Ein erkenntnisreiches Dankeschön …

… an Heike, die mich mit Eric Kandels Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute überraschte. Die freundliche Schenkerin ist Logopädin, wurde durch einen meiner Einträge über Vattern an dieses Buch erinnert und hat es kurzerhand bestellt. Es stand nicht auf meinem Wunschzettel, deswegen kann ich jetzt kaum sagen, was mich erwartet, aber dafür gibt es ja den Perlentaucher. Ich meine mich zu erinnern, es auch schon mal in der Bibliothek in der Hand gehabt zu haben. Mir fällt nicht mehr ein, im Zuge welcher Hausarbeit das gewesen sein könnte, aber über die Frage, was in uns passiert, wenn wir uns Kunst aussetzen, habe ich natürlich auch schon mal nachgedacht. Daher: Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut. (Auch über die Mail.)

Tagebuch Mittwoch, 27. November 2019 – Strauss (Sohn)

Der Witz daran, dass ich neuerdings einmal im Monat für eine Woche in die alte Heimat fahre, ist, dass meine Mutter dann Zeit hat, das Haus zu verlassen – also für länger als für die halbe Stunde oder Stunde, in der die Pflegekraft da ist. Gestern hatte sie einen Arzttermin, so halbwegs früh; sie konnte also leider nicht ausschlafen, was für mich mit ein Hauptgrund ist, hier jetzt jeden Monat zu sein. Ich persönlich wäre nach zehn Tagen schlachthausreif, wenn ich nicht einfach mal ausschlafen könnte. Glaube ich. Ich musste es netterweise noch nie probieren. Sie hat nie Wochenende und Feierabendzeiten, bei denen jede Gewerkschaft zum Generalstreik aufrufen würde, und ich habe keine Ahnung, ob ich das könnte.

Gestern frühstückten wir gemeinsam, dann machte mein Mütterchen sich für den Tag fertig und ich fuhr währenddessen mit dem Auto einkaufen. Nach dem letztmaligen OMG ICH FAHRE AUTO ging das dieses Mal schon sehr entspannt. Trotzdem fand ich die 50 km/h im Ort gefühlt viel zu schnell, die zuckeligen 30 in den Nebenstraßen gefielen mir weitaus besser. Und die sind immer noch zu viel, wenn plötzlich jemand auf die Straße läuft. Das ist mir aber erst jetzt bewusst geworden, weil ich nicht mehr regelmäßig bzw. eigentlich überhaupt nicht mehr fahre. Seit ich 18 bin, hatte ich ein Auto und habe jeden Weg damit zurückgelegt. 50 waren schnarchig, 65 okay, richtig Spaß machte das erst nach dem Ortsschild. Heute kriege ich auf der Autobahn eher Augenzucken und will wieder in einen ICE.

Als ich wieder zuhause war, übernahm das Mütterchen den Wagen und ich setzte mich, wie schon in den letzten Tagen, mit dem Laptop in Papas Zimmer, damit er wusste, dass jemand da ist. Montag und Dienstag konnte ich sogar ab und zu zehn Minuten lang konzentriert arbeiten, aber gestern ging gar nichts. Papa war unruhig und traurig, sprach eher aphasisch als sinnvoll, und ich wusste irgendwann nicht mehr, was ich noch tun oder sagen sollte, um ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung ist. Das ging über eine Stunde so, bis meine Mutter wieder da war und eine gute Idee hatte: Musik.

Wenn gar nichts mehr geht, machen wir sonst den Fernseher an, was mich aber relativ schnell wahnsinnig macht, weil mich Fernsehen relativ schnell wahnsinnig macht. Und auch Papa kann nicht mehr alles sehen: Krimis mit komplizierten Handlungen gehen nicht mehr, am besten sind Tier- und Naturfilme ohne wilde Schnitte. Die laufen bloß nicht immer. (Hier bitte die National-Geographic-DVD-Box vorstellen, die F. und ich zu Weihnachten anschleppen werden.) Daher versuche ich es immer zunächst mit anderen Dingen als dem Fernseher wie Bücher, Schokolade, streicheln. Aber auf Musik bin ich gar nicht gekommen.

Mama schlug „An der schönen blauen Donau“ vor, das schien Papa auch zu gefallen, und Mütterchen begann, nach einem funktionierenden Abspielgerät und einer Kassette oder CD oder was auch immer zu suchen. Ich dankte im Nachhinein meinem schlauen Freund, der mir nach dem letzten Aufenthalt, bei dem ich ewig Tagespässe nachbuchen musste, um wenigstens meine Mails zu checken, geraten hatte, mein Datenvolumen am Handy zu erhöhen. Das ging für lockere fünf Euro, ich aktivierte gestern daher entspannt am Handy einen Hotspot, verband den Laptop damit, rief Spotify auf und und keine Minute später spielten die Berliner Philharmoniker unter Karajan einen Walzer. Papa war sofort ruhiger, hörte gelassen und aufmerksam zu, und ich saß daneben und war gleichzeitig fertig und zufrieden. Johann Baptist Strauss, du hast was gut bei mir.

Tagebuch Dienstag, 26. November 2019 – Cookie Duty

Meine Mutter freut sich immer, wenn ich das Kochen übernehme, aber für mich ist es schwierig, weil hier ungefähr 20 Gewürze und Würzsaucen fehlen, die bei mir zuhause quasi täglich in Benutzung sind. Deswegen ziehe ich mich auf möglichst einfache Dinge zurück – aber bei denen muss man neuerdings darauf achten, ob Papa sie essen kann, so Hand-Mund-koordinationstechnisch. Sonst würde ich hier dauernd Nudeln oder Reis mit irgendwas machen, aber das ist beides nicht mehr so einfach. Daher gab’s gestern Blumenkohl im Bierteig statt meines Curryteigs. Hat auch geschmeckt, aber ich habe gelernt: Helles im Bierteig ist eindeutig leckerer als Beck’s. Wie mein geschätzter Mitpodcaster sinngemäß twitterte: ALLES ist leckerer als Beck’s.

Nachmittags hatte ich Cookie Duty. Backen war eine gute Idee, Papa war abgelenkt und durfte ab und zu Teig naschen, und wir haben vier Bleche Kekse gemacht, was alleine für meine Mutter etwas schwieriger gewesen wäre, weil Keksebacken halt zeitaufwendig ist – die Zeit fehlt dann für wichtigere Dinge als Keksebacken (ja, die gibt es). Dafür habe ich Rückenschmerzen gehabt, weil kaum Arbeitsfläche bereitsteht und ich Irre auf dem Küchentisch Teig geknetet habe, der natürlich viel zu niedrig ist.

Trotzdem ein eindeutig besserer Tag als Montag. Montage sind immer doof, aus Gründen, die hier nicht hingehören. Ach, wo wir eh gerade dabei sind: Einträge über meinen Vater sind laut meiner Mutter okay. Ich habe natürlich gefragt.

In other news: Durch Julia habe ich ein sechsmonatiges Abo bei Ancestry geschenkt bekommen (Danke!) und gleich mal ein paar Byte ins Tethering investiert. In einem Brief im Nachlass hatte ich von fünf (Halb- und Ganz-)Geschwistern von Protzen gelesen, kannte aber nur drei. Jetzt kenne ich alle sechs Kinder von Protzens Papa. Tolles Zeug. Muss nur noch rausfinden, wie ich Geburtsregister aus Erfurt zitiere, ohne da hinfahren zu müssen.

Tagebuch Montag, 25. November 2019 – Katy Jurado

Sehr von einer elektrischen Schiebehilfe beeindruckt gewesen. Wir haben sie in der elterlichen, ansteigenden Einfahrt ausprobiert, und ich konnte den Rollstuhl deutlich besser bewegen als ohne. Okay, Puddingärmchen Gröner, aber trotzdem. Sehr sinnvolles Ding.

