Leseliste 2021

So allmählich kann ich den Kopf aus den ganzen Fachbüchern zerren und mal wieder zum Vergnügen lesen, das hatte ich in acht Jahren Uni fast verlernt. Auf dem Stand von vor 2012 bin ich lange noch nicht, was die Menge der Bücher angeht, aber vielleicht ist da inzwischen auch eine gewisse Gelassenheit eingetreten. Wenn ich, statt zu lesen, fünf Stunden vor Netflix versacke, ist das genauso in Ordnung.

Ich habe nur zwei Bücher weggelegt bzw. irgendwann nur noch quergelesen (Kraft, Lenz), bei einem anderen wurden die letzten 100 Seiten von 800 auch nur noch überflogen, weil da nichts Neues mehr für mich kam (Ross, der trotzdem auf meiner Jahresbestenliste steht, wie ihr übermorgen lesen werdet). Alle anderen kann ich euch weiterempfehlen. Bücher, die ich euch dringend empfehlen möchte, haben einen Stern (toll) oder zwei Sterne (OMG so gut).

Christian Kracht – 1979

Christian Kracht – Faserland (Re-Lektüre, funktioniert immer noch)

Hedwig Richter – Demokratie. Eine deutsche Affäre *

Rachel Cusk – Outline (nur eine halbherzige Empfehlung)

Stephan Thoma – Gegenspiel

Alena Schröder – Junge Frau, am Fenster stehend, blaues Kleid etc. **

Ruth Klüger – weiter leben **

Hans Rosenthal – Zwei Leben in Deutschland **

Gabriele Tergit – Effingers **

Ruth Klüger – unterwegs verloren *

Christian Kracht – Eurotrash

Olivia Wenzel – 1000 Serpentinen Angst *

Wolfgang Koeppen – Tauben im Gras **

Anke Stelling – Schäfchen im Trockenen

Wolfgang Koeppen – Tod in Rom **

Florian Zinnecker/Igor Levit – Hauskonzert

Helga Schubert – Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten (och jo)

Ilko-Sascha Kowalczuk – Die Übernahme **

Victor Klemperer – LTI. Notizbuch eines Philologen **

Gisela Kraft – Rundgesang am Neujahrsmorgen (nach einem Drittel quergelesen)

Brit Bennett – The Vanishing Half

Theresa Sepp – Ernst Buchner (1892–1962): Meister der Adaption von Kunst und Politik *

Hans Fallada – Kleiner Mann, was nun? **

Nicole Diekmann – Die Shitstorm-Republik: Wie Hass im Netz entsteht und was wir dagegen tun können

Maren Gottschalk – Wie schwer ein Menschenleben wiegt. Sophie Scholl. Eine Biografie

Yaa Gyasi – Homegoing **

Taffy Brodesser-Akner – Fleishman is in Trouble

Wolfgang Ruppert – Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert **

Kristine Bilkau – Die Glücklichen

Siegfried Lenz – Der Überläufer (ab der Hälfte quergelesen)

Emma Cline – The Girls *

Connie Palmen – Logbuch eines unbarmherzigen Jahres

Gabriele Tergit – Käsebier erobert den Kurfürstendamm **

Friedrike Mayröcker – Ich sitze nur grausam da

Alex Ross – Die Welt nach Wagner **

Brit Bennett – The Mothers *

Jessica B. Harris – High on the Hog. A Culinary Journey from Africa to the Americas **

Sigrid Nunez – What are you going through *

Chinua Achebe – Things fall apart *

Andreas Platthaus – Lyonel Feiniger. Porträt eines Lebens

Über einige habe ich gebloggt, bitte bei Interesse selbst danach googeln.

Was schön war, Donnerstag bis Montag, 23. bis 27. Dezember 2021 – Weihnachten

Ich mag Weihnachten. Ich mag die Ruhe, die irgendwann einkehrt, wenn alles aufgegessen und ausgepackt ist. Dieses Mal feierte ich an drei Orten hintereinander: zunächst im Pflegeheim, in dem mein Vater lebt, dann in der alten Heimat, erst im Elternhaus, einen Tag später bei Schwester und Schwager, und schließlich, abends am 26., konnte ich noch mit F. bei mir zuhause anstoßen.

Die Zugfahrt am Donnerstag war ereignislos, der Großraumwagen in der 1. Klasse fast leer, aber die wenigen reservierten Plätze lagen fast alle in unmittelbarer Nähe zueinander. Es wurden keine Reservierungen angezeigt, weswegen sich unsere Traube auch nur zögernd auflöste. Erklär mir einer das Buchungssystem bei der Bahn.

Ich filmte schon aus dem Fenster raus, ich brauchte Videoschnipsel. Als die S-Bahn im Heimatdörfchen ankam, wo mich meine Schwester mit dem Auto vom Bahnhof abholte, filmte ich weiter. Das ist auch der Beginn des knapp vierminütigen Videos geworden, das ich gestern zusammenschnitt und an die Familie weiterleitete. Für einen ersten Versuch bin ich zufrieden. Danke an die vielen Tutorials auf YouTube, die mir iMovie erklären konnten.

Viel Sekt mit dem Mütterchen getrunken, die zwischen „Alles schlimm“ und „Alles in Ordnung“ schwankt. Am Heiligen Abend gab’s bei „uns“, also dem Mütterchen und mir, Raclette für Schwester und Schwager, am ersten Feiertag tischten sie im Gegenzug eine Pute auf, die 48 Stunden in einer Salzlake zart werden durfte. Wurde sie, das war ganz hervorragend.

Da im Pflegeheim immer nur eine Person zum Bewohner darf, ja, auch Weihnachten, denn das Virus macht keine Feiertage, alles in Ordnung so, übernahmen wir Schichten. Ich begann am Donnerstag, feierte also streng genommen noch keine Weihnachten mit Papa, aber ich wünschte ihm trotzdem ein frohes Fest und unterhielt ihn mit Eichhörnchenfotos, die F. seit Neuestem auf dem Alten Nordfriedhof macht. Von seinen 800 Tagesbildern schickt er mir abends die besten zehn aufs Handy, das war genau das Richtige für Papa. Dann machte ich ein kurzes Video von uns beiden, weil ich Bewegtbilder haben wollte. Ich zeigte Papa das Handy und erklärte, was ich mache, er erkannte uns im Selfie-Modus und streckte uns grinsend die Zunge heraus.

Für den Besuch hatte ich trotz Dreifachimpfung einen frischen Coronatest vorlegen müssen, auch alles richtig so. Das Heim testet selbst nur an zwei Tagen die Woche, aber ich ergoogelte mir weitere Teststationen in der Gemeinde, buchte einen Termin am Donnerstag, ließ mir außerhalb eines winzigen Containers, in dem zwei Leute saßen, ein Stäbchen in die Nase stecken und zeigte das Ergebnis, das nach 15 Minuten auf meinem Handy landete, im Heim vor.

Am Heiligen Abend fuhr ich das Mütterchen ins Heim, einerseits, weil sie nicht so gerne fährt, andererseits, weil ich in der alten Heimat gerade gerne fahre (was soll man hier auch sonst machen). Ich übernahm auch gerne Fahrten zu Supermärkten und Apotheken. Autos sind schon eine feine Sache, und ich bin jetzt alt genug, um eine Sitzheizung super zu finden. Nein, in der Stadt brauche ich trotzdem beides nicht.

Mir fiel beim morgendlichen Verkehrsfunk am Frühstückstisch auf, wie lange ich schon nicht mehr auf Verkehrsnachrichten achte. Mir doch egal, ob die Straßen eisig sind, ich steige ja eh in eine U-Bahn.

Ich stellte am Abend mein Handy auf ein dickes Buch und ließ es im Zeitraffer den Sonnenuntergang aus dem Kinderzimmerfenster filmen. Je dunkler es wurde, desto mehr Lichterketten gingen an. Das war ein schöner Effekt. Den wiederholte ich am Sonntagabend, als ich heimkam, gleich nochmal mit meinem Tannenbaum, dessen Lichterketten in der aufziehenden Dämmerung immer heller leuchteten. Kam beides in den Weihnachtsfilm.

