr vieles ergoogeln, was ich mir schon für iMovie ergoogelt hatte. Dabei habe ich zwar viel gelernt, aber trotzdem ist dieses Programm für meinen derzeitigen Kenntnis- und Fähigkeitsstand komplett überdimensioniert.

Mein Verhältnis zum eigenen Film war ein ganz anderes als beim ersten. Beim ersten Video hatte ich quasi Narrenfreiheit, weil ich wusste, ich kann eh noch nix, also kann es auch fürchterlich aussehen. Das will ich zwar nicht, aber das Ding steht auch deshalb auf YouTube, weil ich es wirklich – für einen Erstling – gut finde. Beim zweiten Video hatte ich von vornherein eingeplant, es auf YouTube zu posten, jetzt weiß ich ja, was ich kann, ich Supertopchecker. Und beim Schneiden merkte ich natürlich: einen Scheiß kann ich. Zwischenzeitig haderte ich so sehr, dass ich einen neuen Film drehen wollte. Auch weil ich mich fragte, wer außer mir sich bitte für die Fassade der Alten Pinakothek interessieren sollte. Aber hier hatte Casey genau die richtigen Sätze im richtigen Moment:

Das zweite Video, bei dessen Erstellung wir ihm folgten, ist auf den ersten Blick eine Tech Review zu der Ray-Ban-Sonnenbrille, die filmen kann. Aber er selbst meinte: Nobody wants to watch tech reviews. Was er macht, damit die Leute ihm zuschauen, und das fiel mir wirklich erst bei seinem Video auf, ist dasselbe, was jede halbwegs erfolgreiche Bloggerin und jeder YouTuber genauso machen: Er wird persönlich. Und so funktioniert auch mein Video: Ich erzähle zwar was über eine Fassade, aber im Prinzip erzähle ich, warum ich persönlich das spannend und wichtig finde. Also versuche ich, die wackeligen Bilder, den lauter und leiser werdenden Ton und den handwerklich eher rustikalen Schnitt zu ignorieren und hoffe, dass noch jemand außer mir sich das Ding bis zum Schluss anschauen möchte. Ich glaube, ich kann eine interessante Geschichte erzählen, ich finde den Text gut, und die Reaktionen im Monthly-Forum waren auch eher positiv. Dort standen auch viele Verbesserungsvorschläge, die ich aber vermutlich erst beim nächsten Video umsetzen werde. Das hier bleibt jetzt so.

Vielleicht generell noch was zum nun beendeten Kurs und ob sich das Geld gelohnt hat. Meine Meinung: für mich persönlich schon, aber generell hat das Konzept Macken. Ich habe ein neues Medium in unfassbarer Geschwindigkeit kennengelernt – kennenlernen müssen, weil wir halt Deadlines hatten. Die hätte ich natürlich ignorieren können, aber dann hätte ich auch gleich das Geld verbrennen können. Mein ambitionierter Kopf konnte ernsthaft vier Wochen Pandemie halbwegs ausblenden, weil er mit etwas ganz anderem sehr ausführlich beschäftigt war. Ich persönlich habe auch Caseys Videos gerne angesehen, in denen er einfach anhand seines eigenen Videos erzählt, wie er sich Storylines überlegt, warum er wie schneidet, auf was er bei der Musik achtet und sehr oft, warum er bestimmte Dinge nicht macht. Während er redete, tippte ich brav Notizen in ein Word-Dokument, fast wie in der Uni. Wir haben weiterhin Zugriff auf alle Videos, aber ich bin mit der Verschriftlichung der wichtigsten Punkte zufrieden.

Der Kurs funktioniert nur durch das Feedback der anderen Teilnehmer in deinem jeweiligen Classroom, also das, was ich hier Forum nenne. Von den 20 Peers, mit denen ich anfing, haben 14, wenn ich richtig gezählt habe, das erste Video veröffentlicht und sich an Diskussionen und Reviews beteiligt. Beim zweiten Film passierte im Forum deutlich weniger, es gab kaum noch Feedback auf einzelne Posts und wenn, dann meistens von immer denselben Teilnehmern. Das Feedback selbst war gemischt: Manche Anmerkungen zu meinen Videos fand ich äußerst hilfreich, andere weniger, wenige komplett nutzlos. Ich habe auch immer bei den anderen mitgelesen, um dort Kritikpunkte nachvollziehen zu können. Das Ganze war also eher ein angeleitetes Selbstlernen, womit ich eigentlich klarkomme. Aber gerade als komplette Anfängerin war das Projekt vielleicht doch etwas zu überambitioniert; ich merkte beim zweiten Film, dass ich bei den wirklichen Grundbegriffen des Filmens und Schneidens gerne jemanden gehabt hätte, der mir quasi auf jede Szene Feedback gibt bzw. bei jedem Schnitt Vorschläge macht. Insofern ist der Kurs, wie so vieles, das, was du draus machst. Der nächste Kurs startet am 21. Februar, bis zum 18. könnt ihr euch einschreiben.

Ich bin sehr angefixt von diesem neuen Medium, aber gleichzeitig auch froh, erstmal nicht wieder vor eine Kamera zu müssen. Und: Der Zeitaufwand erschlägt mich. Ja, Schreiben ist auch aufwendig, aber dafür braucht man theoretisch nur Stift und Zettel und man sollte mal das Alphabet gelernt haben. Für ein filmisches Projekt brauche ich von vornherein eine gewisse Ausrüstung und damit es irgendwie ansehnlich wird, am besten gleich noch mehr davon. Und auch die Korrektur bzw. das schlichte Anfertigen des schlussendlichen Produkts ist ungleich aufwendiger. Wo mir beim Texten die Backspace-Taste oder notfalls ein Radiergummi reicht, muss ich hier eventuell nochmal nachdrehen, was wieder viel Zeit kostet.

Wer nach der langen, laaaangen Vorrede mein zweites Video sehen möchte: Hier geht’s lang. Wer noch mehr lange, laaaange Anmerkungen zum Video lesen will – quasi der Regiekommentar auf DVD –, kann das unterhalb des folgenden Fotos tun.

Der Film beginnt mit einer Montage von München-Klischees: die erleuchtete Allianz-Arena, das Olympia-Gelände, die Eisbachsurfer, die BMW-Welt, das Hofbräuhaus und natürlich das Oktoberfest. Alles endet mit meinem Satz: Nee, Kinnings, das ist nicht das München, über das ich reden will. Ich hoffe, dass die lustige Bilderflut neugierig macht – und die dräuende Musik aber verdeutlicht, dass es eben genau nicht um was Lustiges geht. F. findet den Ton total doof, ich finde ihn großartig.

Ich wollte mich eigentlich mit dem Handy eine halbe Stunde an die Arena stellen, um eine Zeitrafferaufnahme zu machen, und Freund*innen fragen, ob sie Videos vom Oktoberfest haben, ich selber habe nämlich nur Fotos, aber damit waren meine anderen Motive noch nicht geklärt: Woher bekomme ich Aufnahmen vom Olympiagelände, die besser aussehen als das, was ich vom Olympiaberg produziere, und muss ich jetzt echt noch ins Hofbräuhaus? Beim Rumsuchen nach Oktoberfest-Footage auf YouTube kam mir der naheliegende Gedanke: Wenn das Oktifest auf YouTube ist, dann vermutlich auch alles andere. Und natürlich ist alles da. Immerhin den Eisbach-Surfer habe ich selbst gefilmt, denn ich war ja eh am Haus der Kunst. Ich bin mir nicht sicher, ob die dort fehlende YouTube-Optik die Sequenz verkompliziert oder stört oder total egal ist.

Ich mag die Sequenz auch deshalb, weil ich dort erstmal mit externen Sounds gearbeitet habe. Wenn man einen YouTube-Kanal hat, kann man auf das dortige, sogenannte Studio zugreifen, das ein paar Toneffekte bereit hält. Ich habe mich außerdem bei AudiYou bedient, was aber eher unkomfortabel ist. Unter dem Clip der BMW-Welt liegt ein Motorengeräusch, unter dem Hofbräuhaus Humtatamusik, und das Wo-hoo beim Oktoberfest ist eigentlich eine Zuschauerin eines Hamburger Konzerts, die gerade das Ende eines Auftritts bejubelt.

Was mich an den 15 Sekunden wahnsinnig gemacht hat: Ich habe es auch in tagelanger Arbeit nicht geschafft, die Schnitte perfekt an den Beat der Musik anzugleichen. Also dass sich das Bild auf einem Taktschlag ändert. Keine Ahnung warum. Ich kann Markierungen setzen und ich behaupte von mir, Taktgefühl zu haben, aber ich hab’s einfach nicht hingekriegt. Es ist nah dran, aber nicht so perfekt, wie meine Kollegen das im Forum bei ihren Filmchen hinkriegen. Ich bin sehr neidisch, weiß aber jetzt, was ich als nächstes mache: auf den Beat schneiden üben.

Die längere Sequenz mit den Büchern, die ich auf meinem wackeligen Ikea-Schreibtisch gefilmt habe, wollte ich eigentlich noch mit irgendwas aufpeppen, aber mir ist partout nichts eingefallen, was sie sinnvoll besser gemacht hätte. Natürlich wären alte Aufnahmen von mir toll gewesen – die kleine Anke in bunten Werbeagenturen und die große Anke an der Uni –, aber die habe ich schlicht nicht.