Merke: Keine Shirts mit Sätzen darauf mehr anziehen, sonst liest Papa die, man erklärt sie ihm, und dann erklärt man die nächsten acht Stunden immer wieder, was „Miss Scarlett in the hall with a revolver“ bedeutet, weil er es immer wieder vergisst.

Aber die Schauspielerin aus High Noon, nach der ich ihn abends beim Fernsehen gefragt habe, wusste er sofort.

Tagebuch Sonntag, 24. November 2019 – Ruheabteil

Den halben Tag in Zügen und S-Bahnen verbracht, um zu meinen Eltern zu kommen.

Der ICE nach Hannover war pünktlich, die Fahrt angenehm. Ich hatte einen Platz ganz vorne in einer dieser lustigen Lounges direkt hinter dem Zugführer (m/w/d) ergattert. Dummerweise war mein Zug einer, der irgendwann geteilt wurde, weswegen ich die ganze Zeit auf das Hinterteil eines anderen ICEs guckte.

Außerdem ist die Lounge ein Ruheabteil, was mir auch dadurch bewusst wurde, dass einer der Mitreisenden eine Dame maßregelte, die im Raum zwischen der Lounge und dem Rest des Waggons – also da, wo die Zugtüren sind – telefonierte. Anscheinend dehnt sich die heilige Halle der Stille auch über die Glastür hinaus aus.

War mir egal, ich lauschte wieder Podcasts und zwar zweien von WRINT, die ich beide wärmstens weiterempfehle.

Das ostdeutsche Gefühl erläutert im Gespräch, wieso so viele ehemalige DDR-Bürger*innen noch mit dem neuen Staat hadern, was für mich durchaus überraschend war. Viel zu kurz zusammengefasst würde ich sagen: Wenn man daran gewöhnt war, dass der Staat sich um alles kümmert (Wohnung, Studienplatz, Kindergarten, Job), empfindet man einen Staat, der genau das nicht mehr tut, anscheinend eventuell als nicht-funktionierend. Und dann wählt man halt eher Parteien, die einen in diesem Gefühl des Staatsversagens bestärken und alles ganz anders machen wollen.

Den zweiten Podcast, Die Übernahme Ostdeutschlands, habe ich erst halb durch, aber schon die erste Hälfte konnte mich sehr faszinieren, weil da ein Historiker spricht. Auch darüber, wie er zwei Kapitel seiner Dissertation Ende der 1990er damit bestreiten konnte, indem er Akten zitierte, die er vor den SED-Leuten retten konnte und die heute unter seinem Namen in dem Institut stehen, von wo sie damals entfernt werden sollten.

Das Comeback der Zimmerpflanze

Kann ich inzwischen abnicken, vor einem Jahr noch nicht. Hey, man kann sich noch in gesetztem Alter ändern! Nie aufgeben, Kinnings!

„”Zimmerpflanzen sind heute so selbstverständlich, da könnte man meinen, sie waren schon immer da”, sagt Andreas Gröger vom Botanischen Garten München, während er über die großen herzförmigen Blätter einer Zimmerlinde streicht. “Eigentlich gibt es sie aber erst seit knapp 200 Jahren.”

Vorher waren exotische Pflanzen höchstens dem gut betuchten Adel vorenthalten, der seine Zitrusbäumchen, Rosmarinsträucher und bunten Pelargonien in Orangerien zur Schau stellte. Die Bedingungen für einen bürgerlichen Privat-Dschungel waren schlecht, die Wohnräume dunkel und mit Öfen oder glühenden Kohlen nur punktuell beheizt. “Da hielt sich höchstens mal ein Myrtensträußchen auf dem Fensterbrett”, sagt Andreas Gröger. […]

Das erstarkende Bürgertum des 19. Jahrhunderts giert nach Pflanzenneuheiten aus fernen Ländern, große Exotengärtnereien bedienen die Nachfrage. Ausgefallenes Zimmergrün wird gesammelt wie Bücher und Gemälde und im Salon zur Schau gestellt. Üppig-verspielte Farne und exotische Palmen sind der letzte Schrei; für eine exklusive Orchidee geben Liebhaber schon mal ein Vermögen aus. Denn wer Zimmerpflanzen sammelt, der kann sich auch den damit verbundenen finanziellen und zeitlichen Aufwand leisten – so werden die Pflanzen zum Statussymbol. […]

Von den 1920er-Jahren an ist aber erst mal Schluss mit den üppigen Privat-Dschungeln. Künstler wie der Bauhausgründer Walter Gropius stellen die Funktionalität ins Zentrum, was sich auch auf den Zeitgeist in der Weimarer Republik auswirkt. Verspieltes Ziergrün muss raus aus den Wohnungen, denn wer will schon wie die Spießer des letzten Jahrhunderts sein? Wenn es unbedingt eine Zimmerpflanze sein soll, dann bitte ein Kaktus oder ein Bogenhanf mit seiner streng geraden Wuchsform (Sansevieria trifasciata, auch Schwiegermutterzunge). “Die 1920er- und 30er-Jahre sind so etwas wie die Tiefzeit der Zimmerpflanzen”, sagt Botaniker Andreas Gröger.“

Ich sage ja immer gerne, dass man Bilder der Neuen Sachlichkeit auch dadurch erkennt, dass irgendwo ein Kaktus rumsteht. Achtet mal drauf.

Links für Sonntag, 24. November 2019

Habe ich alle schon auf Twitter verteilt, aber vielleicht habt ihr heute mehr Zeit für sie. Enjoy.

Das Beste, was Podcasts passieren konnte

Nele Heise forscht über Podcasts und schreibt auf, was Frauen da so machen.

„Seit 2012 beobachte ich die Entwicklung der deutschsprachigen Podcast-Landschaft. Als Forscherin, ja, aber vor allem auch als leidenschaftliche Hörerin. Ein beliebtes Narrativ war damals: Podcasts sind so stundenlange Laberformate, in denen Männer über Technik reden. Wer in dieser Prä-Serial-Phase aufmerksam hinhörte, konnte sich angesichts der schon damals durchaus gegebenen Themenvielfalt darüber nur wundern. Und auch die angebliche Abwesenheit von Podcastenden, die nicht technikhuldigende Männer sind, stimmte einfach nicht. Das konnte ich mit der „Frauenstimmen im Netz“-Liste zeigen, einer kollaborativ zusammengetragenen Sammlung von zuletzt weit über 500 Podcasts mit Frauenbeteiligung.“

„Das sind nur die Schwangerschaftshormone, Liebling!“ Zur Geschichte einer biologisierten Psyche

Sehr viel gelernt – und das gerne, denn Alltagsgeschichte finde ich immer spannend. Einiges ergänzte meine eigenen Erkenntnisse über das Familienleben im 19. Jahrhundert. Thema des Vortragsmanuskript: Was wissen wir eigentlich wirklich über die Gefühlslage von schwangeren Frauen?

„Die Selbstverständlichkeit und Vehemenz, mit der das Wissen über hormonelle Stimmungsschwankungen oder Muttergefühle vorgebracht wird, steht in auffälliger Diskrepanz zum diesbezüglichen Forschungsstand in den Lebenswissenschaften. Nicht nur beschäftigt sich die Wissenschaft allgemein verhältnismäßig selten mit der Psyche Schwangerer: Die Forschung begann zögerlich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und verzeichnete erst ab den 1990ern einen deutlichen Zuwachs. Sondern auch in den empirischen Ergebnissen sind beachtliche Inkohärenzen zu verzeichnen. Weder lassen sich oft klarere Emotionsmuster identifizieren, die sich signifikant von nicht-schwangeren Zuständen unterscheiden. Noch bestehen klare Evidenzen für endokrine Kausalmodelle. Denn bestimmte Hormonkonzentrationen lassen sich bislang nicht eindeutig mit emotionalen Zuständen von Graviden korrelieren. Die Verbreitung von Vorstellungen zu schwangeren Gefühlen sind also keineswegs darauf zurückzuführen, dass sich hier schlicht wissenschaftliche Tatsachen popularisierten. Woher kommt es dann, dass nicht nur Schwangere bei sich selbst Stimmungsschwankungen diagnostizieren, sondern durchaus auch angehende Gynäkologen auf derartige Ideen stoßen, wenn sie sich über den Umgang mit Patient*innen informieren?