Ich hatte länger mit mir gerungen zu fahren (Omikron, Sie kennen das ja), aber ich froh, dass ich es gemacht habe. Das waren zwar irgendwie seltsame Tage, weil Papa da und dann doch nicht da war, weil sich alles anders angefühlt hat, aber dann doch irgendwie gut. Am ersten Feiertag ging das Mütterchen auf den Friedhof, um Blumen auf den Gräbern meiner Großeltern bzw. Großmutter (ihrer Mutter) und deren Schwester abzulegen. Auch das filmte ich und habe jetzt irgendwie alle Familienmitglieder im Video, wenn auch teilweise nur als Grabstein. Ja, der Satz klingt komisch, aber ich mag die Tatsache, dass ich quasi auch Omi und Oma und Opa an Weihnachten gesehen habe, sehr gern.

Ich hatte keinen wirklich Plan für den Film, aber er wird zusammengehalten von den vielen Weihnachtsbäumen in der Familie und im Dorf. Und es ist eben die ganze Familie drin. Ich stelle ihn natürlich nicht ins Internet, aber ich bin froh, dass ich so viel Zeug gefilmt habe.

Ich gewann nach 1000 Jahren mal wieder im Doppelkopf. Das wollte ich nur mal festhalten. Und ich glaube, ich habe beim Krippenaufbau Josef und den Hirten verwechselt, aber das ist bei der Jungfrauengeburt vermutlich egal.

Auf der Rückfahrt las ich Platthaus’ Buch über Lyonel Feininger zuende, das ich euch beruhigt weiterempfehlen kann. Unter meinen Bäumchen lagen unter anderem eine Gewürzmühle und noch mehr Lesestoff. Das war ein gutes Weihnachtsfest.

„In jener Zeit erließ Kaiser Augustus den Befehl an alle Bewohner seines Weltreichs, sich in Steuerlisten eintragen zu lassen. Es war das erste Mal, dass solch eine Erhebung durchgeführt wurde; damals war Quirinius Gouverneur von Syrien. So ging jeder in die Stadt, aus der er stammte, um sich dort eintragen zu lassen.

Auch Josef machte sich auf den Weg. Er gehörte zum Haus und zur Nachkommenschaft Davids und begab sich deshalb von seinem Wohnort Nazaret in Galiläa hinauf nach Betlehem in Judäa, der Stadt Davids, um sich dort zusammen mit Maria, seiner Verlobten, eintragen zu lassen. Maria war schwanger. Während sie nun in Betlehem waren, kam für Maria die Zeit der Entbindung. Sie brachte ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe; denn sie hatten keinen Platz in der Unterkunft bekommen.

In der Umgebung von Betlehem waren Hirten, die mit ihrer Herde draußen auf dem Feld lebten. Als sie in jener Nacht bei ihren Tieren Wache hielten, stand auf einmal ein Engel des Herrn vor ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umgab sie mit ihrem Glanz. Sie erschraken sehr, aber der Engel sagte zu ihnen: „Ihr braucht euch nicht zu fürchten! Ich bringe euch eine gute Nachricht, über die im ganzen Volk große Freude herrschen wird. Heute ist euch in der Stadt Davids ein Retter geboren worden; es ist der Messias, der Herr. An folgendem Zeichen werdet ihr das Kind erkennen: Es ist in Windeln gewickelt und liegt in einer Futterkrippe.“ Mit einem Mal waren bei dem Engel große Scharen des himmlischen Heeres; sie priesen Gott und riefen: „Ehre und Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Frieden auf der Erde für die Menschen, auf denen sein Wohlgefallen ruht.“

(Neue Genfer Übersetzung)

Ich wünsche euch allen ein friedliches, fröhliches, besinnliches, schönes, gesegnetes Weihnachtsfest. Danke fürs Lesen und Impfenlassen und Rücksichtnehmen.

Was schön war, Mittwoch, 22. Dezember 2021 – Kinderzimmerausblick

Und ein eingefrorenes Vogelbad.



Was schön war, Freitag bis Dienstag, 17. bis 21. Dezember 2021 – Steckrübe und iMovie

Am Freitag war wieder Date Night. Gestern sprachen F. und ich über die neuen Beschränkungen, die ab dem 28. Dezember gelten und stellten zum wiederholten Male fest: Für uns ändert sich nichts. Wir haben beide unsere winzige Bubble, gehen quasi nirgends hin außer zum Einkaufen, und haben nur geimpfte Menschen im engeren Umkreis (bis auf ein paar Kinder auf F.s Seite). Wir haben irgendwie in den vergangenen Monaten an der freitäglichen Date Night festgehalten, auch weil wir beide Zeit alleine brauchen und mögen. Also auch hier: nichts Neues.

Ich buk am Freitag ein vegetarisches Toad in the hole, gestern verbloggt, und kostete dabei zum ersten Mal eine rohe Steckrübe (mochte ich sehr) und entdeckte, dass sie gekocht nicht grauenhaft sein muss (mochte ich auch). Das war schön, alte Zutaten neu kennenzulernen.

Am Samstag musste ich ein Päckchen von der Post holen, das in die Packstation hätte kommen sollen, die natürlich überfüllt war. Ich nölte, dass ich ausgerechnet am letzten Samstag vor Weihnachten in eine Filiale musste, aber ob ich Montag frei hätte, wusste ich am Wochenende noch nicht. Gut, dass ich da war, denn bis gestern war ich noch gebucht. Also nahm ich mein derzeitiges Buch mit, wappnete mich für eine Stunde Anstehen, war um Punkt 9 Öffnungszeit an der Post am Hauptbahnhof – und vor mir waren nur ungefähr neun Leute, alle sieben (?) Schalter waren geöffnet, ich wartete also kurz hinter zwei Menschen, dann noch kurz am Schalter, und um fünf nach neun war ich wieder draußen.

Ich freue mich jeden Tag über mein krummes Weihnachtsbäumchen, an dem elektrische Lichter leuchten. Am Sonntag entzündete ich die vierte Kerze am Adventskranz, während die erste runterbrannte. Gestern gab dann auch die Kerze vom zweiten Advent auf. Ich mag das, wenn ich die wirklich zum Runterbrennen kriege und nicht den Dezember mit vier ungleich langen Stummeln beende.

Aus Gründen beschäftigte ich mich erstmals mit iMovie, der Videoschnittsoftware, die auf jedem Mac vorinstalliert ist. Die hatte ich noch auf keinem meiner Rechner jemals geöffnet, aber jetzt hatte ich einen Grund, mich für sie zu interessieren. Ich filmte mit Handy und Spiegelreflex sinnloses Zeug in der Wohnung, schnitt irgendwas zusammen, was einen Sinnzusammenhang ergab, legte Musik darunter und freute mich über mein erstes Werk, an dem ich einzelne Funktionen übte. Wieder was gelernt.

Ich bekam sehr gutes Feedback auf ein kunsthistorisches Proposal und konnte es gestern an meinen Doktorvater schicken. Daraus wird im kommenden Jahr ein längerer Lexikoneintrag, auf den ich mich sehr freue. Damit sind jetzt alle werbischen und kunsthistorischen Dinge abgearbeitet. Ich mache jetzt meinen Weihnachtsurlaub, der gleichzeitig mein Jahresurlaub ist.

Vegetarisches Toad-in-the-hole nach Ottolenghi mit Steckrübe und gelber Bete

Seit September macht mich eine Biokiste verlässlich glücklich, weil ich in ihr manchmal Dinge finde, die ich selbst nie gekauft hätte, sei es aus Faulheit oder aus Unkenntnis von schicken Rezepten. Diese Zutaten könnte ich natürlich abbestellen – man bekommt eine Mail mit dem vorgesehenen Kisteninhalt –, aber ich finde es spannend, mich an Dinge zu wagen, die mir bisher nicht vertraut waren. In diesem Fall war es eher eine Abneigung: An Steckrüben habe ich in Form von dicken Suppen eher ungute Kindheitserinnerungen. Daher war ich kurz versucht, sie abzubestellen, ließ mir dann aber lieber auf Twitter tolle Tipps geben und freue mich nun mitteilen zu können: Steckrüben sind super.

Aus den vielen Vorschlägen wählte ich das vermutlich einfachste Rezept zum Nachkochen: a) weil ich Ottolenghi eigentlich immer mag und b) in der Kiste auch Pastinaken waren und ich noch Möhren hatte, die konnten auch gleich elegant verarbeitet werden.