Von Casey habe ich gelernt, dass Ortswechsel prima durch Fahrten visualiert werden können; so weiß die Zuschauerin, dass wir anscheinend nicht mehr am heimischen Schreibtisch sind. Zeitraffer ist herausfordernder, als ich dachte, und ein Handy am Fahrradlenker anzubringen, war auch mit dem kleinen Äffchenstativ schwieriger als erwartet. Die meisten meiner Bilder zeigen eher den Radweg als die Umgebung, daher hatte ich trotz mehreren Fahrten kaum Bilder, die ich gerne sehen oder zeigen wollte. Die Sequenz, wo ich dem Auto ausweiche, ist nicht besonders hübsch, aber links ist die Mauer vom Alten Nordfriedhof, wo das erste Video spielte. Weiß niemand außer mir, aber ich mochte das. (Na gut, ihr wisst das jetzt auch.) Und generell wollte ich Aufnahmen von mir und dem Fahrrad bzw. einer U-Bahn, weil in den meisten Videos aus den USA die ewig gleichen Bilder von „Autotür auf, irgendein Blick auf Mittelkonsole oder Instrumententafel, Blick auf die Straße über die Motorhaube“ sind.

In der Sequenz mit der Alten Pinakothek sehe ich den Unterschied zwischen iPhone und Sony massiv, aber vielleicht nur, weil ich es weiß. Die Aufnahmen von der Front mit der Eingangstür sind das iPhone, die lange Rückseite ist die wackelige Sony auf dem wackeligen Stativ. Okay, es war sehr windig. Direkt danach der Schwenk über das Hauptgebäude der Uni, der so richtig schön unwackelig ist? iPhone ohne Stativ. Knurr. Und hier mag ich besonders den Übergang von Pinakothek zu Uni, das sieht fast wie ein genau so gemeinter, längerer Rechtsschwenk aus. War aber reines Glück, über Anschlüsse habe ich vorher nicht nachgedacht. (Was denn noch?!?)

Bei der kurzen Einblendung meines Buchs hätte ich gerne mein Buch gehabt, aber es ist noch für wenige Tage im Druck. Und danach sind wir in der schönsten Bibliothek aller Bibliotheken, nämlich meinem Bällebad im ZI. Ich stolpere selbst darüber, dass ich über München als Hauptstadt der Bewegung spreche und wir Buchreihen sehen, aber ich wollte partout keine historischen Schwarzweißaufnahmen haben. So sind diese Bilder schlicht der Weg zur Kunst, die wir am Ende der Sequenz sehen. Und ja, das ist Absicht, dass der Ausstellungskatalog, in dem ich blättere, auf dem Kopf steht. Ich will diese Bilder nicht ohne Kontext im Netz haben. Wobei mir durchaus klar ist, dass die Hakenkreuze auch auf dem Kopf deutlich sichtbar sind.

Dann gibt’s wieder Unterwegs-Bilder, die ich beide sehr mag. Das erste, weil die Ludwigstraße mit den goldenen Gebäuden und dem knallblauen Himmel einfach toll aussieht und die Dame auf dem Trottinette so malerisch an der Filmenden vorbeifährt, die brav an einem Sonntagmorgen an der roten Fußgängerampel wartet. Das Bild ist schräg, weil ich nicht fahre, sondern mein Rad schräg an mir lehnt. Sieht aber so gerade noch okay aus, finde ich.

Die Aufnahme an der Ampel mit dem Haus der Kunst im Hintergrund war sehr spontan und Beleg meiner totalen Unerfahrenheit, mich selbst zu filmen. Ich wollte gerne eine Aufnahme von mir, wie ich auf dem Rad irgendwo langfahre. Dazu muss ich mein Handy irgendwo hinstellen, was mir ein bisschen unsympathisch ist, weil ich alleine unterwegs bin und niemand auf das gute Stück aufpasst. Es war Sonntagmorgen, bis auf die Dame im Bild war niemand in der Nähe, und an der Ampel stand ein Streusandkasten. Handy auf dem Stativ abgestellt, geguckt, ob das Haus der Kunst im Bild ist, denn darum ging’s mir ja, und gerade noch die grüne Ampel erwischt. Dann auf der anderen Straßenseite den totalen geistigen Aussetzer gehabt, denn dort stellte ich das Fahrrad ab, hüpfte über die Straße, um das Handy wieder an mich zu nehmen – und dann wurde die Ampel rot. Jetzt hatte ich mein Handy wieder, aber bibberte nun 30 Sekunden, ob drüben jemand mein Fahrrad klauen würde, was nicht möglich gewesen wäre, wenn ich einfach wieder zurückgefahren wäre, ich Huhn.

Für die zwölf Sekunden Text auf der Eingangstreppe des Museums habe ich ungefähr 20 Minuten gebraucht. Ich habe den Text mehrfach eingesprochen und den Rest der Zeit auf eine Verkehrspause gewartet.

Bei den Radfahrenden habe ich überlegt, ob die erste Szene nötig ist, aber ich fand die ganze Sequenz von der Länge her gut. Was ich von Caseys Edits mitgenommen und hoffentlich beherzigt habe: immer schön abwechseln in Tempo, Bild und Musik. Nachdem ich eben recht viel Text hatte und demnächst noch ein Berg Text kommt, darf die Zuschauerin gerne kurz Luft holen. Die halbe Sekunde gönne ich ihr, auch wenn sie filmisch nicht nötig wäre. Und ich mochte die Vespa gerne, auf die ich auffahre und die mich dann überholt.

Beim Eröffnungsshot für die lange Pinakothekssequenz habe ich brav darauf geachtet, nicht wieder schlicht den Eingang zu filmen, sondern mir eine Position zu suchen, wo ich vielleicht ein interessantes Detail habe, das die Zuschauerin noch nicht kennt. In diesem Fall die Skulptur, die ich mir kurz ergoogeln muss: Sie sehen Fritz Königs „Große Biga“ von 2000. Dann kommt wieder blöder Pixelmatsch, damn you, Sony.

Und noch eine Büchersequenz bzw. eine mit Fotos. Das antiquarische Buch „Häuser zeichnen“ (1957) von Hans Döllgast, dem Architekt, der die Pinakothek restaurierte und für das herrliche Treppenhaus verantwortlich ist, hatte mir F. mal zu Weihnachten geschenkt; ihm liegen mehrere Fotos bei, von denen eins eine Seitenansicht der Pinakothek von 1957 zeigt, die bei mir gerahmt im Schlafzimmer steht. Die anderen beiden Ansichten sind im Film zu sehen. Im Buch liegt außerdem eine von Döllgast unterschriebene Karte: „Lieber Kollege! Aug um Aug, Buch um Buch. Um milde Beurteilung wird gebeten.“ Ich weiß leider nicht, welchem Kollegen das Buch mal gehörte, aber ich liebe es sehr. Es steht, wenn ich es nicht gerade abfilme, neben dem Foto auf einer Bilderleiste, obwohl Orange ü-ber-haupt nicht in das Farbkonzept des Schlafzimmers passt. Bei der Sequenz fällt mir leider immer auf, dass ich meinen schlumpfigen Ringelpulli trage und nicht mein übliches Dunkelblau. Die abschließenden Bilder von der Pinakothek sind auf halbe Geschwindigkeit verlangsamt, damit DAS VERDAMMTE WACKELN nicht so nervt.

Jetzt kommt die zweite Lieblingssequenz nach dem Einstieg: Schöne iPhone-Farben, neue Musik und dann geht’s endlich mal irgendwo rein, wo es Gemälde zu sehen gibt. Die Pinakothek wurde in den vergangenen Jahren renoviert und das hat sich total gelohnt. Das Rot der Wände knackt so super, das Licht ist toll, ach herrlich. Mir ist zum ersten Mal aufgefallen, dass die Metallschnüre (?), an denen die Werke hängen, für eine gewisse Länge mit farbigem Stoff ummantelt sind, damit es keinen Kontrast zur farbigen Wand gibt. Auch hier hätte ich noch ein paar Sekunden rausschneiden können, aber ich wollte die Raffaels so lange wie möglich im Bild haben, und Rubens schadet ja auch nie. Mein geliebter Lotto ist gerade ausgeliehen oder abgehängt, der Columba-Altar schien mir zu kleinteilig, das „Schlaraffenland“ ist in ein Seitenkabinett verbannt und spiegelt, der Botticelli hatte irgendwie komisches Licht und vorm Dürer standen Leute, daher gibt’s nur Raffael und Rubens. Und: Hier habe ich es endlich mal geschafft, auf den Beat zu schneiden: Das Bild wechselt, wenn sich die Musik danach anhört.

Im Forum kam die Anmerkung, die Raumflucht sähe total nach Kubrick aus, ob da nicht auch „ epic Kubrick music“ drunter passen würde? Das mag sein, aber ich wollte die Musik so unaufdringlich wie möglich haben, eher einen Plink-Plonk-Klangteppich, nichts Episches. Als weitere Anmerkung zum generellen Film kam, dass ich etwas „teachy“ klingen würde; ob es nicht auch möglich wäre, quasi gemeinsam mit der Zuschauerin die Dinge zu entdecken, die ich präsentiere? Also: „Ich komme aus Hamburg, ich wusste vorher nicht, dass es in München dies und das gibt.“ Oder: „Ich frage mich, warum die Steine an der Fassade verschiedene Farben haben.“ Klingt nach einer guten Idee, aber sie ist, meine ich derzeit, nicht für mich. Ich weiß ja, was ich weiß und will daher auch nicht so tun, als ob ich es nicht wüsste. Aber ich finde die Idee gut, auf eine Reise zu gehen und die Zuschauerin mitzunehmen.