Doch wie sind die Entstehungsbedingungen dieser vermeintlichen Evidenzen des Wissens zu Schwangerschaft? Auf welche Weise formierten und veränderten sich Vorstellungen zu Emotionalität? Und welche Rolle spielten körperliche Erklärungsmodelle wie die Hormone dabei?“

My Life as a Child Chef

Autor Adam Shatz begann als Kind zu kochen, um sich vorm Essen zu drücken (müsst ihr selbst lesen), hatte als Teenager einen Catering-Service und stand mit 14 in Sterneküchen. Heute guckt er lieber seiner Tochter beim Keksebacken zu. Schönes Essay über Körpergefühle, Ziele und wie sie sich verändern, wenn man sich selbst verändert.

„My own cooking was more cautious. I was attached to traditional forms and intent on pleasing. I recently unearthed the menu for a dinner party I catered when I was maybe fourteen. The dishes—“Fricassée of Mussels with Yellow Pepper Cream and Spinach” or “Summer Fruits with a Sabayon Sauce Flavored with Framboise”—show that I was more interested in absorbing the great tradition of French cooking than in disrupting it. How could I break with a tradition if I hadn’t properly learned its techniques? Boning poultry, cutting perfect julienned carrots, peeling and dicing a tomato unblemished by skin or seeds, making a lumpless roux for béchamel, caramelizing onions without burning them, whisking pieces of butter into a wine reduction without curdling the sauce: such skills had to become second nature, like tying one’s shoes or swimming breaststroke.

These are physical as much as intellectual forms of knowledge. How do you know that a steak, or a piece of salmon, has been cooked to your liking? Not by a timer, or even by looking, but by the feel of its flesh when you press it, and the indentation left by your finger. I began to keep a food diary, charting my progress and recording my innermost thoughts about cooking. I was interested in its relationship to art and politics, both growing enthusiasms, and to sex, an unknown terrain that I was impatient to explore. (One of my friends came across a cassette I had made, full of poetic confessions about food and sensuality; after enduring hours of ridicule, I destroyed it.)“

Witzigmann in 13 Gängen

Eckart Witzigmann kochte 1984 in der „Aubergine“ in München, und der BR guckte einfach zu. Ihm und seinen Köchen und Kellnern (keine Frauen in Sicht außer Witzigmanns Gattin). Ich fand es spannend zu sehen, was damals Haute Cuisine war und heute in jedem Anfängerinnenkochbuch steht: das Spinatsüppchen zum Beispiel oder die Rotweinbirnen. Wie weit der Weg in den deutschen Küchen war von Bratwurst und Vanillepudding zu dem, was heute täglich auf den Tisch kommt, wenn ich Insta glauben darf. Und wie schnell wir diesen Weg dann doch gegangen sind. Hach, Essen!

Nebenbei: Bei den Portionsgrößen der einzelnen 13 Gänge wäre ich nach spätestens sechs ausgestiegen. Was mir auch aufgefallen ist: die irre schlichten Teller. Heute habe ich manchmal das Gefühl, dass der Teller genauso wichtig in der Optik ist wie das Gericht. Auch interessant: der Aschenbecher auf dem Tisch. Habe immerhin keinen vollen gesehen.

Tagebuch Freitag bis Donnerstag, 15. bis 21. November 2019 – Quellen, Kuchen, Taschentücher

Den Freitag verbrachte ich komplett im ZI und las Zeug und schrieb Zeug und fand alles ganz wunderbar. Wie immer im ZI. Also bis auf den ganzen Naziquatsch, den ich lese, aber so langsam wird da eine schöne Diss draus. Ebenso langsam wird mir aber auch klar, was ich alles nicht reinschreiben werde, weil das Ding sonst 600 Seiten lang wird. Soviel zum Thema „Meine Quellenlage ist so mies und ich weiß gar nicht, ob ich was zu sagen habe.“

Samstag hatten F. und ich einen Termin in der Nähe von Augsburg, die kleine Clara wurde getauft. Ich hatte wieder die übliche Panik vor katholischen Gottesdiensten, weil ich in denen nie weiß, was ich machen oder sagen muss, aber ich durfte schon beim Betreten der Kirche feststellen: Das könnte heute entspannter werden. Die Taufe fand bei den Pallottinern statt, die ich vorher nicht kannte. Wie saßen nicht in Bänken, in denen man auch knien konnte, wie sonst, sondern in einem großen Stuhlkreis, der Altarraum war nicht mal durch eine Stufe vom Raum der Gläubigen abgetrennt, der Saal generell war hell und modern und sah, sorry, Mitbrüder und -schwestern, fast evangelisch-schlicht aus. Ha! Irgendwann kriegen wir euch alle. (Wieder beim Glaubensbekenntnis darüber gestolpert, dass ihr „die heilige katholische Kirche“ sagt statt „die heilige christliche“.)

Der Taufgottesdienst war eindeutig kindgerecht gestaltet, was mir sehr gefallen hat. F. und ich waren vor einigen Wochen auf einer anderen Taufe, aus der ich etwas verstört kam. Der dortige Pastor ging quasi null auf die Gemeinde ein, predigte in einem totalen Tunnelblickton und ich hätte mich nicht gewundert, wenn er plötzlich auf Latein weitergemacht hätte. Der Täufling quittierte das mit einem halbstündigen Durchschreien, was ich persönlich total richtig fand, hätte ich auch gemacht. Am Samstag klang das alles ganz anders. Schon bei der Liedauswahl war klar, wer hier im Mittelpunkt stand: die Kinder. Das Lied Immer und überall kannten anscheinend alle aus dem Kindergarten, man durfte nicht nur mitsingen, sondern sich auch dabei bewegen, wozu der Pastor sogar aufforderte. Die Bibellesung wurde von einem Kind übernommen, der große, ca. vierjährige (?) Bruder des Täuflings durfte die Schale halten, die als Taufbecken diente, und weil da dann eben ein Kind beim Pastor stand, kamen die anderen auch, so dass Clara inmitten einer Traube von Kindern getauft wurde. Das war sehr schön.

Danach ging es in ein Café, durch das man in ein Atrium kam, das wohl zur örtlichen Sparkasse gehört; viel Platz zum Toben und so ein Fahrstuhl ist ja auch irre spannend. Die Eltern konnte sich zurücklehnen und Torte essen. Die Nicht-Eltern auch. Ich bin immer sehr davon beeindruckt, wenn mir Menschen ein Tortenstück auf den Teller schieben, ohne es umzukippen. Empfehle den Laden hiermit weiter.

Normalerweise ist mein Uterus sehr zufrieden mit seinem Leben, aber manchmal ziept er dann doch noch, so auf den letzten Metern. In der Kirche hatte ich mich in einen Jungen verknallt, der ein plüschige Onesie trug und erstmal auf dem Fußboden ein Nickerchen machte, wobei er sein Stofftier als Kopfkissen nutzte. Mit den Eltern landeten F. und ich an einem Tisch und so hörte ich den Satz, der meinen Uterus dann wieder kurierte: „Monatelang wünscht man sich, jetzt lauf doch endlich, und jetzt, wo er läuft, denkt man nur, jetzt bleib doch mal da sitzen.“

Nach der Taufe war noch Zeit, um total romantisch gemeinsam in einen Baumarkt zu fahren, denn wir beiden Autolosen hatten ausnahmsweise einen fahrbaren Untersatz. Ich erstand ein günstiges Plastikregal und eine akkubetriebene Lampe für mein Kellerabteil sowie ein kleine Gießkanne, denn einige meiner Balkonpflanzen sind jetzt Zimmerpflanzen und ich ahne, dass zu ihnen noch ein paar kommen, jetzt wo ich weiß, wie schön das ist, Pflanzen zu haben. Aber die will ich nicht mit der großen doofen Plastikkanne vom Balkon gießen.