Das untenstehende Rezept ist für eine Form in der ungefähren Größe von 34 cm x 26 cm; meine ist etwas kleiner, ich habe drei Viertel des Rezepts verwendet, das hat wunderbar geklappt. Ich hatte gedacht, dass man den Auflauf in Stücken wie Pizza oder Flammkuchen aus der Form kriegt, aber nein, das wird einfach nur ein eher unhübscher Haufen aus Gemüse und Teig. Daher ist die Sauce im Rezept ganz sinnvoll: Für das Gemüse bräuchte man sie meiner Meinung nach nicht, das bringt genug Geschmack mit, aber der Teig ist doch eher Trägermaterial und findet die Pilzsauce super. Ich glaube aber, der würde auch einen Klecks Kräuterquark super finden.

Aber hier machen wir mal Sauce. Als allererstes die Pilze ansetzen. Dazu
30 g getrocknete Steinpilze mit
800 ml kochendem Wasser übergießen, die Schüssel abdecken und alles mindestens 20 Minuten ziehen lassen.

Für den Teig
4 Eier (mindestens Größe M) mit
350 ml Milch und
2 EL mittelscharfem Senf schaumig rühren. Schneebesen reicht. Danach
230 g Mehl, Type 405, sowie
1 TL Salz unterrühren und alles mindestens 30 Minuten quellen lassen.

Nun Gemüse schnippeln. Wir brauchen
1/2 große Sellerie (480 g), geschält und in 6 Keile geschnitten (450 g Endgewicht)
2 Rote Bete (350 g), geschält, 8 Keile (300 g) und
1/2 große Steckrübe (350 g), geschält, 12 Keile (320 g). Das Gemüse ist quasi beliebig austauschbar, Hauptsache, die Mengen bleiben erhalten. Bei mir waren Steckrübe, Pastinaken, Mohrrüben, gelbe Bete und ein winziger Rest Brokkoli als Farbtupfer in der Form. Nicht zu klein schneiden, das dürfen ruhig Brocken oder dickere Scheiben bleiben. Hier habe ich mal die rohe Steckrübe gekostet und stellte interessiert fest: schmeckt wie nussiger, frischer Kohlrabi. Mag ich!

In einer Form
75 ml Olivenöl (ein bisschen weniger tut’s auch) und
2 EL Tomatenmark mischen, das Gemüse dazugeben, alles gut mit dem Öl benetzen, mit
1 knappen TL Salz und
ordentlich Pfeffer im auf 220° Ober- und Unterhitze vorgeheizten Ofen für 15 Minuten backen. Die Form aus dem Ofen nehmen, vorsichtig
2 EL Ahornsirup untermischen und für weitere 20 Minuten backen.

Während alles bäckt, können wir schon die Pilzsauce machen.

2 EL Olivenöl bei mittlerer Hitze erwärmen und
1 große Zwiebel (220 g), fein gehackt, darin anbräunen.
3 Knoblauchzehen, fein gehackt,
1 EL Tomatenmark und
1 EL fein gehackten Rosmarin dazugeben, kurz mitrösten.
2 1/2 EL Mehl dazugeben, gut umrühren, damit alles bemehlt ist. Nun langsam die Pilze und die Einweichflüssigkeit dazugeben, mit einem Schneebesen dafür sorgen, dass nichts klumpt. Mit
1 TL Salz und
ordentlich Pfeffer würzen, kurz aufkochen und dann die Hitze verringern und simmern lassen, bis die Sauce eindickt. Das dauert nur wenige Minuten. Mit
1 EL Balsamico-Essig abschmecken und warmhalten. Ich habe die Sauce danach durch ein Sieb gestrichen, weil ich die glitschigen Pilze nicht so mag, davon steht aber bei Ottolenghi nichts.

Wenn das Gemüse seine 35 Minuten im Ofen war, die Form herausholen und Gemüse und Öl in eine feuerfeste Schüssel abgießen. Die Backform nass auswischen und trocknen.
4 EL Sonnenblumenöl in die Form gießen und sie so für sechs Minuten in den heißen Ofen stellen, damit sie vorheizt. Nach dieser Zeit wieder entnehmen und nun vorsichtig und zügig den Teig in die Form gießen. Das Gemüse mit dem Würzöl auf dem Teig verteilen,
200 g Cherrytomaten ebenfalls darauf verteilen (hab ich weggelassen),
2 Zweige Rosmarin auflegen und alles wieder in den Ofen geben. Für 20 Minuten backen, dann die Hitze auf 200 Grad verringern und für weitere 25 Minuten backen, bis alles appetitlich gebräunt ist.

Wer mag, bestreut alles mit frischem Schnittlauch, auch die Sauce; ich habe stattdessen einen grünen Salat dazu gemacht. Ich mochte wirklich alles an diesem Rezept – und vor allem die Steckrübe. Sie war mehlig im Mund, aber trotzdem fest, und hatte weiterhin einen angenehmen nussigen Geschmack. Team Steckrübe! Wer hätte das gedacht.

Was schön war, Samstag bis Donnerstag, 11. bis 16. Dezember 2021 – Kekse und Weihnachtsbaum

Am vergangenen Wochenende buk ich nochmal ein paar Bleche Kekse; davon wanderten einige in ein kleines Päckchen in Richtung Hamburg zum Ex-Kerl. Ich druckte den DHL-Lieferschein schon am Sonntag aus, schaffte es aber erst Dienstag in eine Filiale; Packstationen wollte ich gar nicht erst versuchen, die quellen vermutlich gerade mit Weihnachtsgeschenken über. Der Grund für die Verzögerung: Ich wurde Montag äußerst spontan gebucht durch eine gute Kombi, jedenfalls für mich, aus Texter im Urlaub und Vertretungstexter krank.

Deswegen ist mein Kopf gerade mal wieder weniger kunsthistorisch unterwegs, sondern für die gute, alte Autoindustrie. Ja, wir sollen die nicht mehr mögen, aber ich schreibe trotzdem gerne über ihre Produkte. Und wenn ich einen Parkplatz hätte, hätte ich einen kleinen SUV. Ja, die sollen wir auch nicht mögen, aber sie sind so wunderbar bequem beim Einstieg, man sitzt angenehm hoch und, soweit ich das von den kurzen Fahrten mit dem mütterlichen Auto sagen kann, mein Rücken, meine Hüfte und meine Beine finden das alles deutlich superer als die flachen Schüsseln, die ich bis vor zehn Jahren noch gefahren bin. Aber ich habe ja keinen Parkplatz und deswegen auch kein Auto, und seit Corona trenne ich auch brav Müll und habe sogar einen Bioeimer in der Küche, wogegen ich mich jahrelang gesträubt habe. Kleines Klima-Update Ende.

Ökokistenglück. Es gab unter anderem Suppe aus gelber Bete mit gerösteten Mandelblätten, Koriander- und Fenchelsamen. Der Fenchel war keine so gute Idee, Rest gerne wieder.

Violette Hasselback-Kartoffeln mit buntem Salat. Das Zeug in den Kartoffelspalten ist Knoblauch. Im Salat befindet sich auch noch gelbe Bete, den winzigen Rest, der immer noch übrig ist von den zwei Knollen der letzten Woche, haue ich heute vermutlich in ein Gericht von Ottolenghi, denn mit der heutigen Kiste kommt eine Steckrübe, auf die ich etwas ängstlich schaue. Deswegen hat mich Twitter vor einigen Tagen auch ganz hervorragend mit Rezepten versorgt.

Tofu mit Brokkoli und dem üblichen Sojasauce-Ingwer-Chili-irgendwas drüber. No filter übrigens, aber ein neuer Teller vom Butler’s um die Ecke. Der Laden lässt sich immerhin Impfnachweis und Ausweis zeigen, scannt aber nicht. Hmpf.

Gestern besuchte ich meinen Zahnarzt, der gespielt entrüstet war, als er nach dem Grund fragte, warum ich hier sei und ich freimütig gestand, dass ich bloß noch den Stempel fürs Bonusheft brauchte, von dem ich dachte, ich hätte ihn längst in diesem Jahr erhalten, aber nee.