Vom tollsten Treppenhaus der Welt wollte ich eigentlich eine Zeitrafferaufnahme machen, wie die Menschenmengen dort hoch- und runterwogen, aber es ist Pandemie und in meinem Fall war es Mittwochmittag, da waren einfach nicht so irre viele Menschen im Treppenhaus unterwegs. Genauer gesagt, habe ich lausige vier Personen auf mehrere Aufnahmen verteilt einfangen können und mich dann doch lieber für eine komplett leere Treppe entschieden.

Die Skulptur nenne ich im Film nicht namentlich, hätte ich vielleicht als Einblendung machen sollen, aber ich wollte das nicht überfrachten. Wir sehen den „Rossebändiger“ (1931) von Bernhard Bleeker.

Bei den drei Tafeln zu den „Wunden der Erinnerung“ ist mir aufgefallen, dass die Zuschauerin nichts mit der Ortsangabe der Universitätsbibliothek anfangen kann. Daher ist der Schwenk zur Uni vorhin im Video drin, damit wenigstens der Begriff „Universität“ schon mal gefallen ist. Das Bild fiel mir spontan ein, als ich auf dem Weg zum Haus der Kunst war; der Himmel war so toll blau, das Licht gut und ich dachte, vielleicht kann ich die Unibilder vorne in die erste Büchersequenz schieben, wenn ich über mein Studium spreche. Habe ich dann nicht gemacht, aber beim Schnitt war ich froh über diese Eingebung, weil die Szenen später gut passten.

Die Sequenz mit der U-Bahn ist natürlich nicht der richtige Anschluss; vom Haus der Kunst kommt man nicht so direkt mit der U-Bahn weg, aber Fahrrad hatten wir jetzt genug. Ihr fahrt jetzt von meiner Heimathaltestelle mit mir zum geliebten Königsplatz, weil ich ins ZI muss. Und mir ist jede Ausrede recht, den Platz zu zeigen. Die Bilder von dort sind übrigens nicht im Zeitraffer aufgenommen, ich schwenke mal wieder zu hektisch. Verlangsamen wollte ich die Sequenz aber auch nicht, weil sie mir dann zu lang wurde.

Mit der kompletten Sequenz ab dem Königsplatz hadere ich, ich finde sie zu wackelig, vor allem die abschließenden Aufnahmen des ZIs. Die habe ich ewig umgeschnitten und mich zum Schluss in mein Schicksal ergeben, dass diese Bilder halt sehr meh sind. Auch die Szenen, in der wir gemeinsam wieder nach dem Blättern aus dem ZI rausgehen, gefällt mir nicht, aber hier hatte ich nur diese eine Aufnahme. Während ich für das erste Video insgesamt viermal losgezogen bin, um an einer Location zu filmen, habe ich mir hier untersagt, irgendwas nachzudrehen. Deal with it, move on.

Dass der große Schwenk zum Schluss so perfekt in der Länge zum Voice-over passt, ist reines Glück. Nichts geschnitten, keinen Text gekürzt oder verlängert, das passte einfach. Und hier sind dann endlich die Texteinblendungen, für die ich mich an Final Cut gewagt habe. Hat sich total gelohnt. Inneres Augenrollen, aber dann doch nicht, weil die Worte „Alte Pinakothek“ so schön einfach in die Ecke zu schieben waren. Ich hatte kurz überlegt, die Schriftgröße zu verkleinern, damit es perspektivisch besser stimmt, aber das war mir zu albern.

Den Rausschmeißertext habe ich, wie oben erwähnt, an mehreren Orten eingesprochen: am Haus der Kunst, vor dem ZI, in der ZI-Bibliothek und zuhause am Schreibtisch. In der Pinakothek war mir das zu peinlich, ich hatte den Text aber in der Hosentasche. Schlussendlich geworden ist es die ZI-Bib, weil dort der Ton am besten war, aber ich wollte zum Schluss nochmal das Bild davor aufgreifen, also das Haus der Kunst, und deswegen ist der letzte Satz dann wieder mit Verkehr und Wind.

Und jetzt legen wir den Film zu den Akten und machen den nächsten, wo ich wieder brav alles Gelernte anwende. Und danach mit allem hadere. Also alles wie immer.

Filmschule mit Casey Neistat

In den letzten zwei Wochen habe ich mich nicht nur mit Kunstgeschichte und Werbung beschäftigt, sondern auch noch mit der Videofunktion meines iPhones. Und das kam so.

Im Dezember lungerte ich mal wieder auf YouTube herum und sah, dass Casey Neistat ein neues Video gepostet hatte. Ich hatte sein Vlogging ewig verfolgt, aber ihn irgendwann nicht mehr so richtig auf dem Schirm, als er sein tägliches Videotagebuch beendete. In seinem neuen Beitrag erzählte er, dass er eine Art Filmschule anbiete, einen Kurs bei Monthly, der einen Monat dauern, ungefähr acht Stunden Zeit pro Woche verschlingen und 250 Dollar kosten würde. Als User bekommt man Zugriff auf vorgefertigte Videos, in denen Neistat seinen Arbeitsprozess erklärt: wie er Ideen im Alltag findet, wie er daraus einen klassischen Dreiakter macht, wie er schneidet, wie er aus Material einen Film schafft eben. Ich schlief ein paar Nächte darüber und klickte dann auf „Kauf ich, gib her“. Oder ähnlich.

Am 10. Januar ging es dann los. Der sogenannte Classroom ist eine Art Forum, das man mit 20 Mitstudis befüllt. Am ersten Tag ging es um Ideenfindung; seine Idee sollte man mit einem Foto illustrieren und beschreiben. Danach begann das Filmen, auch hier sollte man seine Peer Group schön auf dem Laufenden halten, indem man den ersten Akt postete. Auf den mussten dann drei Peers Feedback geben, daraufhin hatte man noch einen Tag Zeit für Reshoots – deswegen war ich gestern nochmal im Schnee –, und morgen muss der fertige Film online sein. Ich habe ihn bereits heute hochgeladen wie einige andere auch, damit ich nicht noch länger an ihm rumdengele. Manche luden das Ding auch nicht aktweise, sondern gleich komplett hoch, jeder wie er mag. Hier gendere ich bewusst nicht, denn, totale Überraschung, es sind quasi nur Kerle an Bord.

Nachdem ich meinen Film hochgeladen hatte, gelangte ich in eine Übersicht, die anscheinend allen offen steht, nicht nur den Menschen, die für den Kurs bezahlt haben (man kann seinen Film auf „unsichtbar“ stellen). Ihr könnt euch also mal durchklicken. Dort sind etwas mehr Frauen erkennbar, aber die große Masse sind die Jungs, vor denen ich ein bisschen Angst hatte: die Casey-Klone. Was schon in der Kursbeschreibung deutlich wird: Neistat bringt einem hier nicht bei, wie generell Filmemachen funktioniert, sondern wie seine Art zu filmen funktioniert. Daher wusste ich, was auf mich wartet, aber dass dann doch so viele Menschen dabei sind, die ihn teilweise bis zur Schrifttype in der Titelfolie kopieren, fand ich etwas anstrengend.

Ich hatte gehofft, mich geistig etwas aus allem rauszuziehen und so zu lernen, wie ich die letzten Jahre am besten gelernt habe: Jemand erzählt mir was, ich mache Notizen und setze es dann für mich passend um. Das ging nicht so ganz, weil ich es dann doch nett fand, wie freundlich meine Peer Group untereinander war. Das Feedback war grundsätzlich lobend und erst in Nachsätzen kamen manche Kritikpunkte. Daher fühlte ich mich bemüßigt, auch positives Feedback zu hinterlassen. Die ganze Interaktion hat mich geistig mehr beschäftigt als erwartet; genau wie das Gefühl, mit etwas absolut Unperfektem an die Öffentlichkeit zu gehen. Man sollte meinen, dass ich das nach 100 missratenen Kuchen lockerer wegstecke, aber ich war und bin total nervös mit diesem Videoding. Einfach, weil ich es noch nie gemacht habe. Deswegen der Kurs. Schlau, oder?

Aber vielleicht fange ich mal von vorne an.

Die Diss ist quasi durch, das Buch ist im Druck. Ich sitze schon an weiteren Kunstgeschichtsprojekten, aber nichts, was mich (derzeit) 40 Stunden die Woche fordert, und da die doofe Pandemie immer noch nicht vorbei ist, kann ich auch gerade nicht für eine Woche nach Nürnberg und im Kunstarchiv wohnen. Die Werbung läuft gut und fordert mich und erfreut, aber auch da ist noch Luft. Und daher dachte ich im Dezember, ach, lässte dir doch mal von Casey erzählen, wie er so arbeitet, um den Kopf in einem neuen Bereich etwas anzustrengen. Was ich ja gerne mache, wenn mir langweilig wird. Aus dem letzten dieser Anflüge ist ein Doktortitel geworden.