Sonntag bauten wir das Regal dann auf, F. ging heim, ich räumte den Keller auf und vergammelte danach auf dem Sofa.

Montag war dann wieder ZI-Tag, wo ich mir Freitag ein paar Kataloge in den Handapparat gestellt hatte. Ich war ein bisschen matschig und hatte Halsschmerzen, aber ich dachte, das wird schon gehen. Im Nachhinein bin ich sehr froh, nicht im Bett geblieben zu sein, denn ich entdeckte Dinge, nach denen ich wochenlang gesucht hatte bzw. bei denen ich die Suche eigentlich schon aufgegeben hatte. Und plötzlich lag da vor mir, nach was ich ewig geblättert und gestöbert hatte. Das twitterte ich, woraufhin @AndreasP_RV mit einem schönen Satz von Louis Pasteur antwortete: „Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist.“ So isses nämlich. Das hätte ich vor zwei Monaten noch überlesen, aber jetzt wusste ich, worum es geht.

Außerdem las ich einen Katalog über einen Maler im Umfeld von Protzen, verstand aber aus dem Text nicht, wo sich der Nachlass dieses Malers wohl befände, das Internet half auch nicht, also ergoogelte ich die Verfasserin und schrieb sie an. Die antwortete bereits am Dienstagmorgen und ich werde demnächst ein weiteres Stadtarchiv kennenlernen. (Ich wollte hier das Stadtarchiv Dachau verlinken, bekomme aber immer eine Fehlermeldung, wenn ich per https reinwill.)

Montag nacht war allerdings aus den Halsschmerzen eine Erkältung geworden, weswegen ich die letzten drei Tage brav im Bett verbrachte. Jedenfalls fast: Mittwoch musste ich dringend an die Tür, dem Postboden aufmachen, denn mein Adventskalender aus Wien kam an, der mich im letzten Jahr 24 Mal erfreut hatte.

Gestern musste ich ein kleines Video drehen, bevor mich die Sanduhr hypnotisieren konnte, während ich auf meinen Tee wartete.

Heute fühle ich mich wieder halbwegs fit, aber nach der üblichen Reihenfolge „Halsschmerzen – Schnupfen – Matschigkeit und Gliederschmerzen“ ist heute und mindestens morgen der Punkt „Husten“ dran. Ihr hört mich meilenweit, wenn ich gleich in die Bibliothek fahre, denn ich muss ein Buch abgeben. Nächste Woche bin ich nämlich wieder im Norden bei meinen Eltern. Hoffentlich virenfrei.

Ein verschnupftes und deswegen verspätetes Dankeschön …

… an Matthias, der mich mit Yōko Ogawas The Memory Police überraschte. Ich hatte von der japanischen Autorin zugegebenermaßen noch nie gehört, aber die Einleitung in der Rezension des New Yorker von Jia Tolentino hatte mich sofort: „Like Colson Whitehead’s “Underground Railroad” and Mohsin Hamid’s “Exit West,” Yoko Ogawa’s novel transforms a familiar metaphor into imaginative truth.“ The Underground Railroad fand ich großartig und gerade den Kniff, eine Metapher – hier die railroad nicht als Kette von hilfsbereiten Menschen, sondern wirklich als fahrenden Zug – als etwas Fassbares, Reales anzunehmen und darum die Geschichte zu stricken, sehr spannend. Und dann kriegte mich dieser Absatz endgültig: „It’s a dreamlike story of dystopia, set on an unnamed island that’s being engulfed by an epidemic of forgetting. In the novel, the psychological toll of this forgetting is rendered in physical reality: when objects disappear from memory, they disappear from real life.“

Zunächst versuche ich rauszubekommen, ob es den Roman auch in einer deutschen Übersetzung gab, denn einen fremdsprachigen Roman in einer weiteren Fremdsprache zu lesen, kam mir etwas seltsam vor. Nach dem Lesen der deutsch– und der englischsprachigen Wikipedia und dem eher bildhaften Vergleich der Schriftzeichen war ich überzeugt: Den Roman gibt es nur auf Englisch. (Stimmt auch.) Gleichzeitig lernte ich aber so noch weitere Romane der Autorin kennen, von denen ich in einige per Leseprobe bei Amazon reinguckte. Das klang, wenn auch auf Deutsch, so, als ob ich die Dame gerne mal lesen würde und daher landete das Buch auf dem Wunschzettel. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut. Schon am Montag, als ich es aus der Packstation holte. Und jetzt gehe ich wieder ins Bett und rotze Taschentücher voll.

Nebenbei: alles richtig gemacht.

Indischer Butter-Tofu (Tofu Makhani)

Eine vegetarische Abwandlung des legendären Indian Butter Chicken. Mal wieder aus der NYT, die dieses Rezept weeknight-friendly nennt, weil die Zutatenliste im Vergleich zum Butterhuhn arg reduziert wurde. Die Frühlingszwiebeln im Bild bitte ignorieren, die waren doof. Und Koriander statt Petersilie wäre besser, aber was man nicht im Haus hat, kann man nicht auf den Teller werfen.


(Das Foto ist etwas unscharf, weil ich wirklich sehr hungrig war und nur eins gemacht habe, bevor ich den Teller leergeatmet habe. Aber ich koche das ja nochmal, und dann wird das hier kommentarlos ersetzt. Für Insta hat’s gereicht.)

Ich habe die Mengen im Originalrezept latent ignoriert. Von den untenstehenden werden ein bis zwei Personen satt und es bleibt ein Berg Sauce über.

2 EL frischer Zitronensaft mit
1 EL gemahlenem Kreuzkümmel und
1 stark gehäuftem EL Kurkuma zu einer Paste vermischen, notfall mit einem Esslöffel Wasser nachhelfen. Ich habe stattdessen einfach noch mehr Zitronensaft benutzt.

1 Block Tofu (also so 200 bis 250 g) trocknen, notfalls trocken pressen (mit Küchenpapier oder einem Handtuch umwickeln und für ein paar Minuten unter etwas Schweres stellen, bis Flüssigkeit austritt). Den trockenen Tofu in grobe Würfel schneiden und in der Zitronenpaste bei Zimmertemperatur marinieren. Oder, wenn ihr das Gericht vorbereiten wollt, bis zu einem Tag lang im Kühlschrank rumstehen lassen.

Wer Reis dazu mag, den jetzt aufsetzen.

In einem flachen Topf
4 große EL Butter bei mittlerer Hitze schmelzen.
1/2 TL Chilipulver oder Cayennepfeffer dazugeben, dazu
1 Zwiebel, fein gehackt, und diese ca. 5 Minuten andünsten, bis sie glasig wird. Das darf nächstes Mal gerne ein ganzer TL sein, da war zum Schluss nur eine feine Schärfe hinten im Rachen, aber das Gericht verträgt mehr, meine ich.

Die Hitze etwas reduzieren, dann
1 1/2 EL frisch geriebenen Ingwer und
2 fein gehackte Knoblauchzehen dazugeben. Weitere 5 Minuten braten, bis die Zwiebel anfängt, braun zu werden.

Hitze wieder etwas erhöhen,
1 Dose (ca. 400 g) stückige Tomaten,
1 Zimtstange,
1/2 TL Paprikapulver,
1/2 TL Kurkuma und
1 TL Meersalz dazugeben. Alles köcheln lassen, bis aus der Flüssigkeit eine Art Ragú geworden ist, ca. 10 Minuten (bei mir ging’s schneller).