Mein Zahnarzt ist jetzt übrigens Teil einer größeren Praxisgemeinschaft. Es sind nicht mehr nur zwei Ärzte, sondern sie haben, laut neuem Praxisschild, „Kolleg*innen“. Nice.

Fast direkt neben der Praxis liegt der Stand, an dem ich traditionell mein Weihnachtsbäumchen kaufe. Das erledigte ich gestern hektisch, bevor es wieder an den Schreibtisch ging. Er wurde gestern abend auch gleich geschmückt und erfreute mich heute morgen nach dem Aufstehen, als noch alles dunkel war, mein Bäumchen aber schon durch die Wohnung schimmerte.

Mein erster Weihnachtsbaum ohne goldene Kugeln. In diesem Jahr gab’s alles aus der Ecke Rot, Pink und Violett.

Ewig hin und her überlegt, ob ich Weihnachten zu meiner Mutter fahre oder nicht. Wir kennen alle die guten Argumente: Omikron, Kontaktbeschränkungen usw. Meine Gegenargumente, die schlussendlich überwogen: Ich bin im vergangenen Jahr brav zuhause geblieben und habe damit das letzte Weihnachten verpasst, an dem Papa noch zuhause gelebt hat (er ist seit August in einem Pflegeheim). Das Mütterchen ist auch nicht mehr die Jüngste, und obwohl ich natürlich davon ausgehe, dass sie 100 Jahre alt werden wird, möchte ich nicht im nächsten Jahr denken, dass ich womöglich auch ihr letztes Weihnachten zuhause verpasst habe. Ich bin dreifach geimpft, fahre im Zug immer in der 1. Klasse (weniger Leute) und hatte bisher immer eine schöne grüne Corona-App nach Zugfahrten. Daher werde ich fahren.

In der gestrigen Pressekonferenz erwähnte Minister Lauterbach, dass die Dreifachimpfung die Schutzwirkung vor symptomatischer Infektion auf 75% erhöhe, falls diese Wirkung nach zwei Impfungen schon nachgelassen habe (bei ca. 12.30 min). Und in einem Artikel der SZ (finde ich gerade nicht in meinem Verlauf) berichtet eine Krankenhausmitarbeiterin, dass hohes Gewicht in der Anfangsphase der Pandemie ein Risikofaktor gewesen sei; inzwischen bestimme aber der Impfstatus, ob man auf der Intensivstation landet oder nicht. Das hat mich beides etwas beruhigen können.

Ich werde im Norden genau vier Leute sehen, die alle mindestens doppelt geimpft sind, und allerhöchstens noch einen Supermarkt und ein, zwei Mitarbeiter im Pflegeheim, in dem man einen aktuellen Test vorlegen muss, auch wenn man hundertmal geimpft ist. Ich hoffe, es wird okay sein.

Es ist quasi da

Das hübsche Titelbild fehlt noch, zumindest im Interweb, ich weiß schon, wie es aussieht, aber anscheinend könnt ihr mein neues Lieblingsbuch schon vorbestellen.

Was schön war, Freitag, 10. Dezember 2021 – Router und Räucherlachs

Gestern kam nicht nur meine Biokiste an die Tür (Gelbe Beete! Violette Kartoffeln! Grüner Salat!), sondern auch ein Päckchen der Telekom, in dem sich mein neuer Router befand. Hier ein kleiner Verpackungsvergleich, 2012 vs. 2021.

Ich erinnere mich, wie ich mit dem ersten Router in meiner ersten Münchner Wohnung gefühlt eine Stunde fluchend auf dem Flurfußboden saß (das Internet kam früher als meine Möbel) und ich mit miesem Handyempfang versuchte, das Ding anzuschließen. Gestern stöpselte ich den alten Router ab, den neuen an, ließ ihn fünf Minuten alleine vor sich hinblinken, und dann hatte ich schnelleres Internet. Am Festnetztelefon reichte eine Taste, dann hatte auch das Ding verstanden, wo sein Anschluss war. Das Aufwendigste war, dem Handy klarzumachen, wo sein Glück herkommt, dazu musste ich eine 16-stellige Zahl copypasten, die ich per QR-Code vom Gerät gescannt hatte, fertig. Grundbedürfnisse wie Internet so einfach und problemlos hinzukriegen, macht mich verlässlich glücklich.

Mein altes iPhone konnte noch kein 5G, aber das neue. Das blinkte kurz in der oberen rechten Bildschirmecke auf, bevor das W-LAN da war. Das musste ich natürlich F. mitteilen, der total Bescheid wusste.

Plan morgens um 8: Nach der Arbeit machste Sport.
Plan gegen 14 Uhr, als ich eigentlich fertig war: Nach der Arbeit bäckste Zimtschnecken.
War auch gut.

F. kam abends vorbei und brachte den traditionellen heißgeräucherten Lachs mit, den seine Familie seit Ewigkeiten bei einem Bekannten aus Norwegen ordert; wir verspeisen den immer irgendwann im Dezember, wenn das Paket ankommt. Zum Nachtisch Butterplätzchen, die überraschend gut zu Rosé-Champagner passen.

Beim Eintragabspeichern fast gequietscht: OMG ist das Internet jetzt flink! Hach! Jetzt muss ich nur noch rausfinden, wieso meine gestochen scharfen Fotos so matschig aussehen.

Was schön war, Donnerstag, 9. Dezember 2021 – Vorlesung und Walnussschaum

Im letzten Semester folgte ich per Zoom Michael Wildts Vorlesung an der Humbold-Universität über den Holocaust. Danke, du Scheißvirus, denn auch in diesem Semester findet die Vorlesung online statt: „13 Bücher, die das Bild von Nationalsozialismus und Holocaust geprägt haben.“ Die erste Sitzung hatte ich verpasst, in der von letzter Woche ging es um die Erinnerungen von Albert Speer, die keine waren, sondern hervorragend fabrizierte Fiktion. Was ich unter anderem mitnahm: Das Buch erschien 1969, und es führte in diesem Jahr und 1970 die Spiegel-Bestseller-Liste an. Wildt: „Wenn Sie mal im Bücherschrank Ihrer Großeltern schauen, gerade wenn diese eher bürgerlich sind, werden Sie es vermutlich finden.“ Ich erinnerte mich daran, wie uralt ich bin, denn ich musste nur im Schrank meiner Eltern schauen bzw. ich wusste, dass es dort war, denn von dort habe ich es schon vor Monaten mitgenommen (2. Auflage, 1969). Jetzt wohnt es neben der Biografie von Magnus Brechtken, die Wildt sehr empfahl – sinngemäß: „Damit sollte sich das falsche Bild Speers endgültig erledigt haben.“ Zweiter Buchtipp von ihm: Rechtfertigung und Entlastung. Albert Speer in der Bundesrepublik von Isabell Trommer, das ich schon in der Hand hatte; ich zitierte es in der Masterarbeit, in der es auch um die Nichtaufarbeitung der NS-Zeit in der jungen Bundesrepublik ging.

Gestern ging es um drei weitere Bücher, von denen mir wenigstens zwei bekannt waren. Zunächst besprach Wildt Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland (1993) von Christopher Browning, der die massenhafte Beteiligung der Deutschen am Holocaust mit Gruppenzwang erklärte (sehr verkürzt formuliert). Daniel Goldhagen nutzte dasselbe Quellenmaterial, allerdings eher auszugsweise, und nannte den historisch gewachsenen Antisemitismus im Deutschen Reich als Grund. Sein Buch Hitler’s Willing Executioners (1996) war in Deutschland ein Beststeller, wurde aber von der Wissenschaft einhellig abgelehnt; die Diskussion ist im Wikipedia-Link zu Goldhagen gut nachvollzogen. Das dritte Buch war mir neu: Stefan Kühls Ganz normale Organisationen (2014) nutzt erneut dieselben Quellen, verfolgt nun aber einen soziologischen und keinen historischen Ansatz. Hier ein Ausschnitt aus der Rezension (2016) von hsozkult:

„Kühls neuerliche Beschäftigung mit dem Reserve-Polizeibataillon 101 schließt eine Lücke, die frühere Interpreten aufgrund ihrer primär an der Persönlichkeit der Täter interessierten Herangehensweise gelassen haben. Ausgehend von der Einsicht, „dass mehr als 99 Prozent aller Tötungen von Juden durch Mitglieder staatlicher Gewaltorganisationen durchgeführt wurden“ (S. 22), nimmt Kühl einen systematischen organisations-soziologischen Blickwinkel ein. Dabei stützt er sich auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns, und zwar jenen Theoriebaustein, der sich mit sozialen Systemen vom Typ „Organisation“ befasst. […] „Die ganz normalen deutschen Männer haben […] erst im Rahmen von Organisationsmitgliedschaften die Bereitschaft entwickelt, einem in vielen Fällen vorhandenen latenten Antisemitismus auch eine konkrete Beteiligung an Deportationen, Ghettoräumungen und Massenerschießungen folgen zu lassen.“ (S. 33f.) Demnach war die Zugehörigkeit zu einer spezifischen Organisation, hier zum Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101, eine notwendige Bedingung, damit „ganz normale Männer“ am NS-Massenmord mitwirkten; sie mussten nur die entsprechenden Befehle akzeptieren. Kühls soziologischer Ansatz besteht darin, diesen Sachverhalt mittels eines Parameters zu analysieren, den er an anderer Stelle „Folgebereitschaft in Organisationen“ nennt.“

Das Buch wartet schon in der Stabi auf mich. Falls Sie Donnerstags zwischen 10.15 und 11.45 Uhr Zeit haben, schauen Sie doch mal per Zoom in der Vorlesung vorbei, lohnt sich.

Have You Considered Accountancy?

Gerne gelesen: die Rezension zu How to Start Writing (and When to Stop): Advice for Writers von Wisława Szymborska, herausgegeben und aus dem Polnischen ins Englische übersetzt von Clare Cavanagh, in der Literary Review. Die polnische Autorin Szymborska erhielt 1996 den Nobelpreis für Literatur, aber, viel spannender: Sie führte von den 1960er bis in die 1980er Jahre eine Kolumne, in der sich Autoren und Schriftstellerinnen ratsuchend an sie wandten. Zum allergrößten Teil riet sie den Fragenden, ihre Arbeit zu vernichten und lieber etwas anderes zu machen. Diese Kolumnen sind nun im Buch versammelt.

„Inverting the old cliché, Christopher Hitchens said, ‘Everyone has a book in them and that, in most cases, is where it should stay.’ The journalist and satirist Karl Kraus agreed: journalists, especially, should never write novels. This was self-satire, partly. Yet there are writers who can barely go to the shops without publishing a voluminous account immediately afterwards. At the other end of this unscientific spectrum are writers who destroy their work, either because they think it’s rubbish (Joyce, Stevenson, etc) or because they’ve become recently convinced it was written by the Devil (Gogol). Some people doubt themselves far too much, others not remotely enough. […]

Szymborska is such an ironic writer that I began to wonder if there ever were any actual submissions, if the columns were an extended literary joke. Perhaps I have been living in postmodernism for too long. Perhaps it doesn’t matter so much. The real interest lies in Szymborska’s writing on writing. Each column is a concise treatise. In one, she argues that language is ossified poetry and everything is metaphorical. In another, she proposes that literary realism as a set of conventions has nothing to do with reality at all. Society is in chaos, she adds:

„Generations no longer talk to each other. It’s a misfortune of our times … We can’t explain the causes or predict the results. One thing is certain: literature will be the poorer. Curiosity is the key to its existence … Your stories are cramped, stuffy, and simplistic. There is no window on the world, hence no chance it might be opened. This is bad. A snappy style won’t save you.“ […]

Most of Szymborska’s advice is like this: parodic and serious at the same time. The situation is tragicomic. Life is unfathomable, writing is a part of life, so how can we judge anything at all? Yet it’s hard to write a novel without some sort of basic belief in the novel. It’s like trying to make an omelette while disbelieving in the reality of eggs. In the end, Szymborska is so tough on her aspiring authors not because they care too much about writing but because she thinks they care too little. Her advice is monumentally sensible. Don’t be a narcissist. Work (much) harder. The best ‘writing utensil’ is a wastepaper basket. Life is short, yet ‘each detail takes time’. Don’t be a utopian. Keep away from the void for as long as you can. Who can argue with that?“

Der übliche Abendessenbericht: Es gab meine geliebten Ofenmöhren mit Walnussschaum. Hier das Rezept, hier die Instafotos von gestern. Es waren gerade zwei dicke Möhren, die ich in Backpapier mit Butter und Zitrone und Thymian verpackte, aber durch den Schaum, der bei mir eher wie eine Sauce Hollandaise wird, ist das ganze eine äußerst nahrhafte Mahlzeit. Übriggebliebene Sauce kann man auch prima als Dip nutzen (erledigt und pappsatt).

Was schön war, Mittwoch, 8. Dezember 2021 – Olaf Scholz und Amanda Gorman

Ich weiß noch nicht, ob das schön wird, aber es kann vermutlich nur besser werden. Daher habe ich interessiert der Vereidigung des Kanzlers und seines neuen Kabinetts auf Phoenix zugeschaut. Falls im Plenarsaal gerade Pause war, schaltete ich den Rechner auf stumm und tippte weiter kunsthistorisch vor mich hin.

Nebenbei: Das Interview mit Frau Weidel, das natürlich auch gemutet war, muss ich nicht auf Twitter sehen, auch nicht, wenn der Interviewer angeblich irgendwas toll entlarvt hat. Was soll man bei der AfD denn noch entlarven? Jede, die sie nicht wählt, weiß warum, jede, die sie wählt, weiß das auch. Einfach nicht mehr an die Mikrofone bitten, es wäre für mein Seelenheil besser.

Zwei meiner liebsten Menschen hadern gerade mit ihrem Seelenheil, mit beiden konnte ich gestern sprechen. Ich hoffe, es hat geholfen. Es sind anscheinend alle gerade wieder am Anschlag – auf der einen Seite Doom Scrolling, auf der anderen Fackelaufmärsche. Was zur Hölle?

Gerne gelesen: Dieser eine Tag. Der Blogeintrag von Herrn Buddenbohm beginnt so: „Am Montag nämlich, das wollte ich noch erzählen, hatte ich einen guten Tag.“

Meine Tage beginnen zumindest bis zum 24. Dezember auch gut, denn ich habe einen Maulwurfsadventskalender. Heute ist der kleine Racker besonders gut gelaunt (das Türchen neben der 10).

Ich witzelte neulich über die winzigen Kürbisse aus der Biokiste und meinte, die beiden reichen vermutlich für zwei Teller Suppe. Das war übertrieben: Es reichte nur für einen einzigen Teller, der aber immerhin bis zum Rand gefüllt war. Hier die Insta-Version, die natürlich nicht bis zum Rand gefüllt ist.

Nebenbei macht mich hübsch inszeniertes Essen gleichzeitig froh und panisch, weil ich sehe, wie mies mein Essen aussieht. Aber ich möchte auch nicht auf solche Fotos wie zum Beispiel von Herrn Paul in meiner Insta-Timeline verzichten.

Amanda Gorman hat für den New Yorker ein paar ihrer neuen Gedichte eingelesen. Eine Zeile aus „Ship’s Manifest“ wird möglicherweise mal ein Tattoo: „We are writing with vanishing meaning.“

„What we call occasional poetry — verse written for or about an event, often ceremonial — reminds us that all poems have occasions, or should. Good poems capture a moment and sustain it. In an era as urgent as ours, many poems strive for timelessness precisely by being timely. Poetry can preserve the fleeting present, encircle the past, and help envision alternative futures.

When Amanda Gorman read her poem “The Hill We Climb” at the 2021 U.S. Presidential Inauguration, she became both the inheritor of a long tradition and a herald of something new. Her verse, as vibrant and elegant as her yellow coat against the cold, illuminated the imagination as well as the occasion, confirming her as a worthy successor to several other Black women inaugural poets writing to and for an American ideal — a lineage traceable all the way back to Phillis Wheatley, who, at the dawn of the Republic, addressed a poem to then General George Washington. As Gorman acknowledged this country’s contested history, and its contemporary tumult, her invocation of the plural pronoun “we” reminded us that, for good or literal ill, our lives are connected. Hers was an invitation to move forward together.“

Was schön war, Dienstag, 7. Dezember 2022 – Neues Handy

Mein altes iPhone 6 (SECHS!) verschlechterte sich in den letzten Monaten dramatisch, weswegen ich ein bisschen rechnete, mir Tarife anschaute, nochmal rechnete und gestern in den Telekomshop vor Ort ging, wo ich einen Termin gebucht hatte, um mein neues Handy abzuholen, ein paar Verträge zu unterschreiben und gleich auch mal meinen Router erneuerte, der auch schon neun Jahre auf dem Buckel und ein im Vergleich zu dem hier möglichen eher langsames Interweb hat. Das war ein sehr angenehmes Einkaufs- und Beratungserlebnis, gleich mal fünf Sterne auf Google verliehen, worum mich der freundliche Verkäufer gebeten hatte. Einen magenta-farbenen Schokonikolaus gab’s auch noch, was will frau mehr.