Daher hatte ich in der Weihnachtszeit bei meinen Eltern auch des Öfteren das Handy quer vor der Nase und testete die Videofunktion. Mit den vielen Schnipseln aus Tannenbäumen, beladenen Tellern, einer Zugfahrt durch Deutschland und Papa im Pflegeheim, der dem Handy die Zunge herausstreckt, bastelte ich mit iMovie, das auf dem Mac vorinstalliert ist, einen Dreiminüter; davor hatte ich ein paar Tutorials für dieses Programm auf YouTube gesehen. Ich ergoogelte mir eine kosten- und lizenzfreie Musikdatenbank, legte ein bisschen Weihnachtsmusik drunter und hatte meinen ersten Film gemacht. (Den ich nicht online veröffentlichen werde wegen Papa.)

Halbwegs gut vorbereitet startete ich also das erste Video, in dem Neistat uns eine halbe Stunde lang an seiner Ideenfindung teilhaben ließ. Ein Kamerateam ging mit ihm durch New York, und er spuckte im Minutentakt Ideen aus, die sich daran entzündeten, was er sah, hörte, wer ihm über den Weg lief. Er erklärte, aus welcher Idee sich welche Art Film machen ließ, verwarf, dachte neu, und hatte schließlich eine Idee. Unser Job war es am ersten Tag nun, selbst eine Idee zu finden. Als Ratschlag hieß es: Nimm einen Ort, an dem du dich wohlfühlst oder auskennst – deine Wohnung, dein Weg zur Arbeit, setz dich ins Auto und fahr rum, räum deinen Keller auf und guck, was du findest. Irgendwas.

Das kenne ich ja aus der Werbung, aus Luft eine Idee machen zu müssen, daher hatte ich relativ schnell sieben runtergeschrieben und fuhr zu der Location, die mir als erstes eingefallen war. Der Job beim ersten Film war nicht, mit einem Script loszulegen, sondern spontan zu filmen. Genau daran scheiterte meine erste Idee schon, denn vom morgendlichen Gedankenblitz bis zum abendlichen Feedbackgespräch mit der besten Freundin hatte ich im Kopf schon ein Script und mir auch überlegt, wo ich was shooten müsste, um meine Story zu erzählen. Die Dame aus Hamburg wies mich freundlich-bestimmt darauf hin, dass das nicht der Job sei, für den ich 250 Dollar bezahlt hätte und ob ich mal aus meinem Kopf und meiner Komfortzone (IMMER ALLES ZU OFT DURCHDENKEN!) rauskommen könnte.

So entschied ich mich für meine zweitliebste Idee, die in meinen Augen nicht mal eine war, sondern nur eine Location, nämlich der Alte Nordfriedhof, über den ich dauernd rübergehe, um auf dem Weg zum Bäcker meinem Lieblingsgrab Hallo zu sagen. Und da war der Anfang einer Idee: Ich zeig den Jungs eine schöne Skulptur. Jetzt muss ich nur noch ein bisschen sinnvolles Fleisch drumrumbasteln.

Wir sahen Neistat in einem weiteren Film beim Drehen zu: Wie komme ich an gute Orte, wie mache ich das Bild interessant, wieviel B-Roll sollte ich aufnehmen? Dabei erwähnte er, dass er zum Schluss, als er sein eigenes Vlog-Format verinnerlicht hatte, meist nur 20 Minuten Film für sein zehnminütiges Video brauchte. Ich konnte das noch nicht, ich habe viel zu viel zu viel zu viel gefilmt. Learning: Du brauchst wirklich nicht jeden Grabstein.

Was ich auch nach dem ersten Shooting (von ingesamt vieren) lernte: warum so viele Menschen plötzlich zu totalen Gearheads werden. Die einzige erforderliche Ausrüstung für den ersten Film war ein Handy und eine Videoschnittsoftware. Ich sehe an vielen Filmen, dass da garantiert schon Systemkameras und Richtmikros im Spiel waren, aber egal, wenn ich die hätte und mit ihnen umgehen könnte, würde ich die auch nutzen. Denn das war das zweite Learning: Die Bilder, die ich im Kopf hatte, habe ich mit einem Handy und einer wackeligen Hand nicht hinbekommen. Ich wollte schon nach einer Stunde mindestens ein Stativ und nach der zweiten Stunde eine anständige Kamera mit einem anständigen Zoom. Den habe ich nur einmal genutzt und dann nach weiteren Versuchen davon Abstand genommen; ich kann mein Handy nicht ruhig halten und gleichzeitig zoomen.

Drittes Learning: Die Kamera ist mobil. Wer hätte es gedacht. Nach der Sichtung meines ersten Materials stellte ich fest, dass ich eher fotografiert als gefilmt hatte. Das mag an meinen Motiven gelegen haben – Grabsteine, meist unbeweglich –, aber auch daran, dass ich mehr auf Bewegung im Hintergrund geachtet hatte, um das Bild interessanter zu machen anstatt darauf, eine Kamerafahrt zu nutzen.

Ich wusste am Anfang noch nicht genau, was ich eigentlich sagen wollte, weswegen ich viel zu viel Zeug aufnahm. Die Grundidee war schlicht, dass ich es spannend finde, dass ein Platz für die Toten heute einer für die Lebenden ist; der Friedhof ist ein Quasi-Park, auf dem Leute joggen gehen oder ihre Kinder auslüften. Daher nahm ich viele Menschen beim Joggen auf und merkte auch da erst nach der ersten Durchsicht, dass ein Platz auf dem Weg total langweilig ist und die Bilder viel spannender sind, wenn ich aus dem Gräberfeld rausfilme. Generell war das der größte Lerneffekt und der, der mich wirklich wachhielt in einigen Nächten: wie anders es ist, eine Geschichte mit Bildern zu erzählen anstatt mit Worten. Klar hatte ich schon Werbefilme geschrieben, aber noch nie selbst einen gedreht. Die Leistung, erst einmal Worte zu finden, die einen Inhalt transportieren, und diesen dann in ein Bild zu übersetzen, fand ich durchaus herausfordernd.

Die größte Herausforderung war allerdings eine andere. Mir war im Vorfeld, wie erwähnt, klar, dass ich nicht wie Casey filmen wollte. Daher war mir auch klar, dass ich nicht vor die Kamera wollte. Im Laufe der Filmentwicklung verstand ich aber, dass ein Film, in dem ich anderen etwas zeigen möchte, überzeugender oder attraktiver wird, wenn ich, die Zeigende, auch mal zu sehen bin und nicht nur zu hören. Das ist jetzt ein sehr verkürzter Gedankengang; die Idee, selbst im Bild zu sein, musste über mehrere Tage reifen. Das hat ein bisschen Überwindung gekostet, aber dann doch nicht so viel, wie ich dachte. Ich will hier nicht schon wieder das große Fass der Körperlichkeit aufmachen und der konventionellen Attraktivität und des Hasses auf dicke Menschen, der im Internet immer sehr schnell da ist. Die Peer Group erschien mir okay genug, um das zu wagen, also wagte ich es. So weit war ich selten aus der Komfortzone, möchte ich kurz nach Hamburg vermelden.

In weiteren Videos erläuterte Neistat dann seinen Schnittprozess, den ich mit am spannendsten fand – allerdings auch für mich nur bedingt anwendbar. Ich kann seinen Gedankengang nachvollziehen, wenn er sagt: Du hast auf YouTube nur zehn Sekunden, um Leute dazu zu kriegen, dein Video anzuschauen, also: grab them. Hol sie mit irgendwas rein. Diese Art Clickbait ist mir zutiefst zuwider, ich hasse, wirklich hasse auch seine peinlichen Videotitel, die nie das sagen, was im Video zu sehen ist, aber genau nach dieser Schiene funktionieren: grab them. Mein Video beginnt mit einer zehnsekündigen Fahrt über einen Grabstein und basta. Ich gebe aber zu, dass sie mal 16 Sekunden lang war.

Ich meine, ich kann das Interesse an der Story wachhalten, kann es aber wirklich nicht mehr beurteilen, weil ich den Film – natürlich – ungefähr 50mal gesehen und geändert habe. Irgendwann gestern, nach dem vierten Shooting, beschloss ich für mich, dass ich an diesem Film genug gelernt hätte, machte den finalen Edit und legte ihn damit geistig zu den Akten. Es gibt vieles, was ich gern anders hätte, aber dafür hätte ich nochmal losziehen oder mir eine Steadycam kaufen müssen, und irgendwann ist es auch mal gut.

Ich hoffe, ich kann das Gelernte weiter im zweiten Film umsetzen, den wir, wenn ich unseren Stundenplan richtig im Kopf habe, am Mittwoch beginnen, dieses Mal mit Script und mehr Vorbereitung. Die genauen Kursinhalte, also die Lehrvideos, sind für diesen Film noch nicht freigeschaltet, daher kann ich dazu noch nichts sagen. Ich weiß aber jetzt schon, dass ich vermutlich nicht in ein Richtmikro investieren werde; ein Handystativ habe ich mir gegönnt und auch gerne benutzt, und wie meine Systemkamera Videos dreht, habe ich auch schon ausprobiert. Das Medium Video verlangt von mir irrwitzig viel Zeit; Schreiben geht eindeutig schneller, auch wenn dieser Blogeintrag schon wieder ähnlich viel Zeit kostet wie eine Runde Shooting auf dem Friedhof. Daher ahne ich, dass es bei diesem Kurs bleiben wird und ich nicht zu einer YouTuberin mutieren werde. Aber das war ja eh nie der Plan. Ich habe auf jeden Fall sehr viel Spaß und lerne im Zeitraffer Dinge, die sich wirklich erst noch setzen müssen. Wenn ich auch nicht auf YouTube ende, möchte ich auf jeden Fall für den Privatgebrauch weiter mit Videos rumspielen.