Die Zimtstange entfernen (!) und den Rest zu einer feinen Sauce pürieren. Ich habe das im Topf selbst erledigt, ihr könnt das natürlich auch in einen Blender kippen und dann wieder umsiedeln. Wenn alles wieder hübsch im Topf ist,

1 Dose Kokoscreme oder fette Kokosmilch (ca. 400 g) hinzugeben sowie
den marinierten Tofu mit allen Marinaderesten. Unbedeckt bei kleiner bis mittlerer Hitze vor sich hinsimmern lassen, bis der Tofu die Farbe der Sauce angenommen hat. Das waren bei mir wiederum nur wenige Minuten.

Auf einer flachen Platte oder einem großen Teller den Reis ausbreiten, Tofu mit Sauce darüber, Koriander wäre nicht schlecht, bei mir gab’s noch frische Gurken dazu, und Jogurt wäre super gewesen. Auch dringend beim nächsten Mal machen: Naan-Brot, denn es bleibt, wie gesagt, recht viel Sauce über. In die stippe ich heute einfach ein paar Laugenbrezn.

Ach ja, und wenn ihr den Holzlöffel, mit dem ihr das Gericht umgerührt habt, gleich nach dem Kochen abwascht, ist der abends auch nicht kurkumagelb. Hoffe ich. Werde ich demnächst antesten. Erstmal habe ich jetzt einen Löffel für die indische Küche.

Tagebuch Donnerstag, 14. November 2019 – Pachinko und Relotius

Der Titel ist bereits Makulatur und begonnen habe ich das Ding schon 2017, aber hey, eingetragen.

Vorgestern Pachinko ausgelesen, das mich im letzten Drittel ein wenig ratlos zurückgelassen hat. Die Geschichte beginnt quasi richtig in den 1930er Jahren in Korea und verlagert sich dann nach Japan, wo sie anschließend größtenteils bleibt. Die Hauptfigur ist die junge Sunja, die im Laufe des Buchs altert, und nach und nach übernehmen Figuren aus der Familie eher die Funktion der Protagonistin, denen wir statt ihrer länger folgen. Genau das hat mich etwas genervt, weil gefühlt alle 20 Seiten eine neue Figur ins Spiel kam, die mir relativ egal war, weil ich sie noch nicht so lange kenne wie Sunja.

Ich fand es schade, dass sie nicht mehr im Zentrum stand, sondern an die Peripherie wanderte. Mir ist schon klar, dass Autorin Min Jin Lee aufzeigen wollte, dass Rassismus und Diskrimierung (hier von Koreaner*innen durch Japaner*innen) eben nicht irgendwann aufgehört hat, sondern – solange geht das Buch – bis mindestens in die 1980er Jahre fortwirkte. Ich fragte mich trotzdem, ob man dafür die eigene Hauptfigur zur Randfigur machen muss und das recht gnadenlos. Die neuen Figuren hatten auch meist nicht so viel Zeit und Platz, sich zu etablieren, da passierte schon wieder etwas Schlimmes, das passiert ja dauernd in diesem Buch, und plötzlich waren sie weg oder auch an den Rand gewandert. Deswegen fand ich das Buch im Ganzen etwas unbefriedigend, weil ich zum Schluss das Gefühl hatte, Lee wollte einfach fertigwerden.

Andererseits: Dinge gelernt, die ich noch nicht wusste.

Gestern dann in einem Rutsch Juan Morenos Tausend Zeilen Lüge: Das System Relotius und der deutsche Journalismus durchgelesen. Das ist schon sehr unwiderstehlich geschrieben, auch wenn es lustigerweise Methoden einsetzt, über die das Buch sich beschwert. Nämlich der Leserin das zu geben, was sie lesen will, um sich bestätigt zu fühlen, was gerade Relotius angeblich so gut hinbekommen habe, dass er in sehr kurzer Zeit ungewöhnlich erfolgreich werden konnte.

Ich musste besonders bei einer Seite grinsen, aber das hat eher persönliche Gründe. Irgendjemand twitterte mal, ich glaube, es war wer von der FAZ, dass ihn oder sie das nerve, wenn man Pointen nicht nur dramatisch im letzten Satz verballere, sondern den auch noch im Schriftbild absetze, um es noch dramatischer zu machen. Ich muss gestehen, dass ich dieses Stilmittel auch sehr gerne in meinen Blogeinträgen eingesetzt habe, ist halt ein schöner sucker punch. Nach dem Tweet habe ich mich aber brav kritisch hinterfragt und bemühe mich seitdem, es nicht mehr so ausufernd einzusetzen.

Und dann las ich diese Seite und musste einfach gackern.

(Ja, das Bild ist klein. Mir ging es um den allein stehenden Satz, den man auch erkennen kann, wenn der Text nicht mehr ganz mühelos lesbar ist. Müsste trotzdem mal über größere Bilder im Blog nachdenken, müsste ich nicht?)

Exkurs: Was ich mir auch abgewöhnt habe, ist die Wiederholung, um Dinge zu betonen, die sehr, sehr wichtig sind (das da eben, das meine ich). „Sehr wichtig“ reicht nämlich auch, meistens reicht sogar „wichtig“. Darüber stolpere ich bei anderen jetzt dauernd.

Zurück zum Buch: Gern und ungern gelesen. Las sich halt wie geschnitten Brot, machte aber auch sehr deutlich, warum das System Relotius so gut funktionieren konnte: weil wir eher kleine Lügen anzweifeln als die ganz große, weil wir gerne Dinge lesen, die unsere eigene Weltsicht bestätigen und weil leider die üblichen Seilschaften und eigenen Karrierepläne stärker sind als die unangehme Wahrheit.

Als Rausschmeißer eine kleine Würdigung. Ich folge dem Historiker Patrick Bormann (@PatBorm), der sich jeden Morgen die Mühe macht, an einen Verfolgten oder Ermordeten (m/w/d) des NS-Regimes zu erinnern. F. kennt den Herrn persönlich, und immer wenn ich darüber jammere, wie sehr mich das belastet, die ganzen NS-Quellen zu lesen, erinnert er mich an Bormann, der F. sinngemäß mal gesagt habe, dass ihn das auch belastete, dass es aber nötig sei.

(Habe mich sehr zusammenreißen müssen, „Aber: Es ist nötig“ nicht als einzelne Zeile zu schreiben.)

Ich erinnere mich selbst auch oft an eine Social-Media-Aktion von Yad Vashem, die mich in ihrer Einfachheit sehr beeindruckt hat und die anscheinend noch nachwirkt. Die Gedenkstätte twitterte bzw. stellte am letzten Holocaust-Gedenktag auf Instagram Menschen vor, die Opfer der Shoah wurden. Man konnte sich einen Namen, ein Gesicht, einen Menschen zuweisen lassen und über ihn lesen und das, wenn man wollte, retweeten oder regrammen. Seitdem erinnere ich mich sehr oft an Malka Apelman, die auf ihrem Bild sehr weit weg ist von den Bildern aus Konzentrationslagern. Und das ist genau der Punkt. Die unfassbar große Zahl an Opfern wird hier heruntergebrochen auf ein einziges, und das hat ein Gesicht und einen Namen. Und immer, wenn ich die Arschlöcher von der AfD von „den Ausländern“ reden höre oder „den Flüchtlingen“, denke ich an Malka Apelmann, die irgendwann nur noch „eine Jüdin“ war, bevor sie zum Opfer wurde.

Worte sind wichtig. Und es ist wichtig, daran zu erinnern, dass aus ihnen Taten werden. Der Holocaust war nicht irgendeine historisch unvermeidbare Konsequenz, sondern etwas, das Menschen anderen Menschen antaten, ganz bewusst. Und alles begann mit Worten. Deswegen reagiere ich so allergisch auf diese Partei und habe auch keine anderen Begriffe für diese Hetzer, die ganz genau wissen, was sie tun.