Zuhause verbrachte ich staunend zehn Minuten, wo die meisten der Daten vom alten Handy drahtlos (aka per Zauberei) auf meinem neuen landeten, ohne dass ich viel machen musste. Danach verbrachte ich zwei Stunden damit, mich bei zahllosen Diensten wieder einzuloggen, die nicht automatisch mitkamen, was ich bei sensiblen Dingen wie ApplePay auch einsehe.

Die Kamera des iPhone 12 hat mich mehr beeindruckt als alles andere. Das erste spontane Bild landete auf Insta und bekam den Untertitel „Happy Place.“ Im schummerigen Kunstlicht sahen fünf meiner acht Bücherregale doch erstaunlich gut aus. Und es sieht aus, als ob ich in einer Turnhalle wohne; das tue ich nicht, ich sitze knappe zwei Meter vom Regal entfernt.

Weiter in der Feininger-Biografie gelesen und dabei Galka Scheyer kennengelernt, die mir bis dahin noch kein Begriff gewesen war. Sehr interessiert mehr über die Blaue Vier gelernt, immerhin das hatte ich schon mal gehört. Dabei wurde mir erneut klar, wie viel mehr ich noch von den Künstlern und Künstlerinnen wissen muss, die im „Dritten Reich“ als „entartet“ bezeichnet wurden. Ich weiß viel mehr über diese Seite, ich kenne Texte von Schultze-Naumburg und von Rosenberg, aber noch zu wenige von den Verfolgten.

Außerdem dachte ich, oh, das Buch könnte ich bei der Literatur zu Scheyer in der Wikipedia anlegen, aber da steht es natürlich schon.

Wo wir grad beim Thema sind: Die FAZ bespricht eine Ausstellung in Frankfurt sehr gut: Eine Stadt macht mit –Frankfurt und der NS. Die Ausstellung im Historischen Museum läuft noch bis September 2022.

„Das Historische Museum Frankfurt will mit einer großen Ausstellung diesen doppelten Mythos entkräften. Unter der Überschrift „Eine Stadt macht mit“ soll gezeigt werden, wie der Nationalsozialismus Frankfurt durchdrang. Entscheidend war das Verhalten der Stadtverwaltung, deren Mitarbeiter in überwältigender Mehrheit eifrig oder zumindest willig die Vorgaben der neuen Herrscher vollstreckten, mit besonders grauenhaften Folgen im Gesundheitsamt. Diesem Muster folgte nahezu das gesamte gesellschaftliche Leben, wie die Schau eindrücklich zeigt: eine Institution nach der anderen schaltete sich selbst gleich und huldigte fortan dem „Führerprinzip“.

Mit dieser These rennt die Ausstellung offene Türen ein, zumindest bei denjenigen, die die Ergebnisse der jüngeren historischen Forschung verfolgt haben. Zahlreiche Detailstudien zeigen, wie sich beispielsweise die Führung von Eintracht Frankfurt und das Präsidium der vornehmen Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft dem neuen Regime unterwarfen und jüdische Mitglieder entweder zum Rückzug nötigten oder kurzerhand rauswarfen. Auch hat sich gezeigt, dass es zwar vereinzelte Beispiele von Widerstand und – bis in die Gestapo hinein – von Hilfsbereitschaft gegenüber Verfolgten gab, Frankfurt jedoch keineswegs besonders viele Helden hervorgebracht hat.“

Wo wir leider immer noch beim Thema sind:

Lisa Eckhart und die Judenwitze

Die Jüdische Allgemeine ist allmählich fassungslos:

„Es ist etwas ins Rutschen geraten in der Bundesrepublik. Noch bis vor Kurzem wäre es undenkbar gewesen, dass auf der Bühne unter dem Deckmantel der Satire Judenwitze erzählt werden, ohne dass es einen öffentlichen Aufschrei gegeben hätte. Der Künstler wäre zur Persona non grata geworden – und zwar völlig zu Recht.

Die Kabarettistin Lisa Eckhart dagegen ist mit ebensolchen antisemitischen Pointen innerhalb kurzer Zeit zur erfolgreichsten deutschsprachigen Künstlerin ihres Genres aufgestiegen. Große Teile des deutschen Feuilletons feiern in irrwitzigen geistigen Verrenkungen mit Bezug auf die Meta-Ebene der Meta-Ebene Eckharts antisemitische Pointen als »hintergründig«, »große Kunst« und »mutige Abrechnung« mit dem von der linken Identitätspolitik dominierten Zeitgeist.

Und mehr noch: Die Kritiker von Eckhart – bei ihnen handelt es sich überwiegend um Juden – werden als »engstirnig« und »humorlos« abgekanzelt, wie jüngst in der »WELT«.

Eckharts Verteidiger sagen: Die Künstlerin werde missverstanden. Sie entlarve schonungslos die antisemitischen Einstellungen ihres Publikums. Sollte dies, das vermeintliche Spiegeln ihrer Zuschauer, tatsächlich Eckharts kabarettistisches Konzept sein, wäre dies ein weiterer Beleg für die Hoffnungslosigkeit des deutschen Humorbetriebs. Braucht es wirklich öffentlich aufgeführte Judenwitze, um auf das Problem des Judenhasses in diesem Land hinzuweisen?“

Gute Frage.

Ratatouille mit Fenchel, Koriander und Curry

Im Original wird das ganze „orientalisch gewürzt“ genannt, aber irgendwie stolpere ich über diese Bezeichnung. Ich fand das ganze überraschend rund und gleichzeitig frisch und mummelig warm.

Ich habe nicht ganz so viel Paprika verwendet wie im Original, stattdessen ein bisschen Zucchini hinzugefügt und die Mengen für mich angepasst. Ich hatte auch nur noch eine Tomate, daher sieht mein Endergebnis deutlich gelblicher aus als das rötliche Ratatouille bei Sevencooks. Was ich nicht geändert habe, sind die Mengen für die Paste aus zermörserten Gewürzen und Knoblauch. Hier stehen die Mengen für vier Personen.

300 g Tomaten einritzen, mit kochendem Wasser überbrühen und die Haut abziehen. Kerne und restliche Innereien entfernen und in einem Sieb abtropfen lassen, die Flüssigkeit brauchen wir noch.

1 Aubergine mit einem Sparschäler in Zentimeterabständen abschälen und in kleine Würfel schneiden. In wenig Öl knusprig-braun anbraten, mit Salz, Pfeffer und Currypulver würzen, auf Küchenpapier entfetten.

1 Fenchelknolle vom Grün befreien und in kleine Würfel schneiden, dazu noch
1 rote Paprika,
1 gelbe Paprika und
1 grüne Paprika fein würfeln. Kann beides in eine Schüssel, beiseite stellen.

1 Zwiebel, bei mir rot, fein würfeln.

In einer beschichteten Pfanne
1 TL Koriandersamen,
1/2 TL Kümmel und
1 TL Fenchelsamen anrösten, bis sie duften.
3 Knoblauchzehen fein hacken. Die gerösteten Gewürze und den Knoblauch mit
1 EL Olivenöl und
1 TL Kurkuma zu einer Paste zermörsern.

Jetzt bauen wir alles zusammen. In einer großen Pfanne mit Deckel (oder einem Topf) die Würzpaste in
4 EL Olivenöl anrösten, dann die Zwiebel darin glasig schwitzen. Fenchel und Paprika dazugeben und sanft anschwitzen. Nun die Auberginenwürfel, die Tomaten, den aufgefangenen Saft und
1 Lorbeerblatt dazugeben, den Deckel aufsetzen und alles für 15 Minuten schmoren. Bei Bedarf noch Gemüsebrühe oder Wasser dazugeben; ich habe ein bisschen Wasser dazugegeben.