Und jetzt komme ich noch weiter aus der Komfortzone raus und verlinke das Video, das bei YouTube nicht gelistet ist, aber es hat eine URL. Die Kommentare sind selbstverständlich deaktiviert, wie sich das gehört. Enjoy. (Hoffentlich.)

„Ziehet die Bahn durch deutsches Land“

Am 14. Februar erscheint mein Buch über Protzen und die Malerei zur Reichsautobahn. Es ist jetzt auch in der Reihenübersicht des Verlags zu finden. Ich ahne, dass es dort keine Leseprobe geben wird, aber ich versuche, zu gegebener Zeit hier eine hochzuladen. Bis dahin dürfen Sie gerne schon bei der wissenschaftlichen Bibliothek Ihrer Wahl einen Anschaffungswunsch hinterlegen. Sobald es dort steht, können Sie nämlich auch ein formschönes E-Book herunterladen.

Was schön war, Jahresanfang 2022

Eigentlich wollte ich diese Woche schon konzentriert anfangen zu arbeiten, aber es ist eher eine Woche von konzentriertem Kochen, Lesen und Ausruhen geworden. Mir ist erst in den vergangenen Tagen klargeworden, wie anstrengend inzwischen die Zeit in der alten Heimat ist, auch wenn Papa nicht mehr zuhause lebt. Auch das Mütterchen ist eben keine 25 mehr und ich beschäftige mich mehr mit ihrem Zustand als jemals zuvor.

Pastinaken, Möhren, Edamame, Sprossen, ordentlich Butter und Knoblauch.

Kung-Pao-Tofu. Ich sollte öfter mit Szechuanpfeffer kochen. Oder wenigstens kurz die Nase ins Döschen stecken, das duftet herrlich!

Bohnensuppe mit Tomaten und gerösteten Zwiebeln, Ottolenghi im Guardian. Im gleichen Link das Rezept zum folgenden Bild: Sauerscharfe Suppe mit Sprossen, im Rezept mit Kohl, bei mir mit Zucchini und Rettich.

Seit längerer Zeit, quasi seit Beginn der Diss, suchte ich ein Buch, das in München nur in der Stabi steht und auch dort nur in den Lesesaal geliehen werden kann. Es ist ein Überblickswert über Darstellungen von Arbeit und Industrie, ich das ich ewig reingeschaut habe, aber nie am heimischen Schreibtisch. Deswegen suchte ich auf archivalischen Plattformen, aber das Ding war meist jenseits von Gut und Böse bepreist. Bis letzte Woche, wo ich ein angebliches Bibliotheksexemplar für 50 Euro fand (sonst fingen die Angebote für die Hardcoverausgabe jenseits der 100 an; das Softcover wollte ich nicht, das hat eine eher bescheidene Abbildungsqualität und um die geht es mir ja vorrangig). Die Rezensionen machten mich etwas nervös; anscheinend verschickte der Verkäufer öfter mal Ware, die nicht dem Zustand entspricht, mit dem er sie angeboten hat. In meinem Fall traf aber alles zu: Das Buch sieht quasi unberührt aus. Danke, Institut für Kunstgeschichte der Uni Karlsruhe, dass sich bei euch anscheinend niemand für den Titel interessiert hat.

Pinkfarbene Tulpen in meiner Bibliothek. Dort dachte ich ewig über eine neue Wandfarbe nach, Gardinen, vielleicht die Regale lackieren, dämliche Buchen-Billys? Im Endeffekt schob ich ein Regal wieder dorthin, wo es schon beim Einzug gestanden hatte, drehte ein weiteres aus dem Raum spießig wieder an die Wand zurück, obwohl wir ja wissen, dass „Alles an der Wand lang“ eine total langweilige Einrichtungsart ist. Im Moment möchte ich aber Langeweile und Übersicht in diesem Raum. Und Tulpen.

In der Küche dachte ich ebenfalls über Veränderungen nach, hielt mich aber zurück und bestellte keine breiten Unterschränke, sondern schichtete Zeug in Körbe um, die jetzt im weiterhin zu flachen und zu niedrigen Regal stehen. Immer noch nicht perfekt, aber aufgeräumter und ruhiger.

Die Inhalte der ganzen angebrochenen Packungen aus dem Vorratsschrank wurden in Gläser und Flaschen umgefüllt. Wodurch im Schrank Platz wurde für die eher unahnsehnlicheren Dinge in meiner Küche (Gewürzdosenchaos). Ich betrachte meinen Frühjahrsputz verfrüht als erledigt.

Bei der Date Night mit F. einen Sauvignon blanc für besser als erwartet entdeckt. Generell ein sehr schöner Abend. Sollten wir öfter machen. (Verpiss dich endlich, Virus.)

Zuwendungen von Leserinnen erhalten: einmal eine 1-Kilo-Tüte Quaxi aus Bonn, einmal zweihundert Seiten Trost aus Berlin. Vielen Dank für beides!

Am Freitag kam nach fürchterlich langen drei Wochen endlich wieder meine Gemüsekiste. Am Heiligabend hatte ich sie abbestellen müssen, weil ich nicht in der Stadt war, und letzte Woche machte der Versender wohlverdienten Urlaub. Zur Feier des Tages bestellte ich deutlich mehr als sonst und habe nun Tempeh (noch nie gegessen) und Lauchzwiebeln, deren Grün gefühlt dreimal so lang ist wie bei der Supermarktware. Sehen so Frühlingszwiebeln aus? Egal, Spring Onion Pancakes für alle!

Die ebenfalls mitbestellten Franzbrötchen konnten nicht vollständig überzeugen, aber auch ein mieses Franzbrötchen ist besser als gar kein Franzbrötchen.

Mit dem neuen Rechner kamen ein paar Einschränkungen, wie immer, wenn man gefühlt vier Betriebssystemversionen überspringt, weil die alte Kiste einfach nicht mehr mitkommt: Mein Photoshop lief nicht mehr. Ich könnte jetzt natürlich weiterhin meine wenigen Fotos fürs Blog auf dem alten Rechner bearbeiten und sie mir per Mail schicken. Oder weiter, wie in den letzten Wochen, mit Vorschau und Gimp rumstümpern. Oder ich abonniere für 11 Euro im Monat ein Adobe-Paket und darf entspannt an meinem neuen Rechner arbeiten. Dafür werde ich vermutlich Amazon Prime kündigen, ich versuche eh, dort nicht mehr so oft zu bestellen. Auch die drei Probemonate AppleTV werde ich nicht verlängern, dort gibt es quasi nichts, was mich interessiert.

Von Gabriele Tergit ist ein weiterer Roman erschienen: „So war’s eben.“ Der DLF berichtete.

Erneut einer Vorlesung aus der Berliner Humboldt-Uni gefolgt. Wenig Neues für mich – es ging um Raul Hilbergs Standardwerk –, trotzdem wichtig.

Mich vor einem Aufsatz gedrückt und stattdessen einen langen Blogeintrag verfasst. Meine Lust zum Bloggen geht seit Monaten immer mehr zurück. Vielleicht liegt es an der Situation mit Papa, vielleicht auch einfach damit, dass ich es schon so lange mache. Jahrelang habe ich damit kokettiert, dass Bloggen für mich wie Zähneputzen ist, das mache ich halt einfach. Aber so langsam habe ich das Gefühl, dass meine Blogeinträge auch immer mehr dieses Niveau haben: wie einfach nebenbei gemacht (so entstehen sie halt derzeit). Deswegen freuen mich Einträge wie der vom Mittwoch, weil ich über den nachdenken musste. Dieser hier ist Pflichterfüllung, weil Menschen mir Süßigkeiten und Bücher schicken oder mich auf Patreon unterstützen. Ich ahne trotzdem, dass dieses Jahr vielleicht das letzte sein wird, in dem ich diese Tagebuchform mit Kochblogeinsprengseln weiterführen werde. Ich habe am 1. Juli 2002 meinen ersten Blogeintrag in dieser Form veröffentlicht; vielleicht sollte ich das nach 20 Jahren einfach mal lassen oder ändern. Ich werde mir das bis Ende Juni überlegen.

Diskontinuität und Konsensfiktion

Ich denke gerade über zwei Begriffe nach, die mir gestern in verschiedenen Medien untergekommen sind. Sie stehen beide in der Überschrift.

In einem Artikel im NYT Magazine zeigt sich die Autorin Elizabeth Weil über die vielen Waldbrände in Kalifornien irritiert: „This Isn’t the California I Married.“ Bevor sie und ihr Ehemann in diesen US-Staat zogen, war ihnen theoretisch klar, dass Waldbrände eine immer wieder auftretende Gefahr waren. Nun aber sind sie ständig präsent: „Living in California now meant accepting that fire was no longer an episodic hazard, like earthquakes. Wildfire was a constant, with us everywhere, every day, all year long, like tinnitus or regret.“ War der orangefarbene Himmel, der 2020 öfter vertwittert wurde, ein Hinweis auf die drohende Apokalypse? Alex Steffen, laut seiner Twitter-Bio und dem Artikel ein „climate futurist“, erklärt:

„We have this idea that the world is either normal and in continuity with what we’ve expected, or it’s the apocalypse, it’s the end of everything — and neither are true,” he said. That orange sky in 2020? “We’re all like, Wow, the sky is apocalyptic! But it’s not apocalyptic. If you can wake up and go to work in the morning, you’re not in an apocalypse, right?”