Ich ahne, dass ein täglicher Tweet nichts an der Gesinnung dieser Damen und Herren ändern wird und dass Bormann vermutlich auch kaum Follower hat, die nichts von der Shoah wissen. Es macht nie Spaß, seinen täglichen diesbezüglichen Tweet zu lesen, aber ich halte es für wichtig, ihn zu schreiben und ihn zu rezipieren und sich daran zu erinnern, dass es Worte sind, mit denen alles beginnt oder mit denen alles verändert werden kann. Auch zum Schlechten, weswegen mich die ständigen Angriffe auf die Institutionen unseres Rechtsstaats etwas ängstigen. In der FAZ stand am Montag ein langer, sehr guter Artikel von Heinrich August Winkler über die unterschiedlichen Möglichkeiten, sich in der Bundesrepublik bzw. der DDR der Demokratie zu nähern. Kostet leider, lohnt sich aber sehr. Ich twitterte Montag schon einen kleinen Ausschnitt davon.

Tagebuch Mittwoch, 13. November 2019 – Giftschrank

Das Mustergießorakel versprach einen etwas schrägen, aber guten Tag.

Früher war mein Tagesorakel, ob ich die Pille aus der Blisterpackung so rausdrücken konnte, dass die Folie ganz blieb, also nur an einer Seite aufriss, das war dann ein guter Tag. Wenn sie mittig riss, war das doof. Aber hey, immerhin lese ich nicht regelmäßig Horoskope.

Gestern war Stabi-Tag, wo ich den ganzen Tag Billy Joels Vienna im Ohr hatte. Ich nehme es der Netflix-Serie The Politician sehr übel, dass sie den Song benutzt haben, das war meiner! Nur eben mit der veränderten Textzeile „When will you realize / The Stabi waits for you“ im Refrain. Endlich verstehe ich die ganzen Indie-Hörer (sagen die cool kids das noch?), wenn einer ihrer Geheimtipps plötzlich Mainstream wird. Wobei: Herr Joel ist vermutlich schon sehr mainstreamig.

In diesem Zusammenhang: Gerade neulich über Lieder nachgedacht, in denen Städte gewürdigt werden. Und zwar, als Augsburg in Paderborn spielte, das natürlich einen Stadionsong hat. Das fand ich schon putzig, ich dachte, nach Bochum könnte nichts mehr kommen. Wobei: Bochum ist super. Schreibt jemand Buxtehude für mich? Ich mag den Ortsnamen so gern.

Ich werfe hier nochmal den Bremer Stadionsong hin, denn der ist immer noch mein Liebling. Nach dem alten Augsburg-Ding, das ich neuerdings mal wieder im Stadion gehört habe. Hust.

So, jetzt aber in die Stabi, Musik aus dem Kopf geklopft und mal wieder an die Giftschrank-Theke gegangen, wo NS-Quellen für mich lagen. Für jedes dieser Werke muss man den Zettel ausfüllen, dass man das für wissenschaftliche Zwecke lesen will. Ich meine, in einem stand sogar vorne drin, dass es ausschließlich dafür rausgegeben wird, persönliches Interesse reicht also nicht, wenn man ein Sammelalbum mit Führerbildern durchblättern will, das 1936 von einer Hamburger Zigarettenfirma rausgegeben wurde. Die Bilder waren natürlich alle von Heinrich Hoffmann und ich bin doch erstaunt, wie sehr er zumindest mein Bild von Hitler prägen konnte – ich kannte sehr viele der Aufnahmen.

Bei einer zuckte ich zusammen und mein erster Gedanke war: Buh, ihr konntet nicht mal anständig Photoshop. Eines der sehr häufig verbreiteten Bilder war Hitlers sogenannter erster Spatenstich zur Reichsautobahn im September 1933 in Frankfurt. Ich fand es in diversen Quellen wieder, gerne dann, wenn es um das Gemeinschaftswerk der RAB geht, die angebliche Volksgemeinschaft, die zusammen usw. Im Sammelalbum fand ich die Aufnahme mit einem freigestellten Hitler, der hier quasi alleine auf einem Erdhaufen steht und schippt. Was natürlich im Kontext dieses Albums, das eine einzige Heldenverehrung des einzelnen Mannes ist, gut passt. Gleich mal notiert. Nebenbei ist in diesem Album auch das Aviso „Grille“ drin, womit ich gar nicht gerechnet hatte, das freute mich auch sehr. Allerdings wieder keine Innenaufnahmen, die suche ich noch relativ verzweifelt.

Nach den Originalquellen, nach denen ich immer duschen möchte oder zumindest viel trinken, ging ich in den Allgemeinen Lesesaal und vertiefte mich in ein paar kunsthistorische Begriffsdefinitionen. Dabei fand ich einen ausgesprochen schönen Ausdruck für viele der NS-Bilder, die, wenn sie nicht gerade Herrenmenschen beim Handgranatenschmeißen zeigen, größtenteils irre banal sind. Mir ist bei den vielen Autobahnbildern, natürlich nicht als erste, aufgefallen, dass einige von ihnen sehr in der Kontinuität meiner geliebten Neuen Sachlichkeit stehen. Dass diese Stilrichtung quasi die logische Vorstufe war, ist aber ein Fehlschluss. Günter Metken formulierte es sehr schön: „Die Stadt- und Industrielandschaften der Neuen Sachlichkeit sind etwas völlig anderes als die beschwichtigenden Momente einer Sonntagskunst.“ (Quelle) Sonntagskunst! Endlich habe ich einen besseren Begriff für das gefunden, was ich bisher in Gesprächen über die Diss immer irgendwann brummig als „Nazischeiß“ bezeichne, was sich für ein Forschungsobjekt vielleicht nicht ganz so gehört.

Hungrig, aber zufrieden heimgekehrt mit fünf neuen Büchern unter den Armen. Nur ein Käsesandwich gegessen und viele Äpfel, ansonsten Schrott, das muss ich etwas zurückfahren, das nimmt gerade überhand. Da belastet mich anscheinend irgendwas, an das ich nicht ranwill, stattdessen esse ich lieber zuviel Schokolade.

Knuspriger Tofu mit Soja-Ahornsirup-Glasur

Für das schnelle Abendbrot. Nach dem allerdings auch am nächsten Morgen trotz Lüften und Abwaschen die Küche duftet, wie ich gerade festgestellt habe. Ist es wert.

Die Mengen im Originalrezept habe ich nur so halbwegs befolgt, ich mache gerne mehr Sauce als angegeben und richte mich nach handelsüblichen deutschen Mengen, wenn es um Gebindegrößen geht.

Für ein bis zwei Personen (aka wenn ich richtig hungrig bin, reicht das genau für mich).

Einen Block Tofu (bei mir ca. 200 g) entwässern. Also in Papier- oder Küchentücher einwickeln, beschweren, 15 Minuten rumstehen lassen, abtupfen. Dann in mundgerechte Stücke schneiden oder reißen, diese nochmals abtrocken. Denn wir wissen ja: Feuchtigkeit ist der Feind von Knusprigkeit. Bei mir waren die Stücke eher Scheiben, wollte ich mal ausprobieren, fand ich gut.

Wenn ihr Reis als Beilage wollt (wollt ihr), dann den währenddessen aufsetzen.

Bei mir gab’s Gurkensalat dazu, also habe ich die Gurke fein gehobelt, in ein Sieb getan, ordentlich gesalzen und Wasser ziehen lassen.

Die Tofustücke in einer Pfanne bei mittlerer bis hoher Hitze in neutralem Öl (bei mir Sesam) anbraten. Heißt: ins heiße Öl geben und in Ruhe lassen. Echt jetzt. Einfach braten lassen, bis die eine Seite knusprig-braun ist, dann erst umdrehen und wieder in Ruhe lassen.

Während des ersten Bratvorgangs das Sößchen herstellen. Dazu
60 ml helle Sojasauce mit
3 EL Ahornsirup,
3 EL Reisweinessig,
1/2 TL Chiliflocken (nächstes Mal bei mir deutlich mehr oder gleich eine kleine frische Chili) und
1 daumengroßen Stück Ingwer, in sehr feinen Scheiben, vermischen.

Beim Ingwer wunderte ich mich über diese Anweisung; normalerweise reibe ich Ingwer. Das geht hier natürlich auch, aber ich fand die deutlich erkennbaren Ingwerplättchen sowohl vom Mundgefühl als auch vom Geschmack her sehr angenehm beim Essen.

Wenn der Tofu von beiden Seiten die Farbe hat, die er eurer Meinung nach haben sollte, herausnehmen und das überschüssige Öl abgießen. Pfanne wieder auf den Herd, kleiner Ölfilm schadet nicht, das ist ein sehr arbeitsarmes Essen, Tofu wieder rein, Hitze reduzieren und die Sauce dazugeben. Tipp: vorher die Fenster öffnen und/oder die Abzugshaube auf volle Pulle stellen, das gibt ordentlich Dampf. Den Tofu dann wenige Minuten in der Sauce braten, bis sie eingedickt ist.

Währenddessen Gurken ausdrücken (ich habe noch etwas Reisweinessig und dunkles Sesamöl darübergegeben), Reis auf den vorgewärmten Teller geben und dann den Tofu mit all der Sauce, die noch da ist. Fertig. Ich mochte den Ahornsirup etwas lieber als neulich den Honig, er kam mir etwas weniger direkt-süß vor, mehr so herb-süß. Gefällt.

Was schön war, Montag, 11. November 2019 – Wüstenschloss

Morgens erstmal jemandem zum Geburtstag gratuliert, der mir sehr am Herzen liegt. Der Herr schickte das Bild eines selbstgebackenen Kuchens zurück, was mich sehr freute.

Ich verbrachte fast den ganzen Tag am Schreibtisch, unterbrochen vom Mittagessen (Fertigtortellini mit selbstgemachter Tomatensauce) und einer Folge Bob’s Burgers. Außerdem surfte ich ein bisschen im Netz und stolperte über diese irre detail- und medienreiche Chronik der Mauer. Wild rumgeklickt.

Am späten Nachmittag saß ich dann ausnahmsweise wieder im Historicum. Nein, nicht in der dortigen Bibliothek, sondern wieder in einem Lehrraum, lustigerweise der, in dem ich mich damals noch händisch und persönlich für Geschichte einschreiben musste. Dieses Mal lauschte ich einem Vortrag einer Professorin für islamische Kunstgeschichte, die ihren hochschulöffentlichen Berufungsvortrag hielt.

Ich fuhr sehr entspannt zur Uni, weil ich dachte, ich könne mich mal wieder wie ein total unwissendes Erstsemester fühlen, da ich mich nie ernsthaft mit islamischer Kunst beschäftigt hatte. Gleich zu Beginn wurden aber die Umayyaden erwähnt, von denen ich doch schon mal was gehört hatte, und natürlich konnte ich auch mit vielen der architektonischen Begriffe etwas anfangen. Auch den Rest konnte ich, für mich wirklich überraschend, gut verfolgen und in das einordnen, was ich so in den letzten Jahren in meinen Kopf geschaufelt hatte. Auch deswegen freute ich mich darauf, den Bildband von 1907 zum Wüstenschloss Qusair ʿAmra, um das es im Vortrag ging, im ZI anschauen zu können. Ich ging natürlich – natürlich – davon aus, dass der bei uns rumsteht. Steht er leider nicht, es gibt das zweibändige Werk von Alois Musil nur im kunsthistorischen Institut in Florenz, selbst die Stabi kann ihn per Fernleihe nur daher zaubern. Ansonsten läge das Buch noch in Beirut, das ist mir ein bisschen zu weit weg, in Jena, aber nicht bestellbar, vermutlich RaRa, und – in Hamburg! Hätte ich das vor ein paar Wochen gewusst, hätte ich der Stabi einen dringenden Besuch abgestattet.

(Edit: Eine Leserin (Bibliothekarin, ich sollte einfach gleich die Profis fragen) machte mich darauf aufmerksam, dass die Stabi die Bände durchaus besitzt – nur in einer Schreibweise, nach der ich nicht gesucht hatte. Danke!)

Auf der Weltkulturerbe-Seite der UNESCO sind gute Fotos, mal durchklicken da. Und hier ist noch ein leicht textlastigerer Link vom MET-Museum, der weitere Links hat.

Das war schön, sich mal wieder mit was Nettem berieseln zu lassen. Mein Tagwerk war weitaus weniger nett, eher durch einen doofen Zufall bin ich direkt von den Autobahnen in die besetzten Ostgebiete gestolpert, in denen Protzen 1941 und 1942 Gemälde produziert hatte, und wie ich gestern schon auf Twitter schrieb: „Wer glaubt, dass ich bei der ganzen Lektüre zu den Reichsautobahnen schlechte Laune gehabt habe, kennt mich noch nicht bei der jetzigen Lektüre zu den eroberten Gebieten im Osten. („Pflanzgarten germanischen Blutes“, Himmler, bitte stirb einfach nochmal, Arschloch.)“ Ein paar bestimmt noch weniger gute Laune machende Bücher zum Generalplan Ost bestellt.

Immerhin gemeinsam eingeschlafen, das macht ja jeden Tag besser. Leider dann nicht mehr gut geschlafen, weswegen dieser Blogeintrag DEUTLICH später online ist als er sollte.

Was schön war, Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019 – Diss und das (sorry. Es ist Montag)

Samstag versucht, sowohl die Tweets zur Pogromnacht als auch zur Maueröffnung zu ignorieren, weil mich beides gerade auf unterschiedliche Weise anfasst. Abends dann doch schwach geworden und YouTube-Clips von der Bornholmer Straße geschaut. Doch wieder geheult, weil ich mich noch an meine damalige völlige Fassungslosigkeit erinnere, mit der ich, zwanzigjährig, alles mitbekam und trotzdem nicht glauben konnte, was sich da entwickelte. Dass aus zwei deutschen Staaten wieder einer werden würde, hätte ich nie geglaubt. Aber darüber, wie sich dieses Land entwickelte, könnte man mal wieder nachdenken.

Dazu las ich dann Sonntag dieses gute Essay: Revolution ohne Helden.

„Die offizielle Gedenkwoche der Bundesregierung in diesem Jahr trägt den Titel “30 Jahre friedliche Revolution – Mauerfall”. Die offizielle Website dieser Gedenkwoche aber heißt nur noch: “mauerfall30.berlin”. So ist es oft: Der Mauerfall rückt ins Zentrum und alles wird seltsam körperlos. Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Mit der Wende kam die Einheit. Als wäre der Weltgeist in dieses Land gefahren. Als hätten nicht Menschen gehandelt. Als lasse sich eine Revolution ohne Revolutionäre auch nur denken. […]

Manche Revolutionen, wie die in Frankreich und den USA, haben das westliche Verständnis von Geschichte und Politik grundlegend verändert. In vielen Ländern sind Revolutionen selbstverständlich Teil des kollektiven Selbstverständnisses. Revolutionsgeschichten, die sich herausgebildet haben, kreisen um handelnde Personen, um Helden, um Revolutionäre. […]

Selbst die Novemberrevolution 1918, diese merkwürdig vergessene deutsche Revolution, hat ihre ikonischen Momente, hat Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, hat Philipp Scheidemann, der vom Balkon des Reichstags die Republik ausruft. Heute kann man hinter diesem Balkon als Abgeordneter im Restaurant sitzen. […]

In der Schlüsselszene der Revolutionsgeschichte von 1989 verkündet Politbüromitglied Günter Schabowski im grauen, etwas zu großen Anzug die Öffnung der Grenzübergänge, kratzt sich auf Nachfrage am Kopf, und sagt dann: “Das tritt, nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich.” Man kann nicht einmal sagen, dass dieser Satz von der Revolution geblieben ist, weil ihn kein Revolutionär gesprochen hat und weil es nicht einmal ein Satz war. […]

Dass es im kollektiven Gedächtnis keine eindeutigen Führungsfiguren gibt, mag auch an denen liegen, die dazu hätten werden können – Menschen, die heute “Bürgerrechtler” heißen, nie “Revolutionäre”. “Die haben allesamt darauf verzichtet, sich vorzudrängen”, sagt Schulz. Aram Radomski, der die Leipziger Montagsdemo vom 9. Oktober filmte und damit in die Welt trug, sagte einmal: “Manchmal stört es mich, wenn ich deswegen zu einem Symbol gemacht werde. Das bin ich nicht.”

“Für viele war auch das Parteiensystem nicht geeignet, ihre Vorstellung von Politik umzusetzen, wie für Bärbel Bohley”, sagt Roland Jahn. Bohley, Mitbegründerin des Neuen Forums, ging in den Neunzigern nach Bosnien. In der Bundesrepublik spielte sie keine herausgehobene Rolle mehr. […]

Die friedliche Revolution fraß ihre Kinder nicht, sie löste nur alles auf, worin die Kinder waren. Wie oft gibt es das, dass ein Volk eine Revolution macht und dann wird es geschluckt? Dass Revolution nicht der Beginn von etwas ist, sondern vor allem das Ende?

Westdeutschland nahm die DDR in sich auf und das Ergebnis war kein neues Land, sondern das alte, mit ein paar neuen Menschen.“

Den Rest des Tages verbrachte ich mit schönem Kleinkram: Ich machte den Balkon winterfertig, sagte traurig meinen einjährigen Blumen Auf Wiedersehen, topfte die Kräuter um, die ich in die Küche retten wollte und putzte den Balkon, bevor es draußen frostig wird.

Dann buk ich Kekse, abends gab’s ein Grilled Cheese und dazwischen schaute ich die neuen Folgen Masterchef – The Professionals, was ich sehr gerne mag (totale Überraschung). Dort stellen sich Köche und Köchinnen den Juror*innen; ihre erste Runde ist immer, einen Klassiker zuzubereiten, ich bloggte bereits mal darüber. Ich finde es immer spannend, wie Profis an eigentlich simple Dinge wie eine Hollandaise rangehen und freue mich grundsätzlich über die Erklärungen dazu, warum sie jetzt was machen und warum was eben nicht.

Ansonsten gab es die ersten vier Folgen von The Morning Show mit Jennifer Aniston und Reese Witherspoon, der neuen Flagship Show von Apple TV. Ich kann mich noch nicht entscheiden, ob ich die Serie mag oder nicht; zwischendurch kommt was, das mir gefällt, aber meistens frage ich mich, was ihr da gerade zu Problemen aufbauscht, die keine sein müssten, wenn man kein Drehbuch für eine Stunde Folge vollkriegen müsste.

Gestern saß ich den ganzen Tag an der Diss. Okay, erst schlief ich gnadenlos bis 9. Aber dann. Ich groovte mich langsam wieder in den riesigen Protzen-Teil rein, in dem mich mittendrin abgebrochen hatte, um mich an die Autobahnen zu setzen. Jetzt kommt also wieder das, was ich vorher schon monatelang gemacht hatte: Werkverzeichnis mit Fotos seiner Bilder zu vergleichen, um sein Werk vollständig aufzubereiten, Archive durchwühlen, um Ausstellungen zu finden, Datenbanken durchwühlen, um Rezensionen dazu zu finden.

Ich hatte 1937 abgebrochen, weil ich wusste, dass jetzt die Großen Deutschen Kunstausstellungen kämen, für die ich dringend ins Staatsarchiv muss. Um wieder in den Schreibfluss zu kommen, las ich meine bisherigen Kapitel dazu nochmal durch und redigierte natürlich erstmal ewig rum, kam aber immerhin bis 1934, und da mache ich dann heute weiter.

Außerdem konnte ich mich in der Diss selbst zitieren. Alles erreicht.

Was sich Historiker*innen von Archiven wünschen: eine Umfrage

Ich hatte mich an der Umfrage auf Twitter nicht beteiligt, weil ich dachte, ich hätte alberne Sonderwünsche, aber anscheinend geht es vielen so, dass sie gerne WLAN hätten und fotografieren möchten. Irre. Durch den Artikel wurde ich aber auch angeregt, über Nachnutzung von einmal ausgehobenen Archivalien nachzudenken: Was wäre, wenn ich die Akten, durch die ich mich wühle und die ich fotografiere/scanne/transkribiere, auch einfach anderen zur Verfügung stellen würde, damit die nächste Nutzerin nicht die gleiche Arbeit nochmal machen muss? Ich wäre dabei!

Links vom 9. November 2019 – Ost-Sandmännchen > West-Sandmännchen

Das ausm Osten kann neuerdings nämlich sprechen. Die Folgen dauern nur ne Minute, sind alle schnafte und lohnen sich alleine für den Dialogsatz aus der ersten Folge:

„Der Sandmann ist da!“
„Watt kannen der?“
„Der findet überall nen Fernseher!“

(via @holgi)

Aber ma watt Ernstes, wa:

Jetzt ist alles gleich viel wert

Die FAZ über die Neuhängung im MoMA, die teilweise alle drei Monate nochmal neu gehängt wird. Irre. Muss ick hinne.

„Überraschenderweise berufen sich alle am New Yorker Denkmalsturz Beteiligten auf den Gründungsdirektor Alfred H. Barr, der das MoMA unter dem Eindruck seiner Reise ans Bauhaus 1927 als populären Begegnungsort entwarf, in dem alle Kunstrichtungen gleichberechtigt nebeneinanderstehen. „Erst in den siebziger und achtziger Jahren fingen wir an, diese absolut verengte Lesart moderner Kunst zu entwickeln“, resümiert Direktor Glenn D. Lowry, der sich seit seinem Antritt 1995 schrittweise um Auflockerung bemüht hat. „In den Vierzigern, Fünfzigern und Sechzigern sammelten und zeigten wir Kunst aus Indien, Iran und Lateinamerika.“ 1963 etwa wurde eine abstrakte Malerei des Inders Vasudeo S. Gaitonde angekauft, die jetzt zum ersten Mal zu sehen ist, gegenüber einem ungewöhnlich zittrigen Mark Rothko. Die beiden ergänzen sich hervorragend, vielleicht, weil beide Künstler, wie der Saaltext informiert, sich im Zen übten.

Nur Henri Matisse und Monets „Seerosen“ behielten eigene Kabinette. Constantin Brâncuşis Skulpturen rahmen aufs Schönste den Ausblick auf die Stadt und den Skulpturengarten. Ansonsten wird hier kein Werk in Ruhe gelassen. Die Aktfotos, die Adrian Piper während ihrer Lektüre von Kants „Kritik der reinen Vernunft“ von sich schoss, um sich zu vergewissern, dass sie noch am Leben war, hängen gegenüber den Zeichnungen, die ungefähr zur selben Zeit der Sudanese Ibrahim El Salahi im Gefängnis fertigte. Jackson Pollock wird nicht gezeigt, ohne ihm seine Frau Lee Krasner gegenüberzustellen, die auch gerade in der Frankfurter Schirn gefeiert wird. Robert Delaunay teilt sich die Wand mit Sonia Delaunay-Terk, mit der er den Orphismus erfand. Und gegenüber hängt ein Bild von Hilma af Klint, das noch schnell aus Stockholm ausgeliehen wurde, weil seit ihrer enorm erfolgreichen Guggenheim-Ausstellung vor einem Jahr wohl auch das MoMA der Ansicht ist, dass die Geschichte der Abstraktion ohne den Okkultismus der Schwedin unvollständig ist.“

(via @Agnes_Sawer)