Das Gemüse sollte noch etwas Biss haben. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und mit frischem Koriander servieren.

Dazu passt Knoblauchbrot, bei mir waren es Brotscheibchen, die ich in Butter mit Currypulver geschwenkt habe.

Was schön war, Sonntag, 5. Dezember 2021 – Plätzchen und Fenchel

An meinem Laptop hängen abends immer nacheinander zwei externe Festplatten, um jeweils ein Backup zu ziehen. Das dauert normalerweise so zehn, zwanzig Minuten, dann sind beide durch, ich tippe ja nur vor mich hin und erstelle nicht jeden Tag Riesendateien. Vor wenigen Tagen verband ich erstmals eine der beiden Festplatten mit dem neuen Laptop – und hatte natürlich total vergessen, dass nun der komplette Rechner aufgespielt werden musste und nicht nur die fünf Dateien, die ich tagsüber in der Hand gehabt hatte. Die Platte rödelte von 21 Uhr bis ungefähr 14 Uhr am Folgetag vor sich hin. Mittendrin war mir aufgefallen, dass ich natürlich auch Daten manuell von ihr löschen könnte anstatt das alles Time Machine erledigen zu lassen. So brach ich mitten in der Nacht das Backup ab, löschte frohgemut die Jahre 2015 und 2016, startete ein neues Backup, während der Papierkorb sich immer weiter füllte, und wie eben erwähnt, war das tapfere Teil nach 17 Stunden fertig.

Am Samstagabend war nun die zweite Festplatte dran. Hier löschte ich total clever schon vorher so ziemlich alle Daten, damit Platz war, startete wieder um 21 Uhr das Backup – und stellte morgens fest, dass das Backup abgebrochen wurde. Ich löschte wieder, startete neu und erhielt nach ein paar Stunden wieder eine Fehlermeldung. Dieses Mal googelte ich, wie man eine Platte komplett neu aufsetzt, erledigte das, startete wieder ein Backup und hatte abends gegen 20 Uhr, also nach 23 Stunden, endlich meinen Rechner wieder.

Eigentlich hatte ich etwas arbeiten wollen, ich tippe aber ungern, während ein Backup läuft (keine Ahnung, ob das doof ist). Also las ich erst Zeitung, dann weiter in mehreren Büchern gleichzeitig, und dann war mir langweilig und ich fasste einen spontanten Plätzchenbackplan.

Es sind nur die simplen Mürbeteigkekse sowie meine geliebten Schokoladen-Orangen-Stäbchen geworden, deren Rezept ich kurz anpassen musste, um mich selbst daran zu erinnern, dass ich keine Stäbchen will, sondern platte Kekse. Ich backe die nur einmal im Jahr und anscheinend vergesse ich immer alles wieder.

Abends griff ich dann in die Biokiste bzw. ins Gemüsefach, wo fast alles aus der Kiste landet. Freitag hatte sie mich schon sehr zum Lachen gebracht, denn so sah es aus, als ich das abdeckende Papier zurückschlug:

Unter dem übermütigen Salatkopf lagen unter anderem Kürbisse, die mich ob ihrer Größe nochmal zum Lachen brachten. Das dürfte so für zwei Teller Suppe reichen.

Außerdem war Fenchel dabei, den ich niemals selbst bestellt hätte, weil ich alles, was anis-ig schmeckt, nicht mag: Pernod, Lakritze, Fenchel in Reinform, Fenchelsamen mag ich komischerweise sehr, hallo, Salsicchia, du leckeres Ding. Aber dieses Mal dachte ich, aha, da sind auch Orangen dabei, da drängt sich der klassische Fenchelsalat ja geradezu auf.

Also filetierte ich Orangen, hobelte Fenchel hauchdünn, röstete Walnüsse kurz an, schnitt eine halbe rote Zwiebel und mixte aus dem Saft, Walnussöl und ein bisschen Rotweinessig ein Dressing. Das ließ ich etwas durchziehen, und was soll ich sagen? Es war großartig. Nicht lakritzig-eklig, sondern frisch, knackig, süß und ein bisschen streng, aber genau so, dass es mir schmeckte. Biokiste for the win again!

Was schön war, Freitag/Samstag, 3./4. Dezember 2021 – Saltshaker und Polyphonie

Ich löse seit jetzt fast zwei Jahren täglich das Kreuzworträtsel der NYTimes. Am Anfang ging recht wenig, dann nur mit Autocheck, also der Funktion, die einem sofort anzeigt, ob ein Buchstabe richtig oder falsch ist. Inzwischen versuche ich immer, ohne Autocheck das Rätsel zu lösen, was in den meisten Fällen auch klappt. Irgendwann weiß man halt, welche Worte sehr oft vorkommen, weil sie so schöne viele Vokale haben (Aloe, Acai, Etta, Ado usw.), mit der amerikanischen Popkultur bin ich auch halbwegs genug vertraut, um Songzeilen oder Filmtitel hinzukriegen, und wenn ich irgendwen nicht kenne, wird er oder sie ergoogelt, da bin ich äußerst schmerzfrei.

Die Rätsel werden im Laufe der Woche immer schwieriger; die von Montag bis Mittwoch bekomme ich inzwischen fast immer hin und brauche dafür irgendwas zwischen zehn und 20 Minuten. Freitag und Samstag kommen in den Rätseln viele schlaue Vokabeln vor, für die ich meist Hilfe brauche, aber netterweise bietet die Times zu jedem Rätsel einen begleitenden Artikel an, wo „tricky clues“ aufgelöst werden und ein großes Forum debattiert, so dass man auch da ein, zwei Lösungen abgreifen kann. Ich fühle mich immer irre schlau, wenn ich alle „tricky clues“ wusste. Hier das Rätsel von diesem Montag, leider hinter der Paywall, hier die Kolumne dazu, die ohne Paywall zu lesen ist. Nur damit ihr wisst, wovon ich spreche.

Der Donnerstag ist meist eine Herausforderung, weil dort mit Rebussen gearbeitet wird. (Erstmal gegoogelt, ob es nicht doch Reben oder so heißt.) Man muss hier also damit rechnen, dass in einem Feld nicht nur ein Buchstabe untergebracht werden muss, sondern eventuell mehrere. Oder dass Worte ab einem Buchstaben nach oben oder unten in andere Felder übergehen. Oder dass irgendeine Abkürzung sich immer wiederholt. Rebusse sind grundsätzlich unterhaltsam, aber manchmal so beknackt umständlich, dass auch das eben erwähnte Forum 300 nölige Kommentare hinterlässt, was dieser Eierkopfquatsch denn sollte.

Am letzten Donnerstag war das Rebus aber toll, und ich habe es ohne Spicken verstanden. In einem Clue ist immer eine Art Auflösung versteckt, hier war es „One of a pair at the dinner table … or a hint to this puzzle’s theme.“ Lösung: Salt Shaker. Ich wusste also, dass irgendwo bei den Rebus-Lösungen Buchstaben durcheinander gewürfelt werden. Erste Idee: überall, wo SALT vorkommt, vielleicht wird es zu SLAT oder TALS oder was auch immer. Aber es war noch ein Eckchen komplizierter und gleichzeitig beglückender: Es ging um die Buchstaben NACL, die chemische Formel für Salz. Ein Hint war: „H. S. course that might have a unit on the Harlem Renaissance“, wo ich dringend „American Literature“ vermutete, aber hier waren nicht genügend Felder vorhanden. Es wurde gekreuzt von „Papal collection overseen by a bibliothecarius“, was natürlich nur die „Vatican Library“ sein konnte, aber auch das passt nicht. Erst als ich die Salz-Lösung (see what I did there) vor Augen hatte, guckte ich genauer: Die Buchstaben für SALT waren nicht da, aber eben die für NACL, geschüttelt zu CANL, das bei beiden vorkam. Das fand ich sehr clever und trotzdem lösbar.