The more accurate assessment, according to Steffen, is that we’re “trans-apocalyptic.” We’re in the middle of an ongoing crisis, or really a linked series of crises, and we need to learn to be “native to now.” Our lives are going to become — or, really, they already are (the desire to keep talking about the present as the future is intense) — defined by “constant engagement with ecological realities,” floods, dry wells, fires. And there’s no opting out. What does that even mean?

We’re living through a discontinuity. This is Steffen’s core point. “Discontinuity is a moment where the experience and expertise you’ve built up over time cease to work,” he said. “It is extremely stressful, emotionally, to go through a process of understanding the world as we thought it was, is no longer there.” No kidding. “There’s real grief and loss. There’s the shock that comes with recognizing that you are unprepared for what has already happened.”

Der letzte Absatz ließ mich an den derzeitigen Umgang mit Corona denken bzw. im Nachgang auch über mein verändertes Denken über deutsche Politik und, auch durch die Dissertation, generell mit meinem Gefühl, in diesem Land zu leben. Wo ich mich jahrelang durchaus als Verfassungspatriotin bezeichnet habe, suche ich derzeit wieder etwas festeren Boden unter den Füßen. Ich weiß noch, wo ich stehe, aber ich spüre, dass sich der Boden unter mir verändert hat. Oder anders: dass der Boden nie der war, für den ich ihn hielt.

Ich lese gerade das Buch Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust von Stefan Kühl (hier eine gute Rezension bei hsozkult). Kühl belegt, dass der Großteil der Täter im NS-Staat innerhalb bestimmter Organisationen funktioniert hat (SA, SS, Wehrmacht), was für ihn der Hauptgrund für die Teilnahme an Tötungsaktionen war. Innerhalb einer Organisation besteht von vornherein eine gewisse Übereinkunft über ihre Grundlagen und Ziele; genau deshalb schließt man sich ihr an. In Bezug auf die immer schwerwiegenderen Einschränkungen der jüdischen Bevölkerung im „Dritten Reich“ und ihrer medialen Begleitung benutzt Kühl den Begriff der

„antisemitischen Konsensfiktion, die sich während der Dauer des NS-Regimes immer weiter verfestigt hat. Konsensfiktion heißt, so der Definitionsvorschlag Niklas Luhmanns, dass man ‚bei einer Begegnung mit anderen zunächst von der Gemeinsamkeit wechselseitiger Erwartungen ausgehen‘ kann, ‚ohne jeweils im Einzelnen abklären und aushandeln zu müssen, wie weit die Zustimmung wirklich geht.‘ Ein Angehöriger der Ordnungspolizei, der in einem Gespräch in Übereinstimmung mit der NS-Propaganda verkündete, dass die Juden das ‚Unglück des deutschen Volkes‘ seien, konnte etwa davon ausgehen, sich im Rahmen einer abgesicherten Konsensfiktion zu bewegen. Die Zustimmung basiert nicht vorrangig auf der Internalisierung von Normen oder Überzeugungen, sondern kann sich auf die ‚ungeprüfte Unterstellung‘ verlassen, dass ‚alle anderen zustimmen.’“ (S. 102/103)

Da ich von Soziologie keine Ahnung, aber dafür Google habe, was Sie bitte nicht mit einer ernsthaften wissenschaftlichen Auseinandersetzung verwechseln sollten, fragte ich die allwissende Müllhalde nach dem Begriff der Konsensfiktion und stellte interessiert fest, dass er nicht auf mörderische Organisationen begrenzt ist, sondern auch Paarbeziehungen und Businessmeetings mit ihr funktionieren oder dass über sie im Bezug auf Demenzkranke und ihre Pflege geforscht wurde.

Ich stieß aber auch auf eine Publikation, die sich genau mit der Frage beschäftigt, die ich hatte: ob sich nämlich die sogenannten Spaziergänger auf ihren Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen innerhalb einer Konsensfiktion des Widerstands befänden. Der Artikel stammt vom Juli 2020 und nennt überraschend genau diese Maßnahmen bzw. die zustimmenden und warnenden Berichte und Tweets über sie eine Konsensfiktion. Also genau das Gegenteil von meiner Annahme:

„An die Stelle demokratischer Aushandlung und Debatte traten dagegen zunehmend Konsensfiktionen, also sprachliche und andere symbolische Praktiken, die einen gesellschaftlichen Konsens lediglich behaupteten, inszenierten oder manipulativ einforderten, um damit politische Entscheidungen gegen Kritik zu immunisieren. Hierzu gehör(t)en vor allem Einheitsparolen verbunden mit moralischen Appellen, Ermahnungen und Belehrungen mit latenten sozialen oder explizit-[wider]rechtlichen Sanktionsandrohungen bei nonkonformem Verhalten (vgl. etwa zwischenzeitlich populäre Twitter-Hashtags wie #wirbleibenzuhaus nebst allen Varianten, #FlattenTheCurve, #ApplausFuerDieHelden etc.; […]). Wir-Rhetoriken nahmen temporär genauso sukzessive zu wie etwa die Adjektive gemeinsam (ein Schlagwort der Unionsparteien) und solidarisch (einst Fahnenwort linker/Arbeitnehmer-bezogener Interessensgruppen). […]

Konsensfiktionen und Alternativlos-Rhetoriken sind in vielerlei Hinsicht problematisch: Erstens verhindern sie eine offene und kritische Debatte; zweitens ver- oder überdecken sie tatsächliche soziale Unterschiede, Problemlagen und Bedürfnisse (etwa die Abhängigkeit von Gesundheit und sozialer Herkunft); drittens befördert sich schwelende Unzufriedenheit, die sich früher oder später Bahn bricht, den sozialen Frieden gefährdet und/oder Orientierung in allem sucht, was nach ‚Nicht-Establishment‘ aussieht (langfristig dürfte die AfD daher von der Corona-Diskurskonstellation profitieren).“

Die AfD scheint mir bisher glücklicherweise nicht überproportional von diesen Debatten profitiert zu haben; ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl 2021 lag unterhalb dem von 2017 (10,3 vs. 12,6%). Profitiert haben eher die außerparlamentarischen Gruppierungen, für die ich nicht mal einen gemeinsamen Oberbegriff habe. Der eben verlinkte Artikel zeigt sich pikiert über Begriffe wie Covidioten oder Aluhüte und kommt zu einer in meinen Augen gefährlichen Folgerung:

„Der Ausdruck Verschwörungstheoretiker (u.ä. wie Aluhutträger) wurde und wird im Pandemie-Diskurs äußerst flexibel gegen alle Akteure eingesetzt, die sich von der jeweiligen Mehrheitsposition (insb. von politischen Maßnahmen gegen die Pandemie) zu weit entfernen. Eine diskursspezifische Variante sind etwa die Neologismen Coronademo und Covidioten, die teilweise pauschalisierend jeglichen öffentlichen (Straßen-)Protest abwerten und Unterstützung oder gar (An)Teilnahme verunmöglichen. Das heißt freilich nicht, dass einige der so referierten Äußerungen oder Diskursakteure ob ihrer Substanz- bzw. Evidenzmängel nicht zurecht zu kritisieren wären. Aus diskursanalytischer Perspektive ist der Punkt vielmehr, dass der Einsatz von Kontaminationswörtern nicht das Ende einer argumentativen Auseinandersetzung bildet, sondern umgekehrt die ‚Sinnlosigkeit‘ jeglicher Kritik oder Befassung bereits unterstellt (vgl. dazu Vogel 2018 sowie Knobloch 2018; eine genauere Einordnung von Kontaminationswörtern auf empirischer Grundlage ist derzeit Gegenstand laufender Forschung).“

Und da sind wir wieder bei dem schwankenden Boden, mit dem ich derzeit hadere. Das mag sein, dass der Begriff „Covidiot“ einem partnerschaftlichen Diskurs im Wege steht, aber Pappgalgen, auf denen „Für Merkel“ steht, Telegram-Kommunikationen, in denen zu Tötungen aufgerufen werden, Fackelaufmärsche vor Privatwohnungen von Politiker*innen und Gewalt gegen Polizist*innen, die die Demonstrationen der sogenannten Spaziergänger begleiten, die sich stur über derzeitiges Recht hinwegsetzen, sind in meinen Augen auch nicht gerade offenherzige Gesprächsangebote.

Die Gewalt, die ich derzeit aus sicherer Entfernung über das Internet verfolge und der ich persönlich nicht ausgesetzt bin, beunruhigt mich mehr als das Virus oder die Maßnahmen, die zu seiner Bekämpfung gelten und ständig neu verhandelt werden. (Weswegen sie meiner Meinung nach gerade keine Fiktion eines Konsens erzeugen; von Anfang an wurden sie von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen.) Mich beunruhigt es sehr, dass sich inzwischen ein gewisser Teil der Bevölkerung vom gemeinschaftlichen Konsens nicht nur abgewandt hat, sondern ihn aktiv bekämpft – und dazu noch der Meinung ist, im Recht zu sein. Dass sich diese Menschen ausgerechnet mit der jüdischen Bevölkerung im „Dritten Reich“ gleichsetzen, ist für mich äußerst schwer verständlich. Allerdings: Der Begriff der Konsensfiktion hat mich immerhin dazu gebracht, über diese Gleichsetzung nachzudenken. Wenn man von seiner Umgebung immer wieder signalisiert bekommt, im Widerstand zu sein, gegen eine Diktatur aufzustehen und keine Korrektive wie andersklingende Medien mehr zulässt, kann ich diese Denkart sogar nachvollziehen. Mir ist nur immer noch nicht klar, wie man diese Fiktion auflösen kann bzw. den ihr Anhängenden klarzumachen, dass sie sich in einer fiktiven Welt mit fiktiven Gegnern bewegen.

Was mich wieder zum Anfang des Blogeintrags und dem Begriff der Diskontinuität bringt. Ich zitiere: Diskontinuität bedeutet, dass alle Erfahrungen und Expertisen, die ich mir in den vergangenen Jahren angeeignet habe, auf einmal nicht mehr stimmen, und dass ich nicht angemessen auf diesen Zustand der Unsicherheit vorbereitet bin.

Ich ahne, dass viele Spaziergänger und ich gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Ich bin im – vielleicht naiven, weißen, mittelschichtlichen – Bewusstsein aufgewachsen, dass der Staat und seine Organisationen für mich da sind. Ich halte mich an Regeln, zahle Steuern, fahre nicht zu schnell Auto und verprügele niemanden, weil mir seine Nase nicht passt. Dafür erwarte ich zum Beispiel, dass der Staat mir eine Schulbildung zukommen lässt, in Krankenhäusern Platz für mich ist und ich vor Menschen geschützt werde, die mich verprügeln wollen, weil ihnen meine Nase nicht passt. Seit fast zwei Jahren ist dieses Vertrauensverhältnis allerdings angeknackst. Schule scheint inzwischen mehr ein Glücksspiel zu sein, das auf den Schultern von Lehrenden, Eltern und Kindern ausgetragen wird. Wie schlecht der Zustand des Gesundheitssystems ist, war mir in diesem Ausmaß nicht klar. Aber am meisten bin ich davon überfordert, dass der Staat sein Gewaltmonopol aus den Händen gibt, das er bei Demonstrationen linker Gruppierungen, G20-Gipfeln oder Fußballspielen doch immer sicher beherrschte. Ich bin davon überfordert, dass Menschen sich in deutlich wahrnehmbaren Zahlen gegen den Staat wenden, dass sie kurz davor sind, den Reichstag zu stürmen, dass ihnen in meinen Augen sinnvolle Regeln des Zusammenlebens – Rücksicht, Solidarität, Ansteckungsvermeidung – schon zu viel und eine Einschränkung ihres persönlichen Freiheitsbegriffs sind. Ich bin davon überrascht, mehr Staatsgewalt gegenüber den Spaziergängern zu fordern, wo ich sonst überhaupt keine Freundin von eben dieser Staatsgewalt war. Ich bin überfordert davon, dass meine kleine Welt nicht mehr so funktioniert wie noch vor zwei Jahren, und ich komme aus dieser Fassungslosigkeitsschleife kaum wieder heraus. Und ich fange gar nicht erst an, über die drohende Umweltkatastrophe nachzudenken, weil diese mich in ihrer Unfasslichkeit noch mehr überfordert.

Ich ahne, dass auch einige der Spaziergänger eher aus Fassungslosigkeit und der daraus folgenden Wut demonstrieren und (hoffentlich) nur ein kleiner Teil gewaltbereit und offensichtlich staatsfeindlich ist. Aber auch hier greift mein Gefühl der Diskontinuität: Früher hätte ich vehement dafür plädiert, zu reden, zu diskutieren, Fakten zu kommunizieren, um Menschen zu überzeugen. Aber das hat sich spätestens mit dem Einzug der AfD in diverse Parlamente erledigt. Ich komme sehr schwer damit zurecht, dass ein Teil der Menschen in meinem Staat sich freiwillig und anscheinend bewusst und wissentlich in Konsensfiktionen begibt, die theoretisch mit gutem Willen und Lesekompetenz widerlegt werden könnten. Ich hätte schlicht nicht damit gerechnet, dass das passiert. Und ich weiß immer weniger, wie ich meine ehemals halbwegs heile Welt wieder zusammenstückeln kann, ohne ständig das Gefühl zu haben, in einer Apokalypse zu leben, die keine ist, sondern ein Dauerzustand.

Cannoli-Kastenkuchen

Genau wie der Insta-Account von NYT Cooking macht mich der von Smitten Kitchen wahnsinnig: Sobald ein Bild einer Köstlichkeit gepostet wird, will ich sie nachkochen oder -backen. So wie diesen Kastenkuchen. Ich habe noch nie Cannoli gegessen, aber die Zutaten Zitrone, Orange, Schokolade und Pistazie haben gereicht, um mich in die Küche sprinten zu lassen. Völlig zu Recht.

Ich hatte keinen Ricotta im Haus, sondern habe griechischen Jogurt verwendet und einige Mengenangaben geändert. Unten steht das Rezept wie bei Smitten Kitchen, danach kommen meine Änderungen.

Eine Kastenform von 20 cm Länge fetten und mit Backpapier auslegen, den Ofen auf 180° Ober- und Unterhitze vorheizen.

In einer Schüssel die trockenen Zutaten mischen:
190 g Mehl, Type 405,
2 TL Backpulver,
eine ordentliche Prise Salz,
1/2 TL Zimt,
eine gute Prise Allspice,
170 g zartbittere Schokolade, fein gehackt, und
60 g Pistazien, ebenfalls eher fein gehackt.

Ich habe nur einen halben Teelöffel Backpulver verwendet, ich mag den metallischen Geschmack nicht, der manchmal davon zurückbleibt. Der Kuchen ist trotzdem gut aufgegangen. Wer kein Allspice, aber eine Gewürzmühle besitzt: Einfach zu gleichen Teilen Nelken, Zimtstangen und Muskatnüsse pulverisieren (oder die Muskatnuss reiben, sie ölt dann doch etwas mehr als irgendjemand gedacht hatte, ich nenne keine Namen).

Außerdem habe ich die Schokoladenmenge auf 100 g reduziert, das reicht locker. Sie ist selbst dann noch sehr dominant; beim nächsten Backen – denn das wird es geben – verringere ich vermutlich auf 70 g.

In einer zweiten Schüssel
200 g Kristallzucker sowie
die abgeriebene Schale einer Orange und
die abgeriebene Schale einer Zitrone mit den Fingern verreiben. Der Zucker färbt sich gelborange und duftet herrlich.

In diese Schüssel nun
250 g Ricotta,
120 ml Olivenöl,
1 EL Marsala und
2 Eier geben.

Ich hatte keinen Ricotta, sondern habe griechischen Jogurt verwendet, der etwas mehr Flüssigkeit mitbrachte. Daher habe ich nur 90 ml Olivenöl verwendet. Statt Marsala gab’s Sherry.

Alles mit einem Schneebesen verrühren, die trockenen Zutaten untermischen, nicht zu lange rühren, nur so, dass alles gut vermischt ist. In die Form füllen und für 55 bis 65 Minuten bei 180° backen. Stäbchenprobe machen, lieber etwas zu lange im Ofen lassen. Nicht zu früh aus der Form heben oder stürzen, der Kuchen ist herrlich locker, aber anfangs arg instabil.

Ich merke gerade, dass ich klinge wie manche der Chefkochkommentator*innen: „Und dann habe ich Steak mit Fleischwurst ersetzt und die Kartoffeln mit Wackelpudding und es hat echt mies geschmeckt! Scheiß-Rezept!“ Mein Fazit lautet netterweise anders: tolles Rezept. Trotz des Schokobergs kommen die Zitrusfrüchte gut durch, und die Konsistenz hat mir außerordentlich gut gefallen.

Fotorückblick 2021

Eine Idee von Joël: zwei Fotos pro Monat als Jahresrückblick. Sie dürfen drüben gerne anlegen.

Januar: Pandemie-Sauerteige und Sadness.


Februar: Ich bespreche den „Autobahn“-Film und vermisse die geschlossenen Museen.


März: Ich backe erstmals den fantastischen Himbeer-Marmorkuchen, der seitdem fest im Repertoire ist, und schleppe Sammeltassen aus dem Norden in den Süden.


April: Ich entdecke die philippinische Küche und stelle beruhigt fest, dass ich keinen Unterschied schmecke, wenn ich tolle Kaffeebohnen nicht händisch und mit Supermahlwerk zerstreichele, sondern sie brutal in Opas 60er-Jahre-Mühle zerhacke. (Geht schneller, nervt weniger.)


Mai: Ich werde zweitgeimpft und esse die einzige Weißwurst des Jahres.


Juni: Ich bin für längere Zeit im Norden und fotografiere und blogge sehr wenig. Aber alte Packungen gehen ja immer. Außerdem bewundere ich eine Pflanze bei den Eltern.


Juli: Immer noch im Norden. Das beste an den Tagen, an denen ich alleine für Papa zuständig bin: der Morgenkaffee um 6 und der Abendalkohol um 21 Uhr auf der Terrasse. Ich stelle beruhigt fest, dass auch der Dorfsupermarkt inzwischen Koriander und Fischsauce hat.


August: Ich gehe nach Monaten wieder in ein Museum und freue mich über drei Grossbergs. Wir gehen gemeinsam nach Monaten wieder in ein Restaurant und freuen uns über alles.


September: Ich habe einen Staubsaugerroboter und besuche das einzige Fußballspiel des Jahres.


Oktober: Ich spreche erstmals auf einer kunsthistorischen Konferenz anstatt nur zuzuhören und koche ebenfalls erstmals mit Kutteln. (Eben im Jahresrückblick ergänzt, hatte ich vergessen. Genau wie den Roboter.)


November: Wir veröffentlichen den einzigen Fehlfarben-Podcast im Jahr und ich freue mich über F.s Fotos vom Vogelhaus bei meinen Eltern, wo wir beide zu Besuch sind.


Dezember: Ich erneuere meine technische Grundausstattung und bin nun, was Internetgeschwindigkeit, Mobiltelefonie und Laptop angeht, auf einem halbwegs neuen Stand. Außerdem fotografiere ich diverse Weihnachtsbäume im Norden und im Süden.


2021 revisited

(2020, 2019, 2018, 2017, 2016, 2015, 2014, 2013, 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2007, 2006, 2005, 2004, 2003.)

1. Der hirnrissigste Plan?

Davon auszugehen, dass die Pandemie vorbei oder ein Klacks sein wird, sobald genügend Impfstoff für alle da ist.

2. Die gefährlichste Unternehmung?

Atmen.

3. Die teuerste Anschaffung?

Ein MacBook Pro, das mein MacBook Air von 2012 ablöste, auf dem ich meine Bachelor- und Masterarbeit sowie meine Dissertation schrieb. Snif.

4. Das leckerste Essen?

Das tollste Essen auswärts genossen wir im Sparkling Bistro in München, weil F. und ich gefühlt ewig nicht auswärts essen wollten und im August endlich F.s Impfschutz komplett war; meiner war schon im Juni vollständig, aber ich habe auf den Herrn gewartet, um wieder etwas mit ihm teilen zu können, was uns beiden sehr viel Freude macht. Er war noch etwas nervös, ich komischerweise nicht und es gab selten eine Mahlzeit, die ich so genossen habe. Einfach weil die letzte, die ich nicht selbst gekocht hatte, schon so lange her gewesen war.

Das inspirierendste Essen hatten wir dann im November (NOVEMBER OMG) im Jante in Hannover. Es galt 2G, in Niedersachsen waren die Inzidenzen bei knapp über 100, während München gerade an der 800 kratzte, ich war drittgeimpft und wir fühlten uns, als ob draußen kein Virus umherwabert. Das war nicht nur von der Atmosphäre her wie Urlaub, sondern auch vom wirklich spannenden Essen und den ebenso spannenden Weinen.

Ansonsten begeisterte mich in diesem Jahr jedes Ofengemüse mit Feta sowie meine tolle neue Biokiste, die seit September bei mir wöchentlich ankommt und mich verlässlich glücklich macht.

5. Das beeindruckendste Buch?

Sachbuch: High on the Hog. A Culinary Journey from Africa to the Americas von Jessica B. Harris. Viel gelernt über US-amerikanische Küche und ihre Geschichte. In Nebensätzen war auch immer Frauen- und Minoritätengeschichte lesbar.

LTI. Notizbuch eines Philologen von Victor Klemperer. Kannte ich bisher nur in Auszügen. Wenig überraschendes Fazit: ein wichtiges Buch.

Die Übernahme von Ilko-Sascha Kowalczuk. Hat mein Bild der Wiedervereinigung sehr erweitert, was komisch ist, denn ich war ja dabei. Die letzten 30 Jahre habe ich miterlebt, aber trotzdem einiges nicht mitbekommen.

Die Welt nach Wagner von Alex Ross. Irrwitzige Faktendichte. Zum Schluss war ich ein bisschen erschlagen und musste querlesen, aber gerade die Wirkung Wagners auf die verschiedenen Künste schon im 19. Jahrhundert fand ich äußerst aufschlussreich.

Fiktion: Tauben im Gras von Wolfgang Koeppen, Kleiner Mann, was nun? von Hans Fallada, Effingers von Gabriele Tergit und Junge Frau, am Fenster stehend, blaues Kleid etc. von Alena Schröder sowie Yaa Gyasis Homegoing trotz der Schwächen im letzten Viertel, um wenigstens zwei Bücher aus der heutigen Zeit in der Liste zu haben. Ich stellte aber auch in diesem Jahr fest, dass die Klassiker nicht umsonst Klassiker heißen. Hier Rant über die verspätete Rezeption Tergits einfügen wie bei so ziemlich allen künstlerischen Werken von Frauen.

6. Der ergreifendste Film?

Ich habe, um mich vom Da Draußen abzulenken, das komplette Marvel Cinematic Universe auf Disney+ geguckt. Alles, wobei ich Captain America anhimmeln konnte, war super. Nicht ergreifend, aber praktisch. Serien sind auch toll, die dauern länger.

7. Die beste Musik?

Alles auf Spotify, was ich im Zug aus dem Norden hörte, denn das hieß, mein Knochenjob war erstmal erledigt, ich konnte wieder schön am Schreibtisch sitzen. Und: Ich bin wieder bei Bohuslav Martinů angekommen, dessen Werk ich mir jetzt werkgruppen- und jahrgangsweise ganz buchhalterisch erschließe.

8. Das schönste Konzert?

Blasmusiker im Hof und Igor Levit im Prinzregententheater. Letzteres war das einzige offizielle Konzert, das ich in diesem Jahr sah.

9. Die tollste Ausstellung?

Nach ewigen Zeiten traute ich mich im August wieder in ein Museum und bewunderte sehr glücklich drei Werke von Carl Grossberg in der Pinakothek der Moderne. Von Protzens Donaubrücke bei Leipheim konnte ich leider nicht Abschied nehmen, die wurde aus dem Saal 13 abgehängt, als er umgestaltet wurde, in einer Zeit, in der ich mich gerade nicht vor die Tür wagte.

Ansonsten hat mich Heidi Bucher im Haus der Kunst begeistert.

10. Die meiste Zeit verbracht mit …?

Gefühlt mit Papa im Norden, während das Mütterchen wie geplant in der Reha und dann sehr ungeplant im Krankenhaus war. Vermutlich aber eher mit der zu veröffentlichenden Diss und Impfpanik.

Gerade nachgezählt: Es waren im Laufe von knapp drei Monaten 32 Tage, die ich im Norden verbrachte und in denen ich für Vaddern zuständig war. Klingt nach nicht viel, war aber für den Kopf das anstrengendste im ganzen Jahr.

11. Die schönste Zeit verbracht mit …?

Geimpft zu werden. Und alles mit F.

12. Vorherrschendes Gefühl 2021?

Vor April: GIB IMPF! Nach Mai: WARUM WOLLEN NICHT ALLE IMPF? Ab spätestens Oktober blinde Wut auf alles und zu viele Versalien im Blog.

Aber: Ab Oktober auch erstmals das Gefühl, dass die Doppelkarriere Kunsthistorikerin und Werbetexterin funktionieren könnte. Falls aus der Pandemie jemals eine Endemie wird und ich wieder in Archive darf, ohne sechs Wochen auf einen Platz warten zu müssen, und ich außerdem wieder etwas regelmäßiger gebucht werde als zwischen März 2020 und September 2021.

13. 2021 zum ersten Mal getan?

Auf einer kunsthistorischen Konferenz einen Vortrag gehalten. Die philippinische Küche entdeckt. Einen Kalmar ausgenommen. Mit Kutteln und Steckrüben gekocht. Eine Biokiste abonniert. Einen Pflegeheimplatz für ein Elternteil organisiert. Ein Elternteil im Pflegeheim besucht. Einen Weihnachtsfilm geschnitten; wenigstens in dieser digitalen Datei können alle aus der Familie gleichzeitig an einem Ort sein.

14. 2021 nach langer Zeit wieder getan?

In einer Kneipe gesessen mit vielen Menschen und Bier. Also drinnen. Letztes Mal irgendwann März 2020, vermutlich, 2021 am letzten Septembertag wiederholt. Das war dann auch der einzige Kneipenbesuch drinnen in diesem Jahr. Im Biergarten war ich einmal, in der Außengastronomie vermutlich fünfmal, wenn’s hochkommt.

Garnelen ausgenommen. Einen Staubsaugerroboter besessen. Auf einer Hochzeit gewesen. Eltern um Mietzuschüsse gebeten. Ein Buchmanuskript an einen Verlag geschickt – mit dem ganzen Rattenschwanz vorneweg und hinterher, Vertrag unterschreiben, Korrekturen abnicken oder ablehnen, Titelbild auswählen, ihr kennt das, wir Bloggenden haben inzwischen ja alle ein Buch geschrieben. Mein Opus magnum erscheint im Februar 2022.

15. Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?

Eine globale Pandemie. Papas verschlechterter Zustand. Mamas temporär verschlechterter Zustand.

16. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Dass die Pflege Papas zuhause für über zwei Jahre ging, aber jetzt nicht mehr. Dieser Meinung waren alle Pflegenden und die Familie, aber das Mütterchen Löwenherz musste erst selbst krank werden, bevor sie eingesehen hat, dass auch ihre Kraft jetzt aufgebraucht war.

17. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?

Wie schon 2020: Zeit zu haben, so oft es Diss und Pandemie zuließen, in den Norden zu fahren und meiner Mutter wenigstens ein bisschen Arbeit abnehmen zu können.

18. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?

Jedes Essen, das F. mir ausgegeben hat.

20. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

„Ich hab dich lieb, Papa.“

19. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Ich hab dich auch lieb, Anke.“

21. 2021 war mit einem Wort …?

Kräftezehrend.

What Anke Ate in 2021

Falls irgendjemand meine Pandemiebewältigungsstrategie „Einfach immer backen“ noch nicht mitbekommen haben sollte.