F. und ich sprachen am Freitag bei der Date Night darüber, wie gut wir beide diese Idee fanden. Und heute im Sonntagspuzzle, das bei mir immer ewig dauert, weil es so groß ist, war wieder eine kleine Extrawurst versteckt. Dieses Mal nicht so kompliziert wie ein Rebus, der einem auch am Sonntag manchmal über den Weg läuft, aber hier gab es mehrere Lösungshinweise, die einem entgegenlachten: FLOOR FLOOR FLOOR. Oder wenige Zeilen darunter: GRIZZLY GRIZZLY GRIZZLY. Oder mein bisheriger Favorit: COMMERCIAL COMMERCIAL COMMERCIAL. Die Lösungen haben alle nichts miteinander zu tun, aber ich mag derartige optische Spielchen. (Lösungen: Neverending Story, Bears Repeating und Ad Infinitum.)

Ich lese weiterhin in der Martinů-Biografie, habe aber nebenbei nun einen Aufsatzband in der Hand, der für mich persönlich anscheinend sinnvoller ist, denn die biografischen Daten kann ich mir auch in der Wikipedia durchlesen, aber ich möchte ja mehr zu Martinůs Musik wissen. Gleich die Einleitung schubste mich in mehrere spannende Richtungen.

„Bohuslav Martinů wird oft ein naives unreflektiertes ‚Vorwärtskomponieren‘ im Sinne eines nicht näher definierten Neoklassizismus vorgeworfen. […] [Diese Anschauung] steht allerdings in einem eklatanten Widerspruch zu seinem eigenen kompositorischen Selbstverständnis, wie es sich sowohl in seinen Schriften als auch (und vor allem) in seinen Werken manifestiert. So zeigte sich Martinů spätestens seit Beginn seiner Pariser Zeit in den frühen 1920er Jahren offenkundig darum bemüht, seine Kompositionsästhetik wie auch seine technischen Mittel unablässig zu erweitern.“ (S. 13)

Der Aufsatz zitiert Texte von Martinů, in denen er Mitte der 20er Jahre zwei Ausdrücke benutzte, die für ihn den Neoklassizismus ausmachten: Disziplin und Beherrschung. Seinen eigenen Worten zufolge beginnt man als Komponist mit einer Phase der Experimente, durch die man nach und nach einen eigenen Stil entwickelt. Dieses Ankommen an einem Punkt muss zwangsläufig eine Gegenreaktion hervorrufen. Erst aus diesen beiden Phasen forme sich schließlich eine Synthese aus dem Alten und dem Neuen, was schlussendlich eine Vollendung bedeute. (S. 14) Zwei Texte Martinůs vom Anfang der 1940er Jahre sowie Mitte der 1950er Jahre lassen den Schluss zu, dass er selbst immer noch auf der Suche nach diese Synthese war. Im Text von 1941 benennt er einige seiner kompositorischen Stationen, die er ausprobiert habe: „Folkloretexte und volkstümliche Bräuche, Tänze, Legenden, Jahrmarktgeschichten und Kinderspiele, mittelalterliche Mirakelspiele, die tschechische Commedia dell’arte, Rundfunkopern (‚fast für Amateurenensemble komponiert‘) bis hin zur abendfüllenden Oper Juliette H.253 (1937) – einem ‚großen symphonischen Gedicht‘, in welchem er ‚den regionalen und folkloristischen Ausgangspunkt‘ verlässt.“ (S. 16) Anfang 1956 führte er in einem Gesucht an die Guggenheim Foundation seinen bisherigen Weg erneut auf und erwähnt hier einen „Plan“, dessen Beginn er auf 1926 datierte. „Diese beiden Texte lassen Martinůs scheinbar disparates Bühnenschaffen in einem ungewöhnlich planmäßigen Licht erscheinen und zeugen gemeinsam mit den betreffenden Werken von der gestaltenden Persönlichkeit eines Komponisten, der zwar allem gegenüber offen stand, sich jedoch nicht – wie oft kolportiert – primär durch äußere Umstände – seien es die verschiedenen Wirkungsorte oder die zahlreichen Kompositionsaufträge – lenken ließ.“ Ich kann nicht beurteilen, ob sich dieser Plan eher retrospektiv erschließt oder ob er wirklich vorhanden war; ich habe aus diesem Abschnitt mitgenommen, dass man durchaus Linien ziehen kann.

„Eine eigentliche Phase des Experimentierens kann bei Martinů erst nach seiner Übersiedlung nach Paris festgestellt werden. Er selbst stellte in seiner Autobiographie von 1941 fest, bis 1923 ‚nur aus seiner Begabung heraus komponiert‘ zu haben, ‚ohne durch bewusste und harte Arbeit etwas Neues hervorgebracht‘ zu haben. Seine Kompositionsversuche aus Prag und Polička lassen in der Tat keine systematische Entwicklung erkennen: Sie erscheinen vielmehr als unmittelbare Reaktionen auf das von Martinů erkundete Repertoire, das etwa im Fall französischer Werke sehr verspätet und oftmals erst zu einem Zeitpunkt nach Prag gelangte, als es – wie beispielsweise bei Debussys Pelléas et Mélisande – längst nicht mehr den aktuellen Stand repräsentierte. Werke deutscher und österreichischer Komponisten, allen voran der Komponisten der ‚Zweiten Wiener Schule‘, fanden zwar in der Regel viel schneller den Weg nach Prag, doch Martinů vermochte sich bei aller Wertschätzung für Schönberg nicht richtig dafür zu interessieren.“ (S. 19)

Direkt nach seiner Übersiedlung nach Paris erhielt Martinů privaten Kompositionsunterricht bei Albert Roussel. Dieser riet ihm angeblich, den Kontrapunkt in seinen Werken anzuwenden, womit sich Martinů selbst schon befasst hatte. „Von da an bildete die lineare Polyphonie eine Konstante in Martinůs Tonsprache vom Klavierkonzert Nr. 1 H. 149 (1925) und vor allem vom Streichquartett Nr. 2 H. 150 (1925) über die Concerto-Grosso-Trilogie von 1937–38 [hier H. 263 von 1937] bis zu seinen letzten großen Orchester- und Chorwerken.

Gleichzeitig mit der freien Polyphonie entdeckte Martinů die Dissonanz als zentrales Mittel der zeitgenössischen Musik. Zu verweisen ist dabei ebenfalls auf das Streichtrio Nr. 1, das die erste konsequente Dissonanzverwendung im Schaffen Martinůs darstellt. Eine ‚logische und überlegte‘ Dissonanz wird zu einem der wesentlichsten Elemente seiner Werke, wobei er sie äußerst differenziert einsetzt. Die Palette reicht vom Nebenprodukt einer strikt linearen Stimmführung (1920er Jahre) über form- und strukturbildende Funktionen (1930er Jahre) bis zur Klangfarbe und Klangfarbenpolyphonie (1940er und 50er Jahre).“ (S. 20/21)

Und da hatte ich schwarz auf weiß, warum ich an Martinů so hänge: Bei keinem anderen Komponisten spüre ich so stark das Sehnen und Drängen hin zu einer Auflösung, also aus einer Dissonanz in einen klaren Akkord. Eins der wenigen Dinge, die aus meinen lausigen zwei Semestern Musikwissenschaft hängengeblieben ist, ist, dass Tonfolgen immer irgendwo hin möchten, die wollen nicht sinnlos im Raum rumwabern, sondern haben ein Ziel. Das dauert manchmal fünf Stunden wie bei Wagner und manchmal nur drei Takte. Ich ahne, dass Musik daher so gut geeignet ist, Sehnsucht spürbar zu machen, den Wunsch, irgendwie anzukommen, einfach nur zu sein. (Ich möchte hier einfach nur sitzen.) Und wie eben erwähnt: Ich verspüre bei niemandem anders als bei Martinů dieses Sehnen in quasi jeder seiner Tonfolgen. Und bei keinem ist das Ankommen süßer und brutaler und beeindruckender. Mein Lieblingsbeispiel ist der zweite Satz im Cellokonzert Nr. 1 H. 196 (1930, 1955 überarbeitet). Das war auch gleichzeitig das erste Stück von Martinů, das ich jemals bewusst gehört habe.

(Zitate aus: Aleš Březina: „Von ‚Experimenten‘, ‚Synthesen‘ und ‚definitiven Werken‘“, in: Ders./Ivana Rentsch (Hrsg.): Kontinuität des Wandels. Bohuslav Martinů in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bern 2010, S. 13–